Aus den genannten Gründen werden wir die Einrichtung der Berufsordnung zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen.
Bevor wie mit den Reden fortfahren, möchte ich mit Ihnen gemeinsam Mitglieder des Diakonischen Werks aus Plön und Bad Segeberg mit Asylbewerberinnen auf der Tribüne begrüßen. Sie sind auf Einladung der Kollegin Luise Amtsberg hier. Herzlich willkommen im Kieler Landeshaus!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich darüber, dass ich in vielen Dingen mit Frau Sassen einer Meinung bin. An der Frage der Berufsordnung scheiden wir uns leider. Frau Sassen hat die Zahlen noch einmal deutlich gemacht. Ich erspare Sie Ihnen jetzt, ich will Sie damit nicht langweilen oder belästigen. Wir haben sie schon oft genug genannt. Eigentlich sollte die Programmatik mittlerweile bei allen angekommen sein. Allerdings kann ich mir hier nicht so ganz sicher sein, wenn ich mir die Tatenlosigkeit der Regierung an dieser Stelle ansehe.
Auch die regierungstragenden Fraktionen lehnen eher alle Anträge ab, die eine Verbesserung der Pflegesituation zum Ziel haben und hier eingebracht wurden. Sie lehnen sie kategorisch ab; so auch den Antrag zur Berufsordnung.
Wir haben eine Anhörung durchgeführt. Ich habe die Ergebnisse anders gelesen, als Sie sie scheinbar gelesen haben, Frau Sassen. Die Bewertungen waren eigentlich durchweg positiv. Es gab sehr wenige Fragezeichen an dieser Stelle. Uns geht es natürlich nicht darum, die Pflege mit noch mehr Kontrollinstanzen und Bürokratie zu belasten; ganz und gar nicht. Wir wollen an dieser Stelle reduzieren, aber die entsprechenden Anträge haben Sie auch gerade erst abgelehnt.
Uns geht es darum, den Pflegeberuf aufzuwerten. Akademische Heilberufe haben in aller Selbstverständlichkeit seit Jahrzehnten erlassene Berufsordnungen. Die Fachverbände der Pflegeberufe erhoffen sich durch eine Berufsordnung, dass die Qualität der beruflichen Tätigkeit und damit auch die Qualität der Pflege gefördert werden und dass ethische Standards festgelegt werden und helfen, die Sicherheit für die Patienten zu erhöhen.
Eine Berufsordnung in Schleswig-Holstein fördert ergänzend die Vernetzung und Adaption der Pflegeprofession an den europäischen Standard. Nach einer europäischen Richtlinie über die Anerkennung von Berufsqualifikationen besteht für die Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger ebenso wie für Hebammen eine Fortbildungspflicht. Diese Fortbildungspflicht und deren Nachweis gilt es jetzt umzusetzen. Auch wir müssen ihr nachkommen.
Eine Berufsordnung wird unter den Fachleuten als ein geeignetes Instrument gesehen, um den Anforderungen dieser EU-Richtlinie nachzukommen.
Die Anforderungen an die Berufsangehörigen der Pflegeberufe werden insbesondere aufgrund der demografischen Entwicklung sowie der medizinischen und pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse immer größer. Eine Berufsordnung ist daher auch ein geeignetes Instrument zur deutlichen Aufwertung und gesellschaftlichen Anerkennung in der Pflege. Ein Faktor der Unzufriedenheit im Beruf der Pflegenden ist nämlich auch die mangelnde Anerkennung durch die Gesellschaft. Dabei meine ich natürlich nicht das freundliche Danke von Patienten oder Angehörigen nach einer abgeschlossenen Behandlung, sondern hier geht es um die Anerkennung des Pflegeberufs auf Augenhöhe mit anderen Heilberufen. Daher kann die Berufsordnung ein Baustein - ich betone: ein Baustein - zur Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs sein, allerdings nur einer von vielen, die noch bewegt werden müssen.
Pflege braucht auch Solidarität. Nett, dass Frau Klahn bei der letzten Diskussion über Pflege nach einem vierwöchigem bedauernswerten Aufenthalt in einer Klinik meint, ein besseres Verständnis für die Pflegesituation zu haben als das Personal selbst, aber trotzdem dann gegen jegliche Verbesserungsvorschläge stimmt. Frau Sassen hat es zwar verstanden, beschränkt sich dann aber doch leider auf das, was der Minister an dieser Stelle gern möchte.
