Protocol of the Session on November 17, 2010

„Viele Jahre lang wurde ich beobachtet, unter Aufsicht gestellt und zur Umerziehung in ein Arbeitslager gesteckt. Jetzt werde ich wieder von meinen Feinden im Regime unter Druck gesetzt. Aber ich möchte dem Regime, das mir meine Freiheit vorenthält, sagen: Ich habe keine Feinde. Weder die Polizisten, die mich überwacht, gefangen genommen und verhört haben, noch die Staatsanwälte, die mich angeklagt haben, noch die Richter, die mich verurteilt haben, sind meine Feinde.“

Das sagte der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, nachdem er im Dezember 2009 zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er wurde verurteilt, weil er sich das Recht auf Freiheit und eine freie Meinungsäußerung nicht nehmen lassen wollte, ein Recht, das wir alle jeden Tag wie selbstverständlich nutzen. Deshalb ist es mehr als gut, Herr Ministerpräsident - da schließe ich mich meinen Vorrednern ausdrücklich an -, dass Sie den Fall Liu und seiner Frau bei Ihrem Chinabesuch angesprochen haben. Das ist für mich der eigentliche Höhepunkt Ihrer Reise gewesen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Es ist ein politisches Dilemma. Eine Marktwirtschaft kann offenbar höchst effizient auch ohne Demokratie arbeiten. Eine Demokratie ohne Markt funktioniert jedoch nicht. Deshalb sind wir nicht in der Lage, demokratische Werte mit den Waren zu exportieren und gleichzeitig mit den Handelsabkommen Werteabkommen zu schließen.

Zu dem Handelsteil Ihrer Reise, Herr Ministerpräsident, ist nur Lobendes zu sagen. In den 24 Jahren der Partnerschaft mit der Provinz Zhejiang sind vor allem Unternehmen aus dem Umweltbereich sowie aus dem Bereich der erneuerbaren Energien Joint Ventures eingegangen. Welcher Grüne hätte kein Interesse daran, dass der Hunger Chinas nach fossiler Energie ökologischer gestillt wird, die Gewässer reiner werden und die Luftverschmutzung abnimmt? Gelingt es China nicht, seinen CO2-Ausstoß zu verringern, dann sind all unsere Bemühungen hier vergeblich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der LINKEN)

Wenn schleswig-holsteinische Firmen dazu beitragen, dann ist das gut, und wenn das zusätzliche Arbeitskräfte und Umsatzchancen eröffnet, dann ist es umso besser. Dagegen steht immer noch, dass in China jedes Jahr Tausende von Menschen hinrichtet werden. Amnesty hat aufgehört, eine Statistik zu führen, weil man die Zahlen nicht ermitteln kann. Aber es sind wohl knapp 10.000 pro Jahr, oft genug, um die Opposition politisch einzuschüchtern. Es gibt Erschießungen von knienden Delinquenten, sogenannte „Gerichtsbusse“, die die Giftspritze in die Provinzen fahren, und Massenhinrichtungen nach öffentlichen Urteilsverkündigungen. Dagegen steht, dass es keine freien Wahlen gibt, kein Recht auf Meinungsäußerung, keine Gewaltenteilung, keine Selbstbestimmung der Regionen, dass Aufstände niedergeschlagen werden. Der aktuelle Fall Ai Weiwei ist das neueste Beispiel dafür, wie sehr der Repressionsapparat zurückschlägt, wenn politische Meinungsäußerung lauter wird. Es sind immer nur die namhaften Künstler, Schriftsteller, Bildhauer, die genannt werden. Die vielen, vielen Tausende Namenlose, die bestraft werden, kennen wir alle nicht.

Es ist richtig, wir brauchen China zur Lösung der globalen Herausforderungen nicht nur des Klimawandels, sondern auch der Energiesicherheit, der Migration, der Bekämpfung von Terrorismus, der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Das alles kann nur mit und nicht gegen China gemeistert werden. Es wäre hilfreich, wenn China auch uns brauchen würde. Deshalb ist Kooperation statt Konfrontation angesagt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der LINKEN)

Aber der fahle Geschmack bleibt dennoch, und Wirtschaft ist nicht alles. Dies anzunehmen, das nennt Liu Xiaobo „Feindenken“. Feindenken heißt

(Christopher Vogt)

für uns Politiker ganz interessant -, man kann sich alles zurechtargumentieren. Aber es gibt eine Grenze, wo die Kooperation zur Kollaboration wird. Diese Grenze muss bei jedem Besuch markiert werden, so, wie Sie es getan haben, Herr Ministerpräsident. Dafür danke ich noch einmal.

Und deshalb möchte ich schließen mit den Worten von Liu Xiaobo; er soll das letzte Wort haben:

„Freie Meinungsäußerung ist Grundlage der Menschenrechte, Ursprung der Menschlichkeit und Mutter der Wahrheit. Freie Meinungsäußerung zu verhindern heißt, auf Menschenrechten herumzutrampeln, Menschlichkeit zu erdrosseln und die Wahrheit zu unterdrücken.“

(Beifall)

Das Wort hat die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Frau Abgeordnete Ellen Streitbörger.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie werden sich vielleicht wundern, aber auch ich möchte Ihnen für Ihre ausgewogene Rede danken.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Noch vor etwas mehr als einer Generation bestand die chinesische Unternehmenspopulation in Deutschland im Wesentlichen aus Restaurants und einigen wenigen Handelsfirmen. Das hat sich grundlegend geändert, seit die chinesische Volkswirtschaft erfolgreich die Weltmärkte mit Waren made in China betreten hat. Bei einem jährlichen Einfuhrvolumen in Höhe von 8 Milliarden € für Textilien aus China nach Deutschland ist abschätzbar, wie viele Menschen hier Kleidung aus dem Reich der Mitte tragen. Aber auch in die andere Richtung läuft der Handel gut.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie von ökonomischen Kraftzentren sprechen wie China, die nach der weltweiten Krise überraschend schnell auf die Beine gekommen sind, dann stimmt das zu einem Teil. Es muss aber auch erwähnt werden, dass China bereits im November 2008 ein Konjunkturprogramm von fast 500 Milliarden € aufgelegt hat. Auf diesem wie auch auf den Konjunkturprogrammen anderer Länder beruhen die deutschen Exporterfolge. So ermöglicht unter anderem die Nachfrage aus China die Erholung unserer Exportwirtschaft nach dem Tief der Wirtschaftskrise. Allein die

größten deutschen Autobauer haben ihre Ausfuhren nach China locker verdoppelt.

Auto ist da ein gutes Stichwort. Wir alle wissen, dass es zu einem ökologischen Desaster käme, wenn China den gleichen Weg ginge, wie die anderen Industrienationen es getan haben. Hier genau liegen auch die Chancen für Schleswig-Holstein. Wir haben die Erfahrungen mit ökologisch vertretbarer Energiegewinnung, mit Windkraft und Solarenergie. Wir haben leider auch Erfahrungen mit Fehlern, die auf diesem Gebiet gemacht worden sind, wie jetzt die Debatte um Biogas-Anlagen und Maisanbau zeigt. Dieses Wissen können wir solidarisch weitergeben. Wir können China aber nur dann überzeugen, die Fehler der westlichen Industrienationen nicht zu wiederholen, wenn wir selbst hier und jetzt zu ökologisch nachhaltigem Wirtschaften umschwenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Als der „Spiegel“ 2006 „Angriff aus Fernost“ titelte, war Deutschland Exportweltmeister mit einem Exportüberschuss von fast 200 Milliarden € pro Jahr, dicht gefolgt von China. Diesen ersten Platz haben wir inzwischen an China abgetreten.

