Doch wir dürfen uns nichts vormachen: Allein die finanzielle Absicherung von Umschulungen in Pflegeberufen wird nicht reichen, um das Problem zu lösen. Wir müssen endlich dafür sorgen, dass sich vor allen Dingen die Arbeitsbedingungen in diesem Berufsfeld verbessern. Damit erzählen wir ganz sicherlich nichts Neues. Wer regelmäßig in einer Pflegeeinrichtung ein- und ausgeht, wird feststellen, dass die Fluktuation beim Personal enorm hoch ist. Wir müssen uns bewusst machen, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die damit verbundene längere Verweildauer in diesem Beruf erheblich zur Entschärfung des Fachkräftemangels beiträgt.
Hierzu zählt selbstverständlich auch die Reduzierung des bürokratischen Aufwands. Ein Großteil der Pflegenden wählen diesen Beruf deshalb, weil sie mit Menschen arbeiten und ihnen helfen wollen. Heute verbringen Pflegefachkräfte leider oft mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit damit, die einzelnen Arbeitsschritte zu dokumentieren. Ohne dieses System grundsätzlich anzweifeln zu wollen, muss doch die Frage erlaubt sein, ob ein solch dokumentarischer Aufwand wirklich nötig ist. Denn gerade der Umstand, nicht in dem Umfang für die Pflegebedürftigen da sein zu können, dass es dem eigenen Anspruch gerecht würde, lässt Pflegefachkräfte verzweifeln. Eine Verringerung des dokumentarischen Aufwands bedeutet letztlich mehr Zeit für die pflegebedürftigen Menschen und führt zu größerer Zufriedenheit aller Beteiligten.
Zu einem Dreiminutenbeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch von der SPD-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Selbstbestimmungsstärkungsgesetz haben wir im Juni 2009 hier im Landtag einstimmig beschlossen. Wir haben es einstimmig beschlossen, weil wir uns der Verantwortung gegenüber den Menschen, aber auch den großen Veränderungen, die wir mit diesem Gesetz - es ist ja ein Paradigmenwechsel - auch in der Pflegepolitik auslösen, bewusst sind, denn es geht darum, die Rechte des Einzelnen zu stärken und nicht mehr Pflege nach den Einrichtungen zu definieren, sondern vom Bedürfnis der Menschen her. Es sollen dort auch die Interessen der Menschen in den Vordergrund gestellt werden.
Deswegen haben wir uns im Landtag darauf verständigt, um viele Widerstände in den einzelnen Fraktionen oder Forderungen der einzelnen Fraktionen aus dem Weg zu räumen, dies gemeinsam zu beschließen, um ein Signal zu setzen, dass wir dann
aber auch - damals von der Ministerin Dr. Trauernicht - erwarten, dass man uns frühzeitig, und zwar sofort, wenn es Entwürfe für Verordnungen zum Selbstbestimmungsstärkungsgesetz gibt, darüber verständigt und uns an den Prozess der Erarbeitung der Verordnung - es sind viele Verordnungen im Rahmen des Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes vorgesehen - teilhaben lässt, und wir nicht nur informiert werden, sondern wirklich mitwirken.
- Abgeordneter ist er heute noch; den „Minister“ hat er dazubekommen -, war derjenige, der dies auch mit auf den Weg gebracht hat. Insofern finde ich es richtig, wenn wir heute anmerken, dass wir einigermaßen entsetzt darüber sind, dass die Kollegin Sassen uns mitteilt, dass es den Entwurf einer Verordnung gibt, die in der Verbändeanhörung oder in einer Anhörung ist, dass um Stellungnahmen gerungen wird, und dass wir hier und heute das erste Mal davon hören. Herr Minister, ich hoffe, Sie können das irgendwie erklären und richtigstellen. Wenn es nicht so wäre, wäre es tatsächlich ein Foul von Ihnen. Das wäre nicht in Ordnung und so nicht hinzunehmen.
Ich will auch noch auf einen zweiten Punkt hinweisen. Dieses Selbstbestimmungsstärkungsgesetz ist nur eines von drei beabsichtigten Gesetzen. Wir haben ein dreistufiges Pflegegesetzbuchverfahren in Auftrag gegeben. Wir haben bis jetzt auch wenig über die Erarbeitung der beiden anderen Gesetzbücher gehört. Auch da würden wir gern wissen, wie der Stand ist. Aber wir wissen auch, dass das Personalbemessungssystem immer noch fehlt. Das hat die Kollegin Pauls angesprochen. Wir wissen auch, dass in der Ausbildung nicht alles gesichert ist. Wir wissen, dass sich im Moment die Pflegesätze für die Heime nicht positiv entwickeln. Wir wissen, dass Pflegenotstand droht.
