Protocol of the Session on November 17, 2010

Die Herausforderungen einer aktiven Arbeitsmarktpolitik bleiben weiterhin bestehen. Langzeitarbeitslosigkeit lässt sich nur mit gezielter Förderung und Qualifizierung überwinden. Jugendliche brauchen einen guten Start ins Arbeitsleben, im Regelfall einen Ausbildungsplatz und nicht nur eine Maßnahme oder einen Minijob im Niedriglohnsektor. Frauen brauchen gerechte und gleiche Chancen am Arbeitsmarkt. Und all dies macht deutlich, dass noch viel zu tun ist, um gute Arbeit und soziale Gerechtigkeit durchzusetzen.

(Beifall bei der SPD sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

(Wolfgang Baasch)

Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich dem Herrn Kollegen Christopher Vogt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Keine Angst, Herr Kollege Eichstädt, ich habe heute nicht alle Reden zu halten, aber diese werde ich noch halten. Ich danke dem Arbeitsminister ganz herzlich für seinen Bericht zur Situation auf dem Arbeitsmarkt, den wir für diese Sitzung beantragt hatten. Herr Kollege Baasch, wir finden das Thema so wichtig, das wir das gern hier im Haus diskutieren wollen. Sie haben es durchaus geschafft, Ihre Redezeit gut zu füllen. Insofern sind wir uns darin einig, dass das Thema hier im Haus behandelt werden sollte.

(Beifall des Abgeordneten Peter Eichstädt [SPD])

Die allgemeine Entwicklung auf dem schleswigholsteinischen Arbeitsmarkt ist gerade angesichts der jüngsten Wirtschaftskrise in der Tat erfreulich. Wir sind uns allerdings auch darin einig, dass das kein Grund zum Jubeln ist. Unsere mittelständische Wirtschaftsstruktur in Schleswig-Holstein hat sich in der Krise auch bei der Beschäftigung als Stabilitätsfaktor erwiesen. Die von der Wirtschaftskrise betroffenen Unternehmen in Schleswig-Holstein haben in der Regel während dieser Krise mit viel Übersicht gehandelt und an ihren Beschäftigten festgehalten. Sie haben auch in schwierigen Zeiten an ihren Mitarbeitern festgehalten, ihre Arbeit geschätzt, und sie haben jetzt teilweise auch schnell wieder neu eingestellt. Der Anstieg bei den sozialversicherungspflichtigen Jobs in Schleswig-Holstein ist durchaus bemerkenswert.

Die Unternehmen erkennen generell immer mehr, dass sie ihre gut qualifizierten Fachkräfte brauchen und dass es auch zunehmend schwieriger wird, hier im Norden Fachkräfte zu gewinnen. Und natürlich war auch gerade im produzierenden Gewerbe - das erkenne ich wie auch der Arbeitsminister durchaus gern an - die Kurzarbeit ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Beschäftigung in der Krise.

Wir sind uns anscheinend auch darin einig, dass es gewaltige Herausforderungen sind, vor denen wir mittlerweile auf den Arbeitsmarkt stehen. Wir müssen uns vor allem noch intensiver um jüngere Menschen kümmern, bei denen die Gefahr besteht, dass sie Probleme auf dem Arbeitsmarkt bekom

men könnten. Es ist sehr erfreulich, dass gerade bei den Jüngeren die Arbeitslosigkeit besonders stark zurückgegangen ist. Mit „wir“ meine ich nicht nur den Landtag, das Arbeitsministerium und die Arbeitsagentur. Es ist vielmehr aus unserer Sicht eine gesellschaftliche Aufgabe. Das Bündnis für Ausbildung zeigt uns allen bereits seit Jahren, dass hier nicht nur ressortübergreifend zusammengearbeitet werden muss, sondern auch mit anderen gesellschaftlichen Institutionen, die mit dem Arbeitsmarkt zu tun haben.

