Protocol of the Session on June 30, 2011

Motiven heraus das Umdenken der Union vor allem erfolgte - gut, dass sie umgedacht hat!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Gut, dass die Laufzeitverlängerung, für die CDU und FDP ursprünglich stritten, vom Tisch ist.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Allerdings sollten wir - wir alle und auch Sie - uns nicht mit fremden Federn schmücken, gerade, wenn einige von uns etwas länger brauchen als andere. Denn dass wir den Atomausstieg heute vollziehen, ist der Sieg und der Erfolg der Anti-AKW-Bewegung,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, vereinzelt bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

die an vielen kalten und heißen Tagen mit viel Fantasie gegen die Atomenergie protestiert hat, sich vor Brokdorf hat jagen lassen, sich von den CastorTransporten hat wegtragen lassen. Die Anti-AKWBewegung hat den Widerstand in die Bevölkerung getragen und den Atomausstieg mehrheitsfähig gemacht. Es ist nicht der Atomausstieg von Frau Merkel. Lieber Herr Kollege Stegner, es ist auch nicht der Atomausstieg der SPD. Das ist ein bisschen vor meiner Zeit gewesen, aber man kann jedenfalls nicht sagen, als der Atomausstieg von Jürgen Trittin mit Werner Müller und Gerhard Schröder verhandelt wurde, dass die SPD die Grünen angetrieben hat, diesen Atomausstieg durchzusetzen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich glaube, die grauen Haare von Jürgen Trittin stammen aus dieser Zeit - 1998.

Es ist nicht der Atomausstieg von Frau Merkel und nicht der der SPD, es ist auch nicht der grüne Atomausstieg. Es ist der Atomausstieg der Menschen.

Wo ich dabei bin, lieber Herr Kollege Stegner: Ob wir und mit wem wir koalieren, entscheiden letztlich die Grünen und nicht die SPD.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der CDU und Beifall des Ab- geordneten Christopher Vogt [FDP])

Angst vor einem nuklearen GAU hat ganz Europa und die Welt. Aber Deutschland steigt als erstes und größtes Industrieland aus - nicht England, nicht Frankreich, nicht die USA. Wir steigen aus, weil es

eine starke Anti-AKW-Bewegung gab, gibt und geben wird. Sie ist lebendig und wird mit Argusaugen über die Politik wachen. Wir Grünen wissen, wovon wir reden. Wir hatten gerade einen Sonderparteitag. Dies ist der Tag ihres Erfolges, des Erfolgs der Anti-AKW-Bewegung. Schauen Sie sich doch einmal die Fotos an: die langhaarigen Parka-Träger, die vielleicht früher Bombenleger genannt wurden, oder die You-Tube-Filme aus der Gegenwart von den Schülerinnen und Schülern bei Menschenketten vor den AKW auf den Deichen, von Familien mit gelben Fahnen mit der roten Sonne, die ihre Faust ballt. So sehen Sieger aus!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW - Lachen des Abgeordneten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Meine Damen und Herren, ich stimme dem Ministerpräsidenten zu. Die Energiewende ist ein Zukunftsprojekt historischen Ausmaßes. Ich freue mich, dass die erneuerbare Energie - man kann es in der Textfassung Ihrer Regierungserklärung buchstäblich lesen - nun auch bei Ihnen groß geschrieben wird.

(Zuruf)

- Nein, das ist vorher nicht so gewesen. Das haben die Grünen lange gemacht, aber „erneuerbar“ war im Zusammenhang mit Energien ein Adjektiv, jetzt ist es zu einem Substantiv geworden. Das freut mich sehr.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich freue mich auch, Herr Ministerpräsident, dass die sogenannte Kaltreserve - also ein AKW auf Stand-by, was nun wahrhaft technischer Unsinn ist; ein Tribut der Bundeskanzlerin an ihren Berliner Koalitionspartner - von Ihnen ebenfalls kritisch gesehen wird. Ich glaube, viel mehr kann man von einem Ministerpräsidenten der CDU und auch von Ihnen, Herr Kubicki, und der FDP in SchleswigHolstein kaum verlangen.

