Protocol of the Session on November 16, 2011

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Rasmus Andresen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister de Jager, vielen Dank an Ihr Haus - der Dank gilt gleichzeitig auch den Hochschulen - für die Beantwortung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion. Die Große Anfrage kann man mit einem Satz beantworten: Es gibt kaum Missverhalten an den schleswig-holsteinischen Hochschulen.

Für uns Grüne steht die Sicherung der Qualität der Promotionen im Vordergrund. Wer heute an einer schleswig-holsteinischen Hochschule promovieren will, steht vor zwei großen Problemen, zum einen

der Finanzierung und zum anderen der Unabhängigkeit.

Eine Promotion ist mehr als ein Vollzeitjob. Trotzdem gibt es an den Hochschulen zu wenig Stellen, die jungen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnenn eine Promotion ermöglichen. Gerade in Fachrichtungen, an denen die Wirtschaft wenig Interesse hat, gibt es deutlich zu wenig Promotionsstellen. Die Stipendien reichen vorn und hinten nicht. So hat es eine gute Bekannte von mir beispielsweise trotz Top-Noten nicht geschafft, ein Stipendium für ihre Promotion zu bekommen. Die Unabhängigkeit der jungen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnenn wird sehr stark von ihrem jeweiligen Dozenten beeinflusst. Die Promotionsstellen sind sehr an das Thema der Promotion geknüpft.

Vernetzung, Austausch und Weiterbildung sind während der Promotion enorm wichtige Faktoren. Die Rolle der Graduiertenzentren ist deshalb hervorzuheben. Die Kollegen vor mir haben das auch schon genannt. Allerdings stehen wir hier noch am Anfang der Entwicklung. Wir würden uns beispielsweise mehr Betreuungsvereinbarungen zwischen Betreuerinnen und Betreuern und Promovierenden wünschen. Ähnlich wie es die DFG fordert, könnten die Graduiertenzentren hier eine Schlüsselrolle übernehmen.

Aber auch die Zeit nach der Promotion muss mit einer klaren Zukunftsperspektive verbunden werden. Wir haben in Schleswig-Holstein extrem schlechte Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler. Deshalb fordern wir beispielsweise mehr unbefristete Arbeitsverhältnisse für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und die Abschaffung der sogenannten Sechsplus-Sechs-Regel.

Gerade für die Vereinbarkeit von Familie und Forschung müssen wir noch viel tun. Der Fachkräftemangel wird sich im Bedarf an Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen niederschlagen. Wer jetzt nicht handelt, verhält sich grob fahrlässig.

Es gibt aber noch weiteren Reformbedarf. So fordern wir zum Beispiel, dass kumulatives, sprich artikelbasiertes Promovieren, in Zukunft an den Hochschulen der üblichen Monografie, also der üblichen Promotion, gleichgestellt wird. So kann sichergestellt werden, dass die wissenschaftliche Arbeit im Vorfeld durch mehr Köpfe und Hände gegangen ist. Plagiatsversuche würden so früher gestoppt werden können, jenseits von Plagiatssoftware und Ähnlichem.

(Kirstin Funke)

Auch sollte man überlegen, ob die Länder ein gemeinsames unabhängiges Plagiatsinstitut einrichten, so wie es vor wenigen Tagen die Informatikprofessorin Debora Weber-Wulff gefordert hat.

Wir wollen das Promotionsrecht und die gesellschaftliche Rolle von Promotionen und Promovierenden weiter reformieren. Herr Günther, die starre Unterscheidung zwischen Fachhochschulen und Universitäten im Promotionsrecht macht wenig Sinn. Dieses Tabuthema muss gebrochen werden, und das Promotionsrecht muss verändert werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies kann beispielsweise durch Kooperationen unterschiedlicher Hochschulen, einer Universität und einer Fachhochschule oder auch durch Änderungen im Hochschulgesetz geschehen.

Es muss uns gelingen, den Doktortitel in Zukunft mehr als wissenschaftlichen Titel zu begreifen und weniger als Statussymbol.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und SSW)

In kaum einem anderen Land als Deutschland wird der Doktortitel so sehr als Statussymbol genutzt. Weder in den USA noch in den skandinavischen Ländern sind die Verhältnisse so wie bei uns. Vielleicht ist das auch die eigentliche Erklärung für den Druck bei einigen Politikerinnen und Politikern von CSU und FDP, neben ihrer politischen Karriere noch promovieren zu wollen.

Meine Kollegin im Deutschen Bundestag und ehemalige Hamburger Wissenschaftssenatorin Krista Sager hat vor diesem Hintergrund - zugegeben im Sommerloch - gefordert, den Doktortitel aus dem Personalausweis zu streichen. Vielleicht sollte man über diesen Vorschlag noch einmal nachdenken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt beim SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Björn Thoroe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein neues Semester beginnt, neue Studierende kommen an die Hochschulen, neue Verträge wurden und werden unterzeichnet. Die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses stellt uns aber vor entscheidende Fragen. Wird genug für diesen Nach

wuchs getan? Diese Frage ist von zwei Seiten aus zu stellen. Erstens: Können wir mit der Ausbildung des Nachwuchses die Nachfrage nach wissenschaftlichem Personal erfüllen, oder gibt es Defizite? Oder - die andere Seite der Frage, die wir für ungleich wichtiger halten -: Können all diejenigen, die promovieren beziehungsweise sich habilitieren wollen, das auch tun? Denn Promotion und Habilitation sind durch die grundgesetzlich garantierte freie Berufswahl Bestandteil der Grundrechte.

Sehen wir uns die Möglichkeiten einmal im Vergleich an! Wenn wir uns die Zahlen zu den Promotionen zwischen 2000 und 2010 ansehen, fällt auf, dass die Zahl der Promotionen in den sogenannten MINT-Fächern - also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik - zusammen mit der Medizin fast viermal so hoch ist wie in den Geisteswissenschaften. Konkret heißt das, die Summe der Promotionen im Zeitraum von 2000 bis 2010 in den MINT-Fächern und in der Medizin macht mit 5.452 knapp 73 % aller Promotionen in diesem Zeitraum aus, während die Promotionen in den Geisteswissenschaften mit 1.391 Promotionen gerade einmal auf knapp 19 % kommen.

Wie ist dann das Verhältnis der Anzahl der Promotionen zur Zahl der Studierenden an den jeweiligen Fakultäten? - Sehen wir uns das einmal anhand der Christian-Albrechts-Universität an. Die Philosophische Fakultät ist mit 8.300 Studierenden nicht nur die größte Fakultät der CAU, sondern auch größer als die Universitäten Lübeck und Flensburg zusammen. Im Übrigen ist sie die einzige Fakultät, an der der Anteil der Frauen höher als der der Männer ist - ein Umstand, der selbst für die Promotionen gilt, wie aus den Antworten des Ministeriums auf die Anfrage hervorgeht.

(Unruhe)

Bei der Anzahl der Promotionen kommt die Philosophische Fakultät mit 54 Promotionen im Jahr 2010 im Vergleich zur Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät gerade einmal auf die Hälfte. Die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät hat etwa 4.800 Studierende und ist damit etwas mehr als halb so groß wie die Philosophische Fakultät. Es drängt sich die Frage nach der Ursache auf: Gibt es einfach ein größeres Interesse an einer Promotion an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, oder gibt es ein Gefälle, was die Förderung angeht? Da ist die Faktenlage erdrückend.

(Anhaltende Unruhe)

(Rasmus Andresen)

Ich unterstelle einen hochsignifikanten Zusammenhang zwischen der Zahl der Promotionen und dem Volumen an eingeworbenen Drittmitteln. Die Antworten des Ministeriums zur Frage nach Graduiertenschulen erhärten meine Hypothese. Alle Exzellenzcluster und die Infrastruktur, die um sie herum geschaffen wird, sind in MINT-Fächern sowie im Bereich der Medizin. Die Konzentration von Mitteln geht bekanntermaßen zulasten bestimmter, von der Hochschulleitung als forschungsschwächere oder als nicht wettbewerbsfähig betrachtete Fächer. Der Geschäftsführer des BdWi, Torsten Bultmann, zieht daraus folgendes Fazit:

„Die verteilungspolitische Kehrseite dieser eindimensionalen Konzentrationspolitik ist die Existenz heruntergewirtschafteter Massenstudiengänge mit zunehmend prekären Beschäftigungsbedingungen für das wissenschaftliche Personal.“

Herr Habersaat, wir vermissen in der Anfragen Fragen zur Beschäftigung von Privatdozenten, überhaupt zum Thema atypische, prekäre Beschäftigung an den Hochschulen. Denn das ist laut dem Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die am schnellsten wachsende Personalkategorie an den Hochschulen. Zwischen den Jahren 2000 und 2008 wuchsen diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse an den Hochschulen um 44 %. Da finden sich die abenteuerlichsten Verträge, von befristeten Einjahresverträgen bis hin zu Scheinselbstständigkeiten mit Dumpinglöhnen, unbezahlte Lehraufträge emeritierter Professorinnen und Professoren, deren Wegfall für viele Studierenden in unterfinanzierten Fächern zum Fiasko würde. Wer von denen soll denn die Promotionen in der Philosophischen Fakultät betreuen? Wer sollte sich heute noch freiwillig habilitieren lassen, wenn man Gefahr läuft, danach bei ausbleibender Berufung schlechter gestellt zu sein als vorher?

Brain up, Deutschland sucht die Superuniversitäten - das war die Antwort der SPD auf diese Missstände. Eliteuniversitäten nach amerikanischem Vorbild wollte man schaffen. Die Fehlentwicklung einer wettbewerblichen Mittelvergabe sollte durch noch mehr Wettbewerb korrigiert werden. Wenn Sie in den aktuellen Umfragen bei 30 % liegen, tun sie das trotz, nicht wegen Ihrer Hochschulpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Worüber wir im Ausschuss noch diskutieren sollten, ist die Promotionsmöglichkeit an Fachhochschulen. Es erschließt sich mir überhaupt nicht, warum Promotionen ein Privileg der Universitäten

sein sollen. DIE LINKE steht für eine ausfinanzierte, soziale Hochschulpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW hat die Fraktionsvorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk, das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Universitäten konnten einen großen Teil der Fragen in der Großen Anfrage zu Promotionen und Habilitationen in Schleswig-Holstein wegen fehlender Daten nicht beantworten. Die Unkenntnis darüber, wie viele Promotionen betreut oder wie viele Promotionsvorhaben abgebrochen werden, weist darauf hin, dass Promotionen und Habilitationen an den Hochschulen zwar irgendwie so laufen, es scheint aber keine gezielte Strategie, keine Vorgehensweise oder Handhabung zu geben.

Die Landesregierung selbst weist in der Beantwortung darauf hin, dass die Universitäten durch die Anfrage angeregt wurden, zukünftig einzelne Daten regelmäßig zu erfassen. Damit hat die SPD bereits einen Erfolg erreicht, um dieses Thema mehr in den Fokus zu rücken. Herzlichen Glückwunsch!

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wegen dieser Datenlage ist es aber sehr schwierig, Aussagen über die akademische Laufbahn in Schleswig-Holstein zu treffen.

(Anhaltende Unruhe)

Auffällig ist, dass die Zugangsvoraussetzungen für Promotionen an den einzelnen Instituten sehr unterschiedlich sind. So reicht in der Theologie ein „Befriedigend“, um eine Promotion anzustreben. In den meisten Fächern muss es aber ein „Gut“ sein, und als Fachhochschulabsolvent reicht nicht nur ein „Sehr gut“, sondern es ist auch ein Gutachten über die besonderen Qualifikationen der Person notwendig.

Unklar ist, ob die Zugangsvoraussetzungen je nach Menge der Interessierten erschwert werden oder wieso sie sich unterscheiden. Fest steht, dass es auch andere Wege zur Promotion geben muss.

Wir begrüßen daher, dass es an der Graduiertenschule der Uni Lübeck möglich ist, eine FastTrack-Promotion gleich nach dem Bachelor anzu

(Björn Thoroe)

streben. So wird besonders engagierten Studierenden eine Chance geboten, schneller im Hochschulsystem voranzukommen. Es ist nämlich nach wie vor ein großer Nachteil der akademischen Laufbahn, dass sie in Teilen elend langwierig ist. Durchschnittlich liegt das Habilitationsalter in Deutschland bei 40 Jahren, soll heißen, der wissenschaftliche Nachwuchs verbringt seine besten Jahre in einer endlosen Durststrecke.

(Anhaltende Unruhe)

Frau Abgeordnete, einen kleinen Augenblick bitte. - Die Bitte um Aufmerksamkeit gilt auch für die Regierungsbank.

(Beifall)