Es gibt bereits viele Projekte im Bereich des Zukunftsprogramms Arbeit, beispielsweise das Handlungskonzept Schule und Arbeitswelt, das ich für sehr erfolgreich halte. Aber all das wird zukünftig nicht ausreichen, wenn wir niemanden zurücklassen wollen. Die Verbesserung der Ausbildungsreife junger Menschen bekommt eine immer größere Bedeutung, da auch die Anforderungen an jungen Menschen in den Berufen stetig steigen. Es ist immer schwierig, in die Zukunft zu schauen, aber die demografische Entwicklung zeichnet sich recht deutlich ab. Ich glaube, wir können es uns immer weniger erlauben, dass junge Menschen, die hier gut ausgebildet wurden, in großem Umfang in andere Bundesländer oder auch ins Ausland abwandern,

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

auf der anderen Seite aber zu wenig junge Menschen zu uns kommen. Das Problem der Abwanderung - wir reden jetzt auch über Zuwanderung, was richtig ist - gibt es. Leider ist Deutschland zu einem Auswanderungsland geworden, insbesondere was qualifizierte Fachkräfte angeht. Das Problem betrifft auf jeden Fall ganz Deutschland, aber Schleswig-Holstein ganz besonders. In einigen Branchen ist es schon deutlich spürbar. Die Pflege wurde genannt. In anderen Branchen wird es sicherlich noch einige Zeit dauern. Sicher ist aber, dass es diesen Fachkräftemangel geben wird.

Wir werden diesen Abwanderungstrend kurzfristig nicht komplett stoppen oder umkehren können, aber ich glaube, wir müssen auch über die Zuwanderung versuchen, qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland zu bekommen. Wir müssen nicht nur darüber sprechen, sondern wir müssen auch handeln. Beispielsweise müssen wir uns das Aufenthaltsrecht genauer anschauen und es genau überprüfen. Denn durch das Aufenthaltsgesetz werden unserer Meinung nach Qualifizierte nicht angeworben, sondern abgeschreckt. Ich glaube, das können wir uns in Zukunft nicht mehr erlauben. Es gibt auch

großen Bedarf bei der Anerkennung von qualifizierten Abschlüssen, die im Ausland erworben wurden. Da muss man sagen, die hohe Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Migrationshintergrund liegt oft auch daran, dass ihre Abschlüsse, ihre Qualifikationen aus dem Ausland, die durchaus vergleichbar mit unseren Abschlüssen sind, nicht anerkannt werden.

Der Arbeitsminister hat völlig richtig dargestellt, dass wir dem drohenden Fachkräftemängel zukünftig auch stärker begegnen müssen, indem wir Gruppen stärker mobilisieren, die bisher teilweise noch vernachlässigt wurden. Die älteren Menschen wurden schon genannt. Gleiches gilt für die Frauen mit Kindern. Da geht es natürlich um den Bereich der Betreuung. Da ist nicht nur die Politik gefragt, da sind aus meiner Sicht auch stärker die Unternehmen gefragt.

Es sind auch noch weitere Maßnahmen notwendig, um die Beschäftigungssituation weiter zu verbessern. Ich möchte einige nennen: Die Bekämpfung der Schwarzarbeit muss weiter intensiviert werden; die Vermittlung und Qualifizierung von erwerbslosen Menschen muss noch zielführender werden. Ich finde es auch richtig, dass die Programme zur Existenzgründung nicht nur für Menschen aus der Arbeitslosigkeit heraus, sondern auch aus der Beschäftigung heraus gefördert werden. Die Koalition ist auf einem guten Weg, und wir werden diesen Weg weiter gehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Abgeordneter Dr. Andreas Tietze.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter und Mütter, der Misserfolg ist ein Waisenkind.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Insofern freuen wir uns sehr, Herr Minister, dass die Zahlen, die Sie heute für den Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein vorgelegt haben, erfreulich sind.

Viele Dinge haben dazu beigetragen, sicherlich auch die Erholung der Wirtschaft. Die schleswig

holsteinische Wirtschaft hat in ihren wichtigen Clustern regenerative Energien, aber auch bei den LifeScience-Themen und beim Tourismus die Nase vorn. Wir erleben, dass diese erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung selbstverständlich auch Folgen für den Arbeitsmarkt hat.

Ich möchte aber dennoch ein paar Sätze zu dem Kollegen Kalinka sagen. Herr Kollege Kalinka, Sie haben den Landesentwicklungsplan angesprochen. Ich finde es schon sehr eigenartig, wenn man wie Sie in Lübeck mit dem Feuer gespielt hat und die Medizinstudienplätze schließen wollte, befürwortet, dass im LEG die Solarförderung heruntergefahren wird, sich dann aber hier hinstellt und mit dem Finger auf andere zeigt und sagt: Der Landesentwicklungsplan: Wir schaffen Arbeitsplätze, und die anderen gucken zu. Ich finde, es wäre da fair gewesen, wenn Sie das eine oder andere abgewogen hätten. Das haben Sie leider nicht getan.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der LINKEN)

Ich finde auch, wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Herr Minister Dr. Garg, Sie haben das Thema des Arbeitsmarktes angesprochen. Auch wir sehen ein Spannungsverhältnis zwischen Quantität und Qualität. Es geht nicht nur um das Zählen von Arbeitsplätzen, sondern es geht auch um die Frage, wie diese Arbeitsplätze ausgestaltet sind, und es geht um die Qualität von Arbeit.

Wir müssen uns in dieser Debatte auch die Mühe machen, genauer hinzuschauen, wie es auf dem schleswig-holsteinischen Arbeitsmarkt aussieht. Sie haben das angesprochen. Der Trend geht eindeutig hin zum Abschied von der Vollzeitarbeit. Der Trend geht auch hin zu mehreren Jobs, denn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer kann oft von einem Teilzeitjob oder einem Vollzeitjob nicht mehr leben. Es gibt immer mehr Teilzeitarbeit, es gibt immer mehr Leiharbeit. Es gibt befristete Arbeitsverhältnisse. Auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist die Unsicherheit und nicht die Sicherheit zur Regel geworden.

Wir haben auch Studien zur Kenntnis zu nehmen, dass gerade der Stress und die psychischen Erkrankungen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern drastisch zunehmen. 75 % der Bundesbürger so sagt eine forsa-Umfrage - fühlen sich in ihrem Beruf überfordert, leiden extrem unter Stress und Angstzuständen. Das ist eine sehr bedrohliche Entwicklung. Wir haben genau zu analysieren, woran das liegt.

(Christopher Vogt)

Wir meinen, dass gerade die prekären Arbeitsverhältnisse immer mehr zunehmen. Es gibt also wirklich keinen Grund zur Jubelstimmung. Es ist vielmehr wichtig, dass wir uns gemeinsam fragen, wie wir die Qualität auf dem deutschen Arbeitsmarkt verbessern.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und Beifall der Abgeordne- ten Antje Jansen [DIE LINKE])

Die Bundesrepublik Deutschland ist erstaunlich gut durch die schlimmste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit gekommen. Nach der Krise ist aber vor der Krise. Viele Kurzarbeitsregelungen und viele betriebliche Bündnisse mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben dazu beigetragen, dass die Beschäftigung und die Produktion weitergelaufen sind und dass wir jetzt die Erfolge aus dem Arbeitsmarkt tatsächlich einfahren. Es muss an dieser Stelle im Landtag gesagt werden, dass wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für diese Bereitschaft und für diese Sichtweise zu danken haben.

(Beifall beim SSW, vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Beifall des Abgeord- neten Wolfgang Kubicki [FDP])

Wer ernsthaft über den Arbeitsmarkt reden will, muss strategisch über die Qualität von Arbeit reden. Sie haben es angesprochen: Auch heute beklagen wir einen eklatanten Fachkräftemangel, von dem die Wissenschaft sagt, dass er sich noch verstetigen wird. Wir können es uns angesichts dieser Erkenntnisse, die wir haben, nicht leisten, dass junge Menschen ohne Abschluss aus der Schule entlassen werden.

