Protocol of the Session on January 27, 2010

(Beifall bei CDU und FDP)

Das Wort hat der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schleswig-Holstein hat ein einmaliges Verfahren

zur Besetzung von Richterpositionen. Ich habe schon zu der Zeit, als wir noch in der Opposition waren, gesagt: Es ist nachgerade vernünftig, dass bei der Auswahl von Richterpersönlichkeiten, der dritten Gewalt, eine möglichst breite Mehrheit im Hause hergestellt werden muss. Die demokratische Legitimation, von der Herr Kollege Rother gesprochen hat, braucht breite Füße. Wir haben uns darauf verständigt: Dabei soll es bleiben. Wir könnten es ändern, wollen es aber nicht ändern -, weil wir den Einigungszwang einer großen Mehrheit in diesem Hause für sinnvoll erachten, damit bei der Richterwahl nicht politische Implikationen ausschlaggebend werden. Die Gefahr besteht sonst immer, auch wenn ich nicht sagen will, dass sie sich woanders konkretisiert.

Das Auswahlverfahren ist relativ kompliziert. Es sind mehrere Dinge zu beachten.

Erstens. Die Parlamentarier müssen die Mehrheit im Ausschuss haben, weil sonst die demokratische Legitimation der Richterwahl infrage steht. Diese Frage hat der Wissenschaftliche Dienst vor mehreren Jahren begutachtet.

Zweitens. Es gibt gute Gründe, die Geschlechterparität im Ausschuss beizubehalten, jedenfalls so lange, wie auch bei der dritten Gewalt Führungspositionen noch nicht ausreichend mit Frauen besetzt sind. Es bleibt bei der Beteiligung von Richtern und Anwälten im Ausschuss sowie - bei besonderen Maßnahmen - von Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkschaften, wenn es um die Fachgerichte geht.

Es stellt sich die spannende Frage: Können wir bei dieser Quadratur des Kreises immer alle Wünsche erfüllen? Es ist nach wie vor ein Wahlverfahren, kein Benennungs- und Bestimmungsverfahren. Ich verdeutliche das an einem Beispiel: Einige Verbandsvertreter haben geschrieben: Wenn wir unsere Vorschläge machen, hat sie der Landtag so zu übernehmen. - Hierzu stelle ich noch einmal fest: Es ist ein Wahlverfahren. So liegt von der Anwaltschaft nicht nur ein Vorschlag vor, obwohl nur eine Position mit einem Anwalt zu besetzen ist, sondern es muss unter Beachtung der sonstigen Bedingungen, die uns das Richterwahlgesetz vorschreibt, aus sieben Vorschlägen ausgewählt werden.

Wir haben Folgendes festgestellt - das war keine leichte Aufgabe; Herr Kollege Rother hat es angesprochen -: Wenn wir das alte Verfahren zugrunde legen würden, bestünde die Gefahr, dass es im Richterwahlausschuss, der darüber bestimmt, wie die Richterpositionen besetzt werden, eine Zwei

(Dr. Christian von Boetticher)

drittelmehrheit gäbe, die man in der politischen Farbenlehre Schwarz-Gelb zurechnen könnte. Das wollen wir selbst nicht. Noch einmal: Es soll gar nicht erst der Verdacht aufkommen, hier werde politisch entschieden und nicht nach fachlichen Kriterien.

Also haben wir gesagt: Wir müssen etwas tun. Das können wir nur, wenn wir das Auswahlverfahren, das uns bisher vorgegeben ist, verändern. Das bedeutet: Wir müssen die Geschlechterquote auf den gesamten Ausschuss ausdehnen. Auch müssen wir als Landtag bei der Benennung von ordentlichen und stellvertretenden Mitgliedern noch auswählen können, wer in welcher Funktion benannt wird. Es ist doch nicht nachvollziehbar, dass ein Verband oder eine Organisation, die jemanden zum ordentlichen Mitglied benannt hat, anschließend erklärt, für die Funktion als stellvertretendes Mitglied sei er nicht tauglich.

Um die Möglichkeit zu schaffen, die Bedingungen, die wir für sinnvoll halten, zu erfüllen, muss das Richterwahlgesetz geändert werden. Wir werden es heute mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit ändern. Wir bekommen sogar mehr als die Zweidrittelmehrheit, weil die Sozialdemokraten dankenswerterweise mit uns gemeinsam einen Gesetzentwurf eingebracht haben. Ergebnis ist keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung von Positionen.

Lassen Sie mich noch eine Bemerkung anschließen, weil ich glaube, dass Vertreter von Verbänden und Organisationen, auch Richter und Gewerkschaften, manchmal nicht alle Tassen im Schrank haben. So schrieb der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nord, Peter Deutschland, gestern an den Präsidenten des Landtags, er solle den Punkt von der Tagesordnung absetzen und das andere Verfahren einleiten. Ich zitiere wörtlich:

„Die Mitglieder des Landtags haben die bestehenden Gesetze zu beachten... Es steht nicht in ihrem Belieben, erforderlichenfalls das Gesetz zu ändern ….“

(Heiterkeit bei CDU und FDP)

Angesichts dieser Formulierung stelle ich mir die Frage: Wer sonst, wenn nicht der Landtag, ist berufen, Gesetze zu machen und zu ändern?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Kollege Habeck, ich habe sehr viel Verständnis für die Position der Grünen. Auch in der öffentlichen Debatte ist man immer geneigt, der einen oder anderen Organi

sation einen Gefallen zu tun. Wir haben davon Abstand genommen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich finde es bemerkenswert, dass BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN aus inhaltlichen Überlegungen heraus den Gesetzentwurf nicht mittragen, aber gleichzeitig eine Liste unterschreiben, die rechtswidrig wäre, wenn wir das Gesetz nicht ändern. Darüber sollten Sie vielleicht noch einmal nachdenken.

(Dr. Robert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das erkläre ich Ihnen gleich!)

- Sie erklären ja alles. Das ist wahrscheinlich die neue Methode, alle Dinge zu befriedigen.

Wir müssen das Gesetz heute ändern, und wir werden es ändern. Auf dieser Basis werden wir einen Richterwahlausschuss wählen, der alle Kriterien, die uns wichtig sind, erfüllt und endlich dazu beitragen kann, die notwendige Besetzung von Richterpositionen vorzunehmen. Es ist bereits viel Zeit ins Land gegangen. Die Justiz braucht unbedingt die Entscheidung.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort hat der Vorsitzende der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Abgeordneter Dr. Robert Habeck.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es mag daran liegen, dass ich kein Jurist bin. Ich finde, es geht mit dieser Debatte ein Vorgang zu Ende, den man gutwillig als harte Verhandlung oder als Ringen, böswillig jedoch als willkürlich und neutral mindestens als ungeordnet bezeichnen kann. Vielleicht erinnern sich einige: freitags, um 11 Uhr, wie in „Täglich grüßt das Murmeltier“, hektisches Gerenne zwischen den Fraktionsvorsitzenden und Herumreichen von blauen Akten. Ich habe mir nicht vorgestellt, dass die Verhandlungen so geführt werden. Vielleicht schaffen wir es heute, hier durchzukommen. Um Justitias Selbstschutz willen muss man wirklich hoffen, dass sie blind ist und nicht gesehen hat, was für ein Geschacher hinter den Kulissen veranstaltet wurde.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Wolfgang Kubicki)

Ich hoffe, dass die zu wählenden Richter unabhängiger, umsichtiger und vorurteilsfreier agieren, als es die Politik in diesem Fall getan hat. Ich werde es gleich erklären.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezew- ski [DIE LINKE])

Das Richterwahlgesetz war vorbildlich und progressiv. Es kennt eine Geschlechterquotierung und ist damit diesem Haus an Gleichstellung überlegen. Es verpflichtet die Fraktionen - wir haben es gerade gehört -, sich mit Zweidrittelmehrheit zu einigen. Damit ist es sowohl politisch wie überparteilich - das ist eine sehr gute Kombination. Das funktioniert aber nur, wenn sich alle an die Spielregeln halten. Das war im Allgemeinen der Fall, im Konkreten jedoch nicht. Deswegen, nur deswegen - es geht nur um Einzelfälle - müssen wir jetzt die Debatte über eine Gesetzesänderung führen.