Merkwürdig ist an dieser Stelle auch die Arbeitsweise der Grünen, die unseren Antrag zwar erst mit unterstützt haben, aber jetzt, nachdem die durchweg positiven Stellungnahmen der Fachleute auf dem Tisch liegen, in einer öffentlichen Veranstaltung fragen wollen, ob wir überhaupt Berufsordnung oder Pflegekammer brauchen. Das finde ich auch merkwürdig. Da macht man sich doch vorher ein bisschen schlau.
Ich muss gestehen, ich war aber fassungslos, dass sich Minister Dr. Garg vor dem demonstrierenden Krankenhauspersonal hier am 26. August 2011 hinstellt und ihnen vorschlägt, sie sollten lieber in München demonstrieren als hier. Kein Wort des Verständnisses für ihre schwierige Arbeitssituation, und vor allen Dingen keine Entscheidungen, die ihren schwierigen Beruf attraktiver machen könnten. Was haben Sie doch getönt, was Sie alles für die Pflege machen wollten. Das war Ihr selbsternannter Arbeitsschwerpunkt. Aber erst jetzt, nachdem Sie zweieinhalb Jahre tatenlos waren, und so kurz vor der Wahl rufen Sie, Herr Minister Garg, einen Beirat ein, der pünktlich zur Wahl Ergebnisse für die Sicherstellung der Gesundheits- und Pflegeversorgung in Schleswig-Holstein vorlegen soll, frei nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ’ ich einen Arbeitskreis.
Ich finde es immer gut, Fachleute sektoren- und parteiübergreifend an einen Tisch zu holen. Ich bedanke mich selbstverständlich schon einmal im Voraus bei allen, die daran mitwirken werden: Apotheker, Ärzte, Zahnärzte und deren Kammern, private Einrichtungen und ihre Interessenvertreter, Krankenkassen, alle die sind in dem erlauchten Kreis, aber die Pflegefachkräfte sind im Verhältnis wieder nur minimal beteiligt. Das ist Ihre Art und Weise der Wertschätzung.
Ja. - Das ist eine so durchsichtige Wahltaktik, das ist das Letzte, das Allerletzte, was die Pflege an dieser Stelle gebrauchen kann. Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche, fraktionsübergreifende Aufgabe zu erledigen und keine Veräppelung. Herr Minister, Sie haben im letzten Sozialausschuss gesagt, für Berufsordnung und Pflegekammer sei es viel zu früh. Ich sage Ihnen: Es ist schon viel zu spät!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Das Thema Pflege steht in unserer älter werdenden Gesellschaft im Fokus der öffentlichen Diskussion und damit natürlich auch die Frage nach fachlichen und persönlichen Anforderungen an die Pflegenden. Da die Opposition eine erneute Aussprache nach den schon erfolgten in den Ausschüssen und dem letzten Plenum zu dem Thema Berufsordnung wünscht, sehe ich darin gern noch einmal die Aufforderung, dass wir unsere Pflegepolitik erneut darstellen. Sie werfen uns Tatenlosigkeit vor, also bedarf es offensichtlich weiterer Erklärungen.
Die Regierungskoalition hat im Internet eine Informationsplattform „Wege zur Pflege“ initialisiert, die als Wegweiser und Entscheidungshilfe dienen soll. Die Regierungskoalition reformiert die Altenpflegehilfeausbildung so, dass der Seiteneinstieg erleichtert wird und Berufserfahrene schneller die Ausbildung abschließen können. Die Regierungskoalition hat trotz der notwendigen Konsolidierung die Anzahl der staatlich geförderten Ausbildungsplätze erhöht, um dem Fachkräftemangel in diesem Bereich zu begegnen. Die Regierungskoalition wird die Durchführungsverordnung sowie die Prüfrichtlinien zum Selbstbestimmungsstärkungsgesetz erlassen, welche zentrale Aspekte im Pflegebereich regeln und wesentliche Verbesserungen für Pflegende und zu Pflegende bringen werden. Dank Minister Dr. Garg ist die Pflegepolitik ein klarer Schwerpunkt der Landesregierung und der Regierungskoalition.
