Protocol of the Session on June 29, 2011

Wir Grüne haben sowohl aus der Regierungsrolle heraus als auch aus der Oppositionsrolle heraus Anträge zum Schutz der Sinti und Roma durch die Landesverfassung unterstützt. Wir stehen nach wie vor dazu.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Argumente sind nicht schlechter geworden, und die Verantwortung gegenüber den Sinti und Roma ist sogar noch gewachsen. Beim Schutz der Sinti und Roma geht es darum, anzuerkennen, dass wir neben den Friesen und den Dänen eine dritte in Schleswig-Holstein lebende nationale Minderheit beheimaten. Die Sinti und Roma sind spätestens laut Europarat 1995 eine anerkannte nationale Minderheit. Auch in diesem Punkt bin ich nicht der Erste, der dies von diesem Pult aus in der Vergangenheit feststellte.

Es geht auch darum anzuerkennen, welche historische Verantwortung wir gegenüber den Sinti und Roma haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Dies ist eine Volksgruppe, der in den vergangenen Jahrhunderten viel Unrecht zugekommen ist, bei

(Gerrit Koch)

dem wir eine zentrale Mitverantwortung haben. Die Eingliederungsversuche im 18. und 19. Jahrhundert sind nur ein Beispiel von vielen, die man nennen könnte. Ich habe sie bereits im Rahmen der ersten Lesung als ein trauriges Beispiel genannt. Es geht darum, dass wir uns der historischen Verantwortung stellen.

Es gibt aber nicht nur historische Gründe. Herr von Boetticher, auch im aktuellen politischen Kontext wäre die Aufnahme des Schutzes der Sinti und Roma ein starkes Zeichen; unabhängig davon, wie andere Landesparlamente reagieren. Wie andere Landesparlamente reagieren, machen Sie auch sonst nicht zum Maßstab Ihres Handelns. Die Diskussionen vor einigen Monaten über die Abschiebung von Sinti und Roma zeigen, wie sehr bis in die Mitte der Gesellschaft hinein Vorurteile und Ressentiments gegenüber den Sinti und Roma in der gesamten Europäischen Union auch heute noch bestehen. Alle diese Argumente für die Verfassungsergänzung wurden fachlich durch die Anhörung, die durchgeführt wurde, unterstrichen. Frau Pauls hat sie genannt. Alle, wirklich alle Anzuhörenden haben sich ausnahmslos für die Verfassungsergänzung ausgesprochen.

Ich möchte noch einige Sätze zu dem Redebeitrag von Ihnen, Herr von Boetticher, beziehungsweise zu der Diskussion sagen, die Sie intern in der CDUFraktion hatten. Ich erkenne an, dass es in der CDU-Fraktion inzwischen eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen, leider noch keine Mehrheit, gibt, die einen Positionswechsel vorgenommen und gesagt haben: Wenn es nach uns ginge, dann würden wir für die Verfassungsänderung stimmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Das ist ein gutes Zeichen. Ich weiß, wie es ist, in der eigenen Fraktion auch einmal eine Minderheitenmeinung zu vertreten. Ich füge aber hinzu, dass eine Enthaltung hier überhaupt nicht hilft und keine Lösung darstellt. Dies sage ich auch in Richtung der FDP-Fraktion.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Es wäre kein Zeichen von Schwäche, von dem üblichen parlamentarischen Verfahren der Fraktionsdisziplin heute in einer so grundsätzlichen Frage abzusehen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir entscheiden hier nicht über Tagespolitik. Keiner, wirklich keiner ginge geschwächt aus diesem