Zunächst zum Allgemeinen, das ist der positivere Teil. Wie gehört, CDU und FDP könnten mit einer einfachen parlamentarischen Mehrheit das Gesetz so ändern, dass sie im Richterwahlausschuss eine Zweidrittelmehrheit hätten, und damit die Judikative komplett parteipolitisch aufstellen, wenn sie wollten. Wenn immer wieder betont wird, „wir könnten es machen, aber das wollen wir eigentlich gar nicht“, ist die Grenze des Eigenlobs erreicht. Deswegen lassen Sie sich von mir loben. Mir wurde mehrfach persönlich und mit großer Ernsthaftigkeit erklärt, auch als der Karren schon im Dreck steckte, dass es nicht die Absicht gebe, das Gesetz in dieser Hinsicht zu ändern. Das ist fair und einsichtig. Es wäre allerdings auch lächerlich, wenn die Regierungsmehrheit, die keine Mehrheit in der Bevölkerung hat, ihre nicht vorhandene Mehrheit nutzte, eine Mehrheit in den Gerichten herzustellen, die sie erst recht nicht hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Widerspruch des Abge- ordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

So aber ist der Richterwahlausschuss mit seinen Mitgliedern gut zusammengesetzt - deswegen werden wir dem auch zustimmen -, und wir können ihn wählen nach den Verhandlungen. Allerdings hätten wir das auch ohne eine Gesetzesänderung hinkriegen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es geht darum, dass die eben noch gelobte Einsichtsbereitschaft in den konkreten, einzelnen Ver

handlungen an enge und mitunter engstirnige Grenzen stieß. Das Prinzip des Gesetzes - schon ein paar Mal gehört - verpflichtet die Fraktionen zu einer Einigung, quasi zu einer Friedensliste. Unterschiedliche politische Positionen sind eine Herausforderung zum Ausgleich. Da mit Veto und Ausschließeritis zu agieren, sprengt die Vorgaben des Gesetzes. Genau so ist es gekommen, und deswegen müssen wir jetzt hier stehen.

Um die Gemeinsamkeit zu wahren, haben wir bis zum äußersten Punkt versucht auszugleichen. Wir wie auch die SPD - haben unseren eigentlichen Vorschlag zum Richterwahlausschuss zurückgezogen und modifiziert. Wir haben das eigentlich unakzeptable Vorgehen, einen Einzelvorbehalt gegen eine einzelne Person, geschluckt. Wir sind selbst bereit, die Ausweitung der Frauenquote auf das gesamte Gremium mitzutragen. Natürlich bedeutet das eine gewisse Schwächung der Frauenquote, weil jetzt die Parlamentarier ausgleichen, wenn die dritte Gewalt nicht genug Frauen nominiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezew- ski [DIE LINKE])

Wir sind aber bereit, selbst diese Schwächung mitzutragen, weil das formale Prinzip gewahrt wird. Da aber - da ist die Grenze, weshalb wir jetzt nicht mehr mitspielen - offensichtlich nicht nur eine Person ausgeschlossen werden sollte, sondern eine zweite auf der Stellvertreterseite durchgedrückt werden sollte

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

und die Austauschbarkeit von Mitgliedern und Stellvertretern im Gesetz auch noch geändert werden soll, heißt, den unter Beweis gestellten Gutmut auszunutzen, es heißt letztlich, sich Gesetze nach Gusto zu bauen und das Gesetz dem Opportunismus zu unterwerfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Wahrheit beschließen wir hier ein getarntes Einzelfallgesetz, und das ist ein mehr als fragwürdiges Rechtsverständnis, das meiner Ansicht nach nur durch persönliche Vorbehalte begründet ist. Dieses Gesetz wirft mehr Fragen als Antworten auf. Die Verbände protestieren dagegen, auch der Richterbund. Falls sich herausstellen sollte, dass der beschleunigte Prozess ohne Anhörungsverfahren, mit dem das Gesetz jetzt durch den Landtag gebracht wird, nicht rechtens ist, dann wirft das auch die Frage auf: Sind die Urteile der Gerichte, die auf dieser

(Dr. Robert Habeck)

Grundlage zusammengesetzt worden sind, gültig? Hat sich darüber einmal jemand Gedanken gemacht?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Selbstverständ- lich!)

Dann droht ein richtiger Justizskandal. Herr Minister Schmalfuß, hier wird auf Ihre Kosten gezockt, und zwar von der Partei, die Sie ins Amt gebracht hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Heinz-Werner Jezew- ski [DIE LINKE])

So weit jedoch, Sie vor Ihren eigenen Leuten zu schützen, geht unser Altruismus dann doch nicht. Das müssen Sie schon selbst tun.