All das sind Punkte, bei denen ich glaube, dass es nicht darauf ankommt, dass wir recht haben oder politisch etwas erreichen können, sondern wo wir auf der Grundlage - wie wir es im Rahmen des Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes getan haben unsere gemeinsame Verantwortung suchen müssen, um auch in diesem Bereich gemeinsam nach vorn zu kommen und deutlich zu machen - gerade gegenüber den Menschen, die pflegebedürftig sind
Dies können wir tatsächlich auch vor dem Hindergrund der Punkte, die ich extra aufgezählt habe, deutlich sagen: Wir haben das Gefühl, dass die Gemeinsamkeit in diesem Haus nicht mehr gewollt ist und dass der Minister sich keine Mühe macht, tatsächlich den politischen Bereich so mitzunehmen, um in dem Bereich Pflege die hehren Ankündigungen, die er selbst macht, umzusetzen.
Wir - auch ich ganz persönlich - sind von der Äußerung der Kollegin Sassen wirklich etwas schockiert. Ich hoffe, dass es dem Minister gelingt, dies hier heute auszuräumen, denn es wäre unerträglich, wenn wir eine getroffene Vereinbarung so mit Füßen träten.
Herr Abgeordneter, Sie sind weit über der Zeit. Für die Landesregierung erteile ich jetzt dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal, um den Kollegen Baasch vielleicht ein wenig zu beruhigen: Erstens werden Sie im August im Sozialausschuss - wie zugesagt - den Entwurf der Durchführungsverordnung, über die wir nicht wegen des Inhalts politisch gestritten haben, sondern weil es Ihnen zu langsam ging - ich habe erklärt, warum es so lange dauerte -, selbstverständlich bekommen, und wir werden darüber diskutieren. Ich gehe davon aus - ich weiß nicht, was die Kollegin Sassen ansprechen wollte -, dass sie den Entwurf einer Prüfrichtlinie meint.
Das ist etwas anderes als die Durchführungsverordnung, die der Kollege Baasch zu Recht immer wieder eingefordert hat. Der Entwurf einer Prüfrichtlinie ist zunächst im internen Beteiligungsverfah
ren. Ich gehe davon aus, dass Sie der Landesregierung zubilligen, ein solches Projekt zunächst einmal den unmittelbar Betroffenen zukommen zu lassen. Vor diesem Hintergrund muss man genau wissen, was man meint und worum es geht.
Ich glaube, die Kollegin Sassen hat zum Stand und zur Positionierung des Landes Schleswig-Holstein, was die Förderung der beruflichen Weiterbildung in der Altenpflege und das Bundesratsverfahren anbelangt, alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Kollege Meyer, vor dem Hintergrund verstehe ich höchstens Ihre Anmerkung, wenn Sie den Beschluss zur Bundesratsdrucksache 517/10 nicht kennen, der das Land Schleswig-Holstein zugestimmt hat. Ein entsprechender Antrag ist im Arbeits- und Sozialausschuss als Unterausschuss des Bundesrats übrigens von Schleswig-Holstein gestellt worden. Nur weil es noch weitergehende Initiativen aus Bayern und Niedersachsen gab, die den Bereich der Krankenpflege mit einschließen, haben wir uns dem dann angeschlossen, was ich richtig finde, weil beide Bereiche miteinander verbunden werden und verbunden gehören. Ich denke, dazu ist alles gesagt.
