Protocol of the Session on March 25, 2011

Schon heute klagt jedes zweite Unternehmen über Probleme bei der Besetzung von offenen Stellen, und das nicht nur bei Akademikern. Im Jahr 2020 werden bei uns in Schleswig-Holstein bereits 70.000 Fachkräfte fehlen. Bis 2030 wird diese Zahl auf unfassbare 250.000 ansteigen. Diese Entwicklung bedroht das Wachstum von morgen, es bedroht unseren Wohlstand und unsere gesamte Gemeinschaft. Denn schließlich müssen zukünftig immer weniger Arbeitnehmer die Lasten unseres Sozialstaats tragen. Deshalb ist es notwendig, dass wir den Fachkräftemangel entschlossen und kontinuierlich bekämpfen. Genau das tun wir.

(Beifall bei CDU und FDP)

Von Anfang an hat sich diese Koalition für Maßnahmen eingesetzt, die diesem Trend entgegentreten. So ist einer der fünf Schwerpunkte der Mittelstandsoffensive eben genau die Sicherung des zukünftigen Fachkräftebedarfs. Erst kürzlich hat die Landesregierung das Bündnis für Fachkräfte, an dem alle betroffenen Akteure beteiligt sind, initiiert. Mit unserem heutigen Antrag wollen wir diese Entwicklung begleiten und das Tempo aufrechterhalten.

In einem ersten Schritt ist das Verfahren zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen zu vereinfachen, zu vereinheitlichen und zu beschleunigen. Künftig soll es nur noch maximal drei Monate dauern, bis eine Entscheidung vorliegt. Das ist ein erheblicher Fortschritt, den wir ausdrücklich begrüßen. Der vorgestern im Bundeskabinett gefasste Beschluss ist nicht nur ein wichtiger

(Ellen Streitbörger)

Beitrag gegen den Fachkräftemangel, sondern auch ein Signal für Integration in Deutschland. Die Anerkennung der Qualifikation, auch durch Nachqualifizierungen, schafft Selbstbewusstsein, ermöglicht ein Auskommen durch eigene Arbeit, und sie ist deswegen ein wesentliches Integrationselement.

(Beifall bei CDU und FDP)

300.000 Menschen sind deutschlandweit davon betroffen.

Darüber hinaus wollen wir gerade für hoch Qualifizierte die Barrieren für den Eintritt in den deutschen Arbeitsmarkt senken. Hierzu sollen die Einkommensgrenze abgesenkt, der Zeitraum zur Suche eines Arbeitsplatzes verlängert und die regionalen Beschäftigungsbeschränkungen abgeschafft werden. Damit werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen mittelfristig systematisch an den Bedürfnissen des deutschen Arbeitsmarkts ausgerichtet werden. Ich bin davon überzeugt, dass die genaue Ausgestaltung am Ende vernünftig und im Interesse von Schleswig-Holstein sein wird.

In diesem Zusammenhang ist auch der Wegfall der Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai 2011 zu sehen. Unser Arbeitsmarkt wird für viele Millionen Osteuropäer geöffnet. Die europäische Integration schreitet voran. Das wird ein historischer Tag für Europa werden, über den wir uns alle freuen sollten und dessen Chancen wir nutzen sollten. Die Politik wird den Prozess aufmerksam begleiten und bei Fehlentwicklungen gegensteuern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller notwendigen Zuwanderung dürfen wir jedoch auch die heimischen Potenziale nicht außer Acht lassen. Im Gegenteil, gerade im Hinblick auf sie müssen wir besonders aktiv sein. So liegt Deutschland bei der Frauenerwerbsquote nur im europäischen Mittelfeld. Durch unsere familienfreundliche Politik und durch den Ausbau der Ganztagsbetreuung schaffen wir die Voraussetzungen, dass wir im internationalen Vergleich wieder aufholen können.

(Beifall bei CDU und FDP)

Außerdem müssen wir gering Qualifizierte weiterqualifizieren, verborgene Potenziale bergen und die Beschäftigungssituation von älteren Arbeitnehmern verbessern. Gemeinsam stellen wir uns der Herausforderung, damit wir auch noch in 20 Jahren von einer intakten Wirtschaft profitieren können. Ich bitte deswegen um Zustimmung zu unserem Antrag.

Der Antrag der SPD-Fraktion enthält nichts Neues, nichts, was nicht schon gemacht wird oder in unserem Antrag bereits enthalten ist, und er ist mit der ebenfalls nicht neuen Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen, über die wir auch hier schon verschiedentlich debattiert haben, für uns nicht zustimmungsfähig.

Über den Antrag der LINKEN können wir im Ausschuss gern reden. Er greift bestimmte wichtige Aspekte auf, führt aber nach einer Kurzbewertung zu bedenklich mehr Bürokratie und höheren Kosten.