Deutschland nutzte einen Teil seiner Exportüberschüsse leider dazu, um mittellosen Amerikanern den Hauserwerb zu finanzieren. Was daraus geworden ist, wissen wir alle. China dagegen begann, sich Rohstoffquellen in Afrika, Lateinamerika, Arabien und Australien zu sichern. Das war so erfolgreich, dass soeben der Chef von ThyssenKrupp, Ekkehard Schulz, die Gründung einer deutschen Rohstoff AG nach chinesischem Vorbild vorgeschlagen hat. Das ist nicht unser Weg. Wir als Linke wünschen uns einen gerechten Ausgleich der Rohstoffe der Welt.

Die chinesische Wirtschaft will forciert ihre Dollarbestände von weit über 2 Billionen im Ausland anlegen. Da kommt nun erfreulicherweise die seit 24 Jahren bestehende Partnerschaft zwischen Schleswig-Holstein und der Provinz Zhejiang ins Spiel. Über das Schleswig-Holstein Business Center wurden bisher viele Verbindungen aus Schleswig-Holstein in Richtung China geknüpft. Diese Partnerschaft hat bisher sowohl im wirtschaftlichen wie auch im wissenschaftlichen und im kulturellen Bereich erfolgreich funktioniert.

Als Schwarzenbekerin habe ich mich besonders gefreut, zu hören, dass jetzt erstmals ein Investitionsabkommen zwischen einem Textilunternehmen aus Haimen und der Stadt Schwarzenbek mit einem Investitionsvolumen von 50 Millionen € abgeschlossen wurde. Die zu erwartenden Arbeitsplätze

(Dr. Robert Habeck)

und die Steuereinnahmen können Schwarzenbek und seine Einwohnerinnen und Einwohner gut gebrauchen.

Ich möchte aus gegebenen Anlass mit einem Bild über das sprichwörtliche Lächeln der Mandarine schließen. Das Lächeln dieser Verwaltungsbeamten zeigte sich, wenn der Druck von oben und die Unzufriedenheit von unten gering waren. Ich würde mir wünschen, dass sich dieses Lächeln auch auf den Gesichtern unserer Landesbeamtinnen und -beamten zeigte. Das setzt nur voraus, dass die Landesregierung von ihren Kürzungsplänen ablässt. Das nimmt den Druck von oben und steigert die Zufriedenheit unten in der Bevölkerung deutlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat die Vorsitzende der SSW-Fraktion, die Frau Kollegin Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Landtag hat zuletzt vor ziemlich genau vier Jahren die Zusammenarbeit zwischen unserem Land und der chinesischen Provinz Zhejiang diskutiert, im November 2006. Damals lag uns ein detaillierter schriftlicher Bericht mit Zahlen zum wirtschaftlichen und akademischen Austausch vor. Das ist heute nicht der Fall. Dass sich dieser Bericht auf einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen bezog, gehört, liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Geschichte auch dazu. Damit wurde deutlich gemacht, dass die Partnerschaft zwischen Schleswig-Holstein und Zhejiang nicht nur die Landesregierung, sondern auch den Landtag etwas angeht. Diese Botschaft vermittelt die heutige Regierungserklärung nicht.

Kern der Zusammenarbeit ist das Business Center der WTSH. In diesem Büro werden Unternehmen aus Schleswig-Holstein vor Ort kompetent unterstützt. Das ist richtig und gut so. Teil des Partnerschaftsabkommens sind aber auch die Weiterbildung chinesischer Führungskräfte, was sich das Land laut Haushaltsplan einiges kosten lässt, beziehungsweise Studienaufenthalte in China mit Stipendien in Höhe von durchschnittlich 6.600 €. Das sind übrigens die einzigen konkreten Haushaltszahlen, die dem Landtag bezüglich des Partnerschaftsabkommens mit der Provinz Zhejiang vorliegen. Es gibt allerdings auch keine Stabsstelle im Wirtschaftsministerium, wo die Einzelmaßnahmen des Partnerschaftsabkommens koordiniert werden, und

keine detaillierte Internetpräsentation für Unternehmen oder Studierende.

