Aufgrund der Befugnisse der Katastrophenschutzbehörde und der Vorschriften für die Besetzung der Atomkraftwerke im Falle eines Unfalls scheint mir eine derart ungeordnete Situation und unsichere Informationslage wie in Japan nach den Ereignissen in Fukushima bei uns schwer vorstellbar, wenn nicht ausgeschlossen zu sein.
Meine Damen und Herren, dazu möchte ich Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Am 14. November Sie erinnern sich vielleicht - kam es im Kernkraftwerk Brokdorf zu einem ungefährlichen, aber den
noch meldepflichtigen Zwischenfall. Die Betreiber des Akw sind ihrer Meldepflicht innerhalb der vorgesehenen Frist nachgekommen. Das Ministerium für Justiz, Gleichstellung und Integration als Atomaufsichtsbehörde hat die Öffentlichkeit sofort unterrichtet. Die Ursachen des Störfalls werden nun untersucht und entsprechende Erkenntnisse für die Zukunft hoffentlich gewonnen. Sie sehen: Schon bei kleinen Zwischenfällen, bei denen keine Gefahr für die Bevölkerung besteht, läuft ein geordnetes Verfahren zur Information und zum Schutz der Bevölkerung an.
Selbstverständlich hoffen wir alle, dass es niemals zu einem Unfall in einem unserer drei Kernkraftwerke in Schleswig-Holstein kommt - eine Gefahr darauf haben die Grünen ganz richtig hingewiesen -, die trotz der bereits erfolgten Abschaltung der Akws Brunsbüttel und Krümmel und der vorgesehenen Abschaltung des Akw Brokdorf spätestens im Jahr 2021 keinesfalls gebannt ist.
Die Antwort des Innenministeriums auf die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zeigt deutlich, dass unser Land auf einen Reaktorunfall gut vorbereitet ist und entsprechende professionelle Maßnahmen einleiten wird. Für eine ständige Verunsicherung der Bürger und eine Politik der Angst bleibt in diesem Zusammenhang kein Raum.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ihre Fragen und der Landesregierung für ihre ausführlichen Antworten danken. Aus beidem ergibt sich für meine Fraktion Handlungsbedarf. Wir müssen uns klarmachen: Wir reden hier nicht von der ausgefallenen Heizung im Sozialraum eines Kraftwerks, sondern von atomaren Großunfällen.
Was ist eigentlich die zentrale Frage eines modernen und zivilen Katastrophenschutzes? - Die lautet: Wie sorgen wir dafür, dass ein großtechnischer Unfall, ein Angriff auf eine großtechnische Anlage
nicht Zehntausende Tote fordert, dass die soziale Katastrophe ausbleibt? Es muss darüber nachgedacht werden, wie die Bevölkerung im Katastrophenfall tatsächlich flächendeckend alarmiert werden kann. Nach der Antwort auf die Frage 54 würden die Informationen bei einem Atomunfall über Rundfunk, Fernsehen, Videotext, Internet und Printmedien verbreitet. Wir wissen aus der Anfrage, dass im unmittelbar betroffenen Kernbereich einer 2-km-Zone um die schleswig-holsteinischen Atomanlagen allein in Schleswig-Holstein über 30.000 Menschen leben. Diese müssen sicher und schnellstmöglich informiert werden.
Bis in die 90er-Jahre hatten wir die teils noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden und in ein militärisches Katastrophenschutzkonzept eingebetteten Sirenenanlagen. Damit war es möglich, die Bevölkerung im Falle eines militärischen Atomschlages zu alarmieren. Der Rückbau dieser Anlagen war aufgrund des Endes der Blockkonfrontation schlüssig; es drohte ja kein Atomkrieg mehr. Der jetzt erfolgte Umbau der Bundeswehr von einer defensiv ausgerichteten Verteidigungsarmee zu einem weltweit aggressiv agierenden Angriffs- und Interventionsmilitär
sollte uns allerdings dazu bringen, darüber nachzudenken. Heute müssen wir keinen militärischen Atomschlag mehr fürchten, sondern Sabotage an Atomanlagen oder das gezielte Hineinsteuern eines Flugzeugs in eine Atomanlage. Das ist dann durchaus mit einem Atomschlag vergleichbar.
Dazu ist es unerlässlich, über die bereits genannten Medien hinaus eine eigene Benachrichtigungsquelle bereitzuhalten. Dies könnten zum Beispiel Lautsprecherwagen oder auch Sirenenanlagen in einem klar definierten Umkreis um die Atomanlagen sein. Auch über die Nutzung vorhandener privater Infrastruktur, zum Beispiel eines SMS-Systems, könnte man hier nachdenken.
