Protocol of the Session on November 18, 2010

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das muss doch klar sein! - Zuruf des Abgeordneten Dr. Ro- bert Habeck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Weitere Zurufe)

Herr Abgeordneter Vogt hat das Wort.

Herr Habeck, ich würde gern etwas zum Antrag der SPD-Fraktion sagen. Wir kennen Ihre Mindestlohnforderungen. Wir halten sie nicht für zielführend. Aber auch da muss man sagen, Sie reden immer von Willkürlichkeit, auch bei diesen Regelsätzen. Wie sind denn die Mindestlöhne? Letztes Jahr forderte die SPD noch 7,50 €, jetzt 8,50 €. Wie sind denn die festgelegt? Die sind doch auch willkürlich festgelegt. Einfach eine Grenze zu ziehen, halten wir nicht für zielführend.

Auch am Beispiel der Familie aus Lübeck haben wir gesehen, dass sie Wohngeld beziehen muss. Sie muss zusätzliche Leistungen beziehen.

Ihre Forderung nach Bundesmitteln für Kitas und Ganztagsschulen ist sehr interessant. Das finde ich gut. Ich finde auch, dass Berlin uns immer mehr

Geld geben sollte. Man muss aber auch sehen, dass die erste Föderalismusreform 2006 - ich glaube, dass es damals Herr Koch und Herr Steinbrück waren - das Kooperationsverbot verschärft hat. Es ist im Grundgesetz niedergeschrieben. Insofern ist es schwierig, kurzfristig umzusetzen, dass wir mehr Geld aus Berlin bekommen.

Die Vorschläge der Bundesregierung sind allgemein bekannt. Im Bundesrat geht es darum, das zu verhandeln. Die Signale sehen gar nicht so schlecht aus, nach all dem Getöse, das wir auch heute gehört haben. Es liegt jetzt wirklich an den Sozialdemokraten. Bei der Jobcenterreform haben sie ja im Bundesrat konstruktiv mitgearbeitet.

(Lachen des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Ja, Herr Baasch, das haben Sie doch, oder nicht?

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD])

- Ja, im Bund. Die Sozialdemokraten haben sich doch bei der Jobcenterreform sehr konstruktiv eingebracht. Deshalb sollten Sie sich auch jetzt konstruktiv, im Sinne aller, im Sinne der Betroffenen, einbringen.

Im SGB-II-Bereich muss noch für mehr Fairness und Durchlässigkeit zum ersten Arbeitsmarkt gesorgt werden. Die Bundesregierung hat dort schon eine Reihe von Maßnahmen in Angriff genommen. Es muss aber noch mehr passieren: die Verbesserung der Vermittlung und die Qualifizierung der Mitarbeiter - das hatte ich schon angesprochen -, die Qualifizierungsmöglichkeiten erwerbsloser Menschen - ein ganz wichtiger Punkt - und die Hinzuverdienstmöglichkeiten, die ich auch in der letzten Debatte schon angesprochen hatte. Mittlerweile gibt es einen enttäuschenden Kompromiss auf Bundesebene. Wir müssen aber den Menschen, die Grundsicherung beziehen und nebenbei auch noch arbeiten, auch mehr als bisher von dem verdienten Geld lassen.

Zu den Ein-Euro-Jobs. Das sehe ich fast genauso wie DIE LINKE.

(Zuruf von der LINKEN: Oh! - Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und SSW)

Im Sozialausschuss haben wir das Thema erkannt und dazu bereits eine schriftliche Anhörung durchgeführt. Sie wird nun in einer Synopse ausgewertet.

Frau Jansen, die Kritik an den Ein-Euro-Jobs ist allgemein bekannt. Der Bundesrechnungshof hat in den letzten Tagen noch einmal die Kritik erneuert.

(Christopher Vogt)

Vor allem wird bei den Ein-Euro-Jobs kritisiert, dass sie zum einen ihren ursprünglichen Zweck, nämlich eine Leiter in den ersten Arbeitsmarkt zu bauen, nicht erfüllen und zum anderen auch im großen Stil missbraucht werden, also reguläre Beschäftigung verdrängen. Insofern bin ich dagegen, einfach wie die Linken ganz platt zu sagen: Wir schaffen Ein-Euro-Jobs ab und machen eine künstliche öffentliche Beschäftigung. Das haben Sie neulich auch in Ihrer Presseerklärung gefordert. Ich bin dafür, auch die Ein-Euro-Jobs wie alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu evaluieren und dann zu verbessern. Wir können sie nicht abschaffen und die Menschen einfach im öffentlichen Dienst einstellen.

