Wir fordern eine umfassende und öffentliche parlamentarische Aufklärung auf Bundes- und Landesebene zu diesen Vorfällen. Zentral ist dabei nämlich der öffentliche und nicht geheime Charakter der Aufklärung, die unter Hinzuziehung von unabhängigen Fachleuten erfolgen muss. Kollege Koch, wir haben doch gesehen, wohin uns die Geheimniskrämerei geführt hat. Sie hat uns genau in dieses Dilemma hineingeführt. Deshalb sind wir der Ansicht, dass wir mit Öffentlichkeit und mit Transparenz dagegen angehen müssen.
Wir fordern keine weitere Behinderung der polizeilichen Ermittlungsarbeit durch verdeckte Ermittler,
Ermittlungen der Verfassungsschutzämter und der Geheimdienste. Wir unterstützen natürlich ein NPD-Verbot. Aber zuallererst - darüber sind wir uns, glaube ich, auch einig - müssen die grundlegenden Voraussetzungen geschaffen werden, damit ein Verbot überhaupt ernsthaft geprüft werden kann. Wir müssen nämlich V-Leute in den Führungsebenen abschalten. Das ist die Aufgabe. Wenn heute in der Presse kolportiert wird, dass es mittlerweile mehr V-Leute in Führungsebenen der NPD gibt als zurzeit des Verbotsverfahrens 2003, dann ist etwas völlig schief gelaufen. Das wäre bei öffentlicher Kontrolle nicht so schief gelaufen, Kollege Koch.
Wir fordern eine Rücknahme der geplanten Kürzungen bei den Bundesprogrammen und bei den Landesprogrammen gegen Rechtsextremismus. Diese Programme müssen stattdessen aufgestockt, dauerhaft abgesichert und zivilgesellschaftlich verankert werden.
Hier komme ich auch auf die unsinnige und schädliche Extremismusklausel zu sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, denn diese Extremismusklausel verharmlost die Morde, die geschehen sind. Das müssen wir ganz ehrlich sagen.
Ich kann noch auf einen Punkt eingehen: Die Aufrüstung und weitere Zusammenlegung der Sicherheitsdienste, die sich einige wünschen, hat sich gerade als das Problem erwiesen, das wir jetzt haben. Wir brauchen kein Terrorzentrum zum Thema Naziterror, das von Diensten und Behörden geführt wird, sondern wir brauchen eine unabhängige Beobachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, die ein realistisches Bild der Gefährdung durch extreme Rechte erarbeiten kann.
Wir brauchen also nicht den Ausbau der Überwachungsstaates, sondern wir brauchen eine strikte Trennung und die demokratische Kontrolle von Polizei und Geheimdiensten, wenn wir nicht - auch darüber müssen wir nachdenken - Geheimdienste ganz abschaffen wollen.
Ich möchte auch noch einige andere Dinge wissen. Ich möchte noch einmal auf den gesellschaftlichen Aspekt eingehen. Ist es denn normal, dass eine Polizei eine Sonderkommission „Bosporus“ nennt, nur weil die ersten Opfer türkischer Herkunft sind? Ich frage mich: Wie entsteht der Begriff „Döner-Morde“? Die Mehrzahl der Opfer waren mitnichten Inhaber von Döner-Imbissen. Sie hatte mit Döner rein gar nichts zu tun. Niemand sprach aber von „Änderungsschneider-Morden“ oder von „Internetcafebesitzer-Morden“. Ich glaube zu wissen, welche Gedanken sich hinter solchen Wortbildungen verbergen. Die Opfer sahen anders aus als die meisten Deutschen. Die ersten Opfer waren türkischer Herkunft. Also konnte man diese Soko „Bosporus“ nennen. Die meisten Opfer waren Türken. Türken haben Döner-Läden. Also konnte man auch von „Döner-Morden“ sprechen. Wir haben nicht darüber nachgedacht, dass der korrekte Begriff der Sonderkommission -
- Die waren türkischer Herkunft, sage ich. Ich habe nicht von Türken gesprochen. Man hätte ja auch „Nazi-Morde“ sagen können, und die Soko hätte man „Heimatschutz“ oder auch „NPD“ nennen können. Aber das wurde nicht gemacht. Offenbach wurde gar nicht darüber nachgedacht. Warum eigentlich?
Das Thema, das hier auf der Tagesordnung steht es gab da ja offensichtlich massive Interessen bei Verfassungsschützern -, ist: Schützen Verfassungsschützer eigentlich die Verfassung, oder schützen sie Mörder?
