Protocol of the Session on October 6, 2011

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN - Glocke der Präsidentin - Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wollen Sie das mal nachlesen? - Wei- tere Zurufe)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Gerrit Koch.

Ich lebe in Lübeck, aber ich glaube, das hat mit dem Thema nichts zu tun.

Rechtspopulismus setze dabei auch auf Ängste gegen gesellschaftliche Modernisierungsprozesse. Wenn grüne Politiker noch vor einigen Jahren vor den Gefahren von ISDN und Bildschirmtext gewarnt haben, dann frage ich: Haben sie da nicht auch auf die Ängste der Menschen vor Veränderungen gesetzt?

Meine Damen und Herren, ich will nichts verniedlichen, aber die Überspitzung zeigt, dass die von der SPD angebotenen Definitionen nicht geeignet sind, den Begriff eindeutig zu fassen. Die im Antrag genannten Beispiele, die Rechtspopulismus in Europa belegen sollen, sind ebenso wenig eindeutig. Ich nenne hier das Beispiel der Einschränkung der Pressefreiheit in Ungarn. Wir haben dazu gerade etwas gehört. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen die Pressefreiheit dort noch stärker eingeschränkt wurde, und zwar nicht durch Rechtspopulisten, sondern durch Kommunisten. Ich verur

(Niclas Herbst)

teile jede Art, die Pressefreiheit einzuschränken; egal ob dies von Links oder von Rechts ausgeht.

(Beifall bei FDP und CDU)

Gerade in Wahlkampfzeiten sind viele Politiker verlockt, in Populismus zu verfallen. Beispiele dafür finden sich vermutlich in jeder Partei. Gerade die SPD ist hier ein gebranntes Kind.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ich habe gesagt: In jeder Partei. Hören Sie doch einmal zu!

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eben haben Sie „gerade“ gesagt! - Weitere Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Die kommt auch noch, die nenne ich sogar gleich noch. Passen Sie auf, was gleich kommt.

Thilo Sarrazin hat mit seinen verwirrten Theorien von einem Deutschland, das sich -

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole es: Das Wort hat Herr Abgeordneter Koch. Das gilt auch für den Kollegen Andresen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Beifall bei der FDP)

Die Kolleginnen und Kollegen sind immer so ungeduldig. Ich sage aber auch noch etwas zur FDP, keine Angst. - Thilo Sarrazin hat mit seinen verwirrten Theorien von einem Deutschland, das sich abschaffen würde, sicherlich viele Millionen € an Tantiemen verdient, die ehemals große Volkspartei SPD aber in eine sehr unbequeme Situation gebracht. Kaum war das Pamphlet auf dem Markt, forderte der Bundesvorsitzende Gabriel Sarrazins Parteiausschluss. Wir alle kennen den Ausgang des Verfahrens. Sarrazin hat sich entschuldigt, aber nur für den Fall, dass jemand meint, Sarrazin müsse sich bei ihm entschuldigen. Ansonsten sei alles nicht so gemeint und schon gar nicht so schlimm gewesen. So ein bisschen Migrantendiffamierung werde doch keiner übelnehmen. Soll der Entschließungsantrag vielleicht dazu dienen, das eigene Gewissen mit Blick auf das Versagen der Bundesparteiführung zu beruhigen? - Es macht fast den Eindruck.

(Zurufe von der SPD)

- Ich höre zu. Es ist wirklich nicht schön, den eigenen Genossen auf Plakaten der NPD zu sehen.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Stegner, ich nehme aber zur Kenntnis, dass Sie gerade eben bedauerten, dass Herr Sarrazin noch Mitglied der SPD ist. Das habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ich habe auch auf die Bundesparteiführung fokussiert.

Eben kam wieder der sehr schlaue Einwurf, gerade die FDP - jetzt kommen wir dran - habe sich im Berliner Wahlkampf am rechten Rand versucht, als die dortigen Parteifreunde kritische Worte zur Finanzkrise und zu Deutschlands Stellung innerhalb Europas fanden. Man hat die FDP dafür vielleicht nicht gewählt, aber mittlerweile äußern sich immer mehr Vertreter aller populistischen Richtungen - Oh, Entschuldigung.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mittlerweile äußern sich immer mehr Vertreter aller politischen Richtungen kritisch. Ist das nun rechtspopulistisch? - Nein.

(Werner Kalinka [CDU]: Sag doch, was du denkst!)

Nicht jeder, der über die Stärkung des europäischen Gedankens spricht, ist gleich rechtspopulistisch. Völlig absurd wird der Vorwurf an die FDP aber auch deshalb, weil meine Partei im Bundestag gemeinsam mit CDU und SPD für den Rettungsschirm für Griechenland gestimmt hat, die LINKEN aber dagegen. Sind also nicht eher die LINKEN rechtspopulistisch?

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie hören hoffentlich meine Ironie heraus.

Auch dieses Beispiel zeigt: Man kann Rechtspopulismus nicht so einfach fassen, wie es die SPD gern hätte. Weil das aber nicht gelingen mag, wird sich an eine Verurteilung von Linkspopulismus gar nicht erst herangewagt, wobei es mindestens ebenso interessant sein dürfte zu untersuchen, wie der Linkspopulismus Eingang in den politischen Diskurs gefunden hat. Darüber gibt es ganze Bücher.