(Beifall bei der FDP - Antje Jansen [DIE LINKE]: Nicht in den öffentlichen Dienst! Öffentliche Beschäftigung!)

Wir arbeiten daran, dass der Sozialstaat zielgenauer ausgerichtet werden muss. Wir haben unsere Vorschläge gemacht und auch zugegeben, dass es nicht einfach ist, weil es ein riesiges System ist. Frau Bohn, Sie sagten vorhin zu Recht, dass aus der Hartz-IV-Reform keine Dauerbaustelle werden soll. Es ist ja aber nun einmal eine riesige Baustelle, mit der wir noch zu tun haben. Insofern müssen wir Verbesserungen herbeiführen. Wir müssen den Sozialstaat insgesamt zielgenauer werden lassen. Wir haben im Bundeshaushalt mittlerweile über 60 % an sozialen Ausgaben. Das ist eine riesige Summe. Die Ergebnisse passen damit nicht zusammen. Deswegen muss der Sozialstaat zielgenauer werden. Daran arbeiten wir.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion des SSW hat der Herr Abgeordnete Flemming Meyer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Uns liegen zu diesem Tagesordnungspunkt eine ganze Reihe von Anträgen verschiedener Fraktionen vor, doch alle haben eines gemeinsam: Inhaltlich beziehen sie sich auf bestehende Probleme und mehr oder weniger gravierende Fehler beim System Hartz IV. Der SSW hat seit der Einführung der Hartz-IV-Gesetze nicht nur den Grundgedanken eines ausgewogenen Förderns und Forderns begrüßt, sondern das Gesetz in seiner Ausformung immer kritisiert und deutlich gemacht,

dass die Gesetzgebung stetig weiterentwickelt werden muss.

Uns zeigt allein die Verdopplung der Hartz-IV-Fälle vor den Sozialgerichten in den vergangenen Jahren, dass noch sehr vieles verbesserungswürdig ist. Für Schleswig-Holstein bestätigen die Berichte der Bürgerbeauftragten regelmäßig diesen Eindruck. Allein 1.320 Eingaben und damit weit mehr als ein Drittel aller bearbeiteten Fälle gehen auf das SGB II zurück.

Die aktuelle Debatte um die Neuberechnung der Regelsätze macht besonders deutlich, wie drängend manche dieser Probleme wirklich sind: Von der Entwicklung der Regelsätze vor allem für Kinder und Jugendliche hängt ganz einfach deren umfassende Teilhabe an unserem gesellschaftlichen Leben ab. Diese gebietet nicht zuletzt unser Sozialstaatsprinzip.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der LINKEN)

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Berechnung der Regelsätze wird aus Sicht des SSW vor allem eines deutlich: Bleiben die Sätze auf dem niedrigen Niveau, kann eine umfassende Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben nicht gewährleistet werden. Besonders der Blick auf die Situation von Kindern aus Hartz-IV-Familien zeigt doch, dass es bei ihnen oftmals nicht einmal für eine ausgewogene Mahlzeit reicht. Nicht zuletzt die aktuellen Untersuchungen im Auftrag der Sozialverbände belegen dies eindrucksvoll.

Der Antrag der SPD fordert die Landesregierung unter anderem dazu auf, sich bei den Verhandlungen auf Bundesebene für ein transparentes Berechnungsverfahren und wirklich bedarfsorientierte Regelsätze einzusetzen. Dies entspricht früheren Forderungen des SSW, sodass wir dem voll und ganz zustimmen können.

Für den Bereich der Bildung ist es besonders wichtig, schnell zu einem Verfahren zu kommen, das sich viel stärker an den tatsächlichen Bedürfnissen der jungen Menschen orientiert. Ich bezweifele ernsthaft, ob zum Beispiel die Bildungsbedarfe eines Sieben- bis 14-Jährigen mit einem monatlichen Betrag von 1,16 € abgedeckt sind.

Fest steht: Die aktuell eingeplanten finanziellen Mittel in diesem Bereich müssen dringend noch einmal auf den Prüfstand.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

(Christopher Vogt)

Es sollten selbstverständlich Fachleute aus dem Jugend- und Bildungsbereich entscheiden, welche Leistungen zur Bildungsteilhabe wirklich nötig sind. Dies sollte allerdings nicht nur hier, sondern auch in anderen Fachgebieten der Fall sein. In diesem Punkt geben wir den Linken recht, die in ihrem Antrag unter anderem fordern, Experten aus den betreffenden Bereichen in den Prozess der Neuberechnung einzubeziehen. Wir halten es aber für notwendig, dass die Experten dann auch in einem ausgewogenen Verhältnis repräsentiert sind; denn nur, wenn alle Interessen vertreten sind, sind der Prozess und letztlich auch das Ergebnis der Neuberechnung ausreichend legitimiert.

(Beifall beim SSW)

Auch wir halten das gesamte Verfahren, mit dem man zu den aktuellen Regelsätzen gekommen ist, für grundsätzlich unbefriedigend. Nicht zuletzt durch die Aktuelle Stunde zur Neuberechnung der Regelsätze wurden auch hier im Parlament erhebliche Zweifel und eine Reihe von Missverständnissen deutlich. Vor allem zeigt die Debatte insgesamt, dass hier weder von einem transparenten noch von einem nachvollziehbaren Verfahren die Rede sein kann. Der Auffassung der Regierungsfraktionen, nach der die neuen Regelsätze ordnungsgemäß errechnet und dem Bedarf entsprechend seien, kann der SSW ganz einfach nicht folgen. Wir meinen, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt weit davon entfernt sind, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen.

Auch die Forderung der Grünen nach einer angemessenen Berücksichtigung von Mobilitätskosten halten wir daher für absolut berechtigt. Selbstverständlich setzt eine umfassende Teilhabe der Menschen ein Mindestmaß an Mobilität voraus. Angebote im Freizeit-, Kultur- und Bildungsbereich können nicht immer vor der Haustür vorgehalten werden. Die Befürchtung, dass die Kosten hierfür eben nicht realistisch veranschlagt werden, teilt auch der SSW. Dabei ist es doch völlig logisch, dass sich zu geringe Mittel in diesem Bereich in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein besonders nachteilig auswirken.

Leider verschärfen die Pläne der Landesregierung, die Zuschüsse zur Schülerbeförderung zu streichen, dieses Problem.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Björn Thoroe [DIE LINKE])

Wir halten es daher für wichtig, die bestehende Möglichkeit zu nutzen und die Regelsätze des SGB II und des SGB XII um diesen Punkt zu er

gänzen; denn wir teilen die Auffassung der Grünen, nach der die Bildungschancen der Kinder im Land ganz einfach nicht vom Einkommen der Eltern abhängig sein dürfen.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Natürlich hat DIE LINKE mit ihrer Forderung an die Landesregierung recht, im Bundesrat gegen das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen zu stimmen. Eine mögliche Klage gegen die vorgelegten Regelsätze sehen wir allerdings eher skeptisch. Es ist offensichtlich, dass es in diesem konkreten Fall Unstimmigkeiten im Verfahren zur Neuberechnung gab. Gegen die Überprüfung - und damit auch die Möglichkeiten einer Klage - haben wir hier nichts einzuwenden. Langfristig halten wir es allerdings für wenig hilfreich, gegen jedes Vorhaben der Bundesregierung zu klagen, bevor alle politischen Möglichkeiten ausgereizt worden sind.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Die bestehenden Probleme im Zusammenhang mit dem sogenannten Sanktionsparagraphen, § 31 SGB II, sieht auch der SSW mit Sorge. Selbstverständlich sind auch wir nicht mit Leistungskürzungen einverstanden, die die Existenz der Betroffenen gefährden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir dürfen uns aber in diesem Punkt nichts vormachen: Das System Hartz IV mit seinem Prinzip des Förderns und Forderns kann ohne Sanktionsmöglichkeit kaum funktionieren. Dabei muss die Verhältnismäßigkeit der Kürzung natürlich das wichtigste Gebot sein.

Aus der Sicht des SSW ist die Debatte um die Neuberechnung der Regelsätze und - in der Folge - eine Erhöhung dieser Leistungen absolut notwendig. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass wir das tiefer liegende Problem so nicht lösen. Auch veränderte Regelsätze sind leider nicht viel mehr als eine weitere Reaktion auf steigende Armutszahlen, auf prekäre Lebensverhältnisse und zunehmende soziale Ausgrenzung. Leider sind es vor allem die Jüngsten in unserer Gesellschaft, die unter dieser verfehlten Politik zu leiden haben.

Es ist schon oft gesagt worden, aber auch für den SSW möchte ich noch einmal klarstellen: Die Erhöhung der Regelleistungen als Folge des Urteils aus Karlsruhe ist die einzig richtige Konsequenz.

Natürlich müssen wir hierbei auch die Anreize für die Arbeitsaufnahme und die Interessen der Geringverdienenden im Blick behalten und das Lohnab

(Flemming Meyer)