Protocol of the Session on December 17, 2010

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und der LINKEN)

Für die Fraktion des SSW erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Offensichtlich sind wir alle in dem Bestreben, möglichst vielen jungen Menschen eine betriebliche Ausbildung zu ermöglichen, über das Ziel hinaus geschossen. Wir haben nämlich die Qualität der Ausbildung aus den Augen verloren. Ich möchte das an einem Beispiel illustrieren.

2003 wurde die Ausbildereignungsverordnung ausgesetzt, um Ausbildungshemmnisse in den Betrieben abzubauen und mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Für Experten kaum überraschend verschlechterte sich aber unter anderem aus diesem Grund die Ausbildungsqualität. Die Aussetzung der Verordnung wurde von vielen Betrieben als eine Art Freifahrtschein verstanden. Hauptsache war der abgeschlossene Ausbildungsvertrag. Was danach passierte, schien keine Rolle mehr zu spielen.

Die Praktiker merken durchaus, dass man ohne Kontrollen und Standards nicht auskommt. Angesichts der gestiegenen inhaltlichen Anforderungen und der gewachsenen pädagogischen Herausforderungen ist ein Mindestmaß an berufs- und arbeitspädagogischer Qualifikation unverzichtbar, stellte 2008 auch das zuständige Ministerium fest. Darum haben wir wieder eine Ausbildereignungsverordnung.

Aber mit der Ausbildereignung ist es nicht getan. Zur Qualität der Ausbildung gehören auch eine moderne Ausbildungsstätte und eine fachgerechte schulische Ausbildung. Letztere wird durch die Schulaufsicht gewährleistet. Aber wer kontrolliert die betrieblichen Ausbildungsstandards, und wer sanktioniert wirkungsvoll Standardabweichungen in den Betrieben?

Das sind dem Gesetz nach bei den gastronomischen Betrieben, die wir schwerpunktmäßig behandeln, die Kammern. Sie informieren über die neuesten Standards und beraten die Betriebe. Sie sind auch diejenigen, die bei Streitigkeiten zuständig sind. Der entsprechende Ausschuss heißt genau so: Schlichtungsausschuss für Berufsausbildungsstreitigkeiten.

Wie wir aus dem Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes wissen, gibt es ausreichend viele Fälle, in denen entweder die Qualität der Ausbildung, das innerbetriebliche Verhältnis zwischen Auszubildenden und Ausbilder oder die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Das wären eigentlich alles Fälle für diesen Ausschuss, in dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten sind. Aber tatsächlich tagt dieser Ausschuss nicht gerade häufig. Nach

(Ines Strehlau)

Auskunft des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist er in den letzten sechs Jahren in Flensburg kein einziges Mal zusammengetreten. Das bedeutet keineswegs, dass es keine Streitigkeiten gibt, sondern dass sie irgendwie anders geregelt werden. Darum kann man nur vermuten, in welcher Art und Weise die Konflikte gelöst werden.

Diese Intransparenz zieht sich durch die gesamte Gastronomie-Branche. Es geht hier nicht um Einzelfälle, also wenige schwarze Schafe, sondern um eine Umgebung, in der interne Probleme unter den Teppich gekehrt werden. Möglich ist dies, weil dem System eine unabhängige Kontrollinstanz fehlt.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Gastronomen sind durch eine Zwangsmitgliedschaft an die zuständige Kammer gebunden. Sie zahlen Beiträge und erwarten Dienstleistungen, Beratungen und nicht zuletzt die politische Interessenvertretung. Diese Konstruktion erschwert den offenen Umgang mit Problemen und steht einer Kontrolle im Wege. Denn die Option, die Organisation zu verlassen beziehungsweise aus ihr entlassen zu werden oder gar von ihr sanktioniert zu werden, ist nicht gegeben. Darum fordern Gewerkschaften, aber auch viele Betriebe eine unabhängige dritte Instanz, die Konflikte regelt und Standards durchsetzt.