Haus heraus, wenn wir den Schutz der Sinti und Roma in die Landesverfassung aufnehmen würden. Im Gegenteil: Herr Kubicki, es wäre gut in der Sache, und es wäre ein starkes Zeichen für die parlamentarische Demokratie.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich weiß nicht, warum Sie den Kopf schütteln. Sie sind inhaltlich doch einer Meinung mit mir, jedenfalls dann, wenn Sie Ihrer Fraktion folgen. Einen ähnlichen Antrag haben Sie schon einmal mit Frau Lütkes unterzeichnet. Sie, die Kollegen von der CDU, stehen vor der Wahl, ob Sie zusammen mit der FDP, also mit Ihnen, Herr Kubicki, einen Schritt in Richtung einer modernen und zukunftsgerichteten Minderheitenpolitik gehen wollen, oder ob wir uns weiter mit einer Rolle rückwärts im Kreis bewegen wollen. Gehen Sie mit uns den nächsten Schritt in der parteiübergreifenden Minderheitenpolitik, der dringend nötig wäre; gerade nach dem letzten Jahr, in dem wir im Bereich der Minderheitenpolitik viel verloren haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir beantragen eine namentliche Abstimmung, um zu verdeutlichen, dass dies keine parteiprogrammatische Entscheidung ist, sondern eine Gewissensentscheidung eines jeden Einzelnen. Ich habe dies gerade erklärt. Denken Sie noch einmal darüber nach, ob Sie der Verfassungsänderung nicht doch zustimmen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Erlauben Sie mir, auf der Tribüne Herrn MatthäusWeiß, den Vorsitzenden des Landesverbandes der Deutschen Sinti und Roma in Schleswig-Holstein, zu begrüßen - Herr Weiß, Sie sehen, wie wir auch, wie diese Abstimmung ausgehen wird. Ich hoffe, Sie bleiben trotzdem dabei, Ihr Anliegen weiter so zu vertreten, wie Sie es bisher getan haben.

Die Sinti und Roma sind eine Minderheit, die schon seit Jahrhunderten in Schleswig-Holstein zu Hause ist. Sinti und Roma gehören zu diesem Land wie jede und jeder von uns, wie jedes Mitglied der

(Rasmus Andresen)

dänischen Minderheit und wie jede Friesin und jeder Friese. Wer ihnen jetzt die Aufnahme in die Landesverfassung verweigert, ist in höchstem Maße instinktlos. Die Ablehnung des hier vorliegenden Antrags auf Änderung der Landesverfassung ist ein minderheitenpolitischer Skandal, der mich mit Scham erfüllt. Eines müssen wir uns klarmachen: Nicht zuzustimmen, heißt ablehnen. Enthalten hilft hier nicht. Auch wer sich enthält, stimmt gegen die Aufnahme der Sinti und Roma in die Landesverfassung.

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Schleswig-Holstein hatte einmal den Ruf, das Bundesland zu sein, das seinen Minderheiten besonders aufgeschlossen gegenübersteht. Es hatte den Ruf, ein Bundesland zu sein, das die kulturelle Vielfalt, die unterschiedliche Minderheiten in diesem Land etabliert haben, anerkennt und wertschätzt. Eine solche Aufgeschlossenheit hätte ich mir auch in diesem Fall gewünscht. Die Fraktion DIE LINKE ist uneingeschränkt der Meinung: Sinti und Roma gehören zu Schleswig-Holstein. Sie sind ein Teil dieses Landes, und als kulturelle und ethische Minderheit haben sie ein Recht auf den besonderen Schutz durch die Landesverfassung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sehen uns in diesem Anliegen nicht allein. Hans Heinrich Hansen weist als Präsident der FUEV den Vorsitzenden der Fraktion der CDUFraktion zu Recht darauf hin, dass es Sinti und Roma in Schleswig-Holstein schon seit dem 15. Jahrhundert gibt. Er führt viele gute Gründe dafür auf, ihren Schutz in die Landesverfassung aufzunehmen. Wir teilen die Argumente, die Herr Hansen anführt.

Ich will aber nicht verhehlen: Für DIE LINKE bedürfen nicht nur die autochthonen, also die indigenen Minderheiten des besonderen Schutzes des Staates, der in der Landesverfassung festgeschrieben werden muss, sondern auch die allochthonen Minderheiten. Das aber steht hier und heute nicht zur Entscheidung an.

Das Rahmenübereinkommen des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten ist von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden und gültig. Aufgrund dieses Übereinkommens haben wir nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, die Sinti und Roma mit den anderen anerkannten nationalen Minderheiten gleichzustellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei den Anhörungen der Expertinnen und Experten kam eines ganz deutlich zum Ausdruck: Diesen Antrag kann man eigentlich gar nicht ablehnen. Bei diesem Antrag kann man sich auch nicht enthalten. Eine Ablehnung zeugt nicht nur von der Missachtung der deutschen Geschichte, des europäischen Rahmenabkommens und der berechtigten Forderung des Zentralrats der Sinti und Roma. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, es zeugt auch von der Missachtung der von Ihnen selbst eingeladenen Expertinnen und Experten.

Die Ablehnung dieser Verfassungsänderung zeugt von Ignoranz auf der ganzen Linie.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nicht nur das erwähnte Rahmenabkommen und andere europäische und internationale Regelwerke legen uns die Pflicht auf, auch Sinti und Roma in die Landesverfassung aufzunehmen. Für mich persönlich noch viel wichtiger ist die Verpflichtung, die uns aus unserer deutschen Geschichte heraus erwächst. Wir alle wissen, dass Sinti und Roma in Deutschland jahrhundertelang von Diskriminierungen betroffen waren. Der von Deutschen verübte Porajmos, der Genozid an den Sinti und Roma, steht der Shoa, dem Genozid an den Juden, in seinen Auswirkungen nicht nach. Deshalb fasst man heute beide unter dem Begriff Holocaust zusammen.

Die Fraktion DIE LINKE hat im vergangenen Jahr gemeinsam mit dem Zentralrat der Sinti und Roma und anderen Veranstaltern eine Vortragsveranstaltung durchgeführt, in der es um die Deportation von schleswig-holsteinischen Sinti und Roma über den sogenannten Fruchtschuppen 10 im Hamburger Hafen und die anschließende Ermordung dieser Menschen ging. Mir hat diese Veranstaltung erneut vor Augen geführt, dass der Völkermord an den Sinti und Roma durch Deutsche noch immer nicht ausreichend historisch aufgearbeitet ist. Es ist eine Schmach, dass nun die älteren Sinti und Roma, Menschen, die diese Hölle überlebt haben, heute erleben müssen, dass der Antrag zur Aufnahme der Sinti und Roma in die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein zum wiederholten Mal abgelehnt wird. Ich appelliere an Sie alle: Laden Sie diese Schmach nicht auf sich, bekennen Sie sich zu unserer historischen Verantwortung, stimmen Sie dem Antrag zu.

(Beifall bei der LINKEN und SSW)

(Heinz-Werner Jezewski)

Ich erlaube mir den Hinweis, dass Herr Weiß heute Vormittag von der Kollegin Frau Dr. Trauernicht herzlich willkommen geheißen worden ist, wie es eben üblich ist, dass das Präsidium die Gäste auf der Tribüne begrüßt.

Das will ich jetzt, Herr Weiß, auch noch ergänzen. Ich begrüße sehr herzlich Soldaten des 7. Spezialpionierbataillons 164 aus Husum sowie Mitglieder des Amtsausschusses Viöl und des Amtes Viöl. Seien Sie uns alle zusammen ganz herzlich hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag willkommen!

(Beifall)

Jetzt erteile ich das Wort der Frau Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk von der Fraktion des SSW.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach 1998, 2003, 2004 und 2006 ist dieses heute der fünfte Versuch, die Sinti und Roma in den Artikel 5 zum Minderheitenschutz in unserer Landesverfassung aufzunehmen. Die Diskussion ist also nicht neu. Trotzdem müssen wir sie wieder führen. Es gilt nämlich, 20 Jahre nach der Aufnahme der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe auch der dritten anerkannten Minderheit hier im Land endlich Minderheitenschutz und Förderung im Sinne der Landesverfassung zuzusichern.

(Beifall beim SSW)

Sowohl die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf als auch die Ausschussberatung haben deutlich gemacht, dass die CDU zwar, wie die Kollegin Damerow es im September des letzten Jahres ganz richtig erkannte, Diskussionsbedarf hat, aber leider jetzt wieder die gleichen Argumente bewegt, die sie auch in den letzten 20 Jahren bewegt hat. Das ist bitter, weil uns allen mittlerweile bewusst ist, dass es auch bei der CDU vermehrt Stimmen gibt, die sich für die Aufgabe dieser althergebrachten Positionen aussprechen und starkmachen.

Ich will würdigen, dass der Fraktionsvorsitzende der CDU mit seinem Redebeitrag auch eine Öffnung dieser Position angekündigt hat, wobei bei mir zwei Seelen in einer Brust schlagen. Entweder ist das Glas halb voll oder halb leer. Denn bisher haben Sie sich nicht bewegt. Unter dem Strich bleibt stehen, dass bei Ihnen Minderheitenpolitik keinen ernst zu nehmenden Stellenwert hat.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Unter dem Strich bleibt also so stehen, dass es völlig inakzeptabel ist, den Sinti und Roma nicht den gleichen Schutz der Landesverfassung zukommen zu lassen wie den Dänen und Friesen.