Protocol of the Session on January 27, 2010

Wir haben funktionale Analphabeten - wir jetzt nicht -; 20 % der 15-Jährigen können nicht richtig lesen. Auch dazu höre ich von Ihrer Seite relativ wenig Richtungweisendes. Wir haben rund 35 % der Lehrkräfte, die vom Burnout-Syndrom betroffen sind. Da frage ich: Was ist Ihre Antwort? Es gibt ganz viele Fragen im Bildungssystem. Ihre Antwort ist: die Eigenverantwortung der Realschulen erhalten, Benachteiligung der Gymnasien vermindern. Das ist natürlich ein bisschen wenig zum jetzigen Zeitpunkt. Es ist eigentlich sogar ohne Worte, wenn man sich mal überlegt, wie groß die Herausforderungen sind.

Es überrascht mich völlig, Herr Klug; denn dass Sie Klug sind, kann man nicht bestreiten.

(Zurufe: Oh!)

- Kann man auch nicht. Aber ich frage mich, ob Sie manchmal beim Zähneputzen über sich in Future II nachdenken. Was für ein Minister werde ich gewesen sein? Was wird mein Beitrag auf dem Weg zur Bildungsrepublik gewesen sein? Diese Frage ist zum jetzigen Zeitpunkt total offen. Was möchten Sie erreicht haben, wenn Sie irgendwann Ihr Amt abgeben? Ich sage ja nicht, wann das sein muss. Haben Sie eine Idee davon, wie eine zukunftsorientierte Bildungslandschaft aussehen kann? Es wäre schön, das mal von Ihnen zu hören. Momentan erwecken Sie den Eindruck, dass außer dem Konzept der selbstständigen Schule, was für Sie bedeutet, Erlasse zu streichen und ansonsten „ist mir doch egal“ zu sagen, relativ wenig kommt.

Selbstständige Schule - da sind wir ja einer Meinung -, das könnte ein Fortschritt sein, wenn man mit der Schule in eine Diskussion über die gesellschaftlichen Herausforderungen kommt. Aber die Ziele müssen klar sein. Also, was wollen Sie erreichen, wie wollen Sie diese Bildungslandschaft wirklich entwickeln? Nur zu sagen, wir machen alles so, wie es bisher war, reicht nicht. Herr Minister, legen Sie den Vorwärtsgang ein. Die von Ihnen beantragte Rückwärtsrolle werden wir nicht mittragen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Ellen Streitbörger.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor meiner Zeit als Abgeordnete war ich jahrzehntelang im schleswig-holsteinischen Schuldienst tätig. Bei den vielen, vielen Erfahrungen, die ich im Laufe dieser Zeit machen konnte, war eine nicht dabei, nämlich die, dass jemand dafür belohnt wird, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Es wäre ja aus pädagogischer Sicht auch völlig unverantwortlich, Fehlverhalten zu belohnen.

Genau das aber möchten CDU und FDP jetzt tun. Eine Verlängerung der Fristen zur Umwandlung der Schulen belohnt die, die gehofft haben, die Schulreform aussitzen zu können. Fast alle angehörten Verbände und Beiräte vonseiten der Schulen im Lande, der Lehrerinnen und Lehrer und der Eltern waren sich einig und sahen keinen Handlungsbedarf zur Änderung des Schulgesetzes. Macht es nicht Sinn, auf den Rat von Fachleuchten und Betroffenen in Sachen Schule zu hören?

Herr Minister Klug hat bei seiner Vorstellung im Bildungsausschuss darauf hingewiesen, dass er seit 17 Jahren im Bildungsausschuss tätig ist. Das ist sicherlich sehr ehrenvoll. Aber die befragten Verbände vertreten Fachleute, die seit Jahren und Jahrzehnten ganz konkret an der Bildungsfront in der Schule stehen und Unterricht und Schule machen und nicht nur darüber beraten. Was also bitte spricht dagegen, auf den Rat und die Argumente der Fachleute zu hören?

