Protocol of the Session on November 19, 2009

(Beifall bei der SPD)

Dies gilt umso mehr, wenn die Regierung der Bevölkerung erhebliche Einschnitte zumuten will, wie das gestern hier vom Ministerpräsidenten gesagt wurde.

Die Grünen schlagen in ihrem Entwurf des Weiteren vor, die Zahl der Wahlkