Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Minister, in meiner Tätigkeit als Pressesprecher der Justizbehörde in Hamburg war ich manchmal etwas neidisch auf die von Senator Ahlhaus, Ihrem Amtskollegen, geführte Innenbehörde. Hatte man es mit einer Betonung der Rechtsstaatlichkeit nicht immer leicht, bei Journalisten Gehör zu finden, kann ein Innenminister mit markigen Forderungen relativ schnell auf die Titelseiten der örtlichen Presse kommen.
Der Hintergrund ist tatsächlich ernst: Am 15. November 2009 geschah ein schrecklicher Unfall auf der A 1, bei dem eine 22-jährige Frau ihr Leben verlor. In der Zeitung war dann zu lesen:
,,Der Zusammenprall war so heftig, dass beide Fahrzeuge sofort in Brand gerieten. Nur dem mutigen Einsatz mehrerer Autofahrer, die an der Unfallstelle Erste Hilfe leisteten, ist es zu verdanken, dass die beiden nicht in ihren Fahrzeugen verbrannten.“
Von sogenannten Gaffern war kurz nach dem Unfall zunächst keine Rede, erst eine Woche später wurde der Begriff des Gaffers in Zusammenhang mit dem Unfall auf der A 1 gebraucht.
Da haben wir sie, die beiden Seiten der Medaille: Es gibt die, die in der Not mithelfen, ebenso wie es
leider die gibt, die am Rande stehen bleiben. Deswegen war es vom Grundsatz richtig, das Problem von sogenannten Schaulustigen an Unfallstellen auf die Tagesordnung zu setzen. Herr Minister Schlie, aber die ,,Schocktherapie“ war eine billige Vokabel, die uns in der Sache überhaupt nicht weiterbringt. Ich finde, das haben Sie nicht nötig.
Denn wieso sollte jemand, der live bei einem realen Unglück dabei ist und sich am Schmerz und Leid anderer ergötzt, therapiert werden, wenn er die gleichen Szenen auf Fotos und Filmen zu sehen bekommt? Wollen Sie künftig zum Beispiel einem Handtaschenräuber eine am Boden liegende Oma zeigen, um ihn vom nächsten Raub abzuhalten? Wollen Sie gar einem Terroristen das einstürzende World Trade Center zeigen, damit er die Welt nicht mehr bedroht?
Lieber Innenminister Schlie, das war ersichtlich nicht zu Ende gedacht. Ich sage es Ihnen ganz offen: Wo ist denn Ihr Konzept, jetzt schon zwei Monate nach der großen Schlagzeile? Ich habe heute nichts, aber auch gar nichts gehört, was Ihre ursprüngliche Idee einer ,,Schocktherapie“ auf den Weg bringt. Herr Schlie, nein, es ging Ihnen nur um eine billige Schlagzeile auf Seite 1.
Herr Kollege Fürter, unabhängig vom konkreten Vorgang, den wir hier besprechen, haben Sie in Ihrem Beitrag gerade das Prinzip der Auseinandersetzung des Täters mit dem Opfer infrage gestellt. Habe ich das so verstanden, dass die Grünen den Täter-Opfer-Ausgleich nicht mehr für sinnvoll erachten?
- Selbstverständlich nicht. Das wissen Sie auch ganz genau. Das ist ein gutes Instrument. Ich würde den Täter-Opfer-Ausgleich nicht als Schockthera
Denn eines gilt es festzuhalten: Straftatbestände gibt es bereits heute. So kann die unterlassene Hilfeleistung mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Herr Schlie, Ihr eigener Ministeriumssprecher sagte gegenüber der Presse damals:
,,Feuerwehr, Helfer und Polizei haben nach einem schweren Unfall genug zu tun. Um dann auch noch die Personalien von Schaulustigen aufzunehmen - dafür fehlt einfach das Personal.“
Wie wollen Sie denn gegen die Gaffer mit einer Schocktherapie vorgehen, ohne Personalien durch Polizei, Helfer und Feuerwehr aufzunehmen zu lassen?
Wir Grüne glauben an Bürgerinnen und Bürger, die sich aktiv für die Gesellschaft engagieren und sich einbringen. Gaffer, die Rettungsmaßnahmen behindern, sind mit diesem Weltbild nicht zu vereinbaren.
Ich glaube, wir können an die Menschen appellieren und sie ermutigen zu helfen, gern auch unterstützt durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit aus dem Innenministerium, wie Sie heute angekündigt haben. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass auch sie einmal Hilfe benötigen könnten. Wir müssen ihnen die Angst nehmen, etwas falsch zu machen, indem wir in Kindergärten, Schulen, Fahrschulen und vielleicht auch einmal hier im Landtag Erste-Hilfe-Kurse anbieten.
Wenn die Landesregierung mit uns zusammen daran arbeitet, für eine aktive Bürgergesellschaft zu werben gegen die Gaffergesellschaft, dann sind wir dabei. Für billige Publicity und markige Sprüche sind wir nicht zu haben.
Herr Minister Schlie, ich beginne leider, in Ihrer Politik ein Muster zu erkennen: Wo Sie nichts zu melden haben, werden große Debatten angestoßen, wo Sie mutig handeln könnten, bleiben Sie kleinlaut. Ich bin gespannt: Wann kommt die Bundesratsinitiative von Ihnen zur Verschärfung des Strafrechts bei Gewalt gegen Polizisten? Wo ist der Ministererlass, dass Käfigkämpfe in Schleswig-Holstein nicht mehr über die Sender der hier ausgestrahlten Fernsehanstalten laufen?
- Natürlich geht das nicht, aber es wird ja gefordert. - Wann werden die Schocktherapien gegen Gaffer eingerichtet, Herr Minister?
Nicht, dass ich all das begrüßen würde, aber wir sollten Ihnen das nicht durchgehen lassen. Als Regierungsmitglied ist es nicht Ihr Job, virtuelle Debatten anzustoßen, sondern zu handeln.
Wo Sie handeln könnten, ist die Bilanz dürftig. Konzepte zum Abbau von Polizeiaufgaben: Fehlanzeige. Ein Verbot von Rockerclubs: offenbar zu komplex. Die Behebung der Pannen bei den Leitstellen: Es zieht sich. Herr Minister, virtuelle Innenpolitik: Das muss ein Ende haben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die November-Gaffer-Diskussion hat sich inzwischen wieder beruhigt, wie meist bei Diskussionen dieser Art.
jedenfalls nicht so darüber sprechen, dass man eine solche Debatte missbraucht, um einen allgemeinen Rundumschlag zur Innenpolitik zu machen. Lassen Sie uns einfach über das Thema miteinander reden!
Am Anfang ist die Aufregung groß, danach verschwindet das Thema schnell wieder aus dem Blickfeld bis zum nächsten Mal. Insofern ist es gut, dass der Innenminister zu einer tieferen Diskussion hierzu aufgerufen hat.
Eigentlich ist es auch nicht verwunderlich, dass dieses Thema etwas schwieriger ist. Mit Strafen oder
Androhungen ist wohl kaum etwas zu erreichen. Es ist auch zu wenig justiziabel: Wer ist wann und wo ein Gaffer, in welchem Abstand, wie muss man dies bezeichnen?
Es gibt kaum Ermittlungskapazitäten, um dies festzustellen. Gaffer ist nicht von vornherein gleichzusetzen mit unterlassener Hilfeleistung.
(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wissen Sie, warum wir diesen Antrag gestellt haben? - Weitere Zurufe)
Dies ist ein festgeschriebener Straftatbestand. Wer Hilfe unterlässt oder behindert, ist schon jetzt belangbar. Tut dies ein Gaffer, kann er im Einzelfall natürlich auch belangt werden.
Unter Gaffer-Diskussion wird gemeinhin ein Gruppenverhalten verstanden, Menschen, die entweder bei einem Unglück zuschauen oder den Eindruck erwecken. Sie deswegen zu belangen, wird die Polizei nicht leisten können. Sie hat am Unfallort genug zu tun. Das ist unstrittig.
(Beifall und Lachen bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Minister Klaus Schlie: Lesen Sie den Bericht noch einmal nach!)