Ich sage Ihnen: Wer alle Vorgaben, die uns das Landesverfassungsgericht gegeben hat, beachten will, der kommt um eine Verfassungsänderung nicht herum. Davon sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten überzeugt.
Dabei haben wir uns gegen erste Formulierungsvorschläge für eine Verfassungsänderung ausgesprochen, die von mindestens 69 Abgeordneten gesprochen hätten. Dies würde nicht nur öffentlich missverstanden werden. Ich sage aber auch ganz klar: Die Behauptung, wir würden an der Verfassung herummanipulieren wollen und das Urteil nicht ernst nehmen, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall, denn ohne eine Verfassungsänderung können wir den Sonderfall Schleswig-Holstein nicht beenden. Die können nicht wählen, die können nicht zählen; das kann doch nicht das sein, was wir über Schleswig-Holstein lesen wollen.
Ich muss Ihnen auch sagen: Die Vorstellung kleinerer Fraktionen, dass wir deutlich mehr Listen- als Wahlkreiskandidaten im Parlament wiederfinden, wäre ein Unikat, das es nirgendwo in Deutschland gibt. Wir würden dies in keinem einzigen Landesparlament haben.
Lassen Sie mich das sagen: Es gibt kein Wahlgesetz in der Bundesrepublik, das dieses Unikat festschreibt, und wir wollen es nicht haben.
Im Übrigen sage ich denjenigen, die sich so sehr auf Demokratie berufen: Wir würden die Mitwirkungsrechte der Bürger deutlich einschränken, die nämlich de facto nur über die direkt gewählten Abgeordneten entscheiden. Über die Wahllisten entscheiden nur die Parteien. Der Ausweg, den es gibt, nämlich dass man ein neues Modell wählt, das den Einfluss der Wähler auf diese Weise stärkt, ist keiner, zumindest kein kurzfristiger. Wir wissen doch, dass wir in einzelnen Kreisen und in einzelnen Stadtteilen eine niedrige Wahlbeteiligung haben. Das Übel verschlimmert sich, wenn wir das Wahlgesetz noch komplizierter machen. Deshalb wollen wir ein einfaches Wahlgesetz haben.
Ich weiß, dass der Kollege Kalinka und auch andere in der Union gesagt haben: Lasst uns darüber reden. Das können wir langfristig auch durchaus tun. Wer das aber kurzfristig reparieren und in Ordnung bringen will, der kann nicht ein völlig neues Wahlsys
Ein weiterer Anspruch an ein Wahlgesetz besteht darin, dass wir immer zum Kompromiss bereit gewesen sind. Jede hier im Landtag vertretene Fraktion hat eigene Interessen, und wir sollten nicht so tun, als ob die einen für das Gemeinwohl seien und die anderen nur für die eigenen Interessen. Jede Fraktion hat eigene Interessen.
Ich sage aber auch: Jede dieser Fraktionen hat Verantwortung für das Gemeinwohl. Den einen sind die Wahlkreise wichtiger, den anderen ist die Zweitstimme wichtiger. Nichts ist dem anderen moralisch überlegen, und so sollten wir auch nicht reden.
Wir brauchen kein schwarzes, kein gelbes, kein rotes und kein grünes Gesetz, sondern wir brauchen ein Gesetz, das von allen mit getragen werden kann. Deswegen waren wir immer zu einem Kompromiss bereit und haben gesagt: Lasst uns über alles miteinander reden. Ein Kompromiss, der die Anzahl der Wahlkreise reduziert, für eine etwa gleiche Anzahl von Wahlkreisen- und Listenkandidaten sorgt und die Zweitstimme erhält, scheint mir die richtige Lösung zu sein, die auch den Gegebenheiten in anderen Ländern und dem Bund entspricht. So schlecht sind die Erfahrungen damit in anderen Ländern nicht. Deswegen ist das eine gute Lösung.
Wir sind im Übrigen auch dafür eingetreten, das Wahlalter zu reduzieren, um Jugendlichen bessere Chancen zu geben, sich noch mehr an der politischen Willensbildung zu beteiligen. Deshalb beantragen wir mit unserem Gesetzentwurf das Wahlalter 16.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Landesverfassungsgericht hat erklärt, dass die Zusammensetzung des Landtags nicht verfassungskonform sei. Eigentlich hätte das Landesverfassungsgericht eine Wiederholungswahl angeordnet, also eine Neuwahl innerhalb weniger Wochen, wenn wir nicht ein neues Wahlgesetz hätten machen müssen, was der Landtag ja muss. Nur deshalb ist es zu den Maximalfristen gekommen, auf die sich hier manche berufen. Es geht also darum, rasch ein Wahlgesetz zu verabschieden. Dies ist nach den Ergebnissen der Anhörung bis spätestens März 2011 ohne Weiteres möglich. Dann tagen die Wahlkreisausschüsse. Wir wissen, diese brauchen nicht mehr als
zwei Monate. Wir haben den 13. November 2011 als Wahltermin vorgeschlagen, weil dies vernünftig ist, um relativ rasch zu einer Neuwahl zu kommen, die die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes wollen.
Ich sage: Wir haben im letzten Jahr kein neues Wahlgesetz gemacht, aber es waren ausschließlich demoskopische Erwägungen, die dazu geführt haben, nach den Sommerferien sehr schnell wählen zu wollen. Diejenigen, die das damals für möglich gehalten haben, sollten jetzt nicht so tun, als müssten wir das Wählen neu erfinden und als dauerte dies ewig lange. Man muss hier die Kirche im Dorf lassen.
Ich sage Ihnen: Deswegen haben wir Sozialdemokraten gesagt, wir wollen einen sicheren Weg zu Neuwahlen. Wir wollen das mit einer Zweidrittelmehrheit in der Verfassung verankern, dann klappt das auch. Sozialdemokraten werden sich nicht an der Verfassungsänderung beteiligen, wenn wir nicht beide Dinge vernünftig miteinander regeln.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas sagen, was mir gerade bei dem Beitrag von Ihnen, Kollege Habeck, aufgefallen ist. Kollege Habeck, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze. Ich glaube, wir sollten bei dem Ton dieser Debatte darauf achten, dass wir nicht die wohlfeilen antiparlamentarischen Reflexe bedienen. Wir sollten uns nicht wechselseitig in Gut und Böse einteilen.
Wir sollten nicht dazu beitragen, dass sich die einen moralisch erhöhen und die anderen moralisch herabwürdigen. Es ist in der Frage des Wahlgesetzes ein ganz besonders schlechter Ansatz, dies zu tun.
- Frau Kollegin Erdmann, ich habe mit einem Satz am Anfang Selbstkritisches gesagt über unsere Haltung bei der Verabschiedung. Das habe ich im Übrigen im Gegensatz zu anderen getan. Ich sage nur: Die Menschen, die uns zugucken, wissen auch: Das Wahlgesetz entscheidet am Ende über die Zusammensetzung des Parlaments. Wir können einen vernünftigen Kompromiss schaffen, und es gibt schon
genug antiparlamentarische Reflexe, die sagen: Warum kriegen die überhaupt Geld, warum können wir das nicht alles zusammenkürzen?- Jeder, der dazu beiträgt, schadet uns allen. Das will ich hier deutlich sagen.
Ich würde mir immer noch wünschen, dass wir das ein Stückchen ruhiger und als Interessenausgleich mit einem Wahlgesetz umsetzen, wie es dies auch in den anderen Parlamenten gibt, in denen Vertreter Ihrer Fraktion sitzen und in denen es solche Wahlgesetze gibt. Dort höre ich nicht, dass es völlig daneben sei, es so festzulegen, dass wir in etwa die gleiche Anzahl von Wahlkreiskandidaten und Listenkandidaten haben. Ich finde, die Spekulationen über das Ergebnis von Wahlen haben in der Debatte über das Wahlgesetz keinen Platz. Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler, das werden sie vernünftig tun. Ich sage Ihnen, wir werden mit großer Mehrheit ein Wahlgesetz verabschieden, das nicht in Schleswig beklagt werden kann, das verfassungskonform ist und das demokratischen Gepflogenheiten entspricht.
Wir werden ein Wahlgesetz verabschieden, das vergleichbar ist mit der Situation in anderen Ländern. Jeder, der ohne Fehler ist, der werfe den ersten Stein, sage ich an dieser Stelle. Ich glaube, wir sollten wirklich sehr darauf achten. Diese Art und Weise darüber zu reden, stört mich an diesem Punkt schon. Ich bin durchaus für einen lebhaften und auch für einen harten Wettbewerb in der Sache, aber das Wahlgesetz ist die Spielregel, um die es geht.
- Entschuldigen Sie, Ihre Fraktion hat doch auch Interessen. Ich werfe Ihnen gar nicht vor, dass Sie im nächsten Landtag nicht mehr sein werden. Das kann dazu kommen, da ist es egal, wie das Wahlgesetz ist. Das ist aber nicht mein Punkt. Ich glaube nur: Der Wunsch, den man gern hat, nämlich dass groß böse und klein gut ist, ist ein Wunsch, über den ich sagen muss: So schlicht ist die Welt nicht. Im Übrigen gilt: Wer heute groß ist, der ist morgen ein bisschen kleiner. Wer heute klein ist, der ist vielleicht morgen ein bisschen größer, aber auch das ändert sich manchmal sehr schnell.
Das Wahlgesetz muss ein Gesetz sein, das nicht nur für zwei, drei oder fünf Jahre Bestand hat, sondern das auch für zehn oder mehr Jahre Bestand haben kann. Das lassen Sie mich zum Schluss sagen. Das
werden wir miteinander versuchen. Ich bin ganz sicher, dass wir das in einer sachlichen Atmosphäre hinbekommen werden. Meine Fraktion ist zu Kompromissen bereit, und wir werden im März ein neues Wahlgesetz und bald darauf Neuwahlen in Schleswig-Holstein haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Landesverfassungsgericht formulierte Handlungsauftrag an den Gesetzgeber ist anspruchsvoll. Lieber Herr Kollege Dr. Habeck, er eignet sich nicht für populistische Plattitüden, die Sie hier heute Morgen vorgetragen haben.
Sie haben das Urteil zitiert. Wer sich das Urteil genau ansieht, der sieht, dass es nicht nur die Frage der Wahlkreise ist, auf die Sie sich hier allein berufen. Dazu gehört auch die Feststellung, dass Sie Sie haben es zugegeben - für den Vollausgleich geklagt haben, was letztlich ein Parlament mit über 100 Abgeordneten gebracht hätte. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kennen die Stellschrauben, an denen man im Wahlgesetz etwas bewegen kann. Es gibt bestimmte Zielkonflikte, die politisch entschieden werden müssen. Darauf ist schon hingewiesen worden.
Der größte Konflikt besteht zurzeit in zwei sich widersprechenden Forderungen. Die erste ergibt sich aus der Verfassung. Nach Auffassung des Landesverfassungsgerichts ist die Zahl 69 eine Richtgröße, die möglichst genau eingehalten werden muss. Dem gegenüber steht die parteipolitische Forderung nach einem Vollausgleich der ebenfalls verfassungsrechtlich vorgesehenen Überhangmandate. Ein Vollausgleich bedeutet die Streichung der Deckelung der Ausgleichsmandate, was in der Tendenz aber eher zu mehr Abgeordneten führt. Die Beispielsberechnungen liegen vor.
Nach den vorliegenden Gesetzentwürfen wird dies aber von einer breiten Mehrheit des Hauses so gewünscht. Beides miteinander zu vereinbaren ist nicht einfach.