Wir werden auch in Schleswig-Holstein nicht umhin kommen, den Sinn des bestehenden Verfassungsschutzes zu hinterfragen. Das ist ganz unabhängig davon, ob es Kontakte zwischen unseren Verfassungsschützern und den Mördern aus Thüringen gab, die es, wie der Minister uns gerade gesagt hat, nicht gab.
Dan haben wir noch ein weiteres Thema: Wie gehen wir eigentlich in Zukunft damit um, dass Nazis in diesem Land zehn Menschen ermordet haben? Neun von ihnen wurden offensichtlich nur deshalb ermordet, weil sie am falschen Ort geboren wurden, weil sie die falschen Eltern hatten oder weil sie anders aussahen, als die selbsternannten Herrenmenschen das für richtig hielten. Man kann ja einen Blick nach Norden werfen. Nachdem Anders Brei
vik am 22. Juli dieses Jahres in Norwegen 77 Menschen hingemetzelt hatte, kam die norwegische Gesellschaft unter ihrem Ministerpräsidenten Stoltenberg recht schnell zu einem Weg. Die haben gesagt: Wir bleiben eine tolerante und weltoffene Gesellschaft. Ich glaube, wir können das nicht einfach so übernehmen, aber wir können sagen: Wir versuchen, eine tolerante und weltoffene Gesellschaft zu werden. Das wäre ein Ziel, was uns gut zu Gesicht stünde.
Dazu könnte dieser Landtag in erheblichem Maße beitragen, indem wir sagen: Ja, wir wissen, dass das Geld knapp ist, aber trotzdem fördern wir Projekte für mehr Demokratie, Projekte gegen Nazis in diesem Land, wir nehmen die Kürzungen zurück, oder indem wir sagen: Obwohl das Geld knapp ist, stecken wir jetzt mehr finanzielle Mittel in Integrationsprojekte, wir lassen keine und keinen mehr ohne ausreichende Sprachkurse, indem wir alles das tun, was wir in den letzten beiden Jahren unterlassen haben.
Damit ändern wir nichts an dem, was geschehen ist. Wir geben den Toten damit nicht das Leben zurück, und wir nehmen den Angehörigen auch nichts von ihrem Leid. Aber so können wir vielleicht dazu beitragen, dass nicht wieder solche abscheulichen Verbrechen geschehen werden, dass nicht wieder Menschen sterben müssen, weil sie am falschen Ort geboren oder die falschen Eltern haben. So können wir all denen die kalte Schulter zeigen, die am rechten Rand mit Menschenfeindlichkeit punkten wollen. Es sind nämlich nicht Enver Simsek, Habil Kilic oder Theodorus Boulgarides, um hier stellvertretend nur drei der Ermordeten zu nennen, die nicht zu uns gehören. Die gehörten zu uns. Es sind die Apfels und die Sarrazins, die nicht hierher gehören, es sind die Pastörs und die Hohmanns. Die sind es, mit denen wir nichts zu tun haben sollten.
Herr Abgeordneter, auf einen Teil Ihrer Rede komme ich gleich noch zurück. Ich habe gerade darum gebeten, dass ich einen Protokollauszug erhalte.
ständig darüber, und doch ist es wohl noch gar nicht richtig in die meisten Köpfe gedrungen. Es sprengt unsere Vorstellungskraft, dass neonazistische Terroristen 13 Jahre lang mordend durchs Land ziehen, ohne sich zu ihren Taten zu bekennen und ohne von den Behörden aufgriffen zu werden, und das, obwohl die Personen seit 1999 zur Fahndung ausgeschrieben sind. Schlimmer kann es kaum noch werden. Für Deutschland dürften sich diese Tage in der Nachschau als eine Zäsur erweisen, wie sie der September 2001 in der Frage des islamischen Terrorismus gewesen ist.
Der Schock sitzt tief, und schnell hat wieder innenpolitischer Aktionismus um sich gegriffen. Eine Woche nach der Veröffentlichung sind längst Patentlösungen auf dem Markt. Bei allen Debatten über Behörden, Register und Fahndungsmethoden darf aber nicht aus dem Blick geraten, worum es hier eigentlich geht. Es geht um unschuldige Menschen, die kaltblütig von ideologisch verblendeten Psychopathen ermordet wurden.