Das alles sind Belege für das Fehlen eines klaren Konzeptes zu dieser Partnerschaft. Redlicherweise - auch das füge ich hinzu - ist dies kein neues Problem. Es wurde auch 2006 schon angemahnt. Damit öffnet man einer überflüssigen Diskussion Tür und Tor. Gerade bei den anstehenden Sparrunden können nur die Projekte Bestand haben, die auf einer soliden inhaltlichen Grundlage stehen. Ich warne in diesem Zusammenhang davor, dass wir das wirtschaftliche Engagement der Landesregierung, das sich in ganz unterschiedlichen geografischen Räumen und auf drei Kontinenten abspielt, gegeneinander abwägen.

Selbstverständlich stehen im Ostseeraum ganz anderen Rahmenbedingungen, aber auch Verpflichtungen im Vordergrund, als das beispielsweise in China der Fall ist. Da sollte man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Nichtsdestotrotz müssen wir, um überhaupt Entwicklung messen zu können, einen Maßstab haben, auch um dem Vorwurf der Beliebigkeit der Außenhandelskontakte begegnen zu können. Bloße Wirtschaftszahlen reichen dazu nicht aus. Schließlich gehört zur Partnerschaft nicht nur das reine ökonomische Wachstum. Bereits vor vier Jahren musste die Landesregierung einräumen, dass ihr viele systematische Erkenntnisse fehlen. Daran hat sich bis heute wenig geändert.

Bereits einen Schritt vorher, bei der Frage nach detaillierten Leistungszahlen, muss die Landesregierung passen. Es gibt keine Statistiken bezüglich des wirtschaftlichen Austauschs zwischen Zhejiang und Schleswig-Holstein, sodass Veränderungen in Art und Intensität der Beziehungen nur unzureichend abgebildet werden können. So sind Schwerpunkte und Strukturen natürlich nicht zu erkennbar, oder sie erfordern eine intensive Recherche.

Schleswig-Holstein hat sich eine respektable Position auf dem chinesischen Markt erobert. Das ist ein Standortvorteil, den wir nicht aus der Hand geben sollten. Die heutige Regierungserklärung hilft uns aber nicht weiter. Da ist es auch kein Trostpflaster, dass der Ministerpräsident zu Recht auch das Thema Menschenrechtsverletzungen angesprochen hat.

(Beifall der Abgeordneten Ranka Prante [DIE LINKE])

Einzelschicksale zu benennen ist unabdingbar. Aber der moralische Zeigefinger macht es nicht. China ist Teil der internationalen Gemeinschaft. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass China

(Ellen Streitbörger)

selbst wichtige Menschenrechtsabkommen unterschrieben hat, so zum Beispiel 1998 jenes internationale Abkommen über zivile und politische Rechte. Das darf man nicht vergessen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Es geht nicht nur um Moral, sondern auch um die grundlegende Frage: Wie will China eigentlich weiter seinen Beitrag zur internationalen Gemeinschaft leisten? Da ist es unabdingbar, daran festzuhalten, dass wirtschaftliche Beziehungen ohne Demokratie nicht machbar sein werden.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dass diese Frage nicht nur mit Schleswig-Holstein, sondern mit der Bundesrepublik als Ganzes und auch mit der EU zu tun hat, kann man vielleicht an dem Bild festmachen, dass der internationale Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg beheimatet ist, mitten in Europa.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Der Tagesordnungspunkt ist für heute abgeschlossen.

Ich darf Ihnen mitteilen, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer übereingekommen sind, dass der Dringlichkeitsantrag als Tagesordnungspunkt 44 A am Freitagvormittag vor dem Tagesordnungspunkt 27 und nach der HSH-Nordbank-Debatte aufgerufen wird.

Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 60 auf:

Bericht zur Situation auf dem Arbeitsmarkt in Schleswig-Holstein