Protocol of the Session on December 14, 2011

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Siegrid Tenor-Alschausky das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Disput machte, glaube ich, deutlich, woran die Rede der Kollegin Rathje-Hoffmann krankte. Die innere Überzeugung kam nicht so ganz herüber, um das einmal so zu formulieren.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Was wünschen sich junge Eltern? - Sie wünschen sich natürlich gesunde, glückliche Kinder, sie wünschen sich Zeit, aber sie wünschen sich auch bezahlbare Krippen- und Kita-Plätze.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Was fordern Pädagoginnen und Pädagogen? - Gute Förderung von Kindern auch bildungsferner Schichten durch frühkindliche Bildungs- und Betreuungsangebote. Was fordern Integrationspolitikerinnen und -politiker? - Frühe Sprachförderung von Kindern, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Und was bietet die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung? - Ein Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder nach den ersten zwölf Monaten nicht betreuen lassen. Das Betreuungsgeld ist eine Fernhalteprämie, ein Chancenverhinderungsgesetz, das lediglich dazu diente, die CSU zu veranlassen, die unverantwortliche Steuerpolitik der Bundesregierung mitzutragen, und als Beleg für eine traditionelle Familienpolitik herzuhalten.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Frei nach dem Motto: Egal, was Familien leisten können, es ist allemal besser als irgendeine Art öffentlicher Kindertageseinrichtung. Das ist ein Familienbild von gestern.

(Beifall bei SPD und SSW)

Dieses Betreuungsgeld ist politischer Irrsinn. Es ist ein bildungspolitischer Rückschlag, weil es Kinder von früher Förderung in Kitas fernhält. Es ist ein integrationspolitischer Kardinalfehler, weil es Kinder aus Einwandererfamilien von früher Sprachförderung fernhält, und es ist ein gleichstellungspolitischer Holzweg, weil es Frauen die frühe Rückkehr in den Beruf erschwert.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Betreuungsgeld dient lediglich der Befriedung konservativer Wählerklientel. Mit einer dringend erforderlichen zukunftsgewandten Politik für bessere Bildungschancen, für bessere Integration, für Gleichberechtigung von Frauen im Erwerbsleben und bei sozialer Sicherung, für mehr Fachkräfte und einen sorgsamen Umgang mit Steuergeldern ist es völlig unvereinbar. Wer in den letzten Wochen die Haushaltsberatungen in den Kommunen in unserem Land verfolgt hat, konnte immer wieder feststellen, unter großen Anstrengungen bemühen sich die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, den Ausbau von Krippenplätzen zu finanzieren, um dem ab 2013 geltenden Rechtsanspruch der Eltern vor Ort entsprechen zu können. Aber das wird trotz vielfältiger Anstrengungen nicht gelingen, wenn die Kommunen keine zusätzliche finanzielle Unterstützung erhalten.

(Katja Rathje-Hoffmann)

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sassen?

Aber natürlich.

Frau Sassen, Sie haben das Wort.

Frau Kollegin, unterstellen Sie, dass Eltern, die ihre Kinder gern selbst betreuen würden, dazu nicht genauso gut in der Lage wären, wie dies in einer Einrichtung geschehen würde?

Das hat niemand unterstellt, und auch ich unterstelle das nicht.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Ge- nauso hörte sich das an!)

Ich stelle nur fest, dass es keine hinreichende Wahlfreiheit für Eltern in unserem Land gibt, weil es uns schlicht und einfach an geeigneten Einrichtungen fehlt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?

Aber natürlich.

Dann hat Frau Kollegin Heinold das Wort.

Frau Kollegin, es geht hier um Wahlfreiheit, die wir für Schleswig-Holstein einfordern. Würden Sie mir bestätigen, dass 35 Millionen € oder mehr für die Betreuungseinrichtungen in Schleswig-Holstein ein Riesengewinn wären und tatsächlich gegen Kinderarmut und für Bildung ein absolut großer, toller Schritt wären?

Das würde ich Ihnen jederzeit und vollständig zugestehen. Ich wäre in den weiteren Ausführungen auch auf diesen Aspekt noch eingegangen,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn ich denke, es ist ein wichtiger, der hier zur Sprache kommen sollte. Die Milliarden, die jetzt für die „Fernhalteprämie“ verschwendet werden, sollten in den Ausbau von Krippenplätzen und die Finanzierung von Erzieherinnen und Erziehern investiert werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Nach aktuellen Berechnungen fehlen bundesweit noch 233.000 Betreuungsplätze, um den ab 2013 geltenden Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung erfüllen zu können. Mit den 2 Milliarden € bundesweit, die das Betreuungsgeld jährlich kostet, könnten rund 50.000 zusätzliche Kita-Plätze geschaffen werden. Auf Schleswig-Holstein bezogen kommen wir auf die 35 Millionen € und die nach Angaben des Bildungsministeriums derzeit 9.000 fehlenden Plätze für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Auch dann, wenn wir diese 9.000 Plätze hätten, hätten wir einen Versorgungsgrad von 35 %. Jeder, der sich einmal in Städten orientiert, wie lang dort die Wartelisten für Betreuungsplätze für unter Dreijährige sind, kann unschwer davon ausgehen, dass auch diese 35 % in etlichen Regionen unseres Landes nicht ausreichend sind.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Lassen Sie mich die Vorsitzende des Kinderschutzbundes, Frau Johns, zur Einführung des Betreuungsgeldes zitieren:

„Wer die Chancen sozial benachteiligter Kinder verbessern will, setzt mit dem Betreuungsgeld die falschen Anreize. … Je früher ein Kind gefördert wird, desto höher sind seine Chancen, Bildung zu erwerben. Frühkindliche Bildung ist eines der Schlüsselfelder zur Gewährleistung gleicher Lebenschancen. In Deutschland ist der Zugang zu Bildungsund Entwicklungsförderung ganz wesentlich abhängig von der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Eltern, ihrem Bildungsgrad und gegebenenfalls einer Migrationserfahrung. Das Bildungssystem schafft bei uns bisher keinen Ausgleich.“

(Siegrid Tenor-Alschausky)

Auch deshalb bleibt es dabei: Das Betreuungsgeld ist eine „Fernhalteprämie“, eine „Verhinderungsprämie“ für Chancengleichheit für alle Kinder. Es ist absurd, Geld für die Nichtinanspruchnahme staatlicher Leistungen zu zahlen. Dann wäre es auch angebracht, jeder und jedem, die keine Opernaufführung besuchen, dafür eine Prämie zu zahlen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zu meinem letzten Satz, Frau Präsidentin. - Ich appelliere noch einmal an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU: Machen Sie diesen Unsinn nicht mit! Unterstützen Sie unseren Antrag, und sorgen Sie so mit dafür, dass in unserem Land die Infrastruktur an Kinderbetreuung entstehen kann, die Eltern sich wünschen!

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion hat Frau Kollegin Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere Gesellschaft braucht Kinder und braucht Familien. In der grundsätzlichen Zielsetzung, für Familienförderung mehr zu tun, sind wir uns sicherlich fraktionsübergreifend einig.

(Zuruf von der SPD: Ach nein!)

- Nein? - Gut, nehme ich zur Kenntnis. - Die Erhöhung des Kindergeldes und des Grundfreibetrags wie auch die zielgerichteten Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets durch die schwarz-gelbe Bundesregierung sind dabei für die Liberalen wichtige Bausteine. Gerade gestern hat sich der Bund entschlossen, im Rahmen des geplanten Kinderschutzgesetzes mehr Geld für Familienhebammen bereitzustellen. Auch dass Kinderbetreuungsangebote und Angebote zur frühkindlichen Bildung quantitativ und qualitativ weiter ausgebaut werden müssen, ist unstrittig. Auch genau aus diesem Grund hat die CDU/FDP-Landesregierung ihren Schwerpunkt in diesem Bereich gesetzt. Trotz Schuldenbremse wurde die unsägliche Deckelung der Kita-Finanzierung zurückgenommen. Es wer

den Programme zum Ausbau von Krippen- und Kita-Plätzen finanziert, wir investieren in Sprachförderprogramme. Mit diesen Maßnahmen unterstützen wir Familien, sich in ihrer persönlichen Eigenverantwortung frei zu entscheiden, ob sie die Erziehung ihres Kindes selbst in die Hand nehmen oder an die Gemeinschaft delegieren wollen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Robert Ha- beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Vielen Dank, Herr Habeck. Warten Sie es ab! Wer ein Kind erzieht, leistet eine Investition in die Zukunft. Von daher wäre die Frage nach der gesellschaftlichen Wertschätzung von Erziehungsarbeit zu stellen. Die Antwort sehen wir Liberale nicht in dem von der CSU favorisierten Betreuungsgeld, welches auf einer eher konservativen Vorstellung von Erziehung basiert.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Gleichwohl sehen wir Nordliberalen die Einigung vom 6. November dieses Jahres auf Bundesebene hinsichtlich des Betreuungsgeldes kritisch, haben uns in Gesprächen kritisch positioniert und werden das auch weiterhin tun.

Aus unserer Sicht ist es auch arbeitsmarkt- und bildungspolitisch das falsche Signal. Das ist aber nicht gleichzusetzen damit, dass wir dem Antrag der Opposition zustimmen würden.

(Peter Eichstädt [SPD]: Nicht?)