Protocol of the Session on December 16, 2009

(Wolfgang Kubicki)

- Zunächst einmal würde ich den natürlich nicht so qualifizieren, weil ich - wie Sie wissen - nur vernünftige Sachen mache. Zum anderen habe ich immer noch nicht verstanden, in welchen Zusammenhang Sie das zu der Feststellung bringen wollen, dass die Sozialdemokraten eine Norm streichen wollen, die es gar nicht mehr gibt.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Kai Dolgner [SPD])

- Frau Präsidentin, ich darf jetzt fortfahren. Ich schreibe Ihnen dazu noch etwas. Vielleicht hilft Ihnen das weiter.

Die Regierungskoalition hat verabredet, dass Polizeirecht in Gänze zu überprüfen. Weil die Formulierungen im Koalitionsvertrag hierzu sehr gelungen sind, möchte ich sie kurz zitieren:

„CDU und FDP werden bestehende Regelungen zur inneren Sicherheit und Ordnung auf ihre Erforderlichkeit hin überprüfen und dabei die aktuelle Verfassungsrechtssprechung berücksichtigen. Auf eigenständige Regelungen zu Onlinedurchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung wird verzichtet.“

Unser neuer Innenminister, der Kollege Schlie, hat in seinen ersten Interviews dokumentiert, dass er diesen neuen freien Geist der Koalition voll mitträgt. Fälschlicherweise ist früher immer etwas anderes von ihm behauptet worden. Ich habe mitbekommen, dass das daran lag, dass ihr in der Koalition mit den Sozialdemokraten wart und den Kollegen Schlie nicht ganz allein stehen lassen wolltet. In einem Interview mit dem „sh:z“ vom 2. November 2009 zur Rasterfahndung hat er Folgendes ausgeführt, was mich so begeistert hat, dass ich es auch zitieren möchte:

„Die Sicherheitsbehörden haben dieses Instrument bisher einmal angewandt. Der Erfolg tendierte gegen null.“

Frau Kollegin Heinold, das haben wir - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und wir damals - gemeinsam vorausgesagt. Kollege Schlie hat fortgeführt:

„Ich will den Beratungen nicht vorgreifen, aber ich denke, dass diese Fahndungsmethode, mit der eben auch in Freiheitsrechte von Menschen eingegriffen wird, keinen Bestand haben wird.“

Das ist doch schon einmal etwas. Herr Minister, Sie haben hierfür die volle Unterstützung meiner Fraktion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in allem Ernst: Die einzig sinnvolle Verfahrensweise zum vorliegenden Gesetzentwurf ist, ihn im Ausschuss liegen zu lassen, bis die Koalition ihre Ergebnisse vorlegt, und dann den Mantel des Schweigens und des Vergessens über die Innen- und Rechtspolitik der SPD auszubreiten.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion der Grünen hat Herr Abgeordneter Thorsten Fürter das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir Parlamentarier nehmen uns heute eine halbe Stunde Zeit, um über eine Vorschrift zu reden, die das Bundesverfassungsgericht vor mehr als eineinhalb Jahren für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt hat. Juristen hier im Haus haben schon richtig darauf hingewiesen. Es schlagen zwei Seelen in meiner Brust: Der Jurist in mir fragt sich in der Tat: Was soll das? - Wenn das Gesetz nichtig ist, dann wird es nicht angewendet. Das wird in den Gesetzessammlungen üblicherweise über eine Fußnote geklärt. Der Datenschützer in mir freut sich aber, weil uns das Gelegenheit gibt, einmal grundsätzlich kurz über das Thema Datenschutz zu sprechen.

Sie haben es von meinen Kolleginnen und Kollegen bereits gehört. Wir sprechen heute über einen Gesetzentwurf, der zurückholen soll, was die damalige schwarz-rote Koalition gegen Widerstände der Richter- und Anwaltsvereinigungen, des ADAC, des Datenschutzbeauftragten, des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtags, der Gewerkschaft der Polizei und der damaligen Oppositionsfraktionen, der Grünen, des SSW und der FDP, beschlossen hat. Einhelliger Tenor damals war: Dieses Gesetz ist schlecht, weil es Bürgerrechte und Verfassung missachtet. So hat das Verfassungsgericht dann auch geurteilt. Ich zitiere aus der Entscheidung:

„Sie (die Vorschriften) ermöglichen schwerwiegende Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen.“

§ 184 Abs. 5 ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Das Gesetz war nicht nur verfassungswidrig, es war auch unnötig. Innerhalb von sieben Monaten wurde bezüglich gestohlener Fahrzeuge kein einziger Fahndungserfolg erzielt. Diese Erfolge waren aber beabsichtigt. Von der Dingfestma

(Wolfgang Kubicki)

chung gefährlicher Terroristen will ich gar nicht reden. Im Gegenzug sind die Grundrechte verletzt worden, und zwar von 131.323 Fahrerinnen und Fahrern mit ihren erfassten Fahrzeugen. Das zeigt mir mehr als deutlich: Ein Mehr an Überwachung führt eben nicht zu einem Mehr an Sicherheit, wie das Sicherheitspolitiker immer wieder versprechen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und des Abgeordneten Wolf- gang Kubicki [FDP])

Deshalb hätte es zum Vorschlag der Streichung der Vorschrift auch eine Alternative gegeben. Wir haben vor dem Landtag ein Stück der Berliner Mauer stehen. Es steht als Mahnmal da. Vielleicht brauchen auch Gesetze diese Mahnmale. § 184 Abs. 5 LVwG hätte als Erinnerung an den Überschwang der Sicherheitsgesetzgebung in der Folge des Anschlags vom 11. September 2001 so ein Mahnmal sein können. Als Erinnerung daran, dass es wieder und wieder die Gerichte waren, die der Mehrheit der Abgeordneten in den Parlamenten vorschreiben mussten, was Grundrechte in Wahrheit wert sind.

Sehr geehrte Damen und Herren, es stünde schlecht um die Bürgerrechte in diesem Land, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht beharrlich der Freiheit des Menschen den notwendigen Stellenwert eingeräumt hätte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei SPD und FDP)

Wir Abgeordnete müssen durch unsere Gesetzgebung Bürgerinnen und Bürger schützen und zugleich ihre Freiheit bewahren. Auch wenn einige dies unbequem finden, diese Abwägung ist keine Aufgabe, die wir an das Bundesverfassungsgericht delegieren können.

Der Schutz der Bürgerinnen und Bürger ist eine staatliche Kernaufgabe, der wir uns stellen, der wir uns stellen müssen. Freiheit und Sicherheit sind gleichzeitig möglich. Sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen selbstbewusste Bürgerinnen und Bürger ohne Angst vor ständiger Überwachung und ohne Angst vor staatlicher Allmacht. Innere Sicherheit basiert auch auf dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihren Staat und des Staates in seine Bürgerinnen und Bürger. Dies gilt es zu stärken. Dass die damalige Große Koalition aber sehenden Auges gegen alle Warnungen ein verfassungswidriges Gesetz beschlossen hat, finde ich auch nach über eineinhalb Jahren immer noch beschämend.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der LINKEN)

Ich hoffe, die damaligen Akteure haben etwas für die Zukunft gelernt. Ich sehe in diesem Vorstoß aus Ihren Reihen auch eine Art Abbitte für eine falsche Politik der Vergangenheit. Meine Fraktion wird diesem Gesetzentwurf daher zustimmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Herr Abgeordneter Heinz-Werner Jezewski das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viel ist den Ausführungen von Herrn Fürter nicht hinzuzufügen. Besonders eine Begründung dieses Antrags erübrigt sich eigentlich, denn das Verfassungsgericht hat entschieden, was ich mit der Erlaubnis der Frau Präsidentin wörtlich zitiere:

„§ 184 Abs. 5 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein …“

- ich lasse die Nebensächlichkeiten aus

„ist mit Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.“

Im Nachhinein stolz darauf zu sein, dass man so ein Gesetz beschlossen hat, finde ich beschämend. Wer so ein Gesetz beschließt, obwohl er ausdrücklich davor gewarnt worden ist, dass solche Bestimmungen verfassungswidrig sind, handelt fahrlässig, wenn nicht grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich. Herr Kollege Kubicki hat das dankenswerterweise erwähnt. Ob Leute, die grob fahrlässig oder vorsätzlich Gesetze machen, die die Verfassung brechen, weiterhin regieren sollten, halte zumindest ich für nachdenkenswert.

Lassen Sie mich aber kurz erläutern, warum die Diskussion über den Antrag heute richtig und wichtig ist. In seiner Urteilsbegründung führt das Bundesverfassungsgericht aus - ich zitiere wieder -:

„Der Schutzumfang des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beschränkt sich nicht auf Informationen, die bereits ihrer Art nach sensibel sind und schon deshalb grundrechtlich geschützt werden. Auch der Umgang mit personenbezogenen Daten, die für sich genommen nur geringen Informations

(Thorsten Fürter)

gehalt haben, kann - je nach seinem Ziel und den bestehenden Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten - grundrechtserhebliche Auswirkungen auf die Privatheit und Verhaltensfreiheit des Betroffenen haben.“

Wir können eigentlich nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner derzeitigen weisen Beratung über die Vorratsdatenspeicherung diesen Grundsatz noch erinnert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sollen also hier und heute nicht nur eine gegen das Grundgesetz verstoßende Regelung aus einem Landesgesetz streichen. Sie steht noch drin. Der Vermerk darunter, dass das Bundesverfassungsgericht dies für nichtig erklärt hat, ist nicht gerade ein Ruhmesblatt für diesen Landtag. Wir können das Ding auch entfernen, so einfach ist das. Wir sollen diese Regelung aber nicht nur streichen, wir sollen uns auch daran erinnern, mit welcher Vehemenz und Überzeugung dieses Gesetz seinerzeit eingebracht und verabschiedet wurde.

Bedenken gab es schon vor der Verabschiedung. Diese wurden auch laut geäußert - wir haben es mehrfach gehört -, und zwar nicht nur von der damaligen Opposition, sondern auch von unabhängigen Fachleuten wie dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und anderen. Nun gab es aber nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken gegen das Scannen von Kfz-Kennzeichen. Der Wissenschaftliche Dienst des Landtages äußerte nach Angaben des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel in der damaligen Debatte in einem Gutachten zu 16 Punkten verfassungsrechtliche Bedenken. Einen dieser Punkte können wir heute korrigieren. 15 weitere bleiben uns, um die wir uns in den nächsten Monaten und Jahren kümmern sollten.

Herr Kubicki, wir werden Sie beim Wort nehmen. Wir werden uns das Gutachten herausholen und schauen, was diese Landesregierung macht und ob es ernst gemeint ist. Wenn es ernst gemeint ist, werden wir Sie dabei unterstützen, wenn nicht, werden wir die Anträge anders einbringen.

(Beifall bei der LINKEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion des SSW erhält die Frau Abgeordnete Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über das Landesverwaltungsgesetz, nicht über das Landeswahlgesetz, wie ich es bei einigen meiner Vorredner gehört habe. Das möchte ich noch einmal klarstellen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Im Jahr 2006 war der damalige Innenminister Dr. Stegner zu 100 % von der Wirksamkeit der geplanten Maßnahmen überzeugt und hat die im Rahmen dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften vertreten. Er hat damals gesagt, einen Grundrechtsverstoß könne er nicht erkennen.

„Mir muss einmal jemand erklären, worin eigentlich der Grundrechtseingriff besteht, wenn Autokennzeichen für Sekundenbruchteile gespeichert … werden.“

Dies gab er vor drei Jahren zu Protokoll. Erklärt wurde das dann durch das Bundesverfassungsgericht.