Das hängt auch damit zusammen, dass die enorme Konkurrenz im Gastgewerbe zu einer Art Krähengesellschaft geführt hat: Eine Krähe hackt bekanntlich der anderen kein Auge aus. Betriebe können sich also darauf verlassen, dass Missstände zwar ein offenes Geheimnis sind, aber niemals von Kollegen an die große Glocke gehängt werden. Darum gibt es niemanden, der wirklich öffentlich und verwertbar die Zustände kritisiert. Das ist Zwangssolidarität, und die funktioniert nur mit Abschottung und Intransparenz, in der die betreffenden Betriebe gut abtauchen können und in der die Schwächsten, nämlich die Auszubildenden, den Kürzeren ziehen.

Sinkende Standards haben gesamtwirtschaftliche Konsequenzen, gerade bei uns an der Westküste. Dort wird nämlich vor allem im Fremdenverkehr Geld verdient. Sinkt aber die Qualität, werden die Gäste in andere Urlaubsregionen abwandern. Der wirtschaftliche Schaden wäre enorm. Gerade aus diesem Grund müssen die Betriebsinhaber und die Betriebsführer verstehen, dass eine Diskussion um Qualitätssicherung nichts mit Schikane, Kontrollwahn oder Schlechtreden einer Branche zu tun hat,

sondern im Interesse einer regionalen Wirtschaftspolitik liegt.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, deshalb würde ich mich freuen, wenn wir es fertigbringen könnten, hier in Schleswig-Holstein einen eigenen Weg zu gehen, der die Missstände abbauen helfen will. Um dieses anzuschieben, empfehlen wir, den SPD-Antrag im Ausschuss weiterzuberaten und dort möglicherweise eine Anhörung zu diesem Thema durchzuführen, die dann hoffentlich in eine gemeinsame Initiative des ganzen Hauses mündet.

Wir haben hier die ganze Zeit darüber geredet, dass man mal alle an einen Tisch holen sollte. Wir als Politik hätten die Gelegenheit dazu, indem wir den Antrag in den Ausschuss überweisen, um dort eine Anhörung durchzuführen. Ich glaube, das wäre ein vernünftiger Weg, sich wirklich einmal mit den Betroffenen auseinanderzusetzen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung. Ich stelle zunächst fest, dass der Berichtsantrag zu b), Drucksache 17/1091, durch die Berichterstattung der Landesregierung seine Erledigung gefunden hat. Es ist kein Antrag gestellt worden; damit ist der Punkt b) erledigt.

Es ist zum Schluss Ausschussüberweisung beantragt worden. Wenn es dabei bleibt, müssen wir darüber vor der Abstimmung über die Sache abstimmen. - Gut.

Es ist beantragt worden den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/1090 (neu), dem Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag auf Ausschussüberweisung mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stimmen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKEN und des SSW abgelehnt.

Dann lasse ich jetzt in der Sache abstimmen. Es ist beantragt worden, über den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 17/1090 (neu), in der Sache abzustimmen. Wer zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe. - Enthaltungen? Damit ist der Antrag Drucksache 17/1090 (neu) mit den Stimmen von CDU und FDP gegen die Stim

(Lars Harms)

men von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE und SSW abgelehnt.

Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 42 auf:

Für eine menschenwürdige und diskriminierungsfreie soziale und medizinische Versorgung von Asylsuchenden und Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus

Antrag der Fraktion DIE LINKE Drucksache 17/1093

Änderungsantrag der Fraktion der SPD Drucksache 17/1128

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Ich stelle fest, das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Frau Abgeordneten Jansen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE bestätigt, dass die auf bloßen Schätzungen basierende Festsetzung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht den Anforderungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 entspricht. Für unsere Partei ist schon lange klar, dass nicht nur die Berechnung der Regelsätze, sondern das Gesetz ungerecht ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Gesetz diskriminiert Menschen, die sich im Asylverfahren befinden, und Menschen, die geduldet in Deutschland leben; denn es billigt ihnen nicht dieselben Leistungen zu wie deutschen Bedürftigen. Begründet wird das damit, dass Menschen, die sich nicht lange in Deutschland aufhalten, bestimmte Bedarfe nicht haben. Diese Argumentation greift nicht, denn die Hälfte der Menschen, die von Asylbewerberleistungen leben, tun dies bereits vier Jahre und länger. Außerdem ist es offenkundig unzulässig, Einschränkungen beim menschenwürdigen Existenzminimum mit dem Gedanken der Kosteneinsparung zu begründen. In der bereits erwähnten Antwort auf die Große Anfrage gibt die Bundesregierung aber zu, dass dieser Gedanke auch ausschlaggebend war.

Ich möchte festhalten: Es ist eine politische Vorgabe, dass die Leistungen für diese Menschen so gering ausfallen sollen. DIE LINKE prangert das an.

Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, besitzen oftmals nicht mehr als Kleider auf ihrem Leib. Aber die Bundesregierung möchte sie nicht im Land haben, sie will sie so schnell wie möglich wieder loswerden.

Diese Ausrichtung der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kann man nicht nur im Asylbewerberleistungsgesetz erkennen. Die Leistungen, die Flüchtlinge bekommen, liegen mehr als 35 % unterhalb der Leistungen des SGB II. Es ist also nicht mehr, als die Menschen zum physischen Überleben brauchen. Selbst die medizinische Versorgung beschränkt sich auf die Beendigung von akuten Schmerzen.

Doch damit ist nicht genug. Trotz der allgemeinen Preissteigerung um 25 % wurden die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes seit 1993 nicht um einen Cent erhöht, seit 17 Jahren. Das kann nicht sein. Das hat auch schreckliche Folgen.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Als sozial benachteiligte Kinder dieses Jahr zum Schulanfang 100 € für Bücher und Stifte bekamen, bekamen benachteiligte Flüchtlingskinder nur 25 €. Ich hoffe sehr - meine Fraktion wird dafür kämpfen -, dass das im kommenden Jahr anders ist. Dessen können Sie sich sicher sein.

(Beifall bei der LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweites Beispiel: In vielen Bundesländern bekommen die Flüchtlinge noch nicht einmal die reduzierten Leistungen ausgezahlt. Sie bekommen stattdessen Lebensmittelpakete. Auch in Schleswig-Holstein gilt die Devise: Es wird gegessen, was vom Amt kommt. - In der Sammelunterkunft Neumünster werden Lebensmittelpakete und ein monatliches Taschengeld von 40 € verteilt. Flüchtlingsverbände kritisieren, dass die Pakete nicht auf den individuellen Bedarf abgestimmt sind, und ihr Inhalt ist oftmals minderwertig. Noch dazu zeigen Beispiele aus dem Land, dass die Auszahlung von Geld weniger personellen Aufwand erforderte, sogar kostengünstiger wäre. Wir sagen, Lagerleben, reduziertes Existenzminimum, Lebensmittelpakete, kurz, die reduzierte Menschenwürde von Flüchtlingen gehört abgeschafft.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte, damit es hier noch einmal ganz klar wird, betonen: In Deutschland - auch hier bei uns in

(Vizepräsidentin Herlich Marie Todsen-Reese)

Schleswig-Holstein - werden Menschen dazu gezwungen, viele Jahre lang unter dem Existenzminimum zu leben. Ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben und an Möglichkeit der Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ist ihnen nicht gegeben. Für uns gilt das Grundrecht auf Gewährung eines würdigen Lebens für alle Menschen gleichermaßen.

Ich fordere mit unserem Antrag die Landesregierung auf, eine Bundesratsinitiative zu ergreifen, um dieses diskriminierende Gesetz abzuschaffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abgeord- neten Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir begrüßen in diesem Sinne auch den Antrag der SPD. Aber in Ihrem Antrag legen Sie sich auf das Asylbewerberleistungsgesetz fest. Wir wollen es abschaffen, weil es ein diskriminierendes, menschenverachtendes Gesetz für Flüchtlinge ist, die ohne Aufenthaltsstatus hier leben. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen.