Protocol of the Session on June 30, 2011

Meine Damen und Herren, der Antrag von CDU und FDP zum Netzausbau ist gut gemeint - wir stimmen mit der Forderung nach Geschwindigkeit und der Rede von Bürgerbeteiligung grundsätzlich überein -, vergisst aber das Wesentliche: klare Ansagen, was Bürgerbeteiligung eigentlich heißt. Nur Moderationsrunden des Planers, die sind sozusagen das Spiegelbild des alten Energiezentralismus in der Bürgerbeteiligung.

Was wir brauchen, sind die Überprüfung möglicher Synergieeffekte durch Bündelung mit anderen Infrastrukturmaßnahmen vor Beginn des Verfahrens, etwa bei der Bahnelektrifizierung, Änderungsvorschläge von Bürgern, die internetgestützte Einsicht in den Bearbeitungsstatus ihrer Änderungsvorschläge, das Recht von Betroffenen, in frühen Verfahrensstadien Moderations- und Mediationsverfah

ren einzufordern, und all dies ist in einem Bürgerinformationsgesetz festzuschreiben. Schließlich sollten wir ähnlich wie bei Bürger-Windparks - ich begrüße, dass daran gearbeitet wird - eine finanzielle Beteiligung der Menschen in den betroffenen Regionen am Netz ermöglichen. Das scheint mir der attraktivste Weg zu sein, Bürgerbeteiligung herzustellen, indem die Netze Bürgernetze werden.

Ja, ich stimme zu: Wir brauchen neue Netze. Ich sehe es vor allen Dingen als Pflicht meiner Partei an, den Atomausstieg auch durch den Netzausbau umzusetzen, auch und gerade - wir wurden mehrfach angesprochen - weil wir traditionell Ansprechpartner für Bürgerinitiativen sind, weil Naturschutzverbände und Betroffene ihre Sorgen bei uns abladen. Daraus folgt für mich eine hohe politische Verantwortung der Grünen, Interessen auszutarieren, und wir bemühen uns auch schon jetzt in der Opposition darum.

Wir haben mit den Bürgerinitiativen, mit TenneT, mit E.ON und Planern gesprochen in verschlossenen Räumen und auf Podiumsdiskussionen. Die Erfahrung zeigt: Konflikte lassen sich durch Gespräche auf Augenhöhe beseitigen.

Aber eines konnten sie alle uns nicht erklären: Bei allem Bedarf zum Netzausbau, warum braucht es eine neue 380-kV-Leitung zwischen Kiel und Göhl? - In Kiel werden bekanntlich nicht besonders viele Windvorhabenflächen vorgehalten. Der Verdacht steht im Raum, dass entgegen den politischen Beschlüssen doch ein Kohlekraftwerk in Kiel geplant und gebaut werden soll. Bei aller Euphorie über den Atomausstieg darf eines nicht fehlen: das kritische Hinsehen. Bei allem Einvernehmen und der Befriedigung über das Umdenken von CDU und FDP - einen Blankoscheck unterschreibt hier niemand.

Meine Damen und Herren, noch nicht einmal das neue Energiezeitalter ist das Ziel, das wir als Gesellschaft ansteuern. Selbst das ist nur eine weitere Stufe. Im Gefolge der Energiediskussion zeichnet sich eine ganz neue Form des Wirtschaftens ab, eine Wirtschaft, die im Kern ihres Selbstverständnisses einen Begriff von gesellschaftlicher Wohlfahrt trägt. Das klingt altmodisch oder romantisch, aber es ist ein revolutionärer Gedanke. Die Zeit, in der wir lauter Reparaturdebatten führen und Politik als Reparatur für Wirtschaftswachstum verstehen, als Umweltschutz, Gesundheitskosten, Sozialprogramme, Gerechtigkeitsdebatten, Klimaschutzmaßnahmen, die eingeführt werden müssen, nur weil das Wirtschaften angeblich jenseits von Moral und Ethik ist und das BIP als ihr Katechismus verstan

(Dr. Robert Habeck)

den wird, ist mit dem Ende des Atomzeitalters ebenfalls vorbei.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb habe ich bei meiner Partei vor und auf dem Sonderparteitag der Grünen um Zustimmung zur AtG-Novelle geworben, nicht weil ich sie super ambitioniert finde. Wir wissen alle, dass ein schnellerer Atomausstieg möglich gewesen wäre, aber, Herr Stegner, es ist besser und schneller als das, was Rot-Grün verabschiedet hat. Das muss man zugeben.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Dass es feste Endlaufdaten gibt, gerade das haben wir mit der Übertragung der Restlaufmengen damals gegen Konzerne und - sagen wir - befreundete Politiker nicht durchsetzen können. Dennoch ist es nicht die ambitionierteste AtG-Novelle, die man sich vorstellen kann. Aber ich habe dafür geworben zuzustimmen, und wir stimmen dem zu, weil wir eine neue gesellschaftliche Allianz brauchen, eine neue Strategie für politische Lösungen. Ich hoffe, dass es jetzt einen Wettstreit über die besten Lösungskonzepte gibt, keine rückwärtsgewandten Bremsversuche mehr. Wir haben einfach verdammt wenig Zeit,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

und wir haben eine riesige Aufgabe vor uns: die ökologische Transformation eines ganzen Industrielandes. Gelingt sie nicht - da mache ich mir keine Illusionen -, ist die Rede von der Unumkehrbarkeit des Atomausstiegs schnell wieder vorbei. In einer Demokratie ist ohnehin wenig unumkehrbar, außer den Grundfesten der Demokratie selbst. Insofern liegt es an uns, den Beschlüssen Taten folgen zu lassen. Ob der Atomausstieg und der Einstieg in ein wirkliches Zeitalter der erneuerbaren Energien gelingt, wird nicht durch Jahreszahlen entschieden, sondern durch die Wirklichkeit. Sie zu verändern, ist die moralische Herausforderung unserer politischen Generation. Folgen die Taten nicht, sind wir als Politiker gescheitert.

Herr Ministerpräsident, meine Damen und Herren, das Beste am heutigen Tag ist jedoch, dass das Gerede von „die anderen machen es doch auch nicht“ oder „die anderen steigen doch auch nicht aus“ endgültig vorbei ist,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW sowie der Abgeordneten Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

nur weil anderenorts die AKWs noch laufen und Nachbarstaaten noch nicht aussteigen. Schluss mit Herdentrieb und der Politik, die sich am kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert! Der heutige Tag gibt uns den Optimismus zurück, dass sich Engagement und Ideale lohnen. Wir können in Deutschland Vorreiter für Europa und die Welt sein. Wir in Schleswig-Holstein können Deutschland den Weg weisen. Endlich gibt es wieder ein Versprechen für die Zukunft. Endlich und - ich glaube - erstmals, seitdem Schleswig-Holstein als Bollwerk gegen die Rote Armee aufgerüstet wurde, hat dieses Land wieder eine richtige Aufgabe - man könnte in Ihrer Sprache sagen: eine nationale Aufgabe. Wir werden Deutschland zeigen, wie der Energieumstieg geht. Deutschland kann dann Vorbild für die anderen Staaten werden. Wenn das nichts ist!

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Am deutschen Wesen! - Unruhe)

Meine Damen und Herren, Revolution der Denkart ist die Wiederentdeckung der kritischen Vernunft, Herr von Boetticher. Es wird nicht lange dauern, da werden sich Industrieansiedlungen nach den Standorten für die Erneuerbaren richten. Wir werden unsere Städte und Dörfer quasi ein zweites Mal, diesmal energiesparend, bauen müssen, wir werden völlig neue Stoff- und Produktkreisläufe denken, und die Energiewende ist auch die Chance für eine Demokratisierung der Energieversorgung in Deutschland, und nicht für Großstrukturen, Herr von Boetticher.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Wir stehen vor gigantischen Herausforderungen, aber wir sind handelnde Menschen. Deswegen werden wir die Probleme lösen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der Abgeordneten Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

Meine Damen und Herren, ich gebe an dieser Stelle einmal bekannt, wie die Redezeiten bisher genutzt worden sind: Die Landesregierung hat die Redezeit nicht überschritten, die SPD hat ihre Redezeit aufgebraucht, die CDU hat noch zwei Minuten Redezeit, die FDP noch acht Minuten und die Grünen noch drei Minuten. Das ist für weitere Redner, die angemeldet sind, wichtig zu wissen.

(Dr. Robert Habeck)

An dieser Stelle begrüße ich weitere Gäste auf der Zuschauertribüne, und zwar Mitglieder von Haus & Grund aus Lübeck. - Seien Sie uns herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich erteile jetzt der Vorsitzenden der Fraktion DIE LINKE, Frau Kollegin Ranka Prante, das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir, DIE LINKE, werden nicht müde, die sofortige, unverzügliche und unumkehrbare Stilllegung aller Atomkraftwerke und den Einstieg in eine hundertprozentig erneuerbare und gemeinwohlorientierte Energieversorgung zu fordern.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir lehnen grundsätzlich die Freisetzung von Radioaktivität in die Atmosphäre ab. Das Problem beginnt mit dem Abbau von Uran und setzt sich mit der Herstellung von Brennstäben fort. Dann folgen der Betrieb der Atomkraftwerke und die Endlagerung der abgebrannten Brennstäbe. In jeder Stufe der Verarbeitung wird hochgiftige Radioaktivität freigesetzt, immer wird die Gesundheit der Menschen gefährdet, und am Ende nehmen die für Menschen unbewohnbaren Räume zu. Das alles tötet und nimmt zukünftigen Generationen Raum und Luft zum Leben. Die Freisetzung von Radioaktivität ist ein Vergehen gegen die Zukunft der Menschen. Für diese Position werben wir weltweit, und wir hoffen dass sie noch rechtzeitig mehrheitsfähig wird. Wir wollen, dass dieser Planet noch von unseren Enkeln bewohnt werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Energiekonzept, wie es hier nun genannt wird, ist in unseren Augen einmal wieder ein Konzept gegen die menschliche Zukunft und für die Energiekonzerne. Wenn ein wirklicher politischer Wille in Deutschland formuliert worden wäre, voranzugehen und dem ganz normalen atomaren Desaster wenigstens in den Grenzen unseres Landes ein Ende zu setzen, müsste man über das Energiekonzept der Bundesregierung nicht sprechen. Man würde mit der Abschaltung der AKWs nicht bis 2022 warten, sondern sofort beginnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jedes AKW tötet. Denken Sie an die Häufungen von Krebserkrankungen in der Umgebung von AKWs! Das hat nichts damit zu tun, ob ein AKW eine Stunde läuft oder elf Jahre. Es ist einfach le

bensbedrohlich. Spätestens nach Fukushima wissen auch die hartnäckigsten Atombefürworter, dass die Wahrscheinlichkeit dramatischer Unfälle ein unkalkulierbares Risiko für Mensch und Natur ist. Es geht nicht ohne eine Übergangsphase, doch es ist möglich, bis 2014 alle AKWs abzuschalten, ohne dass es Versorgungsengpässe in Deutschland gibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch die Frage, die im Raum steht, ist: Warum wird es nicht getan? Die Antwort ist schnell gefunden, wenn man auf die Internetseite der Bundesregierung geht und dort liest:

„Der Atomausstieg soll stufenweise erfolgen. Grundlage ist eine Regelzeit von 32 Jahren, denn bereits gemachte Investitionen in die Kraftwerke sollen sich lohnen.“

Sie sollen sich lohnen; wir alle wissen für wen. Es geht wieder einmal nicht um die Gesundheit und um die Sicherheit der Menschen. Nein, es geht wieder einmal um die Gewinne der Konzerne. Das war in unseren Augen leider nicht anders zu erwarten. Herr Ministerpräsident, Sie haben richtig erkannt, dass die Bundesregierung mit dieser Argumentation Entschädigungsforderungen der Atomkraftwerksbetreiber Tür und Tor öffnet. Sie sprechen das auch an. Das Problem ist doch, auf das schmale Brett zu kommen, sodass Entschädigungen überhaupt möglich sind. Hier geht es zum einen um die Frage, wie der politische Wille zum Ausstieg gerichtsfest formuliert wird. Andererseits ist das reale Problem, dass die Schäden, die Atomkraftwerke bereits durch ihren Normalbetrieb angerichtet haben, auch auf Kosten der Verursacher beseitigt gehören. Dazu gehört auch die Endlagerfrage.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist einfach, einen politischen Beschluss herbeizuführen, der heute das Ende der Atomkraft herbeiführt und zugleich die Haushalte vor den finanziellen Begehrlichkeiten der AKW-Betreiber schützt. Das ist möglich. Liebe Grüne, die alle gerade im Gespräch sind, Ihr habt am Wochenende in unseren Augen, und nicht nur in unseren Augen, sondern auch in den Augen der Anti-AKW-Bewegung, erneut die AKW-Bewegung verraten und verkauft.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ihr habt die AKW-Bewegung verraten und verkauft, nur damit ihr gegenüber der Union eure Koalitionsfähigkeit zeigt. Aus diesem Grund habt ihr dem Ausstieg bis 2022 zugestimmt, obwohl ein anderer Ausstieg möglich ist.

(Präsident Torsten Geerdts)

(Zuruf des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Genau, das ist eine Argumentation, oder was? Wir diskutieren nicht? - Alles klar. Ihr habt eine Vielzahl von Jahren in Kauf genommen, in denen die Bevölkerung völlig unnötig -

Frau Kollegin, darf ich Sie darauf hinweisen, dass wir im Plenarsaal alle per Sie sind?

Entschuldigen Sie bitte. - Sie nehmen eine Vielzahl von Jahren in Kauf, in denen die Bevölkerung völlig unnötig dem Fukushima-Risiko ausgesetzt bleibt. Außerdem hätten die Grünen auf die Unumkehrbarkeit, das heißt auf die Aufnahme des Verbots der Nutzung des Atomstroms in das Grundgesetz, bestehen müssen. Aber nein, auch das wurde nicht getan. Wie sicher ist also dieser Atomausstieg? - Er ist es gar nicht.

Ich verstehe es nicht: Warum wollen Sie alle - außer der Fraktion DIE LINKE - den Atomausstieg erst 2022? - Das sind elf weitere Jahre mit höchstem Fukushima-Risiko. Das können wir uns überhaupt nicht leisten, denn ein AKW wird nicht sicherer, wenn es noch elf Jahre weiterläuft. Ein AKW ist erst sicher, wenn es stillgelegt und abgebaut wird.

(Beifall bei der LINKEN)