Protocol of the Session on November 17, 2011

Sie drücken sich an dieser Stelle vor der Verantwortung. Wir haben hier nämlich kein Wissensdefizit - alle Fakten liegen eigentlich auf dem Tisch -, sondern wir haben ein Handlungsdefizit. Jeder so vergeudete Tag ist ein schlechter Tag für die Pflege. Herr Garg, Sie haben noch 172 Tage Zeit. Tun Sie endlich etwas!

(Starker Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Beifall des Abge- ordneten Flemming Meyer [SSW]) - Unruhe)

Ich nehme den Hinweis der Kollegin Pauls gern auf, erneuere ihn und erweitere ihn auf die gesamte Runde. Jetzt wird es nämlich auf der anderen Seite ebenfalls unruhig. Es ist sehr unruhig hier. Es reicht nicht, das mit Blicken zu regeln. Ich bitte Sie, Ihre Gespräche jetzt einzustellen und der Frau Kollegin Klahn zuzuhören, die in der Debatte für die FDPFraktion als Nächste das Wort ergreift. - Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass im Bereich der Pflege großer Handlungsbedarf besteht, ist sicherlich Konsens in diesem Haus. Wir sind uns auch gemeinsam der Verantwortung bewusst, dass wir Konzepte und Handlungsstrategien benötigen, um die zukünftigen Bedarfe in der Pflege erfüllen zu können, und es ist sicherlich allen gleichermaßen wichtig, dass wir die Ausbildungssituation verändern.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Genauso bewusst ist uns auch, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit neu definiert werden muss, insbesondere um die Belange der Menschen berücksichtigen zu können, die an einer Form der Demenz erkrankt sind. Auf Bundesebene sind die Weichen für eine Neudefinition der Pflegebedürftigkeit gestellt worden. Insoweit sind wir sicherlich unterschiedlicher Einschätzung, Frau Kollegin Pauls, aber das regeln wir ja vielleicht noch.

Eines möchte ich an dieser Stelle auch noch anmerken, sehr geehrte Kollegin Dr. Bohn: Dass Sie der Politik in Ihrem Antrag vorwerfen, wir kümmerten uns nicht, und Pflege nähme nicht den Stellenwert ein, den Sie brauche, möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich zurückweisen. Mit Gesundheitsminister Dr. Garg und mit Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr arbeiten kompetente und sehr engagierte liberale Politiker an diesem Themenkomplex. Bei allem, was Sie kritisieren, gebe ich einfach die Antwort zurück: Sie hatten Ulla Schmidt.

(Demonstrativer starker Beifall bei der SPD)

- Ist das einfach, Applaus von Ihnen zu bekommen!

Schauen wir doch einmal exemplarisch auf Äußerungen der Vorgängerregierungen in Land und Bund zurück. Die damalige Ministerin Dr. Trauernicht formulierte im Jahr 2007 für die SPD noch schwammig

(Demonstrativer Beifall bei der SPD)

- klasse, jetzt können Sie wieder zuhören -, Ziele, Programme und gesetzliche Aktivitäten hätten die Gruppe demenzerkrankter Menschen fest im Blick. - Das war ihre Antwort auf den Antrag von Herrn Dr. Garg, der heute bereits erwähnt wurde. Mehr ist nicht passiert.

Ihre damalige Kollegin und Ministerin auf Bundesebene, Ulla Schmidt, hat das 2008 aufgegriffen und den grandiosen Vorschlag gemacht, Langzeitarbeitslose zur Betreuung von Demenzerkrankten einzusetzen. Meine Damen und Herren, ein fester Blick allein genügt nicht. Der Vorschlag von Ulla Schmidt kann nur als abstrus bezeichnet werden. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Minister Garg handelt dagegen und setzt vernünftige Maßnahmen um. Ich rufe sie Ihnen gern stichpunktartig ins Gedächtnis: Erhöhung der Zahl der Ausbildungsplätze, Initialisierung der Informationsplattform „Wege zur Pflege“, Reform der Altenpflegeausbildung, Reform der Eingliederungshilfe; Durchführungsverordnung und Prüfrichtlinie zum

(Birte Pauls)

Selbstbestimmungsstärkungsgesetz sind auf dem Weg. Bezogen auf den Bereich der Demenz wurde unter Federführung des Ministeriums zum Jahresanfang 2011 das Schleswig-Holsteinische Kompetenzzentrum Demenz eingerichtet. Die Bündelung der landesweiten Aktivitäten ist dabei ein wichtiger Schritt zur Koordinierung der Beratungsangebote und der weiteren Unterstützung von niedrigschwelligen Betreuungsangeboten. - Jetzt dürfen Sie auch gern klatschen.

Meine Damen und Herren, auf Bundesebene wurde viel für Pflegebedürftige erreicht. Die Eckpunkte für die Pflegereform wurden gestern von Bundesgesundheitsminister Bahr vorgestellt, und die bessere Versorgung von Demenzkranken steht dabei im Vordergrund. Denn im Moment leisten Familien einen maßgeblichen Beitrag, wenn es um die Betreuung und Pflege älterer und gebrechlicher Menschen geht. Der besondere Aufwand für Demenzkranke wurde bislang bei der Kalkulation der Pflegeversicherung außer Acht gelassen. Aus diesem Grunde begrüßen wir Liberalen es, dass sich die Koalition im Bund auf schnelle Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige verständigt hat.

(Beifall bei der FDP)

Die Eckpunkte sehen nämlich unter anderem folgende Maßnahmen vor: Im Vorgriff auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff erhalten Demenzkranke künftig verbesserte Leistungen; Betreuungsleistungen, die insbesondere für Demenzkranke erforderlich sind, werden Bestandteil der Pflegeversicherung, die Leistungen der Pflegeversicherung werden flexibler ausgestaltet, dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ entsprechend werden neue Wohnformen durch die Gewährung zweckgebundener Pauschalen gefördert, und ein Initiativprogramm zur Förderung ambulanter Wohnformen wird aufgelegt. Schließlich werden die Möglichkeiten zwischenzeitlicher Unterbrechung der Pflege eines Angehörigen zu Hause gestärkt.

Diese Maßnahmen werden die Pflegebedürftigen und die Angehörigen entlasten. Dies ist der Einstieg in den längst notwendigen Paradigmenwechsel in der Pflege.

Wenn die Opposition meint, dass wir das alles nicht brauchen, dass wir keine Nachsteuerung bei der Versorgung von Demenzerkrankten brauchen, dann soll sie hier ganz offen sagen: Es ist falsch, 1,1 Milliarden € für Demenzerkrankte bereitzustellen.

Aus unserer Sicht darf das nicht isoliert betrachtet werden. Die Versorgung von Demenzerkrankten

muss in eine regional organisierte, sozialräumliche Pflegestruktur eingebunden werden. Ziel muss es sein, das Lebensumfeld und die Lebensverhältnisse so auszugestalten, dass Pflegebedürftige so weit wie möglich selbstbestimmt leben können.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin, zum einen müssen Sie zum Schluss kommen, zum anderen frage ich Sie: Möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dr. Marret Bohn zulassen?

Ja, gern.

Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Liebe Kollegin Klahn, wie stehen Sie denn jetzt zur Pflegekammer?

Danke, dass Sie mir Gelegenheit geben, hierauf einzugehen. Die Gespräche, die ich geführt habe, haben mir aufgezeigt, dass die Betroffenen in erster Linie ihre persönliche Situation, was die Arbeitsplatzverhältnisse, was die Entgeltverbesserung betrifft, regeln möchten. Das sind Dinge, die sie auch über die Gewerkschaft einfordern könnten. Ich habe gefragt: Wo ist denn ver.di da? Ansonsten erfordert die Pflegekammer eine Pflichtmitgliedschaft. Darüber sind Sie sich sicherlich im Klaren. Haben Sie gefragt, ob alle bereit sind, die Beiträge aufzubringen?

Gestatten Sie eine Nachfrage der Abgeordneten Dr. Bohn?

Wenn wir die Sozialausschusssitzung vorwegnehmen wollen, gern.

Teilen Sie meine Einschätzung, dass es nicht sinnvoll ist, die Sozialausschusssitzung vorwegzunehmen, und teilen Sie meine Einschätzung, dass es bestimmt gut ist, wenn wir weiter darüber sprechen? Denn nach un

(Anita Klahn)

seren Informationen - wir konnten allerdings nicht alle einzeln befragen - würde der durchschnittliche Kammerbeitrag bei 3,75 € liegen.

Erstens. Selbstverständlich werden wir das im Ausschuss weiterdiskutieren. Das haben wir auch deutlich gemacht. Zweitens. Über die Zahlen werden wir uns sicherlich konkret unterhalten. - Frau Pauls möchte auch noch etwas.

Vielen Dank, Frau Präsidentin.

(Heiterkeit)

Frau Pauls, Sie haben das Wort.

Frau Klahn, Sie haben eben die Summe genannt, die zukünftig für Demente zur Verfügung steht:

1,1 Milliarden!

- Genau. 1,1 Milliarden. Wenn Sie es umrechnen, dann sind das pro Person 2,15 € am Tag. Würden Sie mir bitte sagen, welche Leistungen Sie damit für die Rundumbetreuung eines Dementen erreichen könnten?

(Christopher Vogt [FDP]: Mehr als null, oder?)

- Ganz genau. Ich denke, jeder Schritt, den wir jetzt tun, ist besser, als alles so zu lassen, wie es ist. Wenn Sie Details wissen wollen, muss ich zugeben: Ich bin keine Pflegerin; ich könnte Ihnen jetzt nicht die einzelnen Faktoren vorrechnen. Aber ich glaube, das muss ich auch nicht. - Vielen Dank.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Abgeordnete Antje Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die steigende Anzahl demenzkranker Menschen in der Bevölkerung auch in Schleswig-Holstein ist ein Ergebnis des demografischen Wandels. Die Menschen mit Demenzerkrankungen und ihre Familien benötigen mehr als nur nette Worte. Sie brauchen

Aufklärung, Beratung und praktische Hilfe, um ein möglichst selbstbestimmtes Leben im gewohnten Wohnumfeld führen zu können. Das vom Bundesgesundheitsminister gestern vorgelegte Eckpunktepapier zur Pflegereform wird den gestellten Anforderungen nicht gerecht. In der Kernfrage eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs beschränkt sich das Papier auf vage Absichtserklärungen.

Es wird also dabei bleiben, dass viele Demenzkranke weiterhin keine Unterstützung aus der Pflegeversicherung bekommen. Die beschlossene Beitragserhöhung in der Pflegeversicherung um 0,1 Prozentpunkte wird schätzungsweise 1,1 Milliarden € bringen. Man rechnet aber mit einem Bedarf von etwa 5 Milliarden €, um die Versicherungsleistungen für die Demenzkranken wirksam zu verbessern. Dabei bleibt völlig unklar, wie zusätzliche Betreuungsleistungen für Menschen mit Demenz angemessen ermittelt werden sollen, wenn der neue Pflegebegriff nicht umgesetzt wird. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, was sollen wir daran ernsthaft begrüßen?

Der Gedanke, einen Demenzplan für SchleswigHolstein zu erstellen, in dem sich die Landespolitik einer zunehmend gewichtigen Problematik stellt, ist sinnvoll. Vor dem Hintergrund des gesundheitspolitischen Versagens der schwarz-gelben Bundesregierung wird ein solcher Demenzplan hier im Land umso dringender. Er benennt die Aufgabenfelder und kann und soll zur Verbesserung der Lebenssituation demenzkranker Menschen und ihrer Angehörigen führen.

Der Änderungsantrag von CDU und FDP verfolgt meiner Meinung nach Ihre übliche Taktik. Wir erleben dies regelmäßig gerade in Fragen der Gesundheitspolitik. Sie verwässern die Problemlage, und Sie finden immer, dass die Landesregierung auf einem guten Weg sei. Ich finde, dass die Anträge, die jetzt auch von den Grünen und der SPD sowie vom SSW gestellt wurden, dringender sind. Es ist dringend, über diese zu diskutieren, um Sie auf den guten Weg zu tragen.

(Beifall bei der LINKEN)