Protocol of the Session on January 25, 2012

Die teilweise recht aufgeregte Berichterstattung über sexuellen Missbrauch in Internaten und Einrichtungen zur Jugendpflege in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass von der Bundesregierung übrigens von der CDU/FDP-geführten Bundesregierung - der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ eingerichtet wurde.

Dieser Runde Tisch hat sich umfassend mit dem Thema beschäftigt. Er hat Arbeitsgruppen eingerichtet und wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema sexueller Missbrauch gefördert. Ohne der statistischen Aufarbeitung der durchgeführten Befragungen jetzt zuvorzukommen - die werden erst 2013 endgültig aufgearbeitet sein -, kann man sagen, dass eine Dunkelziffer von 90 % wohl eher zu niedrig gegriffen ist.

Der Runde Tisch legte in seinem am 30. November 2011 präsentierten Abschlussbericht sehr viel Wert auf das Thema Prävention. Er hatte zu dem Thema eine Arbeitsgruppe eingerichtet und in seinen Gremien Leitlinien zur Prävention, zur Intervention sowie zur Aufarbeitung und zukunftsgerichteten Veränderung erarbeiten lassen.

Schon seit 2005 ist die Sektion Sexualmedizin, über deren Abwicklung wir jetzt reden, an dem Projekt „Kein Täter werden“ beteiligt. Dieses Projekt steht nicht zufällig in völliger Übereinstimmung mit dem vom Runden Tisch entwickelten

Leitlinien zur Prävention sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen. Große Teile der Inhalte dieses Projektes sind nämlich in die Leitlinien des Runden Tisches eingeflossen. Das ist die hervorragende wissenschaftliche Arbeit, die die Sektion für Sexualmedizin an der CAU bisher geleistet hat oder besser - ein Teil der hervorragenden Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Leitlinien sollen nun - wieder ein Zitat aus dem Bericht - „in allen Institutionen des Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits- und Sozialsektors, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, fest verankert, konkretisiert, regelmäßig überprüft und weiterentwickelt werden“. Das ist die Zielvorgabe, die der Runde Tisch entwickelt hat: Konkretisieren, regelmäßig überprüfen, verankern und weiterentwickeln. Das wird zwar nicht den Opfern helfen oder den Menschen, die zum Opfer geworden sind, ist aber ein sinnvoller Ansatz, in Zukunft keine neuen Opfer zu generieren.

Der Runde Tisch stellt aber auch fest - das ist bemerkenswert -, wie ein solcher Prozess gelingen könnte. In dem Bericht wird nämlich - ich zitiere erneut - festgehalten:

„Ein solcher Prozess kann nur gelingen, wenn er von einer Grundhaltung getragen wird, die die Verantwortung gegenüber den Kindern, Jugendlichen, jungen Frauen und Männern, aber auch den Beschäftigten ernst nimmt und nach innen wie außen deutlich und spürbar transportiert.“

- Eine Haltung gegenüber den Opfern und Beschäftigten! Ich kann hier im Haus nur an jeden appellieren: Zeigen Sie die Haltung, die der Runde Tisch in seinem Abschlussbericht einfordert! Stoppen Sie die Abwicklung der Sektion für Sexualmedizin an der CAU zu Kiel und die damit verbundene Einstellung des Programmes „Kein Täter werden“!

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schieben Sie diese Verantwortung nicht auf die CAU ab! Nicht die CAU ist verantwortlich für Prävention im Strafbereich sexuelle Vergehen, sondern wir als Landtag und Sie als Landesregierung. Tun Sie das aus dem Respekt und aus der Verantwortung gegenüber Kindern, Jugendlichen, jungen Frauen und Männern und auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern! Werden Sie dem, was der Runde Tisch gefordert hat, einmal gerecht!

