Protocol of the Session on December 16, 2009

(Zuruf des Abgeordneten Andreas Tietze [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Bei allem Beschwören einer konstruktiven Zusammenarbeit: Ich warne davor, einer jeweiligen Regierung die jeweils armen Menschen zuschieben zu wollen, wenn es hier eine Gemeinsamkeit geben soll. Es wäre am Anfang einer Legislaturperiode sehr leicht, arme Menschen auf die Vorgängerregierung zu schieben. Ich finde, so einfach dürfen wir es uns vor allen Dingen dann nicht machen, wenn wir es ernst damit meinen, diesen Menschen dauerhaft und nachhaltig zu helfen. Ich finde das ein bisschen billig.

(Beifall bei der FDP)

Kollege Fischer, ich war über zweierlei in Ihrem Beitrag erstaunt: Sie werfen den Koalitionsfraktionen vor, nichts zu tun oder nichts tun zu wollen, im Zweifel auch das Falsche zu tun. Dann aber deklinieren Sie genau die drei Kernpunkte unserer Regierungsarbeit herunter, die wir anpacken: eine neue Bildungspolitik, die den Zugang zu Bildung weiter verbessern soll, eine passgenauere Arbeitsmarktpolitik und eine präventive Sozialpolitik. Kollege Fischer, genau das werden wir tun. Genau das sind die nachhaltigen Maßnahmen, die erforderlich sind, um Armut langfristig und dauerhaft zu bekämpfen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

An einer Stelle habe ich mich über den Beifall der SPD-Fraktion während des Beitrags der Fraktion DIE LINKE sehr gewundert. Haben Sie Frau Jansen eigentlich zugehört? - Sie hat all Ihre Initiativen, Ihr komplettes Programm als - ich habe mir das notiert - reine Alibipolitik in den letzten Jahren bezeichnet. Da klatschen Sie am Ende? - Das wundert mich. Ich nehme das zur Kenntnis und werde es im Zweifel auch für die weitere Regierungsarbeit zur Kenntnis nehmen.

(Heinz-Werner Jezewski [DIE LINKE]: Sie sind lernfähig!)

- Ja, sie sind lernfähig. Sie haben offensichtlich ganz schnell vergessen, dass sie Regierungsverantwortung getragen haben.

(Beifall bei der FDP)

Der Rat der EU hat in den Mittelpunkt der Planungen zum „Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ folgende sieben Themen gestellt. Es ist vielleicht nötig, daran zu erinnern: Erstens. Kinderarmut und Vererbung von Armut. Zweitens. Der integrative Arbeitsmarkt. Drittens. Der Zugang zur allgemeinen und zur beruflichen Bildung. Viertens. Geschlechtsspezifische Dimension der Armut. Fünftens. Zugang zu Grundversorgung. Sechstens. Überwindung von Diskriminierung und Förderung der Integration von Zuwanderern sowie der Eingliederung ethnischer Minderheiten in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt. Siebtens. Eingehen auf die Bedürfnisse behinderter Menschen und sonstiger gefährdeter Gruppen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will an dieser Stelle deutlich sagen: Die Bekämpfung von Kinderarmut ist nicht nur eine staatliche, sondern auch eine gemeinschaftliche, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie erfordert das Engagement aller staatlichen, aber auch aller nicht staatlichen Akteure. Darauf macht das Aktionsjahr im Übrigen unzweifelhaft aufmerksam.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Sassen [CDU] - Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

Offensichtlich gibt es eine Gedächtnislücke, aber alle, die sich in diesem Haus schon länger mit dieser Frage befassen, wissen: Es gibt in SchleswigHolstein eine Kultur der Gemeinsamkeit. Es gibt eine Kultur des Miteinanders. Es gibt gemeinsame Anstrengungen gegen Armut und insbesondere gegen Kinderarmut.

Ich sage ganz deutlich: Diese gibt es nicht erst seit Beginn dieser Legislaturperiode. Wir haben eine Vielzahl von guten Konzepten und Aktivitäten, die mit allen Ressorts, mit den Verbänden, mit der kommunalen Selbstverwaltung und mit der Freien Wohlfahrtspflege weiterentwickelt werden. Wenn Sie sich daraus verabschieden wollen, dann müssen Sie das ganz klar sagen. Ich will das nicht. Es ist mir ganz wichtig: Es gibt auch Aktivitäten von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die den Sozialstaat nicht ersetzen können. Sie sollen aber praktische Solidarität leben, wo manch anderer nur große Worte führt.

(Minister Dr. Heiner Garg)

Herr Minister Garg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Fischer?

Ja, selbstverständlich.

Herr Minister, das Europäische Jahr 2010 ist mit einem Budget von mindestens 26 Millionen € ausgestattet. Sie haben gesagt, Sie machen etwas. Meine Frage lautet: Wie viel von diesen Geldern wird nach Schleswig-Holstein fließen?

- Sie erwarten doch nicht ernsthaft vor einer Kabinettsklausur und bevor der Haushalt aufgestellt ist, dass ich Ihnen auf Ihre Frage hin an dieser Stelle eine konkrete Zahl nennen kann? - Das ist doch albern, was Sie hier veranstalten! Die EU stellt völlig zu Recht heraus: Die Bekämpfung von Armut ist nicht allein staatliche, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich will noch einmal daran erinnern. Kollege Fischer, selbstverständlich ist der Staat gefordert, aber alle anderen gesellschaftlichen Akteure sind es ebenso. Im Übrigen macht sich der Antrag der Koalitionsfraktionen nichts anderes zu eigen. Lesen hilft an dieser Stelle manchmal.

Das kommende Europäische Jahr bietet den geeigneten Rahmen für einen Vergleich regionaler Aktivitäten. Ziel soll es nicht sein, zu bestehenden Projekten und Maßnahmen weitere wahllos hinzuzuaddieren. Vielmehr ist die Weiterentwicklung und selbstverständlich auch die Vernetzung bewährter Aktivitäten das Ziel.

Erfolgsmaßstab aller Aktivitäten muss die Sicherung von Teilhabe und weiterer Entwicklungsmöglichkeiten sein. Erfolgsmaßstab muss die Herstellung von Startchancengleichheit bei der Bildung sein, und zwar angefangen bei frühkindlicher Bildung bis hin zum Übergang in eine berufliche Ausbildung. Wir brauchen vorschulische und schulische Sprachförderprogramme mit einem ganz besonderen Augenmerk auf Kinder von Migrantenfamilien. Wir brauchen gut vernetzte schnelle und frühe Hilfen, insbesondere für Kinder mit gesundheitlichen Problemen oder mit Entwicklungsdefiziten. Wir brauchen Angebote zur Erziehungs- und Haushaltskompetenz für Eltern, denen Bildung und Erziehung nicht in die Wiege gelegt wurden, damit sie eigenständig und selbstbewusst ihre Kinder großziehen und vor Schaden bewahren können.

Um die Aufzählung zu beenden: Wir brauchen zielgerichtete Arbeitsmarktprogramme, die es Familien und ganz besonders Alleinerziehenden mit geringen Einkommen ermöglichen, eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Dies sind nur die wichtigsten Punkte.

Ursachen von Kinderarmut und Armut sind nur begrenzt von Politik und Staat beeinflussbar, auch wenn Sie daran nicht glauben mögen. Es wäre schön, wenn das anders wäre. Kollegin Jansen, erst recht sind sie nicht durch Beschlusslage beeinflussbar. Umso mehr erfordert Kinderarmut das Engagement aller staatlichen und nicht staatlichen Akteure.

Ich kann Ihnen ganz sicher sagen: Schleswig-Holstein und die Landesregierung werden sich genau dieser Herausforderung stellen. Die neue Landesregierung steht dafür, dass dies geschieht, und zwar nicht nur im „Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“ 2010, sondern auch im „Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung“.

(Beifall bei FDP und CDU)

Herr Minister, würden Sie noch eine Frage beantworten?

Ja.

Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Minister Garg, alles, was Sie gerade gesagt haben, trifft, so denke ich, bei den Antragstellern des anderen Antrags auf große Zustimmung. Ich frage mich nur - das würde ich gern wissen -, was aus Ihrer Sicht dagegen spricht, Verbände in diesen Prozess einzubeziehen, und warum Sie als Regierung glauben, dass diese Ziele ohne die Einbeziehung der Verbände besser erreicht werden können.

Lieber Kollege Andresen, ich denke, ich bin der falsche Adressat. Das ist kein Antrag der Landesre

gierung, sondern das ist ein Antrag, den das Plenum gestellt hat, und davor habe ich großen Respekt.

(Beifall bei FDP und CDU - Erneute Wort- meldung des Abgeordneten Rasmus Andre- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine weitere Frage kann es jetzt nicht mehr geben, Herr Abgeordneter.

Ich rufe nun die Dreiminutenbeiträge auf. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jezewski von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Garg, wer viel sagt, sagt auch viel Richtiges. Bei dem, was Sie gesagt haben, war natürlich viel Richtiges dabei. Ich hätte fast geklatscht, als Sie gesagt haben, wir dürften Armut nicht Einzelnen in die Schuhe schieben und schon gar nicht denen, die heute nicht mehr an der Entscheidung beteiligt sind. Aber im nächsten Absatz haben Sie dann auf den ehemaligen Regierungspartner SPD eingeprügelt, der dies alles verursacht habe. Ich finde, das ist ein Stil, über den wir einmal nachdenken sollten.

(Zurufe von der SPD)

Über etwas anderes sollten wir auch noch einmal nachdenken: Dass sich der Ministerpräsident hier hinstellt und in der Regierungserklärung ankündigt, dass man sozialen und kulturellen Initiativen das Geld wegnehmen will, ist ein Punkt.

(Zuruf des Abgeordneten Andreas Beran [SPD])

Das kann ich noch irgendwie in Ihrer Logik nachvollziehen. Vielleicht glauben Sie, mit diesen paar Euro den Haushalt sanieren zu können, oder Sie haben andere Gründe dafür. Aber dann diese Initiativen, denen man vor vier Wochen angekündigt hat, das Geld wegzunehmen, als Beleg dafür anzuführen, dass Schleswig-Holstein genug gegen Armut und soziale Ausgrenzung tut, ist nicht nur schäbig, sondern sogar zynisch. Deswegen bitte ich Sie wirklich, Ihren Antrag noch einmal zu überdenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu einem weiteren Dreiminutenbeitrag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Silke Hinrichsen von der Fraktion des SSW das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Garg, Sie haben gerade ausgeführt, dass die Maßnahmen der Bundesregierung evaluiert werden sollen. Wenn ich mich recht entsinne, ist aber beabsichtigt, das Kindergeld dennoch jetzt schon um 20 € zu erhöhen. Vielleicht ist das eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Familienrechtsanwälte, denn zum 1. Januar 2010 kommt es auch zur Neuberechnung des Unterhalts, unter anderem wegen der geänderten Düsseldorfer Tabelle.

Mein Problem besteht nur darin, dass Kindergeld angerechnet wird. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass das Kindergeld voll auf Hartz IV angerechnet wird. Dies gilt auch für Zahlungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Dadurch entlasten sich sozusagen die staatlichen Unterstützer selber, indem sie mehr Kindergeld bewilligen. Ich finde, es wird verkannt, dass bei Hartz IV das Kindergeld voll angerechnet wird und dass dann auch ein geringerer Unterhaltsvorschuss gezahlt wird. Darüber hinaus kommt der steuerliche Entlastungsfreibetrag, der ja auch noch beabsichtigt ist, nur jenen zugute, die überhaupt Steuern zahlen können.

Deshalb empfinde ich es als Hohn, was die Kinderarmut angeht zu sagen, es werde jetzt etwas getan.

Es soll evaluiert werden. Ich finde, das ist eine gute Idee. Warum aber nicht früher? Ich frage mich bei der Kindergeldanrechnung wirklich, warum dies nicht vorher stattfindet. Zurzeit läuft ja beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren über die Frage, ob der Hartz-IV-Satz für Kinder überhaupt angemessen ist. Ich kenne gleichzeitig die Düsseldorfer Tabelle, die ab dem 1. Januar 2010 wieder höhere Beträge für die Kinder festsetzt. Das stimmt leider mit Hartz IV überhaupt nicht überein. Der Hartz-IV-Satz liegt noch darunter.

Ich hätte es begrüßt, wenn die Überlegung bestanden hätte, zumindest die Erhöhung des Kindergeldes bei Hartz IV und beim Unterhaltsvorschuss nicht anzurechnen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Dann wäre wirklich mehr Geld bei den Familien angekommen, die seit einigen Jahren von Hartz IV leben müssen, zumal die Entwicklungen ja gezeigt

(Minister Dr. Heiner Garg)

haben, dass es fast unmöglich ist, aus Hartz IV herauszukommen. - So würde ich die letzten Berichterstattungen sowohl im Fernsehen als auch in den Zeitungen beurteilen. - Es wäre schön, wenn Sie sich dafür einsetzten, dass sich das ändert.

(Beifall beim SSW)