Protocol of the Session on December 17, 2010

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn Sie sich tatsächlich hier hinstellen, Herr de Jager - ich meine, Sie haben gestern einen lausigen Bericht zur regionalökonomischen Bedeutung der Uni für Lübeck vorgelegt; auch da konnten Sie schon nicht rechnen -,

(Beifall der Abgeordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

und sagen, wir glauben aber, dass die Hinterlandanbindung und die Fehmarnbelt-Querung ökonomische Effekte erzeugen wird, kann ich nur sagen: Glauben versetzt bekanntlich Berge, Rechnen wäre mir aber lieber.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abge- ordneten Antje Jansen [DIE LINKE])

Ich möchte fortfahren: Wir haben in einem wissenschaftlichen Gutachten genau diese Frage gestellt. Im Ergebnis wird deutlich, wie seriös Sie arbeiten.

(Christopher Vogt)

Die 60 Millionen €, die Sie in den Haushalt eingestellt haben, sind verfassungswidrig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Nach Artikel 104 a GG ist eine Mischfinanzierung verboten. Die DB AG, lieber Herr de Jager, darf sich laut Grundgesetz ihr Geld beschaffen, wo sie will, nur nicht bei den Ländern. Das ist verboten, das ist verfassungswidrig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Das ignorieren Sie. Daraufhin habe ich Sie angeschrieben und gefragt, wie es mit der Hinterlandanbindung weitergehen soll. Darauf haben Sie geantwortet, das Land Schleswig-Holstein zahle einen Interessenbeitrag, und der Bund habe das Angebot angenommen. Jetzt frage ich mich natürlich - die erste Baustufe, Elektrifizierung bis 2018, die zweite Baustufe, ein zweigleisiger Ausbau -: Was soll das alles? Es geht um die Erhöhung der Streckengeschwindigkeit, es geht um die europäische Hochgeschwindigkeitsrichtlinie TEN-HGV, es geht um Fernverkehr. Da fahren nur acht Personennahverkehrszüge. 60 Millionen € für acht Nahverkehrszüge, das kann nicht Ihre Ernst sein! Weisen Sie dem Parlament nach, was Sie mit schleswig-holsteinischem Geld in dieser Region wirklich anfangen wollen! Das haben Sie versäumt, das haben Sie bisher nicht getan.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Natürlich gibt es einen Staatsvertrag. Das ist uns klar. Der ist auf Bundesebene mit dem Staat Dänemark ausgehandelt. Dennoch ist es nicht zu spät zu sagen, wir wollen darüber reden. Wir haben nie eine Schlichtung gefordert, das haben Sie falsch verstanden, Herr Vogt. Wir haben gesagt, es müsse ein Gespräch, einen Runden Tisch, einen Faktencheck wie auch immer - geben. Das muss man auf Bundesebene organisieren, und man muss die Menschen mitnehmen, und man muss auch dafür sorgen, dass die dänischen Bürgerinnen und Bürger mit an diesen Tisch kommen.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Christopher Vogt [FDP]: Nen- nen Sie es, wie Sie wollen!)

Ich bin sehr davon überzeugt: Wenn alle Fakten auf den Tischen kommen, wird man auch in Dänemark die Frage stellen, was denn tatsächlich eine Investition von 5,2 Milliarden € bedeutet. Wir müssen diese Fakten auf den Tisch bringen. Lieber

Herr de Jager, das Durchziehen von Großprojekten wie die Fehmarnbelt-Querung gegen die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern, das ist von gestern.

(Beifall beim SSW)

Nach Stuttgart 21 ist vor Belt 21, das sagen wir Ihnen. Wenn Sie sich tatsächlich auf diesen Prozess einlassen, dann werden Sie begreifen, dass wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen müssen. Wann ist denn die Zeit dafür, wenn nicht jetzt? - Herr Stegner hat es schon angesprochen, es geht tatsächlich auch um das Timing. In dem Schlichtungsverfahren Stuttgart 21 ist deutlich geworden, dass es Schadenersatzforderungen in Höhe von fast 2 Milliarden € geben würde, wenn man jetzt ausstiege. Da war es zu spät, da gibt es nur noch ein zu spätes Aussteigen. Deshalb sagen wir Ihnen: Machen Sie jetzt diese Fakten transparent! Teilweise kennen Sie sie selber gar nicht, das haben Sie in Ihrem heutigen Redebeitrag deutlich gemacht.

Wir sagen deshalb: Wenn Sie den Aufstand des Bürgertums in Schleswig-Holstein erleben wollen, dann machen Sie mit der Fehmarnbelt-Querung so weiter. Wir hoffen, dass Sie rechtzeitig erkennen: Das ist eine Politik von gestern.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Björn Thoroe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der gerade gegebene Bericht geht völlig an der Lebensrealität der in der Fehmarnbelt-Region lebenden Menschen vorbei. Sie reden hier immer von wirtschaftlichen Chancen für Schleswig-Holstein, aber - ein gutes Beispiel - die volkswirtschaftliche Neubewertung durch Bundesverkehrsminister Ramsauer ist ein schlechter Witz. Bundesverkehrsminister Ramsauer hat die Chance auf eine ehrliche Neubewertung der umstrittenen Großprojekte vertan. Die Hinterlandanbindung zur Belt-Querung soll bundesweit den höchsten Nutzen aller Verkehrsprojekte haben. Der Nutzen soll angeblich 6,7-mal höher als die Kosten sein.

Dabei ist alles nur ein Trick: Es wird angenommen, dass die Belt-Querung selbst und alle umliegenden Verkehrsprojekte bereits finanziert und gebaut sind. Es wird angenommen, dass es keinen Rückgang des Tourismus in der Region geben wird. Es wird ange

(Dr. Andreas Tietze)

nommen, dass 5,8 Milliarden € Betriebskosten von Lkw eingespart werden. Es wird angenommen, dass die Hinterlandanbindung nur 940 Millionen € kosten wird.

Alle diese Annahmen halten einer genaueren Überprüfung nicht stand. Ich frage mich, ob es wirklich ernst gemeint ist, wenn angenommen wird, dass neben einer Hauptverkehrstrasse noch Urlaub gemacht wird. Ständig vorbeirollende Lkw und Güterzüge sind kein Ambiente, um sich zu entspannen.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine feste Fehmarnbelt-Querung wird Arbeitsplätze bei den Fährlinien und im Tourismussektor kosten. Die Region um die geplante Trasse wird zur Transitregion mit erheblich weniger Lebensqualität.

Auch die 5,8 Milliarden € an eingesparten Lkw-Betriebskosten sind nicht realistisch. Bei der Prognose wird so getan, als ob die Fährlinien in der Region nicht existierten. Schon heute gibt es eine Fehmarnbelt-Querung - nur keine feste, sondern eine schwimmende. Im Halbstundentakt verkehren Fähren. Diese Fährverbindungen auszubauen, wäre der richtige Weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Zudem sind die Kosten für die Hinterlandanbindung deutlich zu niedrig angesetzt. Der Bundesrechnungshof warnt vor Kosten von bis zu 1,7 Milliarden € für die Hinterlandanbindung. Es existiert bei der geplanten Streckenführung außerdem die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder die Strecke wird durch Wohngebiete geführt, oder der Flächenverbrauch wird die Landwirtschaft in der Region massiv schädigen.

Nun noch ein paar Worte zur vorgeschlagenen Schlichtung. Es erschließt sich mir nicht, wie bei einer Frage von Ja oder Nein eine Schlichtung realistisch sein soll.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass Fakten auf den Tisch kommen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Die Vorgänge rund um Stuttgart 21 sollten eher eine Warnung für alle sein, die Widerstand gegen unsinnige Großprojekte organisieren wollen. Der erfolgte sogenannte Schlichterspruch von Heiner Geißler stand in seinen Grundsätzen schon von Anfang an fest.

(Beifall bei der LINKEN)

Stuttgart 21 hat durch das Schlichterspektakel eine scheinbare Legitimation erhalten. Schlichterspektakel dienen nur den Interessen der Herrschenden.

Unsinnige Großprojekte werden nicht durch Scheinschlichtungen verhindert, sondern durch ausdauernden Widerstand von Bürgerinnen und Bürgern auf der Straße.

(Beifall bei der LINKEN)

DIE LINKE steht an der Seite der Gegnerinnen und Gegner der festen Fehmarnbelt-Querung - und das ohne Wenn und Aber. Sie haben schlicht die besseren Argumente. Ziehen Sie die Notbremse, wählen Sie die Ausstiegsoption, Herr Carstensen, Herr de Jager, steigen Sie aus diesem ökonomisch und ökologisch unverantwortbaren Projekt aus!

(Beifall bei der LINKEN - Christopher Vogt [FDP]: Wie denn, Herr Thoroe?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in der Debatte fortfahren, begrüßen Sie bitte mit mir gemeinsam Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Halstenbek mit ihren Lehrkräften sowie Mitglieder des CDU-Ortsverbandes Emkendorf. - Seien Sie uns alle ganz herzlich hier im SchleswigHolsteinischen Landtag willkommen!

(Beifall)

Jetzt erteile ich für die Fraktion des SSW Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Ankündigung der dänischen Planungsgesellschaft Femern A/S, dem dänischen Verkehrsminister eine Tunnellösung für die Fehmarnbelt-Querung anstelle einer Brücke vorzuschlagen, weil dies aus Umwelt-, Sicherheits- und Kostengründen die bessere Variante sei, dreht sich das Milliardenkarussell weiter. Danach werden die Kosten für eine Brücke auf 5,2 Milliarden € und der Absenktunnel auf 5,1 Milliarden € geschätzt. Nur einmal zur Erinnerung: 2006 wurden die Kosten für eine Brücke noch auf rund 4 Milliarden € geschätzt. Die Brückenvariante hat sich damit um 1,2 Milliarden € verteuert. Auch wenn die Querung einzig und allein von dänischer Seite getragen wird, macht es aber deutlich, dass die bisher angegebenen Kostenschätzungen nicht ordentlich durchgerechnet sind. Dies gilt auch für die Hinterlandanbindung auf deutscher Seite. Demnach belaufen sich die Kosten nämlich nicht auf geschätzte 840 Millionen € sondern auf 1,7 Milliarden €.

(Björn Thoroe)

Bei derartigen Kostenexplosionen muss man sich doch die Frage stellen, warum immer noch an diesem Projekt festgehalten wird. Es macht aber deutlich, dass die Kosten keine Rolle spielen. Es ist einzig und allein ein politisches Prestigeprojekt, das durchgedrückt werden soll - auf Teufel komm raus. Dieses Vorgehen vermittelt den Anschein, als ob es nicht mehr um die Frage des Ob geht, sondern nur noch um das Wie. Dass dies zu Unmut und Verärgerung bei den Querungsgegnern führt, ist klar. Hier müssen wir aber so ehrlich sein, dass sich die Frage nach dem Ob für unser Land nicht mehr stellt. Wir haben es hier mit einem Staatsvertrag zu tun. Das bedeutet, das es nur zwischen Berlin und Kopenhagen geklärt werden kann.

Die Frage nach dem Ob hätte vonseiten des Landes viel früher gestellt werden müssen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Aber dieses Eisen hat niemand angefasst. Hier hat im Vorfeld die Transparenz und die Diskussion gefehlt. Daher ist der Zug abgefahren, lieber Kollege Kubicki, im Übrigen genauso wie bei Stuttgart 21. Es geht also nur um das Wie, und hier brauchen wir jetzt die ehrliche Auseinandersetzung mit der Bevölkerung vor Ort. Aber auch hier taucht man lieber ab. Dies kreide ich der Landesregierung an. Daher schreibe ich den Befürwortern des Projektes ins Buch: Was wir heute in den Medien aus Stuttgart sehen, werden wir auch in der Region Fehmarn und Ostholstein erleben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ach Quatsch!)