(Beifall bei der LINKEN sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort für die SSW-Fraktion erteile ich der Frau Kollegin Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage der Sektion für Sexualmedizin am UKSH sieht alles andere als rosig aus. Wir alle konnten der Presse entnehmen, dass das Institut rote Zahlen schreibt. Als Reaktion des UKSH auf das erwirtschaftete Minus in der betreffenden Abteilung wurden bereits Stellen gestrichen. Heute scheint nicht nur die sexualmedizinische Forschung und Lehre, sondern auch das Institut insgesamt in seiner Existenz bedroht.

Offensichtlich beläuft sich das Defizit auf etwas mehr als 150.000 €. Dabei ist von allen Seiten zu hören, wie wertvoll und unersetzlich die Arbeit der Sektion Sexualmedizin ist. Auch der ausgezeichnete Ruf des Instituts weit über die Landesgrenzen hinaus scheint allen bekannt zu sein. Doch trotz dieser Fakten und trotz der Tatsache, dass sich die Probleme in diesem Bereich schon seit Jahren zuspitzen, haben es die Beteiligten bis heute nicht geschafft, zu einer tragfähigen Lösung zu kommen. Das ist mehr als bedauerlich.

Wie wichtig die Sexualmedizin für den Universitätsstandort Kiel und das gesamte Land ist, wird nicht zuletzt durch die Stellungnahmen der Richterund Strafverteidigervereinigung oder der Bewährungshelfer deutlich. Fakt ist, dass diese Gruppen wissen, wovon sie reden, weil sie nah an den Betroffenen sind. Sie weisen aus unserer Sicht zu Recht darauf hin, dass die Sektion Sexualmedizin für die rechtsstaatliche Durchführung von Strafverfahren unersetzlich ist. Man braucht ganz einfach qualifizierte Gutachter, die belastbare Prognosen treffen können. Sie müssen fundiert aus- und fortgebildet werden. Hierfür brauchen wir eine eigenständige sexualwissenschaftliche Forschung und Lehre, die den höchsten Standards entspricht. Daran gibt es für uns keinen Zweifel.

Mindestens genauso wichtig ist aus Sicht des SSW die Aufgabe der Kriminalitätsvorsorge. Gerade hierzu leistet das Institut einen besonders wertvollen Beitrag. Die qualifizierte Beratungsarbeit hilft dabei, potenzielle Täter von der Begehung von Sexualstraftaten abzuhalten.

Natürlich ist es schwierig, die Ergebnisse dieser Arbeit in konkreten Zahlen zu messen. Doch wir haben keinen Zweifel daran, dass das Institut dazu

(Heinz-Werner Jezewski)

beiträgt, Straftaten zu verhindern. Damit werden nicht nur Folgekosten für die Gesellschaft vermieden. Viel bedeutender ist, dass das menschliche Leid, das mit solchen Straftaten verbunden ist, durch diese Arbeit vermindert wird. Der Richterverband hat völlig recht, wenn er darauf hinweist, dass Mittelkürzungen in diesem Bereich letztendlich die Opfer treffen. Auf den Opferschutzbericht ist vorhin bereits hingewiesen worden.

Für uns steht fest: Die aktuelle Entwicklung kann nicht tatenlos hingenommen werden. Das Kieler Institut ist das einzige seiner Art im gesamten Land, trägt unbestreitbar zur Attraktivität der Universität bei und leistet unverzichtbare Präventionsarbeit. Diese Einrichtung darf nicht einfach weggespart werden. Natürlich sind zuallererst das UKSH und die Universität Kiel in der Pflicht. Doch nicht zuletzt trägt auch das Land eine Mitverantwortung.

So einfach, wie es die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Kollegen Weber nahelegt, ist es unserer Meinung nach nicht; denn es ist eine unbestreitbar wichtige Aufgabe des Landes, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Deshalb unterstützen wir unverändert die Forderung an die Landesregierung, ressortübergreifend und gemeinsam mit dem UKSH und der CAU ein Konzept zum Erhalt der Sexualmedizin zu entwerfen.