(Beifall bei der LINKEN)

Immerhin war das neue Schulgesetz ein gemeinsames Werk der Großen Koalition und stand damit auf einer breiten Basis. Es hatte den Schulen dreieinhalb Jahre Zeit zur Umwandlung eingeräumt.

Herr Höppner hat uns das exakt vorgerechnet. Die meisten Schulen im Land haben diese Zeit auch genutzt, wie wir an der Anzahl der entstandenen Gemeinschafts- und Regionalschulen erkennen können. Diese Schulen haben Konzepte entwickelt und die Arbeit nach den neuen Plänen aufgenommen. Andere Schulen haben die Planungen so weit abgeschlossen, dass sie termingerecht bis zum Beginn des neuen Schuljahres starten können.

(Unruhe)

(Anke Erdmann)

Frau Abgeordnete, einen kleinen Augenblick bitte. Ich bitte um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Wir haben einen relativ hohen Geräuschpegel.

Ich danke Ihnen. - Wir haben von Regierungsseite vernommen, dass an den Schulen im Land nach den Veränderungen und Umstrukturierungen der vergangenen Jahre erst einmal Ruhe einkehren soll. Herr Minister Klug hat auch versichert, dass bereits umgewandelte Realschulen als Regional- oder Gemeinschaftsschulen bestehen bleiben und nicht wieder zurückgewandelt werden. Wir fragen uns, warum jetzt eine Änderung des Schulgesetzes erfolgt. Nur wenige Schulen im Land haben sich bis jetzt noch nicht an die im Schulgesetz vom Januar 2007 vorgesehenen Fristen gehalten, die Umwandlung der Haupt- und Realschulen in Regionaloder Gemeinschaftsschulen bis zum 31. Juli 2010 zu vollziehen. Diese Schulen sollen jetzt dafür, dass sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, mit einer Fristverlängerung um ein Jahr belohnt werden. Das ist - außer für den Verband der Realschullehrerinnen und -lehrer - für niemanden nachvollziehbar.

Wir gehen davon aus, dass mit Rücksicht auf das eventuell stattfindende Volksbegehren zum Erhalt der Realschulen jetzt eine Lex Realschule erlassen werden soll. Wir halten es jedoch für sehr zweifelhaft, dass sich eine Mehrheit in der Bevölkerung dafür finden wird, aus einem dreigliedrigen ein viergliedriges Schulsystem zu machen. Dabei beziehe ich mich nur auf einige Schulen wie zum Beispiel die Förderschulen. Andere lasse ich außen vor. Vorhin gab es schon den Einwand, dass es eine Neungliedrigkeit gebe.

An dieser Stelle möchte ich auch auf den Bericht des Landesrechnungshofs hinweisen, der - wenn auch nur aus Kostengründen und verständlicherweise nicht aus pädagogischen Gründen - zu dem Ergebnis kommt, dass mehr als zwei parallele Bildungsgänge in der Sekundarstufe nicht vertretbar sind. Die Realschule neben den Schulformen Gymnasium, Gemeinschaftsschule und Regionalschule wieder zu installieren, wäre - abgesehen von der finanziellen Unsinnigkeit - auch eine Entscheidung gegen alle Erkenntnisse und Erfahrungen von Pädagoginnen und Pädagogen sowie der bereits bestehenden Gemeinschaftsschulen im Land SchleswigHolstein und in vielen anderen Ländern.

(Heike Franzen [CDU]: Können Sie das wis- senschaftlich hinterlegen?)

