Protocol of the Session on March 23, 2011

(Anke Spoorendonk)

Zu einem weiteren Redebeitrag erteile ich Herrn Abgeordneten Olaf Schulze das Wort. Ihm steht eine Redezeit von zwölf Minuten zur Verfügung. Ich möchte Sie darüber informieren, dass der Ministerpräsident seine Redezeit um vier Minuten überschritten hat. Diese Überschreitung kommt entsprechend zu den Restsprechzeiten hinzu.

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Vorfälle in Japan stellen bisher nur eine Zäsur im Denken über erforderliche Konsequenzen in Deutschland dar. Die Tatsache, dass das Unmögliche nicht nur möglich, sondern Realität geworden ist, erschüttert den Glauben an die Sicherheit aller Atomkraftwerke in der Welt und die Beherrschbarkeit von Unfällen, die die Grenzen des Denkbaren überschreiten. Den Menschen nutzen allerdings keine überhasteten Vorschläge, die darauf abzielen, wie schnell wir irgendwann vollständig aus der Atomtechnik in Deutschland aussteigen können, und es nutzen keine Verweise auf die Positionen und Zitate von gestern. Wir müssen unseren Blick nach vorn richten und gemeinsam ausloten, was machbar und im Sinne der Sicherheit der Menschen in unserem Land verantwortbar und rechtlich belastbar umzusetzen ist.

(Zuruf)

Wir sollten daher die zumindest bei uns in Schleswig-Holstein erkennbaren parlamentarischen Gemeinsamkeiten nutzen und dabei folgende Ziele erreichen, wie sie im Antrag des SSW und der SPD niedergelegt sind: Hauptziel sollte sein, alle Atomkraftwerke in Deutschland schrittweise stillzulegen, wie es im Atomkonsens bis Ende letzten Jahres vereinbart war.

Wenn wir es früher schaffen sollten, die Atomkraftwerke abzuschalten, sind wir bestimmt bei Ihnen und unterstützen Sie bei der Umsetzung. Aber, Herr Ministerpräsident, wenn Sie sagen, Sie brauchen unseren Antrag nicht, um die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel nicht wieder ans Netz gehen zu lassen, müssen Sie uns auch sagen, auf welcher Gesetzesgrundlage dies fußt. Auf den guten Willen der Konzerne allein können wir uns wohl kaum verlassen.

(Ministerpräsident Peter Harry Carstensen: Wer weiß!)

Diese Forderung von Ihnen haben wir schon öfter gehört, und insofern wären wir froh, wenn es dem

nächst umgesetzt werden könnte. Deshalb müssen wir gesetzliche Initiativen ergreifen, die sicherstellen, dass die sieben ältesten Reaktoren sowie das Atomkraftwerk Krümmel rasch und unumkehrbar abgeschaltet werden.

(Beifall bei der SPD)

Die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel dürfen nicht wieder ans Netz gehen.

Um ein starkes Signal gegen die vereinbarte und unabhängig von einem Moratorium geltende Laufzeitverlängerung aller Atomkraftwerke zu setzen, muss Schleswig-Holstein der Verfassungsklage der Bundesländer Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz beitreten. Denn eines ist sicher: Wir brauchen neben den Sofortmaßnahmen gesetzliche Änderungen zum Ausstieg aus der Atomkraft. Ein Moratorium und die gestern von Kanzlerin Merkel eingesetzten neuen Kommissionen können nur den Weg beleuchten, der rechtlich beschritten werden muss. Als erstes richtiges Zeichen muss die im Oktober beschlossene Laufzeitverlängerung schnell aufgehoben werden - egal, auf welche Weise - ob durch ein neues Gesetz oder eine Klage gegen das bestehende Gesetz.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich würde im Zusammenhang mit dem Antrag von CDU und FDP gern von Herrn Kubicki noch hören, was er zum Thema „Übertragung der Restlaufzeiten“ zu sagen hat. Was die Übertragung der Restlaufzeiten beziehungsweise der Strommengen von Brunsbüttel und Krümmel auf Brokdorf angeht, hatte Herr Kubicki davon gesprochen, dass es ein Risiko gibt. Wir müssen diese Risiken einschätzen, und wir müssen dazu beitragen, dass diese Risiken verringert werden. Wenn wir Brokdorf bis 2059 am Netz lassen, ist das bestimmt keine Minimierung des Risikos.

(Beifall bei SPD und SSW)

Deswegen brauchen wir auch den alten Atomkonsens, und wir müssen, wenn wir ehrlich sind - das habe ich vom Kollegen von Boetticher, der leider im Moment nicht hier ist, in dieser Diskussion immer wieder gehört -, wenn wir eine ehrliche Diskussion führen wollen, auch sagen, wie lange wir die Atomkraftwerke in Brokdorf und auch die anderen Atomkraftwerke weiterlaufen lassen wollen.

Meine Damen und Herren, das Ende der Atomkraft in Deutschland braucht eine neue Energiepolitik. Dazu müssen alternative Energiequellen vorangebracht, es müssen alle Maßnahmen zur

Energieeinsparung und Energieeffizienz ergriffen werden, und es muss die Entwicklung neuer Speichertechniken, zentral in großen Energiespeichern unter der Erde, aber auch dezentral bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern vor Ort, wie zum Beispiel durch die neuen Folienspeicher, die im ISIT in Itzehoe entwickelt werden, parallel dazu verstärkt werden. Gerade bei den Speichertechnologien müssen wir in Schleswig-Holstein noch mehr Anstrengungen unternehmen, damit die erneuerbaren Energien sich wirklich durchsetzen können. Schnell könnten wir zum Beispiel durch Druckluftspeicher in Brunsbüttel die erneuerbaren Energien grundlastfähig machen.

Hier macht mir der Zickzackkurs beim CCS-Gesetz große Sorgen, da die vorhandenen Speicherkapazitäten blockiert werden können. Den Ausstieg aus der Atomenergie mit der Einführung der CCSTechnologie und damit mit der CO2-Einlagerung in Schleswig-Holstein zu koppeln, wie es Minister Brüderle will, ist der falsche Weg, und er wird am Widerstand der Bevölkerung scheitern.

(Zuruf von der FDP: Und am Widerstand Gabriels!)

Es ist ja schön, wenn Herr Brüderle dies jetzt aufgreift. Es ist aber trotzdem der falsche Weg. Insofern werden wir das nicht als einen richtigen Weg ansehen.

Zusätzlich - da besteht große Einigkeit - können wir es uns keinen Tag länger leisten, dass gerade die erneuerbaren Energien aufgrund von Netzproblemen nicht ins Netz eingespeist werden können. Hier brauchen wir eine ambitionierte Ausbaustrategie für die Stromnetze und einen gesellschaftlichen Konsens, dies zu unterstützen und nicht zu behindern.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Das bedeutet aber auch, dass die Netzbetreiber nicht nur ein vereinfachtes Verfahren bekommen, sondern auch auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger eingehen und gegebenenfalls auch Erdkabel verlegen.

(Vereinzelter Beifall)

Dies könnte auch eine Bedingung für eine Sprinterprämie sein.

(Zuruf von der CDU: Das funktioniert tech- nisch nicht!)

- Dass es technisch funktioniert, wissen wir. Das wissen Sie auch. Schließlich waren Sie am Freitag

mit dabei. Aber das sind jetzt wieder die alten Reflexe. Wenn Herr von Boetticher sagt, wir sollten offen und ehrlich diskutieren, führt das leider wieder nicht zu einer offenen und ehrlichen Diskussion.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Herr von Boetticher, ich hätte Ihnen gern auch noch erklärt, welche Konzepte die SPD hat. Denn wir als SPD haben das Konzept der Energiewende hier in diesem Haus immer wieder vorgestellt. Herr Kubicki hat ja auch ein Großteil von dem, was wir gefordert haben, aufgegriffen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wir setzen auf erneuerbare Energien, wir setzen auf Energieeinsparung, und wir setzen auf effizientere Techniken.

Die drei „E’s“ spielen eine wichtige Rolle. Aber wir wollen auch eine dezentrale Energieversorgung. Da hat Herr Kubicki vorhin schon aufgezeigt, was das bedeutet. Zu einer dezentralen Energieversorgung gehören alle erneuerbaren Energien. Das ist der eigentliche Energiemix der Zukunft, aber nicht so, wie er von anderen zum Teil immer wieder dargestellt wird.

Wenn ich vom Energiemix der Zukunft rede, so wird das ein virtuelles Kraftwerk sein müssen, in das wir Windkraftanlagen integrieren; auch Biomasse spielt dabei eine Rolle. Gerade konnten wir lesen, dass die Biomasse gerade in Schleswig-Holstein im Energiebereich die Windkraft überflügelt hat. Wir müssen weiter darüber nachdenken, wie wir Biogas und Biomasse in diesem Land verantwortbar und vernünftig einsetzen. Dass es da auch Fehler gegeben hat, die wir korrigieren müssen, dazu stehen wir; das sagen wir auch. Aber man muss auch sehen, dass die Verhältnisse in MecklenburgVorpommern vielleicht andere sind als in Schleswig-Holstein. Deswegen kann man nicht grundsätzlich sagen: Biomasse ist schlecht.

Wenn wir sagen, dass wir einen Energiemix brauchen, dann gehört dazu auch Solarkraft. Auch diese wird ja zum Teil immer noch verteufelt. Auch die Wasserkraft ist ein wichtiger Bestandteil. Wir brauchen also alles, und wir müssen alles vernünftig miteinander kombinieren. Dies kann man am besten mit einem solchen virtuellen Kraftwerk; man kann es am besten mit einer dezentralen Energieversorgung.

Wenn wir offen und ehrlich reden wollen, so, wie Herr von Boetticher uns das immer sagt, dann müs

(Olaf Schulze)

sen wir auch über Desertec reden. Er schwärmt immer wieder von Desertec, und er ist ja selbst auch schon dort gewesen. Er darf aber die Risiken dieser Technologie auch nicht vergessen; er sollte auch diese Risiken aufzeigen. Wir sollen und müssen über Desertec reden, aber wenn wir reden, dann unter allen Aspekten. Es geht auch nicht an, dass wir uns weiterhin nur auf die großen Technologien konzentrieren.

Von daher, sehen wir, gibt es schnelle und gute Alternativen zur Atomkraft. Lassen Sie uns heute ein gemeinsames parlamentarisches Zeichen setzen! Lassen Sie uns zeigen, dass wir dies gemeinsam wollen! Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei der SPD)

Für einen weiteren Wortbeitrag erteile ich nun dem Herrn Abgeordneten Detlef Matthiessen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich eines voranstellen, Herr Ministerpräsident: Wenn in der Atompolitik ein Richtungswechsel ansteht, begrüßen wir das. Ein solcher Richtungswechsel ist aus unserer Sicht längst überfällig. Wenn Personen und Parteien neue Erkenntnisse gewinnen und durch eine Neubewertung ihre Positionen gewinnen und ihre Auffassung daraufhin ändern, dann ist das keine Schande, Herr Ministerpräsident. Wir haben das bei der CCS-Debatte und auch an anderer Stelle gesehen. Das sollte kein Anlass für Häme sein; es sollte kein Anlass für Besserwisserei sein, und man sollte auch nicht sagen: „Ich habe es ja schon immer gewusst.“ Für solche Attitüden ist kein Platz.

Wir nehmen die Debatte, und wir nehmen Sie, liebe Kollegen insbesondere von der CDU, ernst. Der Ministerpräsident hat von Respekt und Redlichkeit gesprochen. Das soll in dieser Debatte gelten.

Wir haben auch Verständnis dafür, dass ein Richtungswechsel in einer großen Organisation mit vielen engagierten Menschen Zeit braucht. Der eine oder andere braucht vielleicht länger, um einen neuen Weg mitzugehen. Es würde aber Deutschland und seiner Wirtschaft guttun, wenn die Politik in der Energiefrage mehr als bisher zueinander findet. Denn die langfristigen Investitionen in der Energiewirtschaft richten sich nicht nach den durch Legislaturperioden definierten Zeiträumen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Wirtschaft will wissen, wo es langgeht, und nicht nach politischen Mehrheiten mal hü, mal hott, rin in die Kartoffeln oder raus aus die Kartoffeln.

Haben Sie bitte auch Verständnis für mich, wenn ich Ihnen sage, dass ich dem neuen Frieden noch nicht vollständig trauen kann. Kaum eine Diskussion wird schon über so lange Zeit und so kontrovers geführt wie die Atomdebatte, wie die Energiepolitikdebatte insgesamt. Da reibt man sich natürlich die Augen über die vielen neuen Freunde in der AKW-Bewegung. Oder im SPD-Jargon gesagt: Wir marschieren Seit an Seit neuerdings mit Mappus an der Spitze.

(Heiterkeit)

Wahlkämpfe, Herr Ministerpräsident, stehen tatsächlich an; da bin ich ganz bei Ihnen. Aber empören Sie sich doch nicht, haben Sie auch Verständnis für Reflexe, die Wahlkampftaktik unterstellen. Das Thema wäre dafür aus meiner Sicht jedoch auch zu ernst. Wir hoffen nicht, dass alles der aktuellen Situation und Wahlkämpfen geschuldet ist. Hinterher geht man zur Tagesordnung über. Das wollen wir dringend vermeiden.

Dazu kommt, dass die Regierung angekündigt hat, es solle nicht mehr so sein wie vor Fukushima, aber auch einen großen Bogen um die Frage macht, was am Ende dabei herauskommen soll.