Protocol of the Session on November 17, 2011

(Beifall bei der LINKEN)

Das Gleiche gilt für die Pflegesituation. Bis zum Jahr 2020 werden wir 11.000 zusätzliche Arbeitskräfte im Pflegebereich benötigen, um die dann etwa 100.000 pflegebedürftigen Menschen im Land angemessen versorgen zu können. Wir alle erwarten aber nicht irgendeine Pflege. Wir wollen flächendeckend hohe Qualitätsstandards, und wir wollen die notwendige Zuwendung zum pflegebedürftigen Menschen.

(Anita Klahn)

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Fakt ist aber, dass der Pflegeberuf derzeit alles andere als attraktiv ist. Ich glaube, wir haben hier im Haus in jeder Landtagstagung irgendwie über diese Berufe, ihre Attraktivität und so weiter diskutiert. Im Grunde genommen bewegt sich das alles entweder gar nicht oder schleichend. Es bleibt dabei: Die Bezahlung ist schlecht, die Arbeitsdichte bleibt und wird immer belastender, die Arbeitszeiten sind alles andere als familienfreundlich, und das soziale Ansehen der Pflegeberufe könnte deutlich besser sein. Dies sprechen wir immer an. Ich denke, hier wird nichts in Gang gesetzt, um dies zu verändern. Es ist noch nicht lange her, da haben wir hier über die Schaffung einer Berufsordnung für die Pflegeberufe debattiert. In vielen Punkten des vorliegenden Antrags der Grünen sowie des Änderungsantrags der SPD geht es aus gutem Grund um Maßnahmen, um das Ansehen der Pflegeberufe in der Gesellschaft zu stärken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir glauben, dass die Situation in der Pflege nur durch ein breites Bündel von Maßnahmen verbessert werden kann. Die beiden vorliegenden Anträge bieten eine gute Grundlage für weitere Diskussionen. Wir brauchen einen Ausbau der Ausbildungskapazitäten ebenso wie eine Aufwertung der Ausbildungsgänge. Dazu gehört auch, dass die Bundesagentur im Rahmen der Umschulung die ganze Ausbildung finanziert.

(Beifall bei der LINKEN und der Abgeord- neten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir unterstützen auch die Forderung nach einer Ausbildungsumlage in der Altenpflege. Betriebe, die Fachkräfte benötigen und mit diesem Fachpersonal Gewinne erwirtschaften wollen, müssen an den Kosten der Ausbildung beteiligt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir von Qualität in der Pflege reden, dann reden wir über Menschen; nicht nur über diejenigen, die Pflege benötigen, sondern auch über die Menschen, die in den Pflegeberufen arbeiten. Wir müssen sie dauerhaft von einem Beruf überzeugen, der hart und fordernd ist. Uns droht ein Pflegenotstand, und wir können es uns nicht erlauben, den Zeitpunkt zum Handeln zu verpassen. Wir sind nämlich der Meinung, dass dieser Zeitpunkt verpasst wird. Deshalb sind wir sehr dafür, die Ent

wicklung und die Wirksamkeit von Maßnahmen der Gegensteuerung in einem regelmäßigen Landespflegebericht zu bewerten.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu einem Dreiminutenbeitrag hat sich Herr Abgeordneter Bernd Heinemann von der SPD-Fraktion gemeldet. Ich erteile ihm hiermit das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Menschen, die ihre Gefühle zeigen, Freude oder Schmerz empfinden, sind keine Maschinen, die nicht mehr funktionieren. Das Herz wird nicht dement. - Das ist ein Spruch, den ich eben draußen am Stand der Alzheimer-Gesellschaft gelesen habe. Herr Minister, vor viereinhalb Jahren haben Sie damit begonnen, sich für einen Aktionsplan für an Demenz erkrankte Menschen einzusetzen. Sie haben dazu beigetragen, dass die Erkenntnis reifte: Schleswig-Holstein benötigt ein zusammenhängendes Konzept für den Umgang mit dem Krankheitsbild Demenz.

Es hätte fast geklappt. Nach vielen Gremiensitzungen, schriftlichen und mündlichen Anhörungen, vielen Impulsen, Veranstaltungen und Diskussionen sollte Ihr Antrag nur noch einmal vertagt werden. Dann hatte es zwischen Schwarz und Rot geknallt, und Ihr schöner Demenzplan kam unter die Räder. Mit der Koordinierung in Norderstedt haben wir jetzt eine gute Voraussetzung, um es noch einmal zu versuchen, diesen Weg zu gehen. Nun haben die Oppositionsfraktionen auf Anregung des SSW weite Teile Ihres Antrags schlicht übernommen. Herr Minister, Sie können das nachlesen. Teilweise geschah dies wortwörtlich. Sie haben allerdings pragmatisch noch etwas hinzugefügt. Der Kollege Meyer hat darauf hingewiesen.

Die Wucht und die Folgen von Demenzerkrankungen treten nicht selten plötzlich und unerwartet auf. Dabei hätten Sachkenntnis und ein Konzept vielleicht weitergeholfen. Ich nenne dazu ein Beispiel: Oft kommen ältere Menschen mit einem Oberschenkelhalsbruch ins Krankenhaus, und ein bis dahin geordnetes Leben gerät in Unordnung. Es gibt fremde, wechselnde Gesichter, lange Flure, viele Türen, Hektik, unbekannte Umgebung, Betäubungen, Schläuche im Körper, weiße Kittel, Geräusche und vieles mehr. Aus einer unauffälligen, freundlichen Person, die bisher geborgen, klar und zuversichtlich war und in der eigenen Wohnung gut zu

(Antje Jansen)

rechtkam, wird eine verzweifelt suchende, sehr laute, gegen die Therapie gerichtete, verwirrte, hyperaktive, aggressive oder apathische und unter Umständen flüchtende Patientenperson, die dann laut und heftig angegangen, sediert oder gar fixiert wird. Daraus folgen Verletzungsrisiken, Thrombosegefahren, vielleicht Inkontinenz oder ein akuter Ernährungseinbruch; von psychischen Traumata ganz abgesehen.

In Münster hat man mit Landesunterstützung ein Demenzkonzeptmodell mit einer implizierten Akutgeriatrie entwickelt. Dabei werden Altenpfleger als selbst weiterqualifizierte Demenzlotsen oder Delirkräfte als feste Bezugspersonen eingesetzt, und es werden - wo möglich - über Rooming-in Brücken zur Vertrautheit geschlagen. In diesem Modellkonzept wurden demenzbedingte Mehrkosten durch eine lange Verweildauer und Komplikationen drastisch gesenkt. Andere Kostenträger wurden durch die Vermeidung einer stationären Folgebehandlung und einer dauerhaften Unterbringung bei vergleichsweise geringen Aufwendungen erheblich entlastet. Weiterhin stiegen die Belastbarkeit und die Arbeitszufriedenheit des geschulten Personals, und der Krankenstand sank.

Dies ist nur ein Beispiel in drei Minuten. Von diesen Modellen gibt es viele. Herr Minister, Sie haben recht. Wir brauchen einen Aktionsplan Demenz. Kurz, wir brauchen einen Demenzplan für das Gesundheitsland Schleswig-Holstein. Sicher sind Sie wie ich enttäuscht über den Antrag der CDU. Die können Ihnen eben nicht folgen. Mit Norderstedt haben wir aber eine gute Grundlage, um so einen Plan zu entwickeln. Tun Sie es!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Landesregierung hat nun der Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herr Dr. Heiner Garg, das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte darauf hinweisen, dass die Fragen zu Personalbemessung, Demenzerkrankungen, Ausbildungsreform, Umlagefinanzierung, Erhöhung der Ausbildungsplatzzahlen in SchleswigHolstein oder auch zur Pflegekammer Ihrer Fraktion, Frau Kollegin Pauls, auch wenn Sie dieser erst seit dieser Legislaturperiode angehören, 13 Jahre

Zeit gegeben haben, um etwas mehr auf den Weg zu bringen. Ich will nur höflich daran erinnern, dass es sehr schlank ist, heute Forderungen zu erheben, denen man sich in weiten Teilen 13 Jahre lang verweigert hat, indem man entsprechende Initiativen nicht angenommen hat. Das ist sehr einfach.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sowohl der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als auch die Anträge der Koalitionsfraktionen sowie die Beiträge der Kolleginnen Sassen, Klahn und Frau Dr. Bohn zeigen, dass in dieser Legislaturperiode etwas gelungen ist, was es in der Vergangenheit so nicht gab. Pflege ist als zentrales gesellschaftliches Problem angekommen. Es ist nicht mehr nur ein Nischenthema für Sozialpolitiker. Das Thema Pflege gilt als eine der herausragenden Herausforderungen für unsere älter werdende Gesellschaft, die bei Gesundheits- und Pflegeleistungen auf eine gute Gesundheitsstruktur angewiesen ist. Ich finde, dafür lohnt sich die fachliche Auseinandersetzung in der Tat. Im Übrigen fragen Sie vielleicht einmal meine Vorgängerin danach, wie sie zur Pflegekammer stand. Ich kann Ihnen deutlich sagen, dass ich keineswegs dogmatisch bin. Ich möchte der Frage allerdings nachgehen, denn ich sage, über die Frage der Zwangsmitgliedschaft muss man sich noch einmal unterhalten.

Sie alle haben es sich aber nicht einfach gemacht. Dafür möchte ich mich bedanken, weil dies das richtige Signal nach außen ist, wie wir mit dem Thema Pflege umgehen.

(Beifall bei der FDP)

Gute Pflege wird es in Zukunft nämlich nur geben, wenn ihre Voraussetzungen im demografischen Wandel funktionsfähig organisiert werden, und zwar funktionsfähig trotz weniger Beitragszahler, funktionsfähig trotz mehr Menschen, die Pflegebedarf haben, funktionsfähig trotz tendenziell weniger Arbeitskräfte, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten für Pflegetätigkeiten zur Verfügung stehen.

Wenn ich von funktionsfähig rede, dann meine ich damit, dass die Wünsche, die Bedarfe und die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen der Maßstab sein müssen. Dies ist eine riesengroße gesamtgesellschaftliche Herausforderung und mitnichten nur etwas für Sozialpolitiker, sondern für uns alle, für Politik und Gesellschaft. Es ist Zeit, dass das endlich ankommt.

Sie haben die Schlaglichter genannt. Die OECD hat vor wenigen Monaten im Rahmen einer Studie dargestellt, dass sich die Pflegekosten in den näch

(Bernd Heinemann)

sten 40 Jahren verdoppeln werden. Wenn wir nicht immer nur Politik bis zur nächsten Legislaturperiode machen würden - Stichwort 172 Tage -, dann würden wir auch endlich die Aufgabe angehen, die finanziellen Grundlagen dieser Systeme dauerhaft zu stabilisieren.

Außerdem wird in der OECD-Studie mehr als deutlich, dass überwältigende 90 % der älteren Menschen den Wunsch geäußert haben, möglichst lange in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung zu bleiben.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Genau darauf werden wir unsere Pflegeinfrastruktur, unsere Gesundheitsinfrastruktur im Land stärker ausrichten.

Ich darf daran erinnern, dass Schleswig-Holstein bedauerlicherweise überproportional viele ältere Menschen in stationären Einrichtungen unterbringt. Wir müssen uns der Frage widmen, wie es dazu gekommen ist. Außerdem müssen wir die Fehlanreize im System beseitigen, damit es mehr und bessere Angebote im ambulanten, im familienentlastenden Pflegebereich gibt.

Ich warne davor, ehrenamtliche Pflege und professionelle systematisierte Pflege gegeneinander auszuspielen. Wir brauchen beide Formen der Pflege. Wir brauchen Mechanismen, die diese beiden Elemente miteinander verbinden, sodass die Bedürfnisse von pflegebedürftigen Menschen in einer zunehmend singularisierten Daseinsform in Zukunft noch erfüllt werden können.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wir brauchen neue, regional organisierte und sozialraumbezogene Infrastrukturpflegeplanungen. Wir bringen das übrigens inzwischen gemeinsam mit den Akteuren vor Ort auf den Weg. Gerade in der vergangenen Woche haben wir gemeinsam mit dem Städteverband und dem Landkreistag eine sehr erfolgreiche Tagung im Kreis Segeberg zu diesem Thema durchgeführt; denn ohne die Kommunen wird es nicht gehen. Außerdem haben wir die Entwicklung der spezifischen Pflegebedarfe im Blick.

Lassen Sie mich konkret auf die Situation von Demenzerkrankten eingehen. Meine Damen und Herren, natürlich kann man sagen: 1,1 Milliarden €, das macht 2,50 € mehr für jeden Demenzerkrankten. Frau Pauls, sollen wir es bleiben lassen, oder ist das zumindest ein Anfang? Es ist erkannt worden, dass Demenzerkrankte einen völlig anderen Pflegebe

darf und einen völlig anderen Betreuungsbedarf haben als Pflegebedürftige, die auf rein körperbedingte Funktionsdefizite reduziert werden.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU und der Abgeordneten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Arbeit mit Demenzerkrankten und die Entlastung pflegender Angehöriger sind deswegen maßgebliche Elemente unserer Pflegepolitik im Land. Qualitätssicherung, Schulung und Fortbildung für betreuende Personen sind Stichworte in diesem Zusammenhang. Ich will dazu gleich noch mehr sagen.

Wir haben ein zielgruppengerechtes Informationsund Betreuungsangebot. Seit Februar ist unser bundesweit viel beachtetes Internetportal unter dem programmatischen Namen „Wege zur Pflege in Schleswig-Holstein“ im Netz. Beratung gibt es aber nicht nur virtuell. Schleswig-Holstein hat rund 180 anerkannte niedrigschwellige Beratungsangebote, insbesondere für Pflegebedürftige mit Demenz. Rund 90 von ihnen werden durch das Sozialministerium und die Pflegekassen mitfinanziert.

Eine Schlüsselfunktion hat seit Jahresbeginn das landesweit tätige schleswig-holsteinische Kompetenzzentrum Demenz. Es ist schön, dass inzwischen auch bei Ihnen angekommen ist, dass es das gibt. Der erste Antrag lässt nämlich vermuten, dass Sie noch gar nicht wussten, dass es inzwischen ein Kompetenzzentrum mit Sitz in Norderstedt gibt. Dort werden die übergreifenden Koordinierungs-, Beratungs- und Qualifizierungsaufgaben gebündelt. Wer als Bürger individuellen Beratungsbedarf hat, der findet Antworten beispielsweise bei den Pflegestützpunkten. Diese regionalen Angebote werden durch das landesweit wirkende Kompetenzzentrum unterstützt.

Ich sage hier ganz deutlich, dass wir Geld in die Hand nehmen müssen, damit die Situation der Demenzkranken verbessert wird. Ich finde, dass die Eckpunkte zur Reform der Pflegeversicherung ein erster Schritt sind. Die Richtung dieses Schritts stimmt. Wir stellen 1,1 Milliarden € für Menschen mit einer Demenzerkrankung zur Verfügung. Dies ist das sogenannte vaskuläre Syndrom vom Typ Alzheimer. Das sind Mikrohirninfarkte. Es sind also sehr wohl vorzeigbare Verbesserungen zu erreichen.

Die Landesregierung arbeitet intensiv daran, die Versorgungsangebote für Demenzkranke und ihre Angehörigen zu verbessern. Mit Blick auf die geforderten Pläne sage ich ganz deutlich: Ein De

(Minister Dr. Heiner Garg)

menzplan kann dabei unterstützend sein. Darüber sollten wir im Ausschuss weiter beraten.