Eine sinnvolle Änderung des Schulgesetzes wäre es, die entstandenen Regionalschulen zu Gemeinschaftsschulen umzuwandeln und einen ersten Schritt weg von der Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems zu wagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Unsere skandinavischen Nachbarn sind uns in dieser Frage gute Vorbilder. DIE LINKE steht für eine Schule für alle, und die Forderung nach längerem gemeinsamen Lernen ist Konsens in den Oppositionsparteien. Deshalb können wir einer Änderung des Schulgesetzes, die genau auf das Gegenteil abzielt, nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt beim SSW)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute die zweite Lesung des sogenannten GW-Gesetzes. GW steht dabei logischerweise nicht für die Änderung des Schulgesetzes, GW steht für Gesichtswahrung. Dies scheint die einzige Zielsetzung dieser Gesetzesvorlage zu sein; die Gesichtswahrung der FDP, die im Wahlkampf lautstark verkündet hat, die Realschule als Angebotsschule erhalten zu wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bisher konnte mir noch niemand plausibel erklären, worin der Sinn dieser Fristverlängerung liegt. Weder aus einem pädagogischen noch aus einem finanziellen Blickwinkel heraus lässt sich erkennen, warum eine verzögerte Schulstrukturänderung in Schleswig-Holstein von Vorteil sein sollte. Auch die Stellungnahmen aus der Anhörung zu diesem Gesetzesentwurf bringen keine schlüssigen Erklärungen. Stattdessen werden in den Stellungnahmen Probleme und Unklarheiten aufgezeigt und auch hinterfragt, und zwar die Probleme, die die Landesregierung bisher nicht überzeugend beantworten konnte oder auch wollte.

Der überwiegende Teil der schleswig-holsteinischen Schulen hat die Schulgesetzänderung von 2007 bereits umgesetzt. Gerade einmal ein Viertel

der Realschulen ist noch nicht in Regional- beziehungsweise Gemeinschaftsschulen umgewandelt, und für diese wenigen Schulen schafft die Landesregierung unter dem Druck der FDP ein Gesichtswahrungsgesetz; wie nett, wie sinnlos.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wir wissen auch: Die Schulentwicklungsplanung in den Kommunen ist schon längst abgeschlossen. Die Schulträger haben sich entschieden, die Einführung der Regional- und Gemeinschaftsschulen ist auf dem Weg. Der SSW hat die Schulgesetzänderung der Großen Koalition immer begrüßt, auch wenn für uns klar ist, dass die Regionalschule eine Sackgasse ist. Unserer Ansicht nach muss die Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein flächendeckend eingeführt werden. Wir brauchen eine Schule für alle, die auch eine Schule für alle ist.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wenn man sich ansieht, wie die Wartelisten aussehen, dann wird deutlich: Die Eltern wissen ganz genau, dass das der richtige Weg ist. Das heißt, sie wissen, dass dies der zukunftsweisende Weg ist.

(Beifall der Abgeordneten Regina Poersch [SPD])

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine moderne pädagogische Zielsetzung gestoppt und auch noch ins Gegenteil verkehrt. Es ist nicht nur so, dass die Schulstruktur mit Hauptschulen, Realschulen, Regionalschulen, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen und Gymnasien zukünftig in völligem Chaos versinkt, viel schlimmer ist aus unserer Sicht, dass die FDP Liberalität mit Beliebigkeit verwechselt.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Das war das zweite Mal, dass ich heute das Wort „Beliebigkeit“ benutzt habe. Es tut mit leid, mir fiel kein besseres Wort ein, denn ich denke, genau das ist die Problemstellung. Die FDP hat den Initiatoren des Volksbegehrens im Wahlkampf versprochen, dass die Realschule bei einem positiven Ausgang des Begehrens als Angebotsschule erhalten bleibt. Genauso steht es auch im Koalitionsvertrag. Das brauche ich hier jetzt nicht vorzutragen. Ich denke, Sie üben sich jeden Tag darin, das vorzusagen. Ich brauche das nicht zu zitieren.

(Zurufe)

Statt das Ergebnis des Volksbegehrens abzuwarten, reagiert die Landesregierung in vorauseilendem Gehorsam und stellt die Weichen für etwas Virtuelles, was noch nicht da ist. Obwohl das Ergebnis des Volksbegehrens wohl erst im Februar vorliegen wird, hat die Landesregierung in einem rasanten Tempo jetzt schon diese Schulgesetznovellierung durchgedrückt. Es ist wohl das einzige Mal, dass sie schnell reagiert hat.