Unseres Erachtens hat die Anfrage auch einen erheblichen Handlungsbedarf in der Frage mehrfacher Katastrophen aufgezeigt. Was wäre zum Beispiel bei einer atomaren Katastrophe in der Folge des Jahrhunderthochwassers an der Elbe? In der Anfrage heißt es - ich zitiere -:
„Welche Katastrophenschutzplanung besteht für den Überflutungsfall der Atomreaktoren und atomaren Zwischenlager bei gleichzeitiger Störung der Katastrophenschutzmaßnahmen durch freigesetzte Giftstoffe aus den Lagern bei der Sondermüllverbrennungsanlage Brunsbüttel oder der Freisetzung von Stoffen wie Phosgen aus den Anlagen der chemischen Industrie Brunsbüttel?“
„Die Priorität der Durchführung von Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung richtet sich nach den Vorkommnissen bzw. nach der zeitlichen Abfolge der prognostizierten Ereignisse und dem zu erwartenden Gefährdungspozential der betroffenen Bevölkerungsteile aus.“
Ich habe versucht, das auf Deutsch zu übersetzen. Es heißt wohl: Wir warten ab, was passiert, und reagieren dann der Reihe nach.
Ich will einen weiteren Aspekt ansprechen. Der „Pallas“-Unfall hat gezeigt, dass es im Katastrophenfall vor allen Dingen auf eines ankommt: auf ein schnelles Umschalten von dezentral handelnden Akteuren und Institutionen hin zu einer zentralen Entscheidungsstruktur. Auch insoweit besteht Handlungsbedarf. Ich kann aus der Beantwortung der Großen Anfrage nicht erkennen, dass sich die Landesregierung überhaupt mit dieser Frage auseinandergesetzt hätte.
Beim Katastrophenschutz funktioniert im Übrigen das lang eingeübte Gerede von der Sicherheit atomarer Anlagen nicht. Es geht nämlich immer darum, den schlimmsten Fall im Blick zu behalten, das Ärgste: wie die soziale Katastrophe abgewendet werden kann.
Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, die Verhinderung dieser sozialen Katastrophe kostet Geld, von dem wir wissen, dass unser Land es nicht hat, von dem wir aber auch wissen, dass andere es sehr wohl haben. DIE LINKE sagt: Lasst uns dieses Geld bei denen abholen, die es haben, und lasst es uns in die politischen Aufgaben des Landes investieren. Lasst und den Katastrophenschutz ausbauen.
Vielen Dank. - Für die Fraktion des SSW hat nun die Frau Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass es trotz aller Sicherheitsmaßnahmen und Schutzsystemen zu einem atomaren Unfall kommen kann, hat uns in diesem Jahr der Unfall in Fukushima mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Nach diesem Unfall fragten sich viele, wie Schleswig-Holstein auf einen solchen Unfall vorbereitet ist; schließlich wohnen wir in der Nachbarschaft von drei Atommeilern.
Es geht nicht darum, uns vor einer Katastrophe zu schützen, sondern die Bevölkerung nach einer Katastrophe vor Strahlung zu schützen. Der einzige Schutz vor atomaren Katastrophen sieht völlig anders aus. Er besteht nämlich darin, alle Atommeiler abzuschalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, zunächst ist den Fragestellern zu danken, denn ihre Fragen berühren alle wichtigen Punkte rund um den Bevölkerungsschutz nach einem atomaren Unfall und dienen der Versachlichung der Debatte. Die aktuelle Rechtslage, die überwiegend ehrenamtliche Struktur des Katastrophenschutzes und die Zuständigkeiten werden klar ersichtlich. Klar wird aus den Antworten des Innenministers auch, was noch zu tun ist. Angesichts des Handlungsbedarfs sollten wir das vorliegende Papier als Grundlage für weitere Diskussionen nutzen. Die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein erwarten von uns klare und nachvollziehbare Entscheidungen, und diese sollten nicht lange auf sich warten lassen.
Erstens. Die Einbeziehung der Bundeswehr, die nach dem Rückzug der Bundeswehr und der Schließung von acht Standorten sicherlich nicht mehr dem aktuellen Planungsstand entspricht. Der Kollege Beran hat dies auch schon angesprochen. Dementsprechend offen fällt die Antwort des Innenministers aus, der keine einzige Einheit der Bundeswehr nennt, die im Katastrophenfall herangezogen werden kann. Das ist unbefriedigend, denke ich. Hier muss der Minister nachlegen und Fakten nennen, sodass die Bürgerinnen und Bürger wissen, wo beispielsweise die Strahlenmessgeräte stationiert sind. Ziel muss die Erstellung einer Landkarte des Bevölkerungsschutzes sein, die vor allem bezüglich der Evakuierungen möglichst detailliert und klar sein muss.
ner klaren Antwort. Dort, wo er nach Geld gefragt wird, wie bei der Höhe der Kosten für die Katastrophenforschung, findet sich ebenfalls keine konkrete Zahl. Das ist bedauerlich und gibt unnötigen Raum für Spekulationen. Mehr Klarheit wäre hier angebracht gewesen.
