Protocol of the Session on November 19, 2010

(Kirstin Funke)

gehe noch einen Schritt weiter als der Kollege Habersaat -, sondern die Beschreibung des Status quo. Sie geben somit jeglichen Gestaltungsanspruch in der Hochschul- und Wissenschaftspolitik auf. Der einzig wirklich neue Ansatz ist, dass Sie im Kapazitätsrecht auf das Bandbreitenmodell wechseln. Das ist sicherlich besser als bisher - das ist jetzt ein bisschen eine Fachdebatte -, aber wirklich visionär ist das auch nicht. Das sogenannte Konzept gibt einen guten Einblick in die hochschulpolitische Landschaft, aber mehr nicht.

Wozu Sie hochschulpolitisch imstande sind - darauf hat auch der Kollege Habersaat schon hingewiesen -, haben Sie im Sommer bewiesen. Die damals entstandenen Schäden sind noch längst nicht eingesammelt. Den Medizinstudiengängen in Lübeck nehmen Sie durch Kürzungen beim UK S-H 10 Millionen € für die Lehre und Forschung. Gestern beim Treffen zwischen Vertretern des UK S-H, der Universität Lübeck und der ChristianAlbrecht-Universität wurde das noch einmal deutlich. Zumindest Frau Funke und Herr Vogt waren für die Regierungsfraktionen den Abend über anwesend und können darüber sicherlich Näheres berichten. Solche Geschichten sind sicherlich auch nicht dazu da, die Exzellenzinitiative zu befördern, die Sie gerade noch gelobt haben.

Die Universität Flensburg beispielsweise bleibt komplett auf sich alleingestellt. Während ein Gutachten das nächste jagt, fehlt es an innovativen Ansätzen vonseiten der Landesregierung.

Die forschungspolitischen Folgen des Umzugs des IFM GEOMAR zur Helmholtz Gemeinschaft sind für die Christian-Albrechts-Universität kaum absehbar. Von der FH Wedel, die ja auch sehr stark durch Kürzungen bedroht ist und die, wenn nicht Frau Ostmeier als regionale Abgeordnete einspringt, wirklich keine rosige Zukunft zu erwarten hat, will ich hier jetzt gar nicht erst anfangen zu reden.

Wir Grüne wollen gemeinsam mit der Hochschulund Wissenschaftsszene Alternativen entwickeln, Fragen stellen und uns an Antworten versuchen. Als Grüne können wir uns vorstellen, das Instrument der Zielvereinbarungen, Herr Günther, stark zu überarbeiten beziehungsweise weiterzuentwickeln.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum definieren wir mit den Hochschulen nicht Zielvereinbarungen darüber, wo die Hochschule X in fünf, in zehn, in 15 Jahren, an Kriterien orientiert, stehen soll? Kriterien sind für uns beispiels

weise eine aktive Gleichstellungspolitik, die soziale Öffnung der Hochschulen oder auch interdisziplinäre Ansätze in den Studiengängen massiv zu stärken. Nach dem gestrigen Abend will ich noch hinzufügen: Sicherlich sollte man bei der Zielvereinbarung auch darüber reden, ob man eine Sonderzielvereinbarung für den Bereich Medizin trifft, der so kompliziert wie kaum ein anderer hochschulpolitischer Bereich ist.

Wir müssen die Frage stellen, ob aktuelle Akkreditierungsverfahren entbürokratisiert werden können und so bei den Hochschulen mehr Potenzial freigesetzt wird.

Wir müssen uns auch fragen, wie wir den Hochschulstandort Schleswig-Holstein für Studierende und Wissenschaftler attraktiver machen können. Attraktive Hochschulen leben aus grüner Sicht von starken Mitbestimmungsmöglichkeiten und guter Ausstattung. Aber auch viele personalrechtliche Fragestellungen müssen grundsätzlich diskutiert werden.

Wir brauchen eine neue Form von Wissensmanagement. Wie können wir an den Hochschulen entstandenes Wissen oder innovative Ideen besser fördern und gesamtgesellschaftlich interessant machen? Wir müssen jetzt in die Hochschulen investieren, nicht trotz, sondern gerade wegen der dramatischen Haushaltslage.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir unterstützen deswegen jeden Schritt, der eine stärkere Verantwortung der Bundespolitik in der Finanzierung einfordert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings darf dies nicht dazu missbraucht werden, sich im Hochschulbereich komplett aus der Verantwortung zu ziehen.

Es gibt aber auch viele strukturelle Fragen, um die sich die Politik nicht drücken darf. Die Verknüpfung zwischen außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Hochschulen beispielsweise muss dringend gestärkt werden. Neue Ansätze müssen hier auf den Weg gebracht werden. Wir stehen zu einer pluralen und dezentralen Hochschullandschaft mit starken grenzüberschreitenden Studiengängen in Flensburg, auszubauenden Fachhochschulen und guten Universitäten in Kiel und Lübeck.

Im Bereich der Lehramtsstudiengänge brauchen wir neue Konzepte. Es ist absurd, weiterhin Lehre

(Rasmus Andresen)

rinnen und Lehrer für Schultypen auszubilden, die wir längst abgeschafft haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir Grünen haben dazu in der Vergangenheit schon oft Gesetzentwürfe eingebracht. Es ist in Ordnung, dass Sie fanden, dass die nicht zustimmungsfähig waren. Aber Sie legen bis zum heutigen Tage keine alternativen Konzepte auf den Tisch. Herr Günther, Sie fordern von uns, die Opposition solle doch endlich mal sagen, wie ihre Konzepte sind. Gerade im Hochschulbereich, gerade bei den Lehramtsstudiengängen erleben wir, dass die Regierungsfraktionen keine Konzepte haben und nichts auf den Tisch legen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Last, but not least brauchen wir neue Formen von Kooperationen zwischen Fachhochschulen und Universitäten. Gerade am Standort Flensburg wird das mehr als deutlich, aber auch an anderen Standorten. Die vorgenommene Klassifizierung unterschiedlicher Hochschultypen wird der Lage nicht gerecht und muss überarbeitet werden.

Es gibt unendlich viele Baustellen im Hochschulund Wissenschaftsbereich. Auch wenn ich jetzt noch drei Minuten Zeit habe, kann ich hier nicht auf alle eingehen. Wir kritisieren scharf, dass Sie erst ein Jahr nach der letzten Landtagswahl ein sogenanntes Konzept vorlegen, in dem Sie Hochschulpolitik nicht neu denken, sondern festgefahren in alten Strukturen verharren.

Wir Grüne wollen Schleswig-Holstein gemeinsam mit den Akteuren an den Hochschulen und den Forschungseinrichtungen zum Hochschul- und Wissenschaftsland Nummer 1 machen. Uns ist bewusst, dass das ein schwieriger und langer Weg wird. Es aber nicht zu probieren, wäre grob fahrlässig.

Ich freue mich gerade deshalb auf die Debatten im Ausschuss, die Herr Günther ja schon beantragt hat. Da werden wir sicherlich im Detail noch einige Punkte diskutieren können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich dem Abgeordneten Björn Thoroe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es gibt sehr große Unterschiede in der Wahrnehmung, einerseits bei der Landesregierung, CDU und FDP und andererseits bei den Studierenden. Ansonsten wären ja sowohl im Sommer als auch gestern nicht so viele vor der Tür gewesen. Gestern hat die Christian-Albrecht-Universität extra für die Demonstration, die hier vor der Tür stattfand, eine Vollversammlung gemacht. Da scheint ja bei der Hochschulpolitik der Landesregierung durchaus noch einiges im Argen zu liegen. Das kommt in dem Konzept ja auch durchaus zum Ausdruck.

Das hochschulpolitische Konzept der Landesregierung ist eine Bestandsaufnahme einer gescheiterten Hochschulpolitik. Dafür kann die jetzige Landesregierung nicht allein etwas, aber es ist erst einmal eine Bestandsaufnahme. Die Zahlen und Fakten des Berichtes geben ein sehr trauriges Bild von der existierenden Hochschullandschaft in Schleswig-Holstein.

Erst einmal gebe ich nur ein deutliches Beispiel: In Schleswig-Holstein leben 3,46 % der Menschen in Deutschland. In Schleswig-Holstein existieren aber nur 2,41 % der bundesweit angebotenen Studienplätze. Nur um den bestehenden Rückstand auf andere Bundesländer allein bei der Zahl wettzumachen, bräuchte Schleswig-Holstein auf einen Schlag ungefähr 50 % mehr Studienplätze.

Es fehlt an allen Ecken und Enden an finanziellen Mitteln. Eliteförderung durch Exzellenzinitiativen kann darauf keine Antwort sein. DIE LINKE will eine breit aufgestellte Lehr- und Forschungslandschaft in Schleswig-Holstein. Dafür wird deutlich mehr Geld benötigt.

(Beifall bei der LINKEN)

Auffällig ist auch, was in dem Bericht nicht erwähnt wird. Es ist immer nur von den sogenannten MINT-Fächern und von Wirtschaftswissenschaften die Rede. Geistes- und Sozialwissenschaften kommen, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Sie werden seit Jahren gekürzt und zurückgefahren. Die Regierungen folgen seit Jahren einer Strategie, die den Bedarf von Absolventen ausschließlich vom Wirtschaftsstandort her bestimmt.

Anlässlich des Planes des Hamburger Wissenschaftssenats, den Umfang der Geisteswissenschaften 2004 zu halbieren, äußerte sich der große amerikanische Liberale Richard Rorty wie folgt:

(Rasmus Andresen)

„Keine … amerikanische Universität würde auch nur eine Sekunde lang den Vorschlag ernst nehmen.... Ein solcher Vorschlag … würde nur als arroganter Versuch gewertet, das kulturelle Klima des Landes zu verändern. Die Mitglieder einer Regierung, die mit einer staatlichen Universität so etwas versuchen würden, dürften sicher sein, sofort als Witzfiguren verspottet zu werden.“

Herr de Jager, das müssen Sie sich vorhalten lassen mit Ihrem am Wirtschaftsstandort ausgerichteten Hochschulkonzept.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von Minis- ter Jost de Jager)

Die massive Unterfinanzierung, auch im Bundesvergleich, lässt sich mit Fakten aus dem Bericht leicht belegen. In allen Fächergruppen, außer Medizin und Sport, liegen die Ausgaben pro Studierenden in Schleswig-Holstein weit unter dem Bundesdurchschnitt. Die Betreuungsrelation ist auch schlecht. Hinzu kommt nun noch die Verpflichtung durch den Hochschulpakt, 9.687 neue Studienplätze in Schleswig-Holstein zu schaffen. Trotz dieser Belastung soll das Globalbudget der Hochschulen ab 2011 gedeckelt werden, und trotz Inflation und Tariferhöhung für die Angestellten sollen die Gesamtmittel in den Folgejahren nicht erhöht werden. Bildung und Wissenschaft fördern zu wollen, bleibt - wie so oft - den Sonntagsrednern der Landesregierung vorbehalten. Sie werden in Zukunft dafür nur noch ausgelacht werden.

Ein paar Einzelaspekte des Berichts möchte ich noch hervorheben: Im Bericht ist der Irrweg der Privatisierung von Studienplätzen angekündigt. Als angeblich gutes Beispiel wird eine Kooperation zwischen sh:z, medien holding:nord und der FH Kiel genannt. Die FH Kiel stellt einen gesamten Masterstudiengang für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur dieser Unternehmen zur Verfügung. sh:z und medien holding:nord zahlen entsprechend dafür. Das ist der Anfang vom Ende unabhängiger Lehre.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch die Umwandlung der Uni Lübeck in eine Stiftungsuni ist ein Irrweg. DIE LINKE wird sich allen Tendenzen, Bildung und Wissenschaft zu privatisieren, entgegenstellen. Bildung ist keine Ware.

(Beifall bei der LINKEN)

Hilflos erkennt die Landesregierung im Bericht an, dass es in Schleswig-Holstein zu wenig studentischen Wohnraum gebe. Trotzdem streicht die

Landesregierung ihre Zuschüsse für die studentische Wohnraumförderung - ein weiteres Beispiel dafür, dass die Landesregierung mit dem ewig starrsinnigen Verweis auf die Haushaltslage vor einem Problem einfach kapituliert.

In Schleswig-Holstein sind nur 11 % der Professorenstellen mit Frauen besetzt. Der Landesregierung fällt nichts Besseres ein, als auf die Eigenverantwortung der Hochschulen zu verweisen. DIE LINKE will eine Quotenregelung im Hochschulgesetz. Außerdem müssen mindestens 50 % der Plätze in den Berufungsgremien mit Frauen besetzt werden.

(Beifall des Abgeordneten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

Sogar bei Problemfällen, die die Landesregierung keinen Cent kosten würden, stiehlt sie sich aus der Verantwortung. Das ist doch schon ein Trauerspiel. Ich schließe mit einem weiteren Zitat von Richard Rorty: „Nur eine Regierung, die vergessen hat, wozu Universitäten da sind, wird glauben, dass sie auf diese Weise etwas spart.“

(Beifall bei der LINKEN)