Für den SSW möchte ich klarstellen, dass die Vorgehensweise bei dieser Schulgesetznovellierung wirklich unterirdisch war und ist. Ich habe das im Ausschuss gesagt, und es mag ein wenig hart sein. Es ist nicht nur so, dass der Anhörungszeitraum vom 18. Dezember 2009 bis zum 11. Januar 2010 so lag, dass viele ehrenamtlich geleitete Vereine in den Weihnachtsferien kaum die Chance hatten, entsprechende Stellungnahmen abzugeben. Die schon zitierte Änderung des § 147 wurde außerdem durch die Hintertür hineingeschmuggelt. Diese Änderung war auch nicht Bestandteil der Anhörung. Dies geht auch aus der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiterinnen und Leiter der Gesamtschulen hervor. Auch das ist schon gesagt worden. Das Folgende will ich aber doch zitieren:

„Die im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 146 des Schulgesetzes betrifft die Gesamtschulen des Landes Schleswig-Holstein nicht. (...) Die ALG begrüßt ausdrücklich, dass von einer Änderung des § 147 abgesehen wird.“

Aber, schwuppdiwupp, Anfang des Jahres kam diese Änderung doch hinzu. Im Bildungsausschuss das haben wir heute auch schon gehört - wurde damit argumentiert, dass doch alle wussten, dass auch dieser Paragraph mit gemeint war.

Mit der Vorgehensweise bei dieser Schulgesetznovellierung hat sich die Landesregierung nun wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert: ohne eine faire Anhörung, ohne die gesamte Beschlussvorlage in die Anhörung zu geben und ohne alle Argumente und Stellungnahmen zu berücksichtigen. So eilig hat es die Landesregierung also, ihr Gesicht zu wahren, dass es noch nicht einmal Zeit für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren gegeben hat.

Hinzu kommt - das rufe ich in Erinnerung -, dass dieser Gesetzentwurf nicht von der Landesregierung kam, sondern von den regierungstragenden Fraktionen. Dadurch konnte das Verfahren noch einmal abgekürzt werden.

Am peinlichsten für diese Landesregierung ist aber, dass bei der ganzen Diskussion verschwiegen wird,

(Anke Spoorendonk)

welche Konsequenzen diese Schulgesetznovellierung mit sich bringt. Es geht ja nicht nur darum, dass die Frist der Umwandlung um ein Jahr verlängert wird. Mit dieser Änderung wird an erster Stelle erreicht, dass die Einführung einer pädagogisch modernen Schulstruktur verhindert wird. Darüber hinaus gibt es viele Detailfragen, die bisher noch nicht beantwortet sind. Da ist die Frage danach, was eigentlich mit den restlichen Hauptschulen im Land passiert, wenn die Realschulen bleiben dürfen. Außerdem ist unklar, nach welchen Kriterien und mit welchem zeitlichen Horizont die Zuweisung der Lehrerplanstellen funktioniert.

Ich sage es noch einmal: Alle Schulträger haben die Raum-, Standort- und Bauplanung abgeschlossen. Die Schulentwicklungsplanung ist verabschiedet und vom Bildungsministerium genehmigt. Es ist bisher schleierhaft, welche Schulen überhaupt ein solches Angebot wahrnehmen wollen - vor allem, da allen klar sein dürfte, dass die Real- und Hauptschulen nun wirklich keine zukunftsweisenden Schularten sind, um es einmal diplomatisch zu formulieren.

Am geheimsten hält die Landesregierung allerdings die Information darüber, was diese Schulgesetznovellierung kostet. Der Landesrechnungshof hat in seinem letzten Schulbericht deutlich gemacht, dass zwei Schularten für die Sekundarstufe I ausreichen und maximal finanzierbar sind. Angesichts der aktuellen Haushaltslage des Landes und den bisherigen Kürzungsvorschlägen der Landesregierung auch da teile ich die Auffassung der Kollegin Erdmann, dass das gut zur Aktuellen Stunde passt stellt sich für uns die Frage, wie hoch die Mehrkosten sind, die durch die Fortführung eines sechsgliedrigen Schulsystems - das ist nämlich ein sechsgliedriges Schulsystem - entstehen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)