Im Zuge der Aufhebung der Wehrpflicht zeigt man sich beim Landesfeuerverband besorgt, dass freigestellte Bundeswehrsoldaten für die Gefahrgutlöschzüge nicht mehr zur Verfügung stehen. Sie bilden oftmals das personelle Rückgrat der Löschzüge und wurden teilweise zum 1. Juli entpflichtet. In einigen Kreisen wurde die Personaldecke so dünn, dass die Einsatzfähigkeit der Löschzüge gefährdet ist. Ich denke, auch hier muss der Innenminister tätig werden.
Das zweite Problemfeld, das ich ansprechen möchte, ist die technologische Schieflage, in die der Katastrophenschutz zu geraten droht. Der Kieler Katastrophenforscherforscher Willi Streitz warnt seit Jahren davor, im Katastrophenschutz ausschließlich auf komplizierte technische Lösungen zu setzen, die im Falle eines Stromausfalls völlig wertlos seien. Man zerstöre intakte Strukturen, wenn beispielsweise Sirenen abgebaut würden, um deren Wartung zu sparen. Redundanz sei nicht immer gewährleistet, wenn alle Systeme beispielsweise vom Strom abhängen.
Mit der Kritik von Streitz und seinen Kollegen muss man sich in Kiel aber nicht mehr auseinandersetzen, nachdem die Katastrophenforschungsstelle vor sechs Wochen geschlossen wurde. Dementsprechend unbeschwert wirbt der Minister mehrmals für bestimmte Internetseiten, allen voran die Seite www.jodblockade.de des Bundesumweltministers.
Wir warnen an dieser Stelle ausdrücklich davor, persönliche Beratung zum Thema Bevölkerungsschutz durch Broschüren oder Internetpräsenz zu ersetzen. Die Strahlenschutzverordnung spricht klipp und klar von einer Information, die ,,in geeigneter Weise und unaufgefordert" zu erfolgen habe; der individuelle Aufruf von Internetseiten ist damit sicherlich nicht gemeint.
Abschließend warne ich ausdrücklich davor, den Bevölkerungsschutz nach einem atomaren Unfall isoliert als Angelegenheit weniger Expertinnen und Experten zu betrachten. Der Bevölkerungsschutz ist auf eine funktionierende Infrastruktur angewiesen. Wenn aber Straßen, Brücken oder Eisenbahnstrecken nicht in Ordnung sind, können die in
der Antwort genannten 80 % der Betroffenen gar nicht schnell genug das Evakuierungsgebiet verlassen. Sie bleiben schlicht und einfach in den Baustellen stecken.
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Zu einem Dreiminutenbeitrag hat sich Herr Abgeordneter Detlef Matthiessen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! In zwei Redebeiträgen klang es an, dass wir nach dem Ausstieg aus dem Atomprogramm hinsichtlich der Gefahrenpotenziale sorgenfrei wären. Das ist keineswegs so. Erstens. Wir haben noch ein für eine längere Zeit laufendes Atomkraftwerk. Zweitens. Auch das radioaktive Inventar in einem in den Stillstandsbetrieb gefahrenen Kraftwerk strahlt noch sehr stark. Herr Minister, ich habe gelernt.
Wir haben diese Große Anfrage bereits vor den Ereignissen in Fukushima geplant und erarbeitet. Herr Kollege Matthießen, mein Namensvetter, bei Ihnen klang es so an, als würden wir Sorgen in der Bevölkerung politisch instrumentalisieren wollen. Davon sind wir weit entfernt. Ich glaube allerdings auch nicht, dass sich die Bevölkerung große Sorgen macht, denn das, was selten erscheint, beunruhigt eigentlich keinen. Trotzdem müssen wir uns in der Politik mit diesen Fragen beschäftigen.
Ich habe den Eindruck, dass diese Frage ein wenig in den Bereich einer politischen Kampfarena geraten ist, indem hier Defizite betont worden sind. Koalitions- und auch regierungsseitig wurde dieses Thema ein wenig als ein sorgenfreies Themengebiet vorgestellt. Ich finde, das soll nicht so sein.