Protocol of the Session on November 18, 2011

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die begangenen Straftaten und die dahinterstehenden Netzwerke sind erschreckend, erschütternd und zutiefst verabscheuungswürdig. Sie sind eine Schande. Zu den verstörenden Ereignissen tritt eine Verunsicherung darüber hinzu, wie es sein kann, dass diese Verbrechen so lange geplant und ausgeführt werden konnten. Es wird gefragt, wo welche Fehler passiert sein könnten. Die Fragen nach der Arbeit und nach der Kontrolle von Nachrichtendiensten sind ernst und berechtigt.

Meine ersten Worte gebühren den Opfern. Ihre Angehörigen und Familien haben unser tiefes Mit

(Luise Amtsberg)

gefühl. Ihnen schulden wir es, dass Versäumnisse, mögliche Versäumnisse oder wahrscheinliche Versäumnisse in der Verantwortung des Staates kompromisslos aufgeklärt werden. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist das Ziel aller hier im Landtag. Deshalb werbe ich auch dafür, dass wir uns an dem heutigen Tag nicht mit Schärfe entgegentreten oder uns an unwichtigen Fragen entzweien.

In den letzten Tagen hat es zwischen und innerhalb der demokratischen Parteien Diskussionen gegeben, und ich denke, das ist eine richtige Entwicklung. Bei Diensten ist vieles nicht öffentlich. Das ist nachvollziehbar. Nach dem, was wir bisher gehört haben, und nach dem, was geschehen ist, brauchen wir aber größtmögliche Offenheit und Öffentlichkeit, sonst wird das Vertrauen noch stärker leiden. Ich danke dem Herrn Innenminister dafür, dass er uns so offen berichtet hat. Das sind ernste Hinweise und Andeutungen, die weitere Betroffenheit auslösen. Möglicherweise war das braune Terrornetz noch stärker vernetzt, als dies bisher bekannt war. Dies erschüttert weiter.

Mit dem Hinweis auf Rechtsterrorismus blieb aufwendige Zielfahnung Ende der 90er-Jahre ohne Ergebnisse. Das wirft nicht nur Fragen auf, sondern ich muss auch für mich sagen, dass mich das nicht überzeugt. Es kann dabei nicht allein um die Frage der Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg gehen. Dort, wo das Wort Terror steht, dort müssten alle Alarmglocken läuten. Dort müsste doch alles getan werden, um diese Personen zu fassen.

Wurden Grenzen zu V-Leuten nicht klar genug gezogen? - Wir wissen es zur Stunde nicht. Aber ich will an dieser Stelle auch daran erinnern, dass sich der Mord an Siegfried Buback jetzt in der Aufklärung befindet und dass eine Anklage erfolgt ist. Es steht die Diskussion im Raum, ob mit Verena Becker jemand angeklagt ist, die eine Nähe zum Verfassungsschutz hatte. Dies gehört zu dieser Diskussion dazu. Brauchen wir V-Leute? - Ja, ich glaube, dazu gibt es keine Alternative.

Manches erfahren wir erst dann, wenn der Skandal nicht mehr zu vertuschen ist. Deswegen glaube ich, dass es keine Alternative dazu gibt, zumindest zu prüfen, ob die jetzige Form der Kontrolle der Dienste ausreicht.

Eines ist aber auch angezeigt: Der Verdacht darf nicht dorthin fallen, wo es keinen Anhaltspunkt dafür gibt. Das muss genauso deutlich und klar gesagt werden. Brauchen wir ein neues NPD-Verbotsverfahren? - Es gibt ein Argument, das man nicht bei

seite wischen kann, nämlich dass eine nicht verbotene NPD öffentliche Plattformen und öffentliche Gelder bekommen und damit wirken kann. Dies ist ein Punkt, dem wir sicherlich Gewichtung geben müssen. Es gibt aber auch andere Argumente, und wir haben sie in der vergangenen Debatte ausgetauscht.

Ein erneutes Scheitern eines Verbotsverfahrens darf es nicht geben. Auch die Gefahr eines Erkenntnisverlustes durch den Abzug von V-Leuten darf man nicht unterschätzen. Man darf auch nicht die Nachteile einer verdeckten Szene unterschätzen. In die Gesamtabwägung ist außerdem einzubeziehen, dass ein NPD-Verbot den Rechtsextremismus in der Gesellschaft nicht beseitigen wird.

Ich finde es vernünftig, dass es eine Arbeitsgruppe gibt, um die Frage zu prüfen, ob dies gilt, und dass so alle Argumente noch einmal vorurteilsfrei gewogen und abgewogen werden; alle Argumente, und zwar in beide Richtungen. Für meinen Teil gebe ich zu, dass das Argument, dass eine NPD durch Wahlen und durch andere Dinge öffentliche Plattformen und Gelder bekommt, kein ungewichtiges Argument ist.

Der Herr Minister hat dargelegt, welche Maßnahmen heute verabredet sind: Eine Verbunddatei, das heißt, Verfassungsschutz, BKA und Landeskriminalämter sollen ihre Erkenntnisse über Rechtsextremismus bündeln und zusammenfassen. Es soll ein Terrorabwehrzentrum „Rechts“ geben. Ich finde, das sind vernünftige Wege, die hier beschritten worden sind, und es ist gut, dass diese Wege schnell gegangen werden.

Man muss auch ein weiteres Thema ansprechen, nämlich das Thema der Vorratsdatenspeicherung. Das Problem ist offensichtlich. Die in U-Haft sitzende festgenommene Frau kann schweigen. Den Vermittlern stellt sich gleichzeitig die dringende Frage, ob noch mehr Täter oder Beteiligte frei herumlaufen und ob es Netzwerkstrukturen gibt.

Ein richterlich angeordneter Blick in die zuletzt geführte Kommunikation der drei beziehungsweise vier Tatverdächtigen würde offenlegen, was jetzt vielleicht niemals gefunden wird. Darüber muss man zumindest offen sprechen und diskutieren dürfen. Deshalb spreche ich das in meinem Beitrag an.

Meine Damen und Herren, der Kampf gegen Rechtsextremismus muss intensiviert werden - wie auch der Kampf gegen Extremismus insgesamt. Diese politische Folgerung ist unumgänglich. Ich stelle sie deshalb an das Ende und in den Mittelpunkt meiner Rede.

(Werner Kalinka)

(Beifall der Abgeordneten Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir Demokraten müssen zusammenstehen. Wir müssen alles tun und unterstützen, um den braunen Sumpf trockenzulegen.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das Wort erteile ich dem Vorsitzenden der SPDLandtagsfraktion, Herrn Abgeordneten Dr. Ralf Stegner.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Deutschland kommt die Gefahr wieder von rechts. Die immer deutlicher werdenden Umstände und Hintergründe der Mordserie lassen uns in einen Abgrund der Fremdenfeindlichkeit blicken. Unermessliches Leid haben diese Rechtsterroristen den Familien der Opfer zugefügt. Die Hass- und Propagandavideos der Täter sind abstoßend und ein Schlag ins Gesicht der Opfer und ihrer Angehörigen.

Diese erwarten jetzt zu Recht eine vollständige und schonungslose Aufklärung. Dazu gehört auch, die immer wieder feststellbare Verharmlosung dessen, was da an Bedrohung von rechts offenbar wird, endlich zu beenden.

Solche Dinge gibt es überall in Europa, in Deutschland wird es immer etwas anderes sein. Wir haben eine besondere, eine einzigartige Verantwortung, über Scham und Zorn hinaus für Veränderungen zu sorgen.

Nicht nur den Angehörigen dürfte es unfassbar erscheinen, dass eine solche Serie über ein Jahrzehnt hinaus unaufgeklärt bleibt. Das ist erschreckend. Deswegen ist es notwendig, begangene Fehler zu finden. Dabei sind Fakten wichtig.

Es gibt schon jetzt zu viele Gerüchte und falsche Behauptungen. Wir brauchen Aufklärung darüber, wo und warum es Pannen gegeben hat. Das Wort ,,Pannen“ erscheint mir aber viel zu verharmlosend angesichts der Tatsache, dass eine Verfassungsschutzbehörde beobachtete Vorgänge wie den Bau von Rohrbomben offenkundig nicht an die für Gefahrenabwehr zuständige Landespolizei oder an das Bundeskriminalamt weitergegeben hat. Das ist 1998 gewesen, vor 13 Jahren. Was hätte seitdem alles verhindert werden können?

Möglicherweise hat es auch eklatante Fehler aufseiten der Ermittlungsbehörden gegeben, weniger scheinen Rechte und Befugnisse gefehlt zu haben. Warum wurde die Erkenntnis des Verfassungsschutzes, dass die beiden Täter Rohrbomben bauten, nicht - wie gesetzlich vorgeschrieben - an die zuständige Polizei weitergegeben? Warum wurde ein Haftbefehl nicht vollzogen? Welche Rolle spielte die zuständige Staatsanwaltschaft, die Herrin des Verfahrens war?

War das nur menschliches Versagen? Liegt es vielleicht an bestimmten Strukturen, an Methoden? Was gab es an vorherrschenden Denkmusterns? Wurden rechtsextremistische Hintergründe ignoriert, nicht ernst genommen oder ausgeblendet?

Wurde gar, wie vereinzelt unterstellt wird, heimlich sympathisiert? Bei einer solchen Frage stockt einem schon fast der Atem. Müsste man eine solche Frage bejahen, hätten wir eine fulminante Staatskrise in Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz? Welche Rolle spielte der zur fragwürdigen Berühmtheit gewordene ehemalige Leiter des thüringischen Verfassungsschutzes?

Gerade in diesem Stadium der Ermittlungen sollten wir uns vor verdeckten Anschuldigungen oder pauschalen Unbedenklichkeitsbescheinigungen hüten. Wir sollten uns bitte auch vor Besserwisserei aus der Ferne hüten, die wir uns hier ebenso verbitten würden, wenn es um Schleswig-Holstein ginge.

Auch etwa notwendige gesetzliche Änderungen, zu denen ich noch kommen werde - an dieser Stelle bedanke ich mich bei dem Herrn Innenminister für seinen Bericht -, dürfen nicht von den Ursachen in diesem konkreten Fall ablenken.

Erlauben Sie mir, Herr Innenminister, einen Punkt anzuführen, den ich nicht in Ordnung gefunden habe. Im „Schleswig-Holstein Magazin“ des NDR haben Sie am Dienstag, als das offengelegt wurde, zur Frage von Verwicklungen des hiesigen Verfassungsschutzes in diese Vorgänge wörtlich ausgeführt:

„Meine derzeitige Erkenntnislage schließt das aus. Ich war zu der Zeit, als die Dinge geschehen sind, nicht Innenminister, das waren Sozialdemokraten. Ich gehe davon aus, dass es eine solche Verquickung nicht gegeben hat, aber das wird man im Einzelnen sehen. Das werden die Recherchen zeigen.“

(Werner Kalinka)

- Die Unterstellung, dass ausgerechnet Sozialdemokraten hier auf dem rechten Auge blind gewesen sein könnten, will ich für die Kollegen Hans-Peter Bull, Ekkehard Wienholtz, Klaus Buß, Lothar Hay und mich zurückweisen. Sie wissen sehr genau, dass wir in dieser Hinsicht eine sehr konsequente politische Linie vertreten haben. Gerade bei der Ausgestaltung des Verfassungsschutzgesetzes in Schleswig-Holstein haben wir sehr klare Beteiligungs- und Kontrollmöglichkeiten durch das Parlamentarische Kontrollgremium abgesichert und uns übrigen anderen Vorschlägen immer verweigert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich plädiere dafür, endgültige Bewertungen erst nach dem Abschluss der Ermittlungen vorzunehmen und in Erinnerung zu behalten, dass Vollzugsdefizite von Gesetzen nicht mit schärferen Gesetzen behoben werden können und sollten. Wer Gesetze für Extremsituationen macht, macht extreme Gesetze.

Fakt ist: Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, und wir wollen auch keinen Überwachungsstaat.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und der LIN- KEN)

Manchmal ist der Preis, den wir zahlen müssen, sehr hoch. Es gilt eine neue Balance zu finden, wobei nicht unbedingt ein Mehr an Überwachung der Kern sein muss, wenn wir uns die Analysen angucken, sondern vielleicht doch eher eine andere und bessere Art der Prävention und Strafverfolgung.

Auch die gesellschaftliche Debatte über Toleranz und das Klima in unserem Land gehört auf die Tagesordnung. Was ist noch Meinungsfreiheit, und was sind Ausländerhetze und rechte Propaganda, die verfolgt werden müssen? Dabei denke ich an das unselige Hassplakat der NPD mit der Aufschrift ,,Gas geben“ vor einer jüdischen Einrichtung. Dass so etwas in Deutschland möglich ist, finde ich wirklich unglaublich.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und SSW)

Wie können wir die demokratischen Strukturen in unserem Land stärken? Wie können wir Jugendliche ertüchtigen gegen den Virus der Rattenfänger von Rechts? In diesem Kontext geht es auch um die Frage der Mittel für entsprechende Programme in Ländern und Kommunen.

In diesem Zusammenhang kann ich die Haltung von Frau Bundesministerin Schröder überhaupt nicht verstehen. Sie hat das nicht nur vor der Debat

te geäußert, sondern auch danach, mit neuen Erkenntnissen, noch einmal wiederholt. Ich kann das nicht nachvollziehen und bitte Sie herzlich, auf Ihre Parteikollegin einzuwirken, dies zu ändern.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gilt die Gefahr von Rechts bei all den Blicken, die der militante Islamismus gewöhnlich auf sich zieht, im Auge zu behalten und nicht zu verharmlosen. Der Herr Innenminister hat in seinem Bericht ein paar Vereinbarungen wiedergegeben, die heute besprochen worden sind, die wir weitgehend teilen können.

Es gilt, einige wichtige innenpolitische Weichenstellungen vorzunehmen:

Erstens. Ein durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gut vorbereitetes und erfolgreiches Verbotsverfahren gegen die NPD.

Zweitens. Eine restriktive, verfassungskonforme und effektive Regelung zur Verwendung von Telekommunikationsdaten bei schwersten Straftaten.