Es ist Ihre Aufgabe und Ihr gutes Recht zu behaupten, die Regierung tue nichts oder zu langsam, der Minister mache nichts oder zu wenig oder zu langsam. Lassen Sie mich jenseits dieser sehr originellen Einschätzung ein paar Anmerkungen zu der Frage „Mehr oder weniger Bürokratie?“ machen. Das bringt mich übrigens zunächst einmal zu Folgendem, Frau Kollegin Bohn: Ich glaube, wir tun uns alle keinen Gefallen mit Ergebnissen aus vermeintlichen Umfragen darüber, wie sich alte Menschen vor stationären Einrichtungen fürchten. Das mag sogar stimmen; ich will das gar nicht infrage stellen. Was mich daran ärgert, ist die entsprechende Intonation. Deswegen mein Zwischenruf, der sich selbstverständlich von der Regierungsbank nicht gehört: Ist daran die Regierung auch schuld? Ich glaube, wir müssen aufpassen, wenn wir über den Bereich Pflege reden, dass wir die, die noch pflegen und dazu bereit sind, nicht noch dadurch demotivieren, dass wir ihnen ständig mit solch angstmachenden Aussagen vormachen, wie es im Moment tatsächlich bestellt ist. Frau Kollegin Bohn, ich finde das gefährlich.
Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir Grünen sehr wohl die Situation der Pflegeausübenden im Auge haben, dass die Studie, die ich aus dem „Deutschen Ärzteblatt“ zitiere, aber ganz ausdrücklich diejenigen befragt hat, die irgendwann einmal der Pflege bedürfen? Ich denke, das sollten wir sehr ernst nehmen. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
- Ich bin selbstverständlich bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie das zum Vortrag bringen wollten. Ich bitte Sie aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass der sprachliche Umgang mit solchen Ergebnissen nicht zu der Demotivation derjenigen führen darf, die jeden Tag diese schwere Arbeit leisten.
Wir haben in Schleswig-Holstein bis 2005 vor allem über Pflegemissstände debattiert. Das hat dazu geführt, dass sich diejenigen, die engagiert gepflegt haben, zum Teil abgewandt haben, weil sie es zu Recht nicht mehr ertragen haben, dass sie immer dann in das Licht der Öffentlichkeit gezogen werden, wenn etwas nicht klappt. Es gehört sich auch, darüber zu reden, was im Pflegealltag mit viel Liebe, mit viel Engagement und mit viel Einsatz klappt.
Die Forderung nach weniger Bürokratie spricht sich immer so locker aus. Wir alle sind sehr schnell dabei, weniger Bürokratie einzufordern. Man muss aber genau hingucken, wofür die Dokumentation gedacht ist. Sie dient zum einen dem Schutz derjenigen, die pflegen, damit sie nachweisen können, dass bestimmte Leistungen auch erbracht worden
sind, deren Erbringung notwendig ist. Zum anderen ist eine Dokumentation zum Schutz der Pflegebedürftigen notwendig.
Diese Gratwanderung versuchen wir im Moment in eine neue Prüfrichtlinie zu gießen, die auf der einen Seite das Verfahren für diejenigen, die dokumentieren müssen, deutlich vereinfacht, auf der anderen Seite aber den Schutz der zu pflegenden Menschen und derjenigen, die pflegen, nicht außer Acht lässt. Daher wäre es hilfreich, nicht nur mit den pauschalen Forderungen nach weniger Bürokratie zu kommen, sondern sich das ganz genau anzugucken und im Zweifel auch genau zu sagen, wo man sich weniger Aufwand wünscht, was sich an den Dokumentationsverfahren ändern soll, wie dokumentiert werden soll, in welchem Zeitraum dokumentiert werden soll und wie es nachvollziehbar ist, dass dokumentiert wurde.
Offen gestanden tue ich mich ein bisschen schwer mit der pauschalen Forderung, dass alles überflüssig sei, was in den Einrichtungen passiert. Ich bin der Letzte, der Ihnen nicht zugesteht zu sagen, wir brauchen mehr Zeit für diejenigen, die zu pflegen sind. Diejenigen, die zu pflegen sind, brauchen aber auch Sicherheit dahin gehend, dass das, was passiert, ordentlich, qualitativ hochwertig und nachvollziehbar passiert.
In den Einrichtungen gibt es nach wie vor eine hohe Unklarheit in der Frage der Anforderungen. Es gibt nach wie vor viel zu häufig einen vorauseilenden Gehorsam in der Frage, was alles möglicherweise noch aufgeschrieben werden soll; im Zweifel auch mit der Hand auf irgendwelche Zettel. Aus diesem Grund erarbeiten wir die Prüfrichtlinie, die ganz klar definiert, welche Anforderungen in Zukunft zu erfüllen sind, und zwar in Frageform. Die Art der Beantwortung reduziert den Aufwand für die Pflegenden durch einfaches Ankreuzen erheblich.