Protocol of the Session on October 6, 2011

Die Schweizerische Volkspartei konnte nach Jahren der Hetze gegen Muslime in der Schweiz nun per Volksentscheid das Verbot von Minaretten durchsetzen, weil sie Minarette als einen politischen Machtanspruch von Muslimen versteht.

Der FPÖ, die mittlerweile in allen Landtagen und im Nationalrat Österreichs vertreten ist, kann man ganz klar die Nähe zu einem rechtsextremen Umfeld nachweisen.

Die belgische Partei Flämischer Interessen geht sogar so weit, die Antidiskriminierungsgesetze unter Rechtfertigung und Verweis auf die Meinungsfreiheit abschaffen zu wollen.

In Italien, in einem Land, das ohnehin schon für seinen rabiaten und teils menschenverachtenden Kurs gegen Flüchtlinge und Einwanderer bekannt ist, kooperiert Silvio Berlusconi mit Rechtsparteien wie der Alleanza Nazionale und der Lega Nord.

In Ungarn hat die Partei Jobbik im Jahr 2010 12,8 % der Stimmen erreicht. Diese Partei ist entstanden aus einer paramilitärischen Gruppierung, die Antiziganismus propagiert und die sich gegen den Einfluss von „jüdischem Kapital“ stellt. Aus deren Ideologie lässt sich ganz eindeutig nationalistische Rhetorik und Symbolik ableiten.

Ich erinnere an die offen betriebene Hetze gegen die rund 600.000 im Land lebenden Roma, die besonders in den Jahren 2008 und 2009 einer ganzen Serie von Angriffen mit Molotowcocktails und Schusswaffen ausgesetzt waren, und bei der sechs Menschen ums Leben kamen. Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen, wenn wir über Abschiebungen von Roma aus Deutschland nachdenken, und zwar auch dann, wenn sie nicht nach Ungarn abgeschoben werden sollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Wir haben die Fortschrittspartei in Norwegen, die Schwedendemokraten und die Dänische Volkspartei. Man könnte die Liste leider noch ewig weiterführen. All das ist besorgniserregend.

Wir sollten uns aber davor hüten, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Vielmehr müssen wir die Tatsache erkennen, dass auch in der Mitte unserer Gesellschaft rechtspopulistische Forderungen und Gedanken längst salonfähig geworden sind.

Im vergangenen Jahr hat uns Thilo Sarrazin dies schmerzlich vor Augen geführt. Er hat gezeigt, dass es in Deutschland sehr wohl einen Resonanzboden für ausgrenzende und teils menschenverachtende Einstellungen gibt. Diesen gibt es leider auch im bürgerlichen Lager. Der Schaden, den Sarrazin damit für den Prozess der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund angerichtet hat, ist in seiner Tragweite kaum zu beschreiben. Er hat es nicht nur vermocht, Menschen mit einer latent rassistischen Einstellung in ihrem Denken zu bestätigen, sondern er hat Verunsicherung bei den Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland hinterlassen, dies leider an einem Punkt, an dem wir eigentlich schon auf einem viel besseren Weg waren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns die Frage stellen, welche Schritte notwendig sind, um unser demokratisches und solidarisches Europa zu erhalten. An dieser Stelle muss ich Ihnen sagen, dass die ewige Debatte um die Frage, welches Phänomen die größte Gefahr für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt, ob dies der Islamismus, die linke Gewalt oder der Rechtsextremismus ist, uns doch kein Stück weiterführt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Die Politik muss es leisten können, all diesen Strömungen mit Entschiedenheit entgegenzutreten, die Phänomene zu analysieren und konkrete Handlungskonzepte zu entwickeln. Natürlich fällt es uns dabei sehr viel leichter, extremistische Einstellungen zu enttarnen, weil wir als Maßstab das Grundgesetz anlegen können.

Besonders schwierig wird es aber dann, wenn sich beispielsweise rechtsextremistische Einstellungen auf die Mitte zu bewegen und bestimmte Diskriminierungen nicht mehr als solche erkannt werden, weil sie häufig genug von vertrauenswürdigen Personen in die Öffentlichkeit getragen werden. Anders herum gesagt: Man muss auch fragen, welche Auswirkungen Thilo Sarrazins Gedankengänge beispielweise auf den rechten Rand haben. Derartige Äußerungen, deren undifferenzierter Charakter nur schwer zu ertragen ist, schließen nicht aus, dass es zu einer Radikalisierung am rechten Rand kommt. Das kann ich an dieser Stelle gar nicht deutlich genug betonen. Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bedingen sich also gegenseitig.

(Luise Amtsberg)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir finden es richtig, dass das Thema Rechtspopulismus in seiner europäischen Relevanz eingeordnet und auch erkannt wird. Wir dürfen dabei aber nicht dem Reflex erliegen, dass das Thema zu groß für den Landtag sei oder uns nur mittelbar betreffe. Es handelt sich um ein europäisches Phänomen, dem sich Europa geschlossen entgegenstellen muss.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Als Teil von Europa ist es wichtig, dass wir uns in einen direkten Austausch mit den Nachbarländern begeben. Mein Kollege Rasmus Andresen und ich waren deshalb in der vergangenen Woche in Norwegen. In Oslo haben wir uns mit Vertretern des Antirasisk Senter getroffen und über gesamteuropäische Strategien gegen Rechtsextremismus diskutiert.

Zudem haben wir uns mit den norwegischen Jusos getroffen, die bei den Anschlägen am 22. Juli 2011 durch die perfide Planung und dem Wahnsinn eines einzelnen Rechtsextremisten viele Freunde und Weggefährten verloren haben. Sie haben uns erzählt, dass das Thema Rechtsextremismus - auch von den Jugendorganisationen selbst - in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden sei. Die Auseinandersetzung und das vehemente Entgegenstellen gegen die Forderungen der norwegischen Fremskrittspartiet wurden nicht ausreichend fokussiert.

Wir haben uns außerdem mit Ali Esbati getroffen, der für einen norwegischen Think Tank schreibt, selbst auf der Ferieninsel Utøya war und die rechte Szene in Europa für ein neues Buchprojekt in den Blick nimmt. Er sagt, dass die Art islamophober Rhetorik mittlerweile einen gemeinsamen Nenner der rechtspopulistischen Parteien in ganz Europa darstelle. Er hält es für dringend notwendig, dass Islamophobie und einwanderungsablehnende Haltungen, in denen heutzutage Rassismus und Faschismus auftreten, zu einer transnationalen Bewegung werden, die erkannt, analysiert und der entgegentreten werden muss. Ich teile seine Einschätzung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kein Parlament der Welt kann Rechtspopulismus deklaratorisch ausschließen oder per Gesetz verbieten. Das geht selbst in einem Land wie Norwegen nicht, das zu den reichsten Ländern der Welt zählt und über ein tadelloses Sozialsystem verfügt.

Daher muss dieser Antrag in erster Linie als Mahnung verstanden werden - ich verstehe ihn zumindest so -, die sich an alle Mitglieder dieses Hauses richtet. Bei unserer täglichen Arbeit, in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern, bei Schuldiskussionen oder bei Diskussionen in unseren eigenen Reihen müssen wir uns unserer Aufgabe als Abgeordnete bewusst werden und bleiben. Außerdem müssen wir Rassismus und Extremismus, in welcher Form auch immer sie uns begegnen, entschieden entgegentreten.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, unsere Verfassung und unser Staatsverständnis beruhen auf dem bedingungslosen Zuspruch zum Schutz von Minderheiten in diesem Land. Wir dürfen nicht zulassen, dass es in Deutschland wieder möglich ist, antisemitische Äußerungen an den Tag zu legen oder mit islamophoben und diskriminierenden Einstellungen einzelne Gruppen für soziale Missstände oder politische Entscheidungen in Geiselhaft zu nehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei CDU, SPD und FDP)

Die Formel, die sich ständig an unserem Verhalten, aber auch an unserem Handeln ableiten lässt, lautet: Nie wieder.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt bei CDU, SPD, FDP, der LINKEN und SSW)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Herr Ministerpräsident hat mir eben mitgeteilt, dass sich Herr Finanzminister Rainer Wiegard so unwohl fühle, dass er unsere Sitzung verlassen und nach Hause gehen müsse. - Wir wünschen ihm gute Besserung.

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin, mit Ihrer Genehmigung möchte ich mit einem Zitat beginnen, einem Zitat einer Musikgruppe, die ich sehr schätze. Diese Gruppe heißt „Dritte Wahl“. Das Zitat lautet:

„Dummheit kann man nicht verbieten. Und doch kann man etwas dagegen tun. Was gegen Dummheit hilft ist Bildung. Gegen Verbote sind die Dummen oft immun.“

(Luise Amtsberg)

Herr Kollege Koch, ich beginne allmählich zu verstehen, warum Sie zielgerichtet versuchen, ein funktionierendes Bildungssystem in unserem Land zu zerschlagen.

(Christopher Vogt [FDP]: Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!)

- Das ist mein Ernst.

Herr Kollege Koch, auf einen groben Klotz gehört ein grober Hammer.

Herr Kollege Herbst, wenn Herr Lafontaine im Jahr 2005 gesagt hätte, der Staat sei verpflichtet zu verhindern, dass Familienväter und -Frauen arbeitslos werden, weil Arbeitskräfte aus Osteuropa zu Billiglöhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnähmen, hätten Sie dann hier auch so geschrien? Man kann sich über den Begriff aufregen. Man kann sich aber auch über die Tatsache beziehungsweise über das gesamte Zitat aufregen. Ich habe mich über das Zitat sehr aufgeregt. Ich habe eine deutliche Distanzierung gehört. Trotzdem war es falsch. Ich frage mich nur, ob die „Bild“-Zeitung aufgeschrien hätte, ob die Presse aufgeschrien hätte und auch ob Sie aufgeschrien hätten, wenn das Wort „Fremdarbeiter“ in dem Zitat nicht vorgekommen wäre.

In breiten Teilen unserer Bevölkerung in Deutschland, in Schleswig-Holstein, in Europa gibt es latente gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die am meisten verbreiteten Formen sind: Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit. Das ist traurige Realität in Europa und in Deutschland.

Ich möchte einige wenige, aber erschreckende Beispiele geben.

(Christopher Vogt [FDP]: DIE LINKE zum Beispiel!)

Laut einer Analyse der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem letzten Jahr stimmten der Aussage, dass es zu viele Zuwanderer in Deutschland gebe, 21 % der Deutschen „voll und ganz“ zu; 29 % stimmten ihr „eher“ zu. 9,5 % der Deutschen waren der Meinung, dass es eine natürliche Hierarchie zwischen schwarzen und weißen Völkern gebe; 21 % stimmen dieser Aussage „eher“ zu. Mehr als 30 % der Deutschen glauben an die Überlegenheit „der Weißen“ - und das im Jahre 2010.

Stark zugenommen hat in den letzten Jahren die Islamophobie. 23 % der Deutschen sind der Meinung, dass die muslimische Kultur „überhaupt nicht“ nach Europa passe, 60 % sind „eher“ dieser Meinung, zusammen 83 %. Wie tief die Islamopho

bie und ihre Vorurteile auch in der Mitte der Gesellschaft verankert sind, wurde nach den Anschlägen in Norwegen deutlich. Damals schrieben sogar angesehene Zeitungen wie zum Beispiel „Die Welt“ sofort und ohne zu recherchieren davon, dass Norwegen Opfer eines islamistischen Anschlages geworden sei. Auch wenn die Korrektur recht schnell kam, ist das doch ein erschreckendes Zeichen.

Im Internet nehmen Seiten und Blogs mit islamophoben Inhalten extrem stark zu. Es gibt eine wachsende Gemeinde von Bloggern, die sich in Verschwörungsfantasien und Wahnideen einer bevorstehenden Islamisierung Europas ergeht. Das Portal „Politically Incorrect“, das diese Szene in Deutschland bedient, zählt bis zu 60.000 Zugriffe am Tag und gehört damit zu den meistfrequentierten politischen Blogs hierzulande. Äußerungen à la Thilo Sarrazin gelten dort noch als moderat. Misstrauen und Vorurteile gegenüber Muslimen sind bis in die bürgerlichen Schichten allerorts und gelegentlich sogar in linken Kreisen zu hören.

Insgesamt ist festzustellen, dass im gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Deutschland die Menschenfeindlichkeit stets zunimmt, und das halte ich für sehr gefährlich.

Der Antrag der SPD benennt ein massives Problem. Ich finde es richtig, dass er hier gestellt worden ist, und ich finde es richtig, dass wir in diesem Hause dazu sprechen. Allerdings konzentriert sich der Antrag meiner Meinung nach zu sehr auf den Rechtspopulismus in europäischen Nachbarländern. Natürlich gibt es auch in Deutschland rechtspopulistische Bestrebungen.

Wieso reden wir nicht über sogenannte Parteien wie „DIE FREIHEIT“? Warum reden wir nicht über die Leute, die sich „Bürgerbewegungen“ nennen: „PRO NRW“, „PRO KÖLN“ oder „Pax Europa“? Hinter diesen Namen verbergen sich Menschen, die extrem menschenfeindliche Gesinnungen haben und die hier in Deutschland das Ziel verfolgen, in Parlamente einzuziehen. Gott bewahre!

(Zuruf der Abgeordneten Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Gerrit Koch [FDP]: Köln liegt nicht in Schleswig- Holstein!)

Wir haben in Europa jede Menge rechtspopulistische Parteien, die in den vergangenen Jahren in vielen Ländern sogar an die Macht gekommen sind. British National Party, Fortschrittspartei in Norwegen, Dänische Volkspartei, österreichische FPÖ, Jobbik in Ungarn, PVV in den Niederlanden oder

(Heinz-Werner Jezewski)