Aber wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass Schleswig-Holstein bei dem Anteil der in der Schule Gescheiterten bundesweit immer noch vorn liegt. Ohne einen Schulabschluss ist eine anschließende qualifizierte Berufsausbildung nicht denkbar. Kein Jugendlicher darf zurückgelassen werden. Alle müssen eine Berufsausbildung erhalten, das muss unser gemeinsames Interesse sein.

(Beifall des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie haben auch angesprochen, dass eine aufgrund des demografischen Wandels zunehmend alternde Gesellschaft junge Talente braucht. Man spricht vom War of Talents. Talente sind im Informationszeitalter die wichtigste und gleichzeitig knappste Ressource für den Erfolg eines Unternehmens. Das

Zitat ist nicht von mir, sondern das sagt Ed Michael von McKinsey, der den Begriff geprägt hat.

Herr Minister, Ihre Diagnose war gut, aber ich frage Sie, Herr Dr. Garg, welche Therapie Sie als Arbeitsminister für diese Probleme, die ich angesprochen habe, haben! Brauchen wir nicht zuerst und gerade eine Priorität für Investition in Bildung und Betreuung - so wie wir Grüne das in unserem Antrag zum Landeshaushalt vorgestellt haben? Ist nicht eine gute Förderung von Anfang an die beste Investition in Sprach- und Sozialkompetenz und eine Sicherheit, später einen Arbeitsplatz zu finden? Sind denn nicht Ganztagsschulen und die Förderung von Motivation und Lernbereitschaft eigentlich der Weg zum Erfolg, dass sich Teilhabe und Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen verbessern? Wir haben doch hier eigentlich, wenn wir das ernsthaft in diesem Hause diskutieren, kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit in Deutschland.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Lieber Herr Garg, im internationalen Vergleich weist unsere Gesellschaft gerade bei diesem Thema eine geringe Durchlässigkeit auf. Die Chancen für einen gesellschaftlichen Aufstieg in Deutschland sind extrem ungleich verteilt. Für eine künftige Leistungsfähigkeit der Gesellschaft brauchen wir faire Aufstiegschancen. Diese Einsicht ist ohne Alternative. Lieber Herr Garg, wir brauchen endlich eine moderne Einwanderungspolitik. Wir reden schon viel zu lange darüber und polarisieren. Es ist doch endlich Zeit, zu handeln und ein ganzheitliches Migrationskonzept vorzulegen, statt sich populistisch an die Debatten eines Herrn Sarrazin anzuhängen. Das ist die Herausforderung für die Politik der nächsten Jahre.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer macht das denn? - Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Wer macht das denn? Das ist einfach nicht wahr!)

Unsere Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise haben wir gegeben, indem wir den Green New Deal konzipiert und für einen neuen Gesellschaftsvertrag geworben haben. Wir wollen mit unserem Konzept den Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein strategisch neu ausrichten. Darin sehen wir große Chancen. Wir wollen gezielte Investitionen in Klimaschutz, Zukunftstechnologien und Bildung. Wir wollen nicht alles machen. Wir wollen keine Eier legende Wollmilchsau. Wir wollen uns konzentrie

(Dr. Andreas Tietze)

ren, Prioritäten setzen und so den Erfolg, den wir jetzt schon erkennen, verstetigen und weiter fortführen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Garg, wir dürfen auch den Megatrend der Offshore-Windenergie nicht verpassen.

(Beifall des Abgeordneten Christopher Vogt [FDP])

Wir müssen auch dafür sorgen, dass sich dieser Markt entwickelt. Unsere Häfen können eine verlängerte Werkbank sein. Das schafft Arbeitsplätze in Brunsbüttel, auf Helgoland, in Büsum, Husum oder Hörnum.