Es ist unerträglich, dass Menschen, die sich dafür entschieden haben, in Deutschland zu leben, jetzt Angst haben. Niemand soll sich in diesem Land weniger sicher fühlen müssen, weil er nicht in diesem Land geboren ist, weil er anders aussieht oder anders heißt als die Mehrheit in diesem Land. Und niemand soll befürchten müssen, dass er für seine eigene Ermordung mitverantwortlich gemacht wird, weil die Polizei keine andere Erklärung finden kann als dass er Ausländer ist, dass die planlosen Ermittlungsbehörden auf das Stereotyp von den Schutzgelderpressern vom Bosporus zurückgreifen, die Dönerverkäufer ausnehmen.
Wir wollen in Zukunft alles dafür tun, dass Einwanderer und ihre Nachfahren in Deutschland genauso sicher leben wie alle anderen. Das ist die politische Botschaft, die in der Hitze des technokratischen Gefechts um Parteienverbote und Register nicht untergehen darf.
Gerade weil in diesem Fall so furchtbar viel schief gelaufen ist und sich die Täter so viel anders verhalten haben, ist es falsch, dass nun mit den bewährten politischen Reflexen reagiert wird, bevor eine Analyse erfolgt ist.
Die beste Garantie dafür, dass sich so etwas nicht wiederholt, ist nicht eine schnelle, sondern eine wohlüberlegte politische Reaktion.
Die Politik muss jetzt nicht rohe Stärke, sondern Geschicklichkeit zeigen und erst einmal Fragen stellen. Wir brauchen eine neue Debatte über Effizienz und Ausrichtung unseres Verfassungsschutzes.
Wir müssen uns fragen, wie viel die Leute, die unser Grundgesetz schützen sollen, eigentlich von dem Ganzen verstanden haben. Wir brauchen auch eine Debatte darüber, wie die Verzahnung von Polizeiund Verfassungsschutzarbeit verbessert werden kann. Und wir müssen uns nicht zuletzt abermals fragen, was wir tun müssen, um das rechte Gedankengut allgemein einzudämmen.
Was wir aber überhaupt nicht brauchen, ist die reflexartige Wiederbelebung alter Patenrezepte. Es bringt den verunsicherten Einwandererfamilien nichts, wenn diejenigen, die schon immer die NPD verbieten wollten, jetzt das NPD-Verbot als Lösung propagieren.
Es hilft ihnen nichts, wenn Politiker, die immer schon für die Vorratsdatenspeicherung waren, diese wieder einmal als Heilmittel fordern, oder wenn jene, die den Verfassungsschutz noch nie mochten, ihn jetzt abschaffen wollen. Es geht jetzt auch nicht darum, den Informationshunger der Medien zu stillen oder den stahlharten Politiker zu markieren, sondern es geht darum, dieses Problem langfristig zu lösen.
Auch für den SSW ist es unerträglich, dass der NPD im politischen Raum die Möglichkeit gegeben wird, ihre nazistische Propaganda loszuwerden. Wir glauben aber nicht daran, dass wir mit einem NPD-Verbot diesen braunen Sumpf austrocknen und solche Taten verhindern können. Dies gilt umso mehr, als die Thüringer Terroristen sich ja nicht völlig unsichtbar gemacht haben, obwohl sie seit über zehn Jahren polizeilich gesucht wurden.
Es geht jetzt um den Grad an Aufmerksamkeit, den die Sicherheitsbehörden dem Rechtsextremismus widmen, und es geht um viel mehr Menschen, die die Mörder unterstützt, gedeckt und nicht verpfiffen haben. Rechtes und fremdenfeindliches Gedankengut steckt in viel mehr Köpfen als nur dem harten Kern der Neonazis. Deshalb lässt sich dieses Problem nicht durch Register oder ein Parteienverbot lösen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vorliegenden Anträge enthalten viele richtige Fragen. Es ist wichtig aufzuklären, ob wir in Schleswig-Holstein auch Leichen im Keller haben, wie es die Grünen wollen. Es ist richtig, nach den allgemeinen Kampagnen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu fragen, wie es die SPD macht. Es ist auch berechtigt, einen transparenteren staatlichen Umgang mit der Extremismusbekämpfung zu erwägen, wie die LINKEN es fordern. Gleichwohl will ich sagen, dass wir uns gewünscht hätten, dass alle Anträge im Ausschuss weiter beraten werden. Sollte dies nicht der Fall sein - vieles deutet darauf hin -, dann können wir dem Antrag der Fraktion der LINKEN so nicht zustimmen.