Protocol of the Session on March 23, 2011

Ob Sie also Schmu machen oder nicht, werden wir in den nächsten Wochen und Monaten an Ihrem Handeln überprüfen. Aber eines sollte klar sein: Hinter die Ankündigungen, die jetzt gemacht worden sind, hinter all die Aussagen davon, dass nichts mehr so sei, wie es früher war, können Sie nicht mehr zurückfallen. Den erneuten Ausstieg vom verlängerten Ausstieg des Ausstiegs vom Atomausstieg, werden wir Ihnen, Frau Merkel, Herrn Brüderle oder wem auch immer, nicht durchgehen lassen. Die Menschen lassen sich an dieser Stelle sicherlich nicht für dumm verkaufen. Das zu versuchen, wäre politischer Selbstmord. Ich denke, Sie wissen das. Ich denke, Sie wissen, dass das Hin und Her in der Atompolitik ein schwerer Fehler war und dass das Land letztlich - wie gefordert - ein verlässliches Energieszenario braucht und nicht - wie gegeben - das Verhökern der Energiepolitik an die Stromkonzerne.

Denn offenbar ist es möglich, Herr von Boetticher, mindestens acht AKW einfach stillzulegen, und nirgendwo gehen erstaunlicherweise die Lichter aus - entgegen all den vorherigen Behauptungen von Stromlücken,

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN, SSW sowie der Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD] und Christopher Vogt [FDP])

entgegen dem Energiekonzept, das geschrieben wurde, und den Begründungen, die von Frau Merkel gegeben wurden. Sie waren - so viel Ehrlichkeit muss einfach drin sein - nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt wurden.

(Beifall der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Aber das passiert öfter. 1986, kurz nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl, erklärte der Lobbyverband der Atomindustrie, das Deutsche Atomforum, dass ein Anteil von Windstrom wie in Dänemark in Deutschland schlichtweg unmöglich sei. Damals hatte Dänemark einen Windanteil an der Stromerzeugung von 1 %. Ich erwähne das deshalb, weil die Wirklichkeit nämlich manchmal auch im Guten die Vorhersagen übertrifft. Wir haben schon ein gutes Stück des Weges zurückgelegt, und wir schaffen auch den Rest.

Einige Worte zum Vorwurf, die Erneuerbaren würden die Strompreise hochtreiben: Die Preissteigerungen pro Kilowattstunde in den letzten Jahren waren 8 Cent. 3,5 Cent davon wurden von den Erneuerbaren verursacht, das wird zugegeben, ist aber politisch auch so gewollt. 4,5 Cent waren auf die Dividende der Stromkonzerne zurückzuführen.

Wir haben in Deutschland ein Stromeinsparpotenzial von 20 %. Das sind die 17 AKW, die wir uns so gesehen buchstäblich sparen könnten. Wir können den Stromverbrauch darüber hinaus optimieren, wenn wir ihn an der Stromproduktion orientieren. Wenn wir mit Kraft-Wärme-Kopplung konsequent fortschreiten, können wir mit den bestehenden Gas- und Kohlekraftwerken die Grundlast sichern, bis der Netzausbau nachgezogen hat. Mit anderen Worten: Wir können bis Ende dieses Jahrzehnts aus der Atomenergie aussteigen. Wir können aussteigen ohne den Neubau von Kohlekraftwerken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW sowie der Abgeord- neten Rolf Fischer [SPD] und Dr. Henning Höppner [SPD])

Das wird allen etwas abverlangen - auch uns Grünen. Aber für meine Fraktion sage ich: Wenn die Beteiligungsverfahren an den Anfang der Netzausbaudiskussion gelegt werden und nicht an ihr Ende, wenn es nicht als Hintertür genommen wird, Bürgerbeteiligung abzubauen, sondern sie ernst zu nehmen, dann tragen wir eine bundesgesetzliche Trassenplanung mit.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir haben diese Regierungserklärung gefordert. Es war unabdingbar, dass die Regierung die Linie der Atompolitik erläutert - und zwar einstimmig und halbwegs widerspruchsfrei. Die widersprüchlichen Ansagen aus den letzten Wochen aus dem Regierungslager waren doch sehr laut und unüberhörbar. Offensicht

(Dr. Robert Habeck)

lich - so scheint es jedenfalls - hat sich die Reformerseite in der Union durchgesetzt, obwohl Herr Minister de Jager in seinen Ankündigungen noch weiterging, als es der heute vorgelegte, etwas laue Antrag nahelegt.

Offensichtlich hat sich die Reformerseite durchgesetzt, nachdem der Fraktionsvorsitzende der CDU noch vor wenigen Tagen beschied, bei „Grün light“ komme er nicht mit. Nun, von „Grün light“ sind Sie noch ganz schön weit entfernt, aber ein etwas freundlicheres Schwarz ist ja schon einmal etwas.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich hoffe weiterhin, dass die Reformer bei Ihnen Oberhand behalten und nicht jene Atomstrategen, die die Atompolitik zum Alleinstellungsmerkmal der Union machen wollten, die jetzt vielleicht auf die Vergesslichkeit der Wähler spekulieren mögen und danach, wenn alles vorbei ist, die Debatte wieder aufleben lassen wollen.

Die Atomfrage wird die politische Nagelprobe für die nächsten Jahre. Alles, was wir energiepolitisch tun, wird daran gemessen werden, ob wir uns von der Atomenergie verabschieden und wie schnell. An dieser Debatte entscheidet sich die Politik der nächsten Legislaturen. An dieser Debatte entscheidet sich, wer das neue Schleswig-Holstein mitgestalten will und wer für das alte steht.

Was sich seit Fukushima geändert hat, ist - so hoffe ich jedenfalls, alles andere wäre wirklich skandalös - nicht die Sicherheit der deutschen AWK, sondern die Bewertung der Wirklichkeit.

Herr Ministerpräsident, Sie haben natürlich einerseits recht, wenn Sie sagen, dass solch ein Doppelschlag der Naturgewalten bei uns eher nicht eintritt - solch einer nicht, aber andere vielleicht. Es ist erst wenige Tage her, dass ein 332 m langes Containerschiff, die „Berge Fjord“, nach einem Brand im Maschinenraum auf der Elbe trieb und auf die Ansaugrohre von Brunsbüttel zuschipperte. Acht Schlepper mussten das Schiff sichern. Angesichts des Klimawandels Sturmfluten als unwahrscheinlich abzutun, wäre fahrlässig, zumal diese gerade die Begründung für die Einführung der Küstenschutzabgabe waren. Und in Brokdorf, dem „sichersten und produktivsten AKW“, sprang gestern ein Kühlsystem nicht an. Nein, das ist keine Panikmache.

(Zurufe)

Aber wir müssen nüchtern feststellen: Es gibt keine sicheren AKW.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der LINKEN und SSW)

Kühlkreisläufe und Notstromaggregate in Krümmel, die Sicherheit der Abklingbecken, die Gefahr von Flugzeugabstürzen in Brunsbüttel, Hochwasser an der Elbe - auch für Brokdorf -, das war bis vor wenigen Wochen noch „grüner Spinnkram“, jetzt sind es reale Szenarien, keine - so der Ministerpräsident - „theoretischen Größen“ mehr. Ziehen wir die Konsequenz aus der Wirklichkeit! Pokern wir nicht auf das nächste Unglück. - Ausschalten statt Aussitzen!

Als grüner Politiker sehe ich eine Chance, dass dieses Land endlich zur Vernunft kommt. Als Mensch, als Robert, als Weltbürger, bin ich - wie alle - entgeistert und entsetzt über das, was in Japan passiert. Ich wünschte mir, wir würden diese Debatte nicht unter diesen Vorzeichen führen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich wünschte mir, all die, die vor der Unbeherrschbarkeit der Atomkraft gewarnt haben, hätten unrecht gehabt. Ich hörte in den letzten Tagen immer wieder, die Natur sei eben unberechenbar. Nun, das ist sie, aber das ist nichts Neues. Das Neue ist: Die Technik ist unberechenbar. Hilflos und fassungslos schauen wir zu. Das ist das Unfassbare. Die Maxime der Aufklärung verkehrt sich ins tragische Gegenteil. Die Menschen, die Menschheit, erlebt die selbstverschuldete Unmündigkeit. Begreift die moderne Welt nicht, dass sie die Möglichkeit ihrer eigenen Vernichtung geschaffen hat, besiegelt sie ihr eigenes Schicksal, früher oder später. Oder um es mit den Worten Jean Paul Sartres zu sagen:

„Wenn ihr eure Augen nicht gebraucht, um zu sehen, werdet ihr sie brauchen, um zu weinen.“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, der LINKEN und SSW)

Meine Damen und Herren, auf der Zuschauertribüne begrüße ich weitere Gäste, und zwar Schülerinnen und Schüler sowie deren Lehrkräfte von der Gemeinschaftsschule Neumünster-Brachenfeld sowie von der Regionalschule Plön. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich erteile jetzt der Fraktionsvorsitzenden der Fraktion DIE LINKE, Ranka Prante, das Wort.

(Dr. Robert Habeck)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wir, DIE LINKE, sind bestürzt über die furchtbare, unvorstellbare Katastrophe, die den Menschen in Japan passiert ist und deren Folgen noch nicht zu erahnen sind. Wir sind fassungslos angesichts tausender Todesopfer und hunderttausender Menschen ohne ein Dach über dem Kopf. Unsere Gedanken sind bei den Opfern, ihren Angehörigen, den Helfern und bei allen Menschen in Japan, die nach Tsunami und Erdbeben nun auch eine nukleare Katastrophe erleben müssen. Millionen Menschen können durch die Radioaktivität an Krebs erkranken.

Doch wir wissen und wussten immer, wie unkalkulierbar die Gefahren beim Betrieb von Atomkraftwerken sind,

(Beifall bei der LINKEN)

dass selbst im Normalbetrieb Atomkraftwerke Krebs erzeugen und Radioaktivität an die Umwelt abgeben, dass jede noch so geringe Abgabe von Strahlung Erkrankungen wie Krebs auslösen kann, dass Unfälle jederzeit an jedem Atomkraftwerk möglich sind und immer sein werden. Wir wissen und wir wussten, dass das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung damit in dauerhafter Gefahr sind.

AKW nutzen radioaktive Stoffe wie Uran und Plutonium zur Energiegewinnung. Diese Stoffe sind extrem gefährlich, ebenso die Stoffe, die während des Betriebs entstehen. Sie schädigen das Leben, sie schädigen die Umwelt.

Liebe Landesregierung, Sie wussten, wie es um die AKW stand, als Sie das neue atomlobbyfreundliche Atomgesetz bejubelten. Und nun begrüßen Sie aber auch das Moratorium. Aus unserer Sicht ist dieses Moratorium nur ein Ablenkungsmanöver, und zwar ein leicht durchschaubares.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Moratorium ist nicht einmal Sand im Getriebe der AKW-Lobby, sondern unterstützt sie. Es ist Sand für die Augen der Menschen in Deutschland, ein Taschenspielertrick, um Druck aus der öffentlichen Debatte zu nehmen und so für die nächsten Landtagswahlen zu punkten. Es ist bislang nicht vorgesehen, dass eines der AKW dauerhaft vom Netz geht. Das wissen wir alle.

Wir, DIE LINKE, wollen von Schleswig-Holstein und Deutschland aus ein klares Signal an die anderen Industrienationen senden, indem wir sofort

beschließen: Raus aus dieser mörderischen Technologie!

(Beifall bei der LINKEN)

Dass das einzig und allein eine Frage des politischen Willens ist, wissen wir, Ihres politischen Willens. Erst wenn wir diesen Willen haben, können wir uns tatsächlich umfassend damit beschäftigen, wie das praktisch schnellstmöglich geht.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie machen das in unseren Augen genau umgekehrt und sagen: Mal sehen, wie lange es dauern wird, bis der letzte Meiler vom Netz geht. Dann ist das die größtmögliche Verkürzung der Laufzeit. Das sehen wir anders. Wir wollen die sofortige Stilllegung der drei AKW in Schleswig-Holstein.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun zu Ihren Ausführungen und vermeintlichen Erklärungen, Herr Ministerpräsident! Erstens. Sie haben gesagt, die Situation nach Japan sei eine grundlegend andere als zuvor. Für alle Menschen, die seit bald vierzig Jahren zu Hunterttausenden auf der Straße waren, gekämpft und aufgeklärt haben, hat sich rein gar nichts geändert.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese haben immer gesagt: Jeder Ausfall der Kühlung durch Überschwemmung, Stromausfall, Sabotage, Unfälle, Anschläge und technische Defekte führt notwendigerweise rasch in eine Situation, in der die Kernenergie unbeherrschbar wird.