Ein Kraftakt allerdings ist das Gesetz der Bundesregierung keineswegs. Es ist nur ein Kraftakt, weil zuvor eine falsche Politik verfolgt wurde. Jetzt haben wir Aufhol- und Nachholbedarf. Deswegen müssen wir jetzt Gesetze übers Knie brechen.

Mit dem Beschluss zum Atomausstieg aber beginnt die Arbeit erst. Auf dem Weg, ein Zeitalter der Erneuerbaren wirklich einzuleiten, gibt es viele falsche Abzweigungen und manche Sackgassen. Eine lautet - möglicherweise werde ich einiges vergessen - Kohlekraftwerke. Hier fordere ich von der SPD Schleswig-Holstein das, was wir von der

(Dr. Robert Habeck)

Opposition gern von den regierungstragenden Fraktionen fordern: Fallen Sie Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel in den Arm oder fahren Sie ihm über den Mund, wenn er sich weiter für den Bau neuer Kohlekraftwerke ausspricht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der Abgeordneten Ingrid Brand- Hückstädt [FDP])

Die Sackgassen lauten weiter: CCS und CO2-Verklappung, die jetzt vor allem - Herr Kubicki, hören Sie zu - die Bundes-FDP doch wieder aufschnürt und doch wieder will, dass das Vetorecht und die Länderklausel aus dem Gesetz gestrichen werden. Ja, ich habe gelesen, dass Sie gesagt haben - nonchalant -, das werde alles nicht kommen. Anders als bei Herrn Schlie müssen Sie in diesem Fall springen. Verhindern Sie im Bundesrat und bei Ihren Parteifreunden, dass die Länderklausel aus dem Gesetz herausgenommen wird!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und der Abgeordneten Petra Nicolaisen [CDU])

Wir haben darüber gestritten, wie löchrig sie ist. Es muss dabei bleiben, sonst dürfen Sie im Bundesrat nicht zustimmen. Wenn der Ministerpräsident mitmacht, dann freue ich mich sehr.

Eine weitere Sackgasse ist die Vorfestlegung auf Gorleben bei der Endlagersuche, wie es das Endlagersuchgesetz - jetzt auch in der Beratung - noch immer und gegen die Expertise aller Experten vorsieht.

Dazu zählten weiter lasche Sicherheitskriterien bei den restlaufenden AKW, denn natürlich - ich erinnere an die Regierungserklärung und die Aussprache, die wir danach hatten - ist Brokdorf durch die Laufzeit bis 2021 nicht sicherer geworden, was Hackerangriffe, Schiffshavarien, Flugzeugabstürze oder Hochwasser angeht. Das haben wir hier alles besprochen. Wir alle bleiben aufgerufen, die Sicherheitskriterien ständig zu überprüfen und weiter zu verschärfen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die AtG-Novelle schön und gut, der Rest der Gesetze ist nicht ausreichend und kein Grund zum Feiern. Es muss nachgebessert werden. Aber vor allen Dingen geht es mit dem heutigen Tag um eine Revolution der Denkart.

Herr von Boetticher, kurz vorweg: Dass EEG ist höchstrichterlich von der EU festgestellt - keine Subvention. Das macht gerade seinen Charme aus.

Es ist ordoliberal, wenn Sie so wollen, wenn es Ihnen leichter fällt.

(Beifall beim SSW)

Es ist ein Marktanreiz. Das Programm ist keine Subvention. Das zeigt die neue Zeit. Das EEG ist ein neuer Mechanismus, mit dem nicht Energieträger subventionieren, sondern als Bevölkerung den Umstieg in die Erneuerbaren wirklich selber bezahlen und selber machen. Das ist der Charme des EEG.

Die Zeit aber, in der wir ungebremst und ungezügelt Energie verbrauchen konnten, in der Rohstoffe, Ressourcen und Flächen - Öl, Gas, Uran, Kohle bedenkenlos verschwendet werden konnten, ist mit dem heutigen Tag ebenfalls vorbei. Sie war es längst, aber mit dem heutigen Tag erkennen wir die Mehrheit der Gesellschaft - das auch an. Diese Haltung brachte mit sich, dass wir Energie immer weiter zubauten, auch für die unsinnigsten Erfindungen. Hätten Fernseher und Videorecorder keine Stand-by-Funktion - stattdessen einen Aus-Knopf -, wir brauchten zwei AKW weniger.

Würden wir den Stromverbrauch am Angebot orientieren, nicht das Angebot immer vorhalten, würden wir das Gerede von der Stromlücke weit hinter uns lassen. Die Stromlücke - rechnerisch bemisst sich nämlich nach den Vorstellungen nun wahrhaft fossilen Denkens. Die Stromlücke, das ist die ständige Bereitstellung von Strom entlang des Jahreshöchstverbrauchs, also der Höchstlast plus 5 % Reserve. Das heißt, wir richten unsere gesamte Energie-Infrastruktur so aus, als ob Deutschland am heißesten Sommertag das WM-Finale spielen würde, alle haben ihre Plasma-Fernseher laufen, die Kühlschränke arbeiten auf Hochtouren, um das Bier zu kühlen, die Klimaanlagen in den leeren Büros weil alle Fußball gucken - auch, und außerdem sind gleichzeitig alle Waschmaschinen an. Dann legen wir noch 5 % drauf. Und das an jedem Tag vorhalten? - Was für ein Irrsinn!

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Das ist Unsinn!)

Wir müssen umdenken und den Stromverbrauch an seiner Produktion orientieren, dem Verbrauch buchstäblich die Spitze brechen. Das ist heute durch Internet und intelligente Netze leicht möglich,

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die einfach ein Preissignal aufnehmen. Wie cool wäre es, wenn wir solche Technik in Schleswig

(Dr. Robert Habeck)

Holstein als erste flächendeckend einführen würden. Man sagt einfach: Morgen um 7 Uhr soll der Geschirrspüler fertig sein, ob er um 1, 2 oder um 4 Uhr nachts angeht, entscheidet der Wind.

Wir haben also keine Stromlücke, wir haben eine Erkenntnis- und Handlungslücke.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Noch immer verschwenden wir organischen Abfall - hoch energetisch - auf dem Kompost und bauen stattdessen Mais an. Noch immer reden wir von Müll statt von Reststoffen. Wir rüsten unsere Straßenlampen nicht auf LED-Beleuchtung um, wie es Frau Nicolaisen beispielhaft in Wanderup schon vor ein paar Jahren getan hat.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und SSW)

Wir bauen kein E-Tankstellen-System im Land auf, wir lassen das Pumpspeicherkraftwerk in Geesthacht ungenutzt, wir lassen Technik und Knowhow abwandern. Wir wollen die Studiengänge schließen, die nun gerade und vor allen anderen die Menschen ausbilden, die unsere Probleme lösen. Wir halten Brunsbüttel als Kohlehafen stand-by und verpassen die Chance, ihn als Offshore-Hafen auszubauen. Wir sind viel zu langsam bei der Kraftwärmekopplung, und wir begreifen Bürger als Gegner des Netzbaus - das haben wir heute auch noch einmal gehört, jedenfalls rhetorisch - statt als Verbündete und Partner eines neuen Zeitalters.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Meine Damen und Herren, der Antrag von CDU und FDP zum Netzausbau ist gut gemeint - wir stimmen mit der Forderung nach Geschwindigkeit und der Rede von Bürgerbeteiligung grundsätzlich überein -, vergisst aber das Wesentliche: klare Ansagen, was Bürgerbeteiligung eigentlich heißt. Nur Moderationsrunden des Planers, die sind sozusagen das Spiegelbild des alten Energiezentralismus in der Bürgerbeteiligung.