Hierfür muss sich die Landesregierung aus unserer Sicht dringend im Bundesrat einsetzen. Denn auch die gerade erzielte Einigung zu Regelsätzen und branchenbezogenen Mindestlöhnen auf Bundesebene lässt Ausnahmen vom Gleichbezahlungsgebot zu. Indem dieser Grundsatz aber endlich ab dem ersten Tag und ohne Ausnahmen greift, wird die Leiharbeit auf ihren ursprünglichen Zweck reduziert, nämlich den kurzfristigen flexiblen Einsatz zur Abdeckung von Auftragsspitzen.
Heute haben wir aber eine Situation, in der bundesweit fast eine Million Menschen in der Leiharbeit beschäftigt sind. Hier lässt sich ganz klar ein Missbrauch dieser Beschäftigungsform erkennen. Ich habe bereits in einer früheren Debatte zu diesem Thema auf die persönlichen Konsequenzen für die Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer hingewiesen.
Denn neben der konkreten Benachteiligung beim Arbeitslohn hat diese Gruppe auch mit verschiedenen weiteren Problemen zu kämpfen, die nicht selten vergessen werden. Den Menschen in dieser Branche wird oft langfristig die Chance auf eine unbefristete und fair entlohnte Arbeit genommen. Daraus folgen regelrechte Leiharbeiterkarrieren ohne Perspektive für die Zukunft. Als sogenannte Fremdmitarbeiter werden Leiharbeiter nicht in gleichem Maße in die sozialen Strukturen des Unternehmens eingebunden, und sie erfahren nicht selten eine geringere Wertschätzung als reguläre Mitarbeiter. Außerdem werden den Menschen, die dauerhaft Leiharbeit verrichten, nicht annähernd die gleichen Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten geboten wie der Stammbelegschaft.
Es ist eindeutig, dass die Investitionen in Weiterbildung und die damit gewollten Qualifizierungseffekte der Leiharbeit im heutigen System mit seinen Fehlanreizen leider viel zu selten gegeben sind. An diesen Zuständen muss sich dringend etwas ändern.
Wir hätten eigentlich auch vorgeschlagen, dass beide Anträge an den Ausschuss überweisen werden sollen, damit wir im Ausschuss noch einmal näher darauf eingehen können. Wenn das nicht der Fall ist, werden wir beide Anträge ablehnen; denn auch für uns gilt genauso wie für die SPD: Bei dieser Sache machen wir keine faulen Kompromisse.
(Beifall bei SSW und SPD - Christopher Vogt [FDP]: Sie sollen keine Kompromisse machen, sondern Anträge schreiben!)
Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es ausgesprochen amüsant, welchen Zug diese Debatte nimmt. Das erinnert mich so ein bisschen an die vergangene Bundesratsdebatte, als die grüne Finanzsenatorin aus Bremen mit tränenerstickter Stimme kundtat, sie schäme sich für den Regelsatz. Ich habe sie daraufhin gefragt, wie man es eigentlich fertigbringt, sich fünf Jahre lang für etwas zu schämen, was man politisch selbst zu verantworten hat.
Lieber Kollege Tietze, genau die gleiche Frage gebe ich an Sie zurück. Es ist schön, dass Sie, die Sie sowohl im Bund als auch hier in der Opposition sitzen, Krokodilstränen vergießen und sagen, dass das alles nicht richtig gewesen sei, was Sie beschlossen haben. Ich will höflich daran erinnern, dass es Ihre rot-grüne Bundesregierung war, die mit der Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes die Tariföffnungsklausel eingeführt hat. Sie haben dafür gesorgt, dass es zu einer Umkehrung des RegelAusnahme-Verhältnisses gekommen ist. Dafür haben Sie gesorgt.
Es interessiert sehr wohl, wer dafür die politische Verantwortung trägt und wer sich jetzt daran macht, diesen Missbrauch, der danach aufgetreten
Ich will hier ganz deutlich für die Landesregierung feststellen: Zeitarbeit ist nicht das Problem, sondern nach wie vor Teil der Lösung der arbeitsmarktpolitischen Probleme. Das Problem ist der Missbrauch, der durch die Einführung der Tariföffnungsklausel überhaupt erst möglich wurde. Dies gilt beispielsweise für die Möglichkeit, Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmer zu deutlich schlechteren Bedingungen zu ersetzen. Das ist gerade nicht Sinn von Zeitarbeit. Damit wird einem an sich sinnvollen Instrument geschadet.
Herr Tietze, es nutzt Ihnen gar nichts, wenn Sie heute hier mit Krokodilstränen erklären, dass Sie Fehler gemacht haben. Wir - und insbesondere auch die FDP in der Bundesregierung - sind diejenigen, die Ihre Fehler von damals beseitigen.
- Ich gehe davon aus, dass es Herrn Westerwelle gut geht, Herr Tietze. Das ist aber auch nicht Gegenstand der heutigen Debatte.
- Warum sollte ich - nachdem der Lärmpegel gestiegen ist - eine Frage des Kandidaten Stegner zulassen? Er hat in dieser Plenarsitzung noch genug Zeit, seine Kandidatenreden zu halten. Jetzt halte ich meine Rede.
Die Bundesregierung will insbesondere die sogenannten Drehtürmodelle zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zukünftig unterbinden.
Sehr geehrter Herr Minister, teilen Sie meine Einschätzung, dass es guter Stil in der Politik sein sollte, nachzubessern und selbstkritisch zu sehen, was besser geworden ist, wenn Entwicklungen zu einem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen sind, zu dem ein Gesetz nach bestem Wissen und Gewissen beschlossen worden ist und wenn zu einem späteren Zeitpunkt neue Informationen vorliegen?
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, dass wir auch beim angesprochenen Stichwort Lohndumping Handlungsbedarf haben. Ich bin der Auffassung, dass das Ergebnis der heutigen Sitzung des Vermittlungsausschusses, an dem übrigens der Kollege Finanzminister für Schleswig-Holstein nicht teilnehmen durfte, weil er nicht „gepairt“ wurde, richtig war, zu Lohnuntergrenzen unter anderem in der Zeitarbeitsbranche zu kommen. Die Lautstärke Ihrer Zwischenrufe, Herr Tietze, zeigt Ihr schlechtes Gewissen bei dieser Frage.
Ich glaube, dass es richtig ist, eine Lohnuntergrenze einzuführen. Daraus habe ich übrigens nie einen Hehl gemacht, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf
die am 1. Mai 2011 anstehende volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Staatsangehörige aus acht neuen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ich glaube, hierbei geht es auch um das Fördern der gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Freizügigkeit.
Ich will ganz deutlich sagen, dass ich entschieden gegen jedes Spiel mit Ressentiments gegen die Möglichkeit der Freizügigkeit eintrete. Trotzdem darf es nicht passieren, dass mithilfe von Zeitarbeitsfirmen aus osteuropäischen Nachbarländern mit tariflichen Niedriglöhnen hiesige Standards unterlaufen werden. Ich wünsche mit ernsthaft, dass die gefundene Lohnuntergrenze ein wirksames Mittel darstellen wird, um diesen Missbrauch abzustellen.
An dieser Stelle möchte ich Folgendes ganz deutlich klarstellen: Wir sollten ehrlich zueinander sein, wenn es darum geht, was die einzelnen Fraktionen eigentlich wollen. Will man Zeitarbeit erhalten und verbessern, oder will man Zeitarbeit durch die Hintertür abschaffen? Wer Zeitarbeit per se - damit meine ich Ihren Antrag - unattraktiv machen will, dem geht es nicht um Arbeitnehmerrechte, sondern um die Ideologie. Im Übrigen finde ich, dass man auch an diejenigen Menschen denken muss, die derzeit keine Arbeit haben. Ich will nur daran erinnern, dass zwei Drittel der Beschäftigten, die sich derzeit in Zeitarbeit befinden, vorher überhaupt keine Beschäftigung hatten.
Ich bin für Zeitarbeit, aber für Zeitarbeit zu fairen Bedingungen. Das niedrige Lohnniveau in der Branche hat Unternehmen dazu verleitet, als Dauerlösung auf Zeitarbeit zurückzugreifen, um höhere Tariflöhne zu unterlaufen. Es ist doch völlig logisch, dass Menschen das als ungerecht empfinden, weil damit der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ausgehebelt wird.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von Opposition, vielleicht haben Sie mitbekommen, dass ich mich nicht erst im Zusammenhang mit dem Vermittlungsausschussverfahren, sondern bereits im vergangenen Jahr ganz klar erstens für eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeitsbranche ausgesprochen habe, dass ich zweitens sowohl dem Kabinett als auch der schleswig-holsteinischen Öffentlichkeit gesagt habe, dass ich einen Zeitraum von maximal drei Monaten für angemessen halte, in dem nicht die gleichen Löhne bezahlt werden. Punkt Ende - Aus. Deshalb brauchen Sie sich hier auch gar nicht aufzuregen oder irgendeinen Popanz aufzubauen.
- Doch, Kollege Baasch, das interessiert sehr wohl, weil man nämlich komplett Abstand davon genommen hat von zwölf oder neun Monaten, nachdem Niedersachsen einen Vorschlag unterbreitet hat, der auf sechs Monate hinausläuft. Ihre Verhandlungspartner haben am Ende vier Monate vorgeschlagen. Ich sage noch einmal, dass mein Vorschlag auf drei Monate hinausläuft. Ihr Vorschlag lief auf vier Monate hinaus.
- Nein, Kollege Baasch. Der letzte Vorschlag von dieser Seite lief auf vier Monate hinaus. Dass Sie vier Wochen wollen, nehme ich Ihnen ab. Der letzte Vorschlag lautete aber vier Monate.
Ich will Ihnen ganz deutlich sagen, dass ich es richtig finde, dass man zunächst versucht, dieses Problem über die Tarifpartner zu lösen. Ich appelliere nicht nur, sondern ich erwarte, dass die Tarifpartner das Problem am Ende lösen. Andernfalls kommt die Politik gar nicht darum herum, es zu lösen. Dann spielt der Vorschlag, der sich auf eine maximale Übergangszeit von drei Monate bezieht, wieder eine entscheidende Rolle.