Der SSW ist der Meinung, dass eine Schließung der Sektion kaum auf anderen Wegen aufgefangen werden kann. Es gibt landesweit keine Alternativeinrichtung, die auf annähernd gleichem Niveau Therapien für inhaftierte Sexualstraftäter durchführen kann. Zudem gibt es keine andere Anlaufstelle, die Männer mit pädophilen Neigungen ähnlich professionell versorgen und damit verhindern kann, dass diese Männer zu Tätern werden.

Die Sektion für Sexualmedizin am UKSH leistet höchst professionelle Arbeit. Hier können nicht einfach Ehrenamtliche oder Nichttherapeuten einspringen. Die Folge wäre - wie im Antrag der SPD benannt -, dass gefährliche Sexualstraftäter unzulänglich begutachtet und therapiert werden und weiterhin eine Gefährdung der Bevölkerung im Lande darstellen. Das müssen wir unbedingt verhindern.

Ich begrüße den Vorschlag, die vorliegenden Anträge dem zuständigen Ausschuss zu überweisen. Ich hoffe, dass wir uns dann auf das verständigen können, was für den Erhalt der Sexualmedizin in Kiel wichtig ist.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt die Dreiminutenbeiträge auf. Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Jürgen Weber das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte um Verständnis, dass ich mich noch einmal zu Wort gemeldet habe. Sie mögen vielleicht der Auffassung sein, dass wir hier eher eine Ausschussdiskussion führen. Aber aufgrund der Bedeutung des Themas und aufgrund der Tatsache, dass wir darüber seit Monaten und Jahren im Ausschuss diskutieren und nicht zu einem Ende kommen, ist das heute erforderlich. Ich möchte drei Punkte ansprechen, insbesondere im Hinblick darauf, was vorhin vom CDU-Kollegen ausgeführt worden ist.

Erstens. Ich hätte es von mir aus nicht erwähnt, aber angesichts der eher kryptischen Andeutungen nach dem Motto, Animositäten zwischen Wissenschaftlern und Ähnliches seien auch zu berücksichtigen, will ich sagen, dass ich es für außerordentlich ungewöhnlich halte, dass das Ministerium sowohl im Ausschuss als auch in der Antwort auf meine Kleine Anfrage eine gewisse Relativierung der wissenschaftlichen Leistung und Bewertung der Sektion vornimmt. In der Antwort auf meine Kleine Anfrage antwortet die Landesregierung zum Forschungsbereich, dass dieser Bereich nicht besonders ausgeprägt sei.

Ich will das jetzt nicht vertiefen. Diese zurückhaltende Art und Weise, die Dinge nach vorn zu treiben, hat aber ganz offensichtlich damit zu tun, dass einem das eine oder andere an der Arbeit nicht passt und Strukturgründe vorgeschoben werden.

Zweitens. Ausrede Hochschulautonomie. Lieber Kollege Günther, Hochschulautonomie ist nicht die Erlaubnis zur strukturellen Verantwortungslosigkeit.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wenn die Gesellschaft diese Aufgabe will, wenn die Gesellschaft Therapie und Prävention will, wenn die Gesellschaft wissenschaftliche Forschung und Lehre bestellt, dann muss die Gesellschaft das auch bezahlen. Dann können Sie nicht sagen, dass bei Hochschulautonomie die Hochschulen entscheiden sollen, ob sie darüber forschen oder nicht. Wir brauchen diese Forschung. Also müssen wir sie auch sicherstellen.

(Anke Spoorendonk)

Wenn wir - und dies ist der dritte Punkt - dies sicherstellen wollen, dann können wir nicht nur sagen, dass wir eine Aufgabe egal in welcher Struktur wünschen. Wir kennen Hochschule. Wir wissen, was passiert, wenn es keine eigenständigen Bereiche in einer Hochschule gibt, sondern wenn sie sozusagen einem anderen Entscheidungskomplex zugeordnet werden. Das sehen wir nicht nur in Frankfurt, wie es beispielhaft von der Frau Kollegin Funke angeführt worden ist. Schauen Sie sich einmal die Geschichte der CAU an! Schauen Sie sich dort einmal die Toxikologie und die Rechtsmedizin an!

