Ich erteile dem Berichterstatter des Sozialausschusses, Herrn Abgeordneten Christopher Vogt, das Wort. - Der ist nicht anwesend. Dann erteile ich dem stellvertretenden Vorsitzenden das Wort. - Der ist auch nicht hier. Dann bin ich vielleicht richtig davor, wenn ich das Gefühl habe, dass die beiden Vorsitzenden auf die Vorlage verweisen würden?
- Dann danke für die „Berichterstattung“, und wir kommen zur Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion erteile ich der Frau Abgeordneten Ursula Sassen.
- Das Wort hat die CDU-Fraktion. Der Wissenschaftliche Dienst hat uns das so mitgeteilt. Die SPD-Fraktion kommt gleich danach dran.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte der SPD auch gern den Vortritt gelassen.
CDU und FDP haben in der letzten Sozialausschusssitzung den Antrag der SPD zur Fortschreibung des Psychiatrieplans abgelehnt. Wir hätten uns dazu eine Diskussion gewünscht, aber es ist sehr merkwürdig gelaufen, es wurde plötzlich abgestimmt, und damit war das schneller erledigt als wir dachten. Das Ergebnis der Anhörung hat uns nicht davon überzeugt, dass es zur Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Menschen unbedingt einer Fortschreibung des Psychiatrieplanes unter Berücksichtigung der 22 Schwerpunkte im SPD-Antrag bedarf.
Es gibt Bereiche, die der Nachbesserung bedürfen, dies kann nach unserer Auffassung aber auch ohne Fortschreibung des Psychiatrieplanes und weiterer verbindlicher Vorgaben geschehen. Gerade der Bereich der Psychiatrie lässt sich wegen seiner Vielschichtigkeit nicht in standardisierte Vorgaben pressen. Mit der schriftlichen Anhörung haben wir das Signal gesetzt: Die Politik nimmt sich dieses Themas an. In den Stellungnahmen kamen viele Anregungen, die wir gern aufgreifen werden. Daher ist die Anhörung auch nicht ins Leere gelaufen.
Die Zahl der Menschen, die nach einem psychotherapeutischen Behandlungsplatz suchen, nimmt ständig zu. Es ist nicht ungewöhnlich, dass psychisch kranke Menschen bei mehreren niedergelassenen Psychotherapeuten nachfragen müssen und zunächst nur auf eine Warteliste kommen. Auch in angeblich gut versorgten Städten warten die Patienten manchmal wochenlang auf ein erstes Gespräch.
Psychische Erkrankungen sind auch ein großes arbeitsmarktpolitisches Problem. Seit 1990 hat sich die Anzahl der Krankschreibungen von Arbeitnehmern aufgrund psychischer Erkrankungen nahezu verdoppelt. Depressionen sind die häufigste psychische Erkrankung in Deutschland und führen zu 30 bis cirka 50 Fehltagen pro Jahr. Fazit: Es besteht Handlungsbedarf.
chotherapeutischen Praxen ein großes Gefälle zwischen Stadt und Land auf. Die Chance, einen Psychotherapieplatz zu erhalten, ist im ländlichen Raum neunmal geringer als im städtischen Raum.
Die von CDU und FDP unterstützte kleinteiligere Bedarfsplanung für Haus- und Fachärzte über Sektorengrenzen hinweg muss es auch für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie geben. Wir begrüßen, dass es in einigen Regionen bedarfsorientierte Angebote gibt. Hier ist besonders das Papier ,,Regionale Verantwortung als Basis für ein zukunftsfähiges Entgeltsystem für die Psychiatrie und Psychotherapie“ von Professor Dr. Arno Deister u.a., Klinikum Itzehoe, zu nennen, das vor allem die Notwendigkeit der Vernetzung der Psychiatrie und der Überwindung sektoraler Grenzen verweist.
Wir haben in Schleswig-Holstein viel erreicht. Es war und ist richtig, die Verantwortung in der Region zu belassen. Nur so ist es möglich, die regionsspezifischen Bedürfnisse ausreichend zu berücksichtigen. In den letzten Jahren haben zwischen den Krankenkassen und den Kliniken vereinbarte Modellprojekte gezeigt, dass durch ein regionales Budget für klinische, psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung Steuerungsanreize gesetzt werden, die zu einer Verlagerung von stationärer zu ambulanter Behandlung durch Kliniken führen.
Um den psychisch Erkrankten die jeweils bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen, sind hohe Hürden zu nehmen. Die Schnittstellen zwischen der Versorgung im Krankenhaus beziehungsweise durch das Krankenhaus und der Versorgung im ambulanten Bereich zu überwinden, kostet Zeit, bürokratische Anstrengungen und somit auch Geld. Das führt häufig dazu, dass trotz medizinischer Notwendigkeit nicht die dem Patienten angemessene Behandlungsform zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung steht.
Bezüglich der Wartezeiten für ein Beratungsgespräch gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Die Landesregierung kann darauf keinen Einfluss nehmen. Gut zwei Drittel der Psychotherapeuten in Schleswig-Holstein sind weiblich. Dies kann Auswirkungen auf die Versorgung haben, weil Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten oder mit Rücksicht auf Kinder nicht in vollem Umfang ihrer Tätigkeit nachgehen. Daher dürfen wir bei der Versorgung nicht nur Köpfe zählen.
lisierte Aufstellung bestehender Hilfestellung sollte nach Auffassung der CDU-Fraktion kurzfristig möglich sein.
Wir werden weitere Gespräche führen, um zu konkretisieren, an welchen Stellschrauben gedreht werden muss.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie sich doch die Zeiten ändern! Noch vor drei Jahren war unser heutiger Minister stetiger Jäger, oft eingeladen von seinen Vorgängerinnen, um von den engagierten Impulsen der Ministerinnen in den Feldern der Psychiatrieentwicklung zu hören. Seit September 2009 Funkstille! Das Haus an der AdolfWestphal-Straße ist für Abgeordnete, gar für Abgeordnete der Opposition, geschlossen.
Die SPD-Fraktion hat Verständnis für das gut gemeinte Papier des Landtagspräsidenten mit der Überschrift ,,Parlamentarismus im Wandel“. Daraus möchte ich aus Kapitel drei - mit Verlaub - zitieren:
,,die Gremien, in denen die Fachpolitikerinnen und Politiker gemeinsam mit Experten die Ideen, Initiativen und Vorstöße der Fraktionen untermauern. Anhörungen - mündlich oder schriftlich - erfordern eine bewertende Diskussion und Rückmeldung der Fraktionen an die Angehörten.“
Meine Damen und Herren der CDU und FDP, mich würde brennend interessieren, was Sie den von Ihnen benannten 13 Anzuhörenden denn mitzuteilen haben oder rückgemeldet haben. Haben Sie ihnen geschrieben, dass Ihnen die 274 Handlungshinweise, die dort drinstehen, zu viel seien, um sich damit zu beschäftigen? Haben Sie ihnen mitgeteilt, dass Sie mit der Arbeit im Sozialausschuss völlig überfordert sind und dieses zweifellos wichtige Thema daher zurückstellen müssen? Oder haben Sie gar
Dabei haben es Ihnen die Fachverbände mit den vielen Anregungen leicht gemacht, den dringenden Handlungsbedarf zu erkennen. So hat der Landkreistag, ein Kritiker landesplanerischer Ambitionen, den wir gern im Sozialausschuss zur mündlichen Anhörung eingeladen hätten, einen deutlichen Handlungsbedarf gesehen. Er - ich zitiere -:
,,hält es für angezeigt, die psychiatrischen Versorgungskonzepte regelmäßig fortzuschreiben, abzugleichen und zu koordinieren.“
Auch der Städteverband Schleswig-Holstein sieht diesen Handlungsbedarf, indem er feststellt - ich zitiere mit Verlaub -:
,,Es besteht nach Auffassung des Städteverbands Schleswig-Holsteins in etlichen der im Antrag der SPD-Fraktion angesprochenen Schwerpunkte eines neuen Psychiatrieplanes ein Handlungsbedarf...“
Meine Damen und Herren, selbst bei kritischster Betrachtung sind sich alle fachlich Beteiligten darin einig, dass wir uns als Land auch bei den derzeitigen zentralen Strukturen nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen. Die regierungstragenden Fraktionen schweigen.
Es ist zumindest erstaunlich, welche Art von Demokratie- und Handlungsverständnis sich in der Arbeit des Sozialausschusses in den letzten Monaten offenbart hat. Der Umgang mit den Angehörten, mit ihren teils verzweifelten Appellen ist nicht mehr zu fassen. Keine Wortmeldungen von CDU und FDP zu unserem Antrag! Eisiges Schweigen zu den Anhörungsergebnissen!
Schwarz-Gelb ist sogar gegen eine mündliche Anhörung der Kommunen, obwohl diese selbst unstreitig einen Handlungsbedarf sehen und darum bitten.
Und dann meldet sich ein Mitglied der CDU-Fraktion. Wir alle waren nun doch wirklich sehr interessiert, was jetzt passieren würde - vielleicht die Planung des weiteren Vorgehens oder Ähnliches. Nein. Stattdessen hatte ich kurzfristig den Ein
druck, ich hätte einen Hörsturz. Denn es wurde schlicht und ergreifend Abstimmung in der Sache beantragt - ohne weitere Aussprache. Das ist die öffentliche Debatte im Ausschuss - und das ist das Papier des Präsidenten, meine Damen und Herren. Die Oppositionsfraktionen waren über den derartigen Wandel des Parlamentarismus vom Donner gerührt, dass sich blankes Entsetzen auf der Oppositionsbank im Ausschusssaal breitmachte.
Kein einziges Wort zur Psychiatrie im Allgemeinen, zu irgendwelchen Handlungsoptionen oder gar zu wenigstens einer der 274 Anregungen, die uns die Fachleute gemacht haben!
Herr Präsident, Ihr Anliegen in allen Ehren, aber diese Art Wandel geht in die falsche Richtung. Er geht einige Jahrzehnte zurück. Er geht in die 80er. Arroganz der Macht, kann ich nur sagen.