Protocol of the Session on June 30, 2011

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das glauben Sie doch selber nicht! - Weitere Zu- rufe von der CDU)

Das ist in der Tat nicht unsere Vorstellung von Wirtschaftswachstum.

(Werner Kalinka [CDU]: Sie haben gar kei- ne!)

Deshalb haben wir uns nicht ersetzend für ein BIP, Herr Kubicki, sondern ergänzend zum BIP mit alternativen Indikatoren auseinandergesetzt. Herr Callsen, Sie haben recht, im Kern geht es uns um eine andere Wirtschaftspolitik.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Wir haben immer wieder große Übereinstimmung, wenn es um den Mittelstand geht. Der Mittelstand ist eine zentrale Stütze in Schleswig-Holstein. 120 kleine und mittlere Unternehmen. Der Mittelstand ist das wirtschaftliche Rückgrat unserer Wirtschaft. Dazu haben wir uns klar bekannt.

Der Mittelstand braucht aber auch verlässliche ordnungspolitische Rahmenbedingungen, wenn es um öffentliche Aufträge geht. Wir können nicht auf der einen Seite für politische Konzepte streiten und Rahmenbedingungen festsetzen und auf der anderen Seite bei der Vergabe eigener Aufträge so tun, als wenn wir uns darum nicht mehr kümmern. Ihr Vorsatz „privat vor Staat“ hat ja bei der L192 gezeigt, als 300 Bäume eben einmal gekillt worden sind, dass der Private am Ende nicht hat Sorgfalt walten lassen.

(Johannes Callsen [CDU]: Das hat damit gar nichts zu tun!)

(Christopher Vogt)

PPP-Modelle und private Wirtschaft funktionieren eben so: Die Gewinne werden internalisiert, und die Kosten werden externalisiert. Das ist nicht unsere Vorstellung von Wirtschaftspolitik.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Der vorgelegte Gesetzentwurf bleibt enttäuschend. Ich erinnere an das funktionierende Mittelstandsund Tariftreuegesetzes des Bundeslandes Bremen. Daran haben wir uns orientiert.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Nicht schon wieder!)

- Herr von Boetticher, die Fußnote haben wir explizit genannt. Man hätte das Bremer Modell nehmen können. Ein Mindestlohn von 7,50 € ist festgeschrieben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Deswegen ist Bremen auch pleite!)

Den haben Sie in Bausch und Bogen abgelehnt.

Frau Poersch, Ihre Darstellung hat mich ein wenig enttäuscht. Ich muss mich einmal persönlich an Sie wenden: Warum haben Sie den Mindestlohn im Ausschuss nicht mitgetragen? In Bremen ist es ein Erfolgskonzept. Das haben wir bei der letzten Wahl gesehen: Rot-Grün ist mit großer Mehrheit wiedergewählt worden, im Übrigen auch wegen einer sozial gerechten Arbeitsmarktpolitik.

(Hartmut Hamerich [CDU]: Was hilft es der Wirtschaft? - Werner Kalinka [CDU]: Das ist aber eine schlechte Begründung! - Weitere Zurufe)

Sie haben sich hier als SPD leider zum Handlanger von Schwarz-Gelb gemacht. Sie hätten an dieser Stelle klügere Dinge mittragen können. Wir haben es ja mit unserem Gesetzentwurf vorgelegt. Sie führen jetzt die ILO-Kernarbeitsnormen ein. Die haben wir vorgeschlagen. Die haben Sie im Ausschuss abgelehnt. Gott sei Dank haben Sie noch rechtzeitig die Kurve der sozialen Gerechtigkeit hinkommen. Ich bin ja froh, dass Sie die ILO-Kernarbeitsnorm hineingeschrieben haben. Aber bei den ökologischen Kriterien, bei den Umweltstandards haben Sie unseren Entwurf nicht mitgetragen.

Wie man ein vernünftiges Arbeitsmarktgesetz macht, Tariftreue, Umweltstandards, Mindestlohn, hat das Bremer Modell gezeigt, das im Übrigen europakonform ist. Das haben Sie abgelehnt, und es hat mich schon ein bisschen gewundert, dass Sie das als SPD in Schleswig-Holstein, die Sie doch sonst andere Vorstellungen haben, getan haben.

Was sind die qualitativen Aspekte eines modernen Gesetzes? Ein Mindestlohn von 7,50 € ist für mich Standard, Tariftreue ÖPNV, Arbeitnehmerentsendegesetz, Kernarbeitsnormen, sozial, ökologisch, Menschenrechte, Umweltstandards.

Lieber Kollege Vogt, ich muss mich auch noch einmal an die FDP wenden. Sie haben einen neuen Gralsritter des Mindestlohns in ihren eigenen Reihen. Die schwarz-gelbe Tafelrunde hat ja Sozialminister Garg, der heute leider nicht da ist. In einem „taz“-Interview - man wundert sich schon als Grüner, dass ein FDP-Minister einmal in der „taz“ vorkommt - vertritt er sozialistische Thesen wie die Forderung nach einem Mindestlohn. Herr Kollege Vogt, normalerweise kriegen Sie immer Schaum vorm Mund, wenn das Wort Mindestlohn in diesem Rund fällt. Nun möchte ich einmal mit Genuss zitieren - Sie kommen gleich dran, hören Sie sich bitte noch das Zitat Ihres eigenen Ministers an - mit Verlaub, Frau Präsidentin:

„Meine Auffassung ist seit Langem, dass ein Mensch, der täglich acht Stunden arbeitet, davon leben und eine Familie ernähren können muss … Meine Partei hat das Thema in der Vergangenheit gelegentlich zu dogmatisch behandelt, ich werbe für eine Debatte.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE] und Lars Harms [SSW])

Herr Garg, willkommen im Club! Ich frage die FDP: Wo bleibt denn diese Debatte?

Herr Abgeordneter, zunächst stellt sich die Frage, ob Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Vogt zulassen?

Ja, gern.

Herr Kollege Tietze, vielen Dank, dass Sie die Frage gestatten. Würden Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen, dass sich in der Vergangenheit neben dem Minister auch meine Person in diesem Hause für eine Debatte ausgesprochen und für differenzierte Lohnuntergrenzen plädiert hat, was ich auch eben in meinem Redebeitrag getan habe?

(Dr. Andreas Tietze)

- Herr Kollege Vogt, ich nehme das zur Kenntnis, aber Sie winden sich hier wie ein Aal, das Wort „Mindestlohn“ in den Mund zu nehmen. Wenn man schon sieht, wie Sie da stehen, mit eingeschränkten Armen, und das Wort „Mindestlohn“ nicht über Ihre Lippen kommt, kann ich mir nicht vorstellen, wie Sie bei dieser Debatte in eine Poolposition kommen wollen. Aber viel Spaß! Sie haben ja auch beim Thema Atomkraft bewiesen, wie schnell Sie Ihre Meinung ändern können.

(Christopher Vogt [FDP]: Haben wir nicht!)

Herr Kollege Vogt, Arbeitsmarktpolitik funktioniert eben nicht, wenn man links blinkt und redet und bei Abstimmungen über moderne Arbeitsmarktpolitik rechts abbiegt. Herr Vogt, Sie müssen sich einmal entscheiden, ob Sie sozialliberal oder neoliberal vor Ihrem Parteinamen haben möchten. Das sollten Sie sich in Ihrer Partei bitte einmal entscheiden. Glaubwürdigkeit geht unseres Erachtens anders.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kern geht es darum, dass die ordnungspolitischen Maßnahmen und Regeln, die wir in diesem Gesetz wollen, auch wirtschaftliche Innovationen auslösen. Wir müssen doch einmal zur Kenntnis nehmen: Wenn ich hohe Umweltstandards habe, dann schafft das neue Jobs, dann schafft das Innovationen, dann schafft das entsprechende Initiativen in Forschung und Entwicklung, das tut der Wirtschaft gut. Im Übrigen sind wir da als Deutsche gar nicht so schlecht aufgestellt.

Auf die drängenden Fragen gehen Sie in Ihrem Gesetzentwurf - wie gesagt - nicht ein. Eine gerechte Arbeitsmarktpolitik für Schleswig-Holstein ist nicht Ihre erste Priorität.

Wir haben uns gewundert, dass Sie einer sozial gerechten Arbeitsmarktpolitik eine faire Chance verweigert haben. Wir finden, Sie sind Lichtjahre von einer guten, sozial gerechten Arbeitsmarktpolitik entfernt. Deshalb werden die Menschen Sie am 6. Mai 2012 auch abwählen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat nun Herr Abgeordneter Thoroe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute soll ein sogenanntes Mittelstandsförderungsgesetz verabschiedet werden. Dieses Gesetz sieht

einen Zwang zu Privatisierungen vor. Das Gesetz predigt noch immer die Ideologie „Markt vor Staat“. Die katastrophalen Auswirkungen der Privatisierungen zum Beispiel von Stadtwerken bleiben so völlig unberücksichtigt. Kommunen ohne kommunale Stadtwerke haben die Möglichkeit aus der Hand gegeben, demokratisch entscheiden zu können, wie Strom erzeugt wird, und sie haben die Möglichkeit aus der Hand gegeben, über die Preise von Energie mitbestimmen zu können. Sehr viele Kommunen in Deutschland und Schleswig-Holstein bereuen es mittlerweile, ihre Stadtwerke verkauft zu haben.

Einen Privatisierungszwang in ein Landesgesetz zu schreiben, ist zudem demokratietheoretisch höchst fragwürdig. Das Selbstverwaltungsrecht einer Kommune wird so unserer Meinung nach unzulässigerweise beschnitten. Der Änderungsantrag der Grünen enthält ebenfalls den Privatisierungszwang. Deswegen wundere ich mich ein bisschen über die Ausführungen gerade eben.

(Gerrit Koch [FDP]: Wir auch! - Heiterkeit bei der FDP)

Wir werden deshalb sowohl den grünen Änderungsantrag als auch den CDU/FDP-Gesetzentwurf ablehnen.

Wir begrüßen dagegen sehr, dass die SPD dazugelernt hat. Nachdem sie in Regierungsverantwortung den Paragraphen im Jahr 2003 selber eingeführt hat, hat sie nun beantragt, diesen wieder zu streichen. Dem können wir nur zustimmen. Wir hoffen, dass das auch nächstes Jahr noch gilt, wenn die SPD voraussichtlich wieder Regierungsverantwortung hat.

Nun zur Debatte um den Gesetzentwurf der SPD zum Tariftreue- und Vergabegesetz! Wir bedauern es sehr, dass sich die SPD-Fraktion nicht durchringen konnte, sich dafür zu entscheiden, einen Mindestlohn in das Gesetz aufzunehmen. Ich habe hier auch noch kein schlüssiges Gegenargument gehört. Die juristische Argumentation gegen einen Mindestlohn in diesem Gesetz ist unserer Meinung nach eher vorgeschoben und entspricht nicht der Realität in Bundesländern wie zum Beispiel Bremen.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Die schriftliche Stellungnahme des Bielefelder Professors Sack bestätigt uns ebenfalls in dieser Auffassung. Es ist keine juristische Frage, ob ein Mindestlohn im Gesetz verankert wird. Es ist eine poli

(Dr. Andreas Tietze)

tische Frage, ob ein Mindestlohn im Gesetz verankert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Beispiel Bremen belegt auch, dass das im Wirtschaftsausschuss vorgebrachte Argument, die von uns beantragten Paragrafen zu Mindestlohn und wirksamer Kontrolle zur Einhaltung des Gesetzes würden nicht in die Systematik des Gesetzentwurfs passen, ebenfalls vorgeschoben ist. In Bremen ist fast wortgleich das gleiche Gesetz mit Mindestlohnparagrafen schon vor längerer Zeit von Rot-Grün verabschiedet worden. Wir haben heute noch einmal einen Antrag zum Mindestlohn in der Form eingebracht, die die Gewerkschaft IG BAU in der schriftlichen Stellungnahme vorgeschlagen hat. Dies ist eine letzte Chance für alle anderen, sich umzuentscheiden. DIE LINKE wird auf jeden Fall weiterhin für einen Mindestlohn von mindestens 10 € im Tariftreuegesetz streiten.

(Beifall bei der LINKEN)