Wenn der Bereich Sexualmedizin nicht eigenständig arbeiten kann, wenn er woanders angedockt wird und wenn Sie zudem durch die Beantwortung Kleiner Anfragen die konkrete Leistung von Wissenschaftlern infrage stellen, dann sind Sie schneller, als Sie glauben, in einer Situation, in der dieser Bereich wegradiert wird. Ich unterstelle das niemandem, aber das Problem ist da.

Letzter Punkt. Ich habe den Eindruck, dass nicht alle alles verstanden haben. Wir reden über die Finanzierung von Forschung und Lehre in diesem Bereich.

(Glocke des Präsidenten)

Wir reden nicht über Dunkelfeldprojekte und Ähnliches, deren Finanzierung gesichert ist. Diese sind nicht durch eine mangelnde Finanzierung gefährdet. Das Problem ist aber, dass wir dann bald keine Leute mehr haben, die das tun können. Das ist der Kernpunkt. Die Finanzierung von Forschung und Lehre ist nicht Aufgabe des Klinikums, sondern Aufgabe der Hochschullandschaft, und dafür ist das Wissenschaftsministerium verantwortlich.

Deshalb müssen jetzt endlich klare Beschlüsse her. Das müssen wir heute in der Sache beschließen. Der einzige Antrag, der das richtig formuliert, ist unser Antrag.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Daniel Günther für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Weber, zunächst einmal vielen Dank für die Klarstellung. Es ist uns durchaus bewusst,

wie es sich mit der Finanzierung von Forschung und Lehre verhält. Es ist uns klar, dass dieses Personal benötigt wird.

Im Übrigen ist bei dem im Moment diskutierten Vorschlag für die Umorganisation vorgesehen - es handelt sich bei der Sektion im Moment um einen Bestandteil der Urologie -, dass das Personal ins ZIP, das als mögliche Alternative diskutiert wird, übernommen und selbstverständlich weiter bezahlt wird. Jetzt den Eindruck zu erwecken, als würden wir nicht den Unterschied kennen zwischen Forschung und Lehre auf der einen Seite und den weiteren Aufgaben auf der anderen Seite, ist schlicht nicht richtig. Dieses Personal wird dann auch komplett dort übergehen.

Zu der Frau Kollegin Spoorendonk muss ich Folgendes sagen: Sie haben dankenswerterweise gesagt, wir hätten vorhin gesagt, wir wollten das in die Ausschüsse überweisen. Dieses Lob ist unberechtigt, weil wir heute doch gern in der Sache abstimmen würden. Ich sage das an der Stelle auch in Abstimmung mit der FDP deshalb, weil vorhin der Kollege Andresen ein wenig den Eindruck erweckt hat, als wollten wir heute nicht Farbe bekennen. Das Gegenteil ist der Fall.

Ich darf aber auch darauf hinweisen, dass die Anträge, die vonseiten der Opposition gekommen sind, selbstverständlich ebenfalls Gegenstand der Debatte sind. Von vielen Rednern ist hier der Eindruck erweckt worden, CDU und FDP würden jetzt einen Antrag stellen, der überhaupt nichts aussagt. Richtig ist, dass dieser Antrag ein klares Bekenntnis ist. Gucken Sie sich einmal Ihren Antrag an! Was sagt denn der eigentlich aus? Was steht denn darin Konkretes? Steht da irgendwo drin, wie die Finanzierung geklärt werden soll? Das ist einfach nur ein Appell an die Landesregierung, dies jetzt einmal zu regeln. Wir haben klar gesagt, das solle in der Zukunft erhalten werden. Wir wollen heute Farbe bekennen, deswegen wollen wir auch gern in der Sache abstimmen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Spoorendonk hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Nein, für einen Dreiminutenbeitrag!)