(Beifall bei CDU und FDP)

Für die SPD-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Anette Langner das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Von den 117.000 in Schleswig-Holstein gemeldeten Arbeitslosen sind 44 % Frauen, 11 % unter 25 Jahren, 28 % zwischen 50 und 65 Jahren, 10 % Migrantinnen und Migranten und 5 % Menschen mit Behinderung. Immer noch verlassen 8,4 % der Schulabgänger in SchleswigHolstein die Schule ohne Schulabschluss. Gerade angesichts der demografischen Entwicklung und des wachsenden Fachkräftebedarfs gilt: Kein Talent darf verloren gehen - egal mit welchen Voraussetzungen und egal welcher Herkunft.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Detlef Buder [SPD] und Regina Poersch [SPD])

Die Landesregierung hat im Februar ein „Bündnis für Fachkräfte“ initiiert, das viele Akteure, die dazu beitragen können, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, an einen Tisch bringt. Jetzt warten wir allerdings auf konkrete Maßnahmen der Landesregierung und der Bündnispartner, um der Problembeschreibung mit Lösungen zu begegnen.

Bislang erleben wir die Landesregierung jedoch bei Maßnahmen, die dem Fachkräftemangel entgegenwirken könnten - um es vorsichtig zu sagen -, eher zögerlich.

Drei Beispiele: Neuorganisation des sogenannten Übergangsmanagements von der Schule in den Beruf, um zu verhindern, dass Jugendliche in Warteschleifen demotiviert werden? - Fehlanzeige! Hamburg hat gemeinsam mit den Beruflichen Schulen

(Johannes Callsen)

ein Angebot entwickelt, das in einem flexiblen System zwischen betrieblichen und überbetrieblichen schulischen Angeboten jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz garantiert. Das wäre ein Vorbild.

Konkrete Maßnahmen für den Pflegebereich, in dem wir jetzt schon einen eklatanten Fachkräftemangel haben? - Fehlanzeige! Außer öffentlichkeitswirksamen Terminen und Aktionswochen des Ministers warten wir hier immer noch auf konkrete Vorschläge zur Neuordnung der Ausbildung in den Pflegeberufen.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] - Christopher Vogt [FDP]: Was hat denn die SPD gemacht?)

Und die Streichung der finanziellen Unterstützung des dritten Jahres in der Altenpflegeausbildung trägt mit Sicherheit auch nicht zur Attraktivität dieser Ausbildung bei.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittes Beispiel: Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in aller Munde, aber konkrete Maßnahmen? - Fehlanzeige! Es gibt zwar die jährliche Auslobung von Preisen für familienfreundliche Betriebe, das ist wichtig und gut. Aber konkret geht es doch vor allem um den Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten in Kindertagesstätten, Kindergärten und Ganztagsschulen. Denn nur mit einer flächendeckenden, guten Infrastruktur an Ganztagsbetreuung können Frauen mit Kindern ohne Probleme erwerbstätig sein.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Eine Fachkräftestrategie für Schleswig-Holstein muss Erwerbsbeteiligung mobilisieren und vorhandene Potenziale ausschöpfen, attraktive Arbeitsplätze schaffen und eine Willkommenskultur für qualifiziere Arbeitskräfte aus dem Ausland schaffen. Dazu brauchen wir eine Ausbildungsgarantie, neue Chancen zur Berufsqualifizierung für Jugendliche ohne Schul- und Berufsabschluss, ein dem zukünftigen Bedarf angemessenes Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen, ein umfassendes und hochwertiges Angebot an betrieblicher Weiterbildung, eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen durch attraktive und gerecht bezahlte Arbeitsplätze, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine familienorientierte Personalpolitik der

Unternehmen und familiengerechte Rahmenbedingungen für Beschäftigte.

Ältere Beschäftigte müssen durch bessere Rahmenbedingungen in der Gesundheitsprävention und Arbeitsschutz länger im Berufsleben gehalten werden. Der Arbeitsmarkt muss auch für Menschen mit Behinderung offener werden. All das liegt nicht zuletzt in der Verantwortung der Unternehmen selbst. Aber gerade bei vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen mangelt es aufgrund fehlender Ressourcen an einer mittel- und langfristigen Personalplanung.

Ausbildungsverbünde und Beratungsstellen auch für die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland können wichtige Unterstützungsmaßnahmen für diese Unternehmen sein.

Das Potenzial der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten wird wirkungsvoll zum Tragen kommen, wenn wir im Ausland erworbene Bildungs- und Berufsabschlüsse schneller und unkomplizierter anerkennen. Gestern hat das Bundeskabinett endlich einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse deutlich erleichtern und beschleunigen soll.

Ausdrücklich zu begrüßen ist, dass Migrantinnen und Migranten jetzt ein Recht darauf haben, dass das Anerkennungsverfahren in drei Monaten abgeschlossen ist. Es bleibt allerdings bei einem Wirrwarr von Anlaufstellen. Betreuung, Beratung und Förderung der Betroffenen kommt weiter zu kurz, und die Frage, ob und wie notwendige Nachqualifizierungen finanziert werden, bleibt weiter ungeklärt. Schade, wirklich sehr schade, dass Frau Schavan nach einer langen Anlaufzeit die Chance nicht genutzt hat, dieses Thema im Sinne der Migrantinnen und Migranten und dem enormen Qualifikationspotenzial, das sie mitbringen, zu klären.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie sich im Bundesrat für eine Änderung des Gesetzentwurfs in den angesprochenen Punkten einsetzt und baldmöglichst eine Anerkennungsregelung für die Berufe vorlegt, die in der Zuständigkeit des Landes sind - zum Beispiel für Lehrer, Erzieher und Ingenieure.

Gut wäre es, wenn es hinter dem „Bündnis für Fachkräfte“ auch eine Fachkräftestrategie für Schleswig-Holstein geben würde. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Anette Langner)

(Beifall bei SPD und der LINKEN sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die FDP-Fraktion hat Herr Abgeordneter Christopher Vogt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es schon gehört: Der demografische Wandel ist kein abstraktes Medienthema mehr, sondern bereits heute in vielen Bereichen spürbar - auch und gerade auf dem Arbeitsmarkt. Ich bin mir sicher, dass der Fachkräftemangel die größte arbeitsmarktpolitische Herausforderung der nächsten Jahrzehnte sein wird. Auch wenn das noch nicht alle verstanden haben, kann man sich dieser Tatsache schon ziemlich sicher sein.

Momentan sind zwar so viele Menschen in Deutschland in Beschäftigung wie noch nie zuvor, bis zum Jahr 2025 werden es aber rund 6,5 Millionen Erwerbstätige weniger sein. Die Zahl der Erwerbstätigen wird also von derzeit rund 44,5 Millionen auf 38 Millionen sinken. Dadurch wird der Fachkräftemangel rapide zunehmen. Bis zum Jahr 2025 werden in Deutschland allein rund 240.000 Ingenieure fehlen.

Trotz der rund 3 Millionen Menschen in unserem Land, die derzeit leider keine Beschäftigung haben, fehlen schon heute in vielen Bereichen Fachkräfte und Hochqualifizierte. Es gibt mehrere Hunderttausend Stellen, die schon heute nicht besetzt werden können. Eine McKinsey-Studie rechnet mit rund 2 Millionen fehlenden Fachkräften bis zum Jahr 2020. Das ist nicht mehr lange hin. Das Prognos-Institut rechnet mit rund 5,2 Millionen fehlenden Fachkräften bis zum Jahr 2030 - erschreckende Zahlen. Die Folgen für unsere Wirtschaft, unseren Wohlstand und unsere sozialen Sicherungssysteme sind dramatisch: Rückgang von Investitionen, Abwanderung von Unternehmen, Arbeitsverdichtung und stark zunehmende Automatisierung. Innovation und Wachstum werden dadurch gebremst.

Es muss nun also darum gehen, Schäden für unsere Wirtschaft zu verhindern und Gefahren für unseren Wohlstand abzuwenden und vor allem - da sind wir uns alle einig - die hierzulande vorhandenen Potenziale besser zu nutzen, echte Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa zu schaffen und Zuwanderung von Qualifizierten zu erleichtern.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

- Vielen Dank. - Entgegen einiger Aussagen in den Medien ist Deutschland kein Auswanderungsland. Das wird aber oft kolportiert. Andere Staaten zeigen uns jedoch, dass sie ihren Arbeitsmarkt für qualifizierte Menschen aus anderen Staaten intelligenter öffnen, als wir es bisher tun. Viele gut ausgebildete Deutsche gehen für einige Jahre in andere Staaten, um dort zu arbeiten. Erfreulicherweise kehren die meisten nach einigen Jahren wieder zurück. Ich glaube, alle Seiten profitieren davon, und auch Deutschland sollte das etwas besser regeln.

Das Bundeskabinett - das wurde schon mehrfach angesprochen - hat in dieser Woche einen Gesetzentwurf zur verbesserten Anerkennung ausländischer Abschlüsse verabschiedet, also vor allem aus Nicht-EU-Staaten. Es gibt immer noch Hunderttausende Menschen - die Zahlen schwanken etwas zwischen 300.000 und 400.000 Menschen -, die in Deutschland unter ihrer Qualifikation arbeiten müssen, weil ihre Abschlüsse bisher unnötigerweise nicht anerkannt werden oder weil es Nachqualifizierungsmaßnahmen noch nicht in ausreichendem Maße gibt. Wir begrüßen sehr, dass die Bundesregierung, dass Ministerin Schavan das angepackt hat.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Jeder qualifizierte Arbeitsplatz, der heute oder zukünftig nicht besetzt werden kann, bedeutet den Verlust weiterer Jobs, geringeren Wohlstand und auch geringere Steuereinnahmen. Frau Heinold, unser Antrag geht vielseitig an das Problem heran. Wir begrüßen und unterstützen entsprechende Maßnahmen der Mittelstandsoffensive sowie des „Bündnisses für Fachkräfte“. Wir fordern Erstanlaufstellen für die Anerkennung ausländischer Abschlüsse sowie entsprechende Nachqualifizierungsmaßnahmen. Und es geht - ganz wichtig um die Intensivierung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen.