Ein Grund zur Freude? - Nein. Denn die rechtsextremistische Szene in Schleswig-Holstein befindet sich im Wandel. Feste Strukturen von sogenannten Kameradschaften oder Bindungen von Skinheads beziehungsweise Neonazis an die NPD werden durch rechtsautonome Aktionsgruppen ersetzt, die zahlenmäßig zwar schwächer, dafür aber radikaler und gewaltbereiter auftraten. Hinzu kommen gewaltbereite Einzelpersonen, die aktionistisch ausgerichtet sind und mit ihrer Gefolgschaft provozierend bis aggressiv in Erscheinung treten, beispielsweise diverse Mitglieder selbst ernannter Aktionsgruppen, die zuletzt bei der Kundgebung zum 1. Mai in Husum ein Feld der Verwüstung und Schrecken hinterlassen haben.
Den größten Zulauf erhalten die sogenannten Aktionsgruppen aus der Altersgruppe der 16- bis 25Jährigen. Daher ist es zwingend notwendig, die präventiven Angebote für junge Menschen nicht abzubauen, sondern weiterhin zu fördern.
Jeder Zentimeter, den wir im öffentlichen Raum der Jugendsozialarbeit räumen, ist eine Einladung an politische und religiöse Extremisten jeglicher Couleur, diese Lücke auszufüllen. Und sie nutzen ihre Chance. Daher ist es zwingend notwendig, die Jugendtreffs, die Mädchentreffs, aber auch die Schulsozialarbeit auch im ländlichen Raum zu unterstützen und nicht weiter abzubauen.
Die vitale Zivilgesellschaft des Landes stellt dem Rechtsextremismus selbst eine Menge entgegen. Daher konnte es Extremisten bislang nirgendwo gelingen, Dominanz auszuüben. Allen Organisationen, die sich gegen rechte Gewalt und Rechtsextremismus einsetzen, möchte ich auch im Namen meiner Fraktion sehr herzlich dafür danken, dass sie Tag für Tag Zivilcourage zeigen.
Auch der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus gilt unser Dank. Seit Ende 2009 gibt es diese kompetente Beratungsstelle, an deren Team sich Bürgerinnen und Bürger, aber auch Institutionen direkt wenden können, wenn sie sich aufgrund rechtsextremer, fremdenfeindlicher oder antisemitischer Vorfälle bedroht fühlen.
Welt und die Sichtweise der Menschen auf den Islam verändert. Der Islamismus ist zu einer ernst zu nehmenden Gefahr auch für uns in Deutschland geworden. Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2010 machen die derzeitige Bedrohung durch den islamischen Terrorismus auch in unserem Land deutlich.
Seinen Ursprung hat der Islamismus in einer extremistischen Auslegung des Islams, die von der großen Mehrheit der Moslems abgelehnt wird. Dies erkennt auch der Verfassungsschutz, wenn er in dem Bericht formuliert - ich möchte mit Ihrer Erlaubnis zitieren, Herr Präsident -:
„Islamismus als Form des politischen Extremismus ist zunächst klar von der Religion des Islam selbst zu unterscheiden. Der Islam sowie die gläubigen Muslime und ihre Religionsausübung stehen in keiner Weise im Fokus der Beobachtung und sind für den Verfassungsschutz auch nicht relevant.“
Wie sieht jedoch die Realität aus? - Die Realität in der Politik und in der Bevölkerung sieht anders aus. Man darf heute von „kleinen Kopftuchmädchen“ sprechen; stärker als bislang wird die Integrationsdebatte auf den Islam reduziert. So ist es kein Zufall, dass islamfeindliche Einstellungen deutlich zugenommen haben. 58,4 % der Befragten waren der Meinung, die Religionsausübung für Muslime solle erheblich eingeschränkt werden. Ich finde das bedenklich; denn Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Genau das ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen, was uns Demokraten von den Extremisten unterscheidet: die Wahrung der Grundrechte der Menschen.
Meine Fraktion und ich treten für eine sehr kritische Auseinandersetzung mit dem Thema des religiösen Extremismus und ethnischer Parallelgesellschaften ein. Die Freiheiten des Grundgesetzes und unserer Gesellschaft dürfen auch nicht dazu missbraucht werden, unter ihrem Schutz Intoleranz, Selbstjustiz, Gewalt gegen Frauen und ein mittelalterliches Gesellschaftsmodell anzuwenden oder zu predigen. Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit gelten für alle, aber verpflichten auch alle.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch die FDP-Fraktion dankt natürlich Herrn Horst Eger für seine geleistete Arbeit und dem Innenminister für den vorgelegten Verfassungsschutzbericht 2010. Dass wir ihn heute debattieren, ist übrigens terminlich passend. Denn genau vor 163 Jahren, am 15. September 1848, hat Schleswig-Holstein Verfassungsgeschichte geschrieben und sich mit dem Staatsgrundgesetz die damals fortschrittlichste Verfassung gegeben. Dies aber nur als Randnote.
Die Mitgliederzahlen der Parteien und Gruppierungen sind überwiegend rückläufig, die Rechtsextremisten sind schlecht organisiert, Aktivisten werden nicht langfristig gebunden, Veranstaltungen werden kaum besucht, und man streitet sich untereinander. Glücklicherweise sind auch die Straftaten, insbesondere Gewalttaten, mit rechtsextremistischem Hintergrund zahlenmäßig zurückgegangen. Dies ist aus der Sicht eines jeden Demokraten sicherlich eine positive Entwicklung, ist aber nicht beruhigend. Hierzu haben meine Vorredner schon etwas gesagt.
(Beifall der Abgeordneten Marlies Fritzen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Thorsten Fürter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es lässt uns zum Beispiel keine Ruhe, dass alljährlich ein kleiner Tross brauner Menschenfänger durch Lübeck zieht und die Opfer des Bombenangriffs für ihre Zwecke instrumentalisiert.
Es kann uns auch keine Ruhe lassen, dass NPDMänner in der Kieler Ratsversammlung und im Lauenburger Kreistag sitzen, und wir können und werden es nicht zulassen, dass die Rechtsextremisten versuchen, mit ihren ewig gestrigen Gedanken junge Menschen in ihren Bann zu ziehen.
Genau hierzu zeigt der Verfassungsschutzbericht eine bedenkliche Tendenz auf. So organisiert im Kreis Pinneberg die Jugend Pinneberg recht erfolgreich auf den ersten Blick relativ harmlos anmutende Freizeit-Events wie Wanderungen und Konzerte. Junge Menschen werden mehr oder weniger offensiv an rechtsextremistisches Gedankengut herangeführt, auch über auffällig gestaltete Internetseiten und Musik. Wir dürfen unsere Jugend diesen Menschen nicht überlassen.
Sind die Zahlen im rechtsextremistischen Bereich generell rückläufig, so sieht es im linksextremistischen Bereich leider nicht danach aus. Hier stagnieren die Mitglieder- und Aktivistenzahlen auf höherem Niveau, und es finden mehr Gewalttaten als im rechtsextremistischen Bereich statt. Regelmäßig kommt es bei Aktionen und Demonstrationen zu gewalttätigen Ausschreitungen. Wie im rechtsextremistischen Spektrum ist man sich darin einig, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu stürzen. Willkür, Diktatur und Gewalt sollen die Grundlage für eine neue Grundordnung bilden.
Erschreckend ist für mich, immer wieder feststellen zu müssen, welche Akzeptanz linksextremistische Organisationen und deren Gedankengut in bestimmten Kreisen findet. Zum Beispiel tun sich alljährlich demokratische Organisationen in Lübeck mit Verfassungsfeinden zusammen, um gemeinsam gegen die Nazi-Demo auf die Straße zu gehen.
(Antje Jansen [DIE LINKE]: Das ist aber ein bisschen einfach! - Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selbst nicht!)
- Es geht ja noch weiter. Ich glaube nicht, dass diese Demokraten die Ansicht teilen, dass - ich zitiere - „die heutige Gesellschaft revolutionär verändert werden“ müsse. Dennoch unterzeichnen einige davon - nicht alle demokratischen Organisationen mehr oder weniger naiv gemeinsame Aufrufe, zum Beispiel mit Avanti oder der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend. Ich würde mir wünschen, dass man nicht aus falsch verstandener Solidarität gemeinsame Sache mit solchen Gruppen macht.
(Beifall bei FDP und CDU - Zuruf des Abge- ordneten Wolfgang Baasch [SPD] - Weitere Zurufe von der SPD)
- Herr Kollege Baasch, ich kann Ihnen die Aufrufe zeigen, die alljährlich in den „Lübecker Nachrichten“ erscheinen. In diesen gemeinsamen Aufrufen stehen leider Namen von Organisationen, von denen ich es nicht erwartet hätte.
(Beifall bei FDP und CDU - Wolfgang Baasch [SPD]: Das ist eine Form von Denun- zierung, die nicht in Ordnung ist! - Glocke des Präsidenten)
- Nein, Sie denunzieren sich selber. Sie stehen ja drin. - Meine Damen und Herren, so wie keiner von uns auf die Idee kommen würde, mit der NPD für den Weltfrieden zu demonstrieren, sollten wir uns alle auch vehement gegen linke Verfassungsfeinde abgrenzen.
Es gibt keine „gute“ und „schlechte“ Gewalt. Es gibt keine „guten“ und „schlechten“ Extremisten. Wer unseren freiheitlichen Staat beseitigen will, ist für die FDP in keiner Form akzeptabel. Wir dürfen Extremisten nicht hoffähig machen.
Sehr geehrter Herr Kollege Koch, wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es vor diesen Veranstaltungen in Lübeck zwar regelmäßig Hinweise auf eine Demonstration gegen die Nazis gibt, dass sich aber gerade diejenigen, die dort reden - das sind Kirchenvertreter, das sind Sozialdemokraten -, immer ganz deutlich von denen distanzieren, die mit Gewalt dort demonstrieren, und dass es hauptsächlich darum geht zu verhindern, dass Nazis aufmarschieren können?
wir auch die Aufrufe so. Sie sollten es bitte nicht so darstellen, als ob man hier gemeinsame Sache mit den Extremisten macht. Das ist nicht der Fall. Das wissen Sie.