Meine Damen und Herren, was möchte die SPD denn mit der erneuten Aussprache erreichen? Soll der Antrag, dreizeilig, relativ dürr, inhaltlich überhaupt nicht ausgereift, zur Einführung einer Berufsordnung für Pflegeberufe suggerieren, dass Sie allein die entscheidende Stellschraube gefunden haben? Wenn wir uns mal genauer in die Anhörun
gen vertiefen - jeder liest sie sicherlich richtig, aber interpretiert sie anders; da gebe ich Ihnen recht, Frau Pauls -, so haben aus meiner Sicht die kommunalen Landesverbände in der Anhörung ganz deutlich formuliert, dass sie Verbesserungen im Pflegebereich durch eine Berufsordnung nicht sehen. Ich zitiere gern mit Erlaubnis aus dem Forum Pflegegesellschaft:
„Die bisher vorgelegten Berufsordnungen anderer Bundesländer erfüllen die skizzierten Anforderungen nur bedingt und tragen zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu einer tatsächlichen Weiterentwicklung der Pflege bei. Auch die in den Jahren 2007 und 2008 in Schleswig-Holstein geführten Gespräche und die im Anschluss daran vorgelegten Berufsordnungsentwürfe sind überholt und spiegeln nicht den heute aktuellen Stand der Diskussion wider. Dies umso mehr vor dem Hintergrund einer geplanten Neuorientierung der Pflegeausbildung auf Bundesebene.“
Diese Aussage bestätigt uns Liberale. Eine Berufsordnung trägt nicht zur Weiterentwicklung der Pflege bei. Wenn man sich im Übrigen fragt, wer hinter dem Forum Pflegegesellschaft steht, so beantworte ich Ihnen das auch gern. Es sind die für die Pflege nicht ganz unwichtigen Verbände: der Bundesverband privater Anbieter, die Caritas, der Paritätische Wohlfahrtsverband, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie, der kommunale Pflegeverband sowie die Arbeiterwohlfahrt. Eine Frage, Herr Baasch: Sind Sie nicht stellvertretender Landesvorsitzender? Wie diskutieren Sie denn in Ihrer Fraktion mit der Kollegin Birte Pauls? Sie müssten doch eigentlich jetzt in einem Gewissenskonflikt sein.
Meine Damen und Herren, ich greife in aller Kürze gern noch einmal die Kritikpunkte an einer Berufsordnung auf, die ich schon genannt habe und die durch die Anhörung bestätigt wurden: Die Berufsordnung schafft unnötige Bürokratie ohne Nutzen. Eine Berufsordnung bürdet den Pflegenden die individuelle Verantwortung für alle Mängel auf, die im System bislang bestehen. Auch braucht es keine Berufsordnung, um die Fortbildungsverpflichtung zu sichern. Das steht im Pflegegesetzbuch und im Selbstbestimmungsstärkungsgesetz.
Im Übrigen konnte die SPD bisher auch die Frage nicht beantworten, warum der Staat eine Berufsordnung erlassen soll. Warum können sich die bestehenden Berufsverbände nicht selbst eine Berufsordnung geben? Und warum reichen nicht auch die
ethischen Grundsätze, die sich zum Beispiel der Deutsche Pflegerat gegeben hat? - Bislang haben Sie keine Antwort geliefert.
Aus unserer Sicht enthält dieser Antrag ein grundsätzliches Misstrauen in die derzeitige Qualität des Pflegepersonals, und es fehlt die Anerkennung ihrer Arbeit. Ich finde, das haben diese Menschen wirklich nicht verdient.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gehört, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen bis 2020 um knapp 30 % steigen wird. Das sind Zahlen, mit denen sich überwiegend Sozialpolitikerinnen beschäftigen. Es ist aber höchste Eisenbahn, dass sich auch Finanz- und Wirtschaftspolitikerinnen mit diesen Zahlen auseinandersetzen; denn da rollt eine Entwicklung auf uns zu, auf die wir uns jetzt schon einstellen müssen. Das muss in die Köpfe aller Verantwortung tragenden Akteure rein. Sonst gibt es morgen eine böse Überraschung.
Die Pflege wünscht sich mehr politische Aufmerksamkeit. Das halten wir Grünen für richtig. Und die Pflege wünscht sich eine bessere Vertretung ihrer Interessen. Auch das halten wir Grünen für richtig. Deswegen begrüßen wir die Initiative zur Berufsordnung. Sie ist wichtig und richtig.
Sie allein wird jedoch nicht ausreichen. Wir müssen an vielen Stellen nachbessern. Da ist eine Berufsordnung nur ein Mosaikstein.
Auch bei der Anzahl der Ausbildungsplätze muss nachgebessert werden. Nun loben wir unseren Sozialminister ja nur selten. Die Zahl der vom Land geförderten Ausbildungsplätze ist trotz der angespannten Haushaltslage erhöht worden. Das war eine gute Entscheidung, die wir Grünen ausdrücklich begrüßen.