Nun können wir uns in diesem Haus sicherlich fraktionsübergreifend darauf einigen, dass allen rechtsextremen Bestrebungen eine klare Absage zu erteilen ist. Das will der Antrag von CDU und FDP auch bewirken. Vom beschaulichen Schleswig-Holstein aus nun aber den Kampf gegen den

(Gerrit Koch)

globalen Rechtspopulismus aufnehmen zu wollen, halte ich für etwas vermessen. Wir alle sind gewählt, um Schleswig-Holstein voranzubringen, nicht um die Welt zu retten. Ich bin auch kein Freund davon, immer großartig kundzutun, was man nicht will. Liebe SPD, wie will man bei Ihnen dem Rechtspopulismus, wenn er denn dingfest gemacht worden ist, nun wirklich entgegentreten? Mit einer Resolution im Landtag ist das Problem nicht wirklich gelöst.

(Beifall bei FDP und CDU - Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Davon lässt sich der internationale Rechtspopulismus wohl kaum beeindrucken. Sie ahnen vielleicht schon, dass die FDP-Fraktion dem Entschließungsantrag nicht zustimmen kann. Der Antrag ist nämlich selbst in weiten Teilen populistisch. Er soll suggerieren, dass sich irgendwelche nicht näher bezeichneten Bevölkerungsgruppen entsolidarisiert hätten. Ohne irgendeine Grundlage wird wahrheitswidrig behauptet, die Landesregierung habe ihr Handeln nicht darauf ausgerichtet, die Lebensgrundlage aller Bevölkerungsgruppen zu erhalten und zu verbessern. Wenn das nicht ein Spiel mit den Ängsten unserer Mitmenschen ist, was dann?

(Beifall bei FDP und CDU)

Das ist natürlich nicht rechtspopulistisch, aber es ist doch etwas populistisch.

Ich werbe um Unterstützung für den Änderungsantrag von CDU und FDP, den wir gern in den Ausschüssen beraten können, der noch einmal die gemeinsame Grundhaltung dieses Hauses herausstellt und der sich klar gegen jede Form von Extremismus wendet. Außerdem würde ich es begrüßen, wenn auch die SPD die verbleibende Legislaturperiode darauf verwenden würde, sich genau wie CDU und FDP mit den wirklichen Problemen unseres Landes zu befassen.

(Zurufe von der SPD)

Meine restliche Redezeit stelle ich dafür gern zur Verfügung.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Zwischenrufe.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich der Frau Abgeordneten Luise Amtsberg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde mir große Mühe geben, mich an mein Redemanuskript zu halten, auch wenn mir das sehr schwerfallen wird, vor allen Dingen nach dem Wortbeitrag des Kollegen Koch.

Auch wenn Rechtspopulismus in Europa national und regional sehr viele Unterschiede aufweist, finden wir in den europäischen Ländern viele Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Strategie und des Inhalts. Zudem können wir mit Blick auf die verschiedenen europäischen Staaten - dabei teile ich nicht die Aussage des Kollegen der CDU-Fraktion - die Trennlinie zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus nur schwer ziehen. Sie ist nicht so leicht zu ziehen, wie Sie es dargestellt haben. Häufig sind die Übergänge fließend. Ganz sicher aber bedingen die beiden Strömungen aneinander.

Vielleicht sollte man bei Rechtspopulismus eher von einer Strategie sprechen, von einer Strategie, bei der die großen Vereinfacher komplexer Probleme ihre große Stunde haben, wenn innerstaatliche oder gesamteuropäische Krisen Einzug in das politische Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger halten, von einer Strategie, in der Rechtspopulisten versuchen, dem Volk nach dem Mund zu reden, Themen unterkomplex darzustellen, Ängste zu schüren und das Ganze in einer Art gerechtfertigten Nationalismus münden zu lassen.

In den Niederlanden hat auf diesem Wege die Liste Pim Fortuyn im Jahr 2002 auf Anhieb 17 % der Stimmen eingefahren. Im Jahr 2010 hat die rechtspopulistische Partei für die Freiheit unter Geert Wilders 15,5 % der Stimmen erreicht. In ihrem Programm fordert sie: keinen neuen EU-Beitritt, im Falle des Eintritts der Türkei den Austritt der Niederlande, Austritt aus dem Schengener Abkommen, Abschaffung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission, einen 5-jährigen Einwanderungsstopp für Muslime, keine medizinische Versorgung von illegalen Einwanderern, vaterländische Geschichte als Pflichtfach in allen Schulen sowie eine ethnische Registrierung. Damit möchte ich nur einmal einen Geschmack davon vermitteln, wohin die Reise gehen kann.

In Frankreich fordert die Front National unter Jean-Marie Le Pen die Rückführung von 3 Millionen Nichteuropäern aus Frankreich, die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe, das Verbieten von abnormaler Kunst, wie sie es nennen, und die Besserstellung französischer Staatsbürger bei Sozialleistungen,

(Gerrit Koch)

dies alles unter dem Konzept der „préférence nationale“, also den festen Glauben daran, dass die französische Urbevölkerung bevorzugt werden muss.

Die Schweizerische Volkspartei konnte nach Jahren der Hetze gegen Muslime in der Schweiz nun per Volksentscheid das Verbot von Minaretten durchsetzen, weil sie Minarette als einen politischen Machtanspruch von Muslimen versteht.