Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe für den SSW mehrfach deutlich gesagt, dass wir das Betreuungsgeld für den völlig falschen Ansatz halten. Die Grünen und die SPD weisen in ihrem Antrag auf eine Tatsache hin, die doch im Grunde allen hier Anwesenden klar ist: Deutschland hat großen Nachholbedarf in Sachen Familienförderung und damit insbesondere auch im Bereich der Kinderbetreuungsangebote. Die „Herdprämie“ hat - wenn überhaupt - den zweifelhaften Nutzen, dass die Politik beim Ausbau der frühkindlichen Bildungsinfrastruktur Zeit gewinnt. Die Nachteile einer solchen Strategie überwiegen aus unserer Sicht bei Weitem. Egal, ob es um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder eine höhere Qualität der frühkindlichen Bildung geht: Das Erreichen dieser Ziele würde durch die Einführung des Betreuungsgeldes deutlich erschwert.
In der Aktuellen Stunde zum Koalitionsrettungsschirm im November, aber auch in der Debatte heute wurde deutlich, dass die CDU mit dem Betreuungsgeld eine Stärkung der Wahlfreiheit für die Familien verbindet. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass wir hier beim besten Willen keine echte Wahlfreiheit für alle Familien sehen können. Besonders die Eltern, die nur über wenig Geld verfügen, stehen durch das Betreuungsgeld unter großem Druck. Sie werden nicht selten dazu verleitet, ihre finanzielle Situation auf Kosten der Bil
dungschancen ihrer Kinder zu verbessern. Die „Herdprämie“ gibt für viele Familien einen konkreten Anreiz dafür, ihre Kinder von der Kita fernzuhalten, und deshalb ist sie sozial ungerecht und kontraproduktiv.
Auch die finanzielle Dimension dieser unsinnigen Maßnahme wurde ausgiebig diskutiert: Vorsichtig geschätzt handelt es sich allein für Schleswig-Holstein um 35 Millionen bis 40 Millionen € jährlich. Für den SSW gibt es überhaupt keinen Zweifel daran, dass dieses Geld beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur besser angelegt ist. Wir alle wissen, dass hier allein schon wegen des garantierten Rechtsanspruchs im Jahr 2013 die Prioritäten liegen müssen. Klar ist, dass in diesem Bereich noch große Anstrengungen notwendig sind, um 35 % der unter Dreijährigen einen Betreuungsplatz bieten zu können. Dass wir diesem Ziel hinterherhinken, daran kann heute wohl kaum jemand ernsthaft zweifeln.
Die „Herdprämie“ ist in der Tat Ausdruck einer Politik von gestern. Mit dem Ausbau der frühkindlichen Bildung investieren wir dagegen in die Zukunft Schleswig-Holsteins. Besonders für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist es notwendig, die Betreuungsmöglichkeiten gerade für die Kleinsten zu erweitern. Doch mit einem größeren Angebot für Null- bis Dreijährige steigt nicht nur die Zahl der Erwerbstätigen, die Schaffung weiterer frühkindlicher Betreuungsplätze kommt auch unmittelbar den Kindern zugute. Sie können wichtige soziale Kontakte knüpfen, und ihnen werden Fähigkeiten vermittelt, die sie zur Chancengleichheit auf ihrem weiteren Weg brauchen.
Dabei muss aus Sicht des SSW klar sein, dass es in diesem Ausbauprozess nicht nur um eine größere Zahl von Betreuungsplätzen geht, entscheidend für eine gute und moderne Familienförderung ist vor allem die Qualität der frühkindlichen Bildung. Die Neigungen und Talente der Kinder müssen endlich gezielt gefördert werden, und zwar in professionellen Institutionen und so niedrigschwellig wie möglich.
Damit alle in unserer Gesellschaft die gleiche Chance auf Bildung bekommen, brauchen wir verbindliche Qualitätsstandards und eine angemessene Finanzierungsgrundlage für die frühkindliche Bildung. Hier sind wir optimistisch: Wenn offensichtlich 2 Milliarden € für das unsinnige Betreuungsgeld zur Verfügung stehen, werden sich sicher
auch Mittel für sinnvolle Zukunftsinvestitionen finden. Aus Sicht des SSW stünde es Union und FDP wirklich gut zu Gesicht, wenn sie endlich umdenken und ein modernes Gesamtkonzept der Familienförderung mittragen würden.
Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Frau Kollegin Ursula Sassen von der Fraktion der CDU das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich noch einmal mit einigen Gedanken an die Opposition wenden. Sie dreschen hier zwar weiter Ihre platten, bekannten Phrasen zur „Herdprämie“ und zur Forderung, warum das Betreuungsgeld weg müsse, aber ich habe keinen einzigen Gedanken gehört, der sich mit den Eltern auseinandersetzt, die mit ihrem Geld gerade einmal so auskommen, selbst auf viele Dinge verzichten und ganz bewusst ihre Kinder nach deren speziellen Neigungen ansprechen, weil sie davon überzeugt sind, dass sie das zu Hause sehr gut leisten können.
Man kann über Betreuungsgeld hin- und herdiskutieren, aber es als „Fernhalteprämie“ von Bildung zu bezeichnen - damit sprechen Sie den Eltern, die sich zutrauen, ihre unter Dreijährigen zu Hause zu betreuen, die Fähigkeit ab.
Hier war von Professionalität die Rede. Ist es denn professionell, wenn Kinder in Einrichtungen bei unterschiedlichen Bedürfnissen nur die Zuwendung erhalten können, die die Zeit der Betreuer erlaubt? Ist es nicht auch professionell, wenn dies zu Hause mit dem Herzblut der Eltern geschieht?
Entschuldigung. Das Wort hat die Kollegin Sassen. - Frau Kollegin Sassen, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner zu?
Auf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Stegner kann ich verzichten, weil ich genau weiß, wie sie sein wird und dass sie uns nicht weiterführt.
Bitte denken Sie auch einmal an die Eltern, die ihre Kinder gern zu Hause betreuen möchten und das einem 400-€-Job vorziehen, den sie annehmen müssen, der sie nicht weiterbringt!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass wir in dieser Debatte nicht über Befindlichkeiten reden. Es geht um die zentrale Frage, welche Wirkungen das Betreuungsgeld hat. Als jemand, der eine Kindertagesstätte geleitet hat, könnte ich viel über die bildungspolitischen Wirkungen erzählen, ich könnte viel zum Thema Armut sagen, aber ich möchte jetzt einmal als Wirtschaftspolitiker in dieser Debatte das Wort ergreifen und an dieser Stelle an Ihren wirtschaftspolitischen Sachverstand appellieren.
Wir haben in diesem Haus mehrere Debatten zum Thema Fachkräftemangel geführt. Wir haben mittlerweile alle einen Kenntnisstand über den demografischen Wandel, sodass wir darüber keine Grundsatzdebatte führen müssen; das müsste jeder Partei klar sein.
Es gibt mit dem Betreuungsgeld Erfahrungen in Norwegen und Finnland; auch Thüringen ist schon angesprochen worden. Welche Wirkungen erzeugt das Betreuungsgeld? - Wissenschaftler haben das untersucht. Das Instrument des Betreuungsgeldes verändert das Verhalten von Eltern. Ja, es hat eine Wirkung, aber welche Wirkung? - Die Wirkung ist folgendermaßen zu sehen: Das Betreuungsgeld reduziert die Zahl der Kleinkinder, die in staatliche Betreuungseinrichtungen gehen; in Finnland und Norwegen gibt es 4 bis 8 % weniger Eltern, die in das Erwerbsleben hineingehen, die zu Hause bleiben.
fentliche Infrastruktur mit Krippenplätzen und Ganztagsplätzen? - Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Etwa 5 % der Eltern gehen ins Erwerbsleben, weil gute Kinderbetreuung ermöglicht, dem Erwerbsleben nachzugehen.
4 bis 8 % weniger Eltern im Erwerbsleben, 5 % Eltern, die durch gute Kinderbetreuung eine öffentliche Einrichtung wahrnehmen! - Studien sagen, zwischen 1,4 Milliarden und 1,5 Milliarden € entziehen wir der Wirtschaft an Wertschöpfungspotenzial. Wir haben zwei fatale Wirkungen: Auf der einen Seite schrumpft und leidet die Wirtschaft effektiv darunter, auf der anderen Seite haben wir die hohen Kosten des Betreuungsgeldes und der Ausbauinvestitionen.
Als Politikerinnen und Politiker müssen wir uns in Zeiten der Schuldenbremse doch mit der Frage auseinandersetzen, was unsere Beschlüsse auslösen, welche Wirkungen unsere Beschlüsse erzielen.
Dann kommen wir zu dem Ergebnis, dass das Betreuungsgeld falsch ist, weil es eine falsche Wirkung hat. Wenn ich Sie in der Debatte über den Fachkräftemangel ernst nehme, wenn wir ernsthaft über die Herausforderungen des demografischen Wandels diskutieren, dürfen wir an dieser Stelle nicht auf das Betreuungsgeld setzen, sondern müssen in Schleswig-Holstein den Rahmen ausnutzen. Deshalb ist unser Vorschlag richtig, weil er die Wirkungen sowohl für die Eltern als auch für die Wirtschaft im Blick hat. Wir reden hier ausdrücklich über die Wirkungen in der Wirtschaft.
Herr Kollege Tietze, sind Sie der Auffassung, dass die Arbeit der Eltern in der Betreuung der eigenen Kinder weniger wertvoll ist, als in der Wirtschaft tätig zu sein?
Frau Sassen, Sie wollen von mir wieder eine Wertung haben, dass ich mich auf eine Befindlichkeitsdiskussion einlasse. Ich habe versucht, in meinem Redebeitrag deutlich zu machen, dass wir uns mit den objektiven ökonomischen Vernunftsargumenten auseinandersetzen müssen.
Nur das ist unsere Aufgabe hier im Parlament. Es geht nicht um Befindlichkeiten, es geht um Wirkungen. Wir müssen - verdammt noch mal - in Deutschland dahin kommen, dass wir diese Wirkungen auch in unseren Entscheidungen, wenn wir sie treffen, berücksichtigen, und zwar präventiv und nicht erst, wenn das Kind mit dem Bade ausgeschüttet ist.
Herr Kollege Tietze, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, dass zwei Drittel der Eltern die Kinder zu Hause erziehen wollen? Dies kommt in Ihrem Beitrag überhaupt nicht zur Geltung. Es ist nicht unbedingt jede Frau glücklich, die ersten zwei oder drei Jahre nicht bei ihren Kindern zu sein. Das muss man doch zur Kenntnis nehmen.
- Frau Rathje-Hoffmann, Sie wollen mich wieder befindlichkeitsmäßig ansprechen. Wenn Sie es denn schon tun, möchte ich Wert darauf legen, dass Sie die Rolle der Väter und Mütter sehen und nicht nur die Rolle der Mütter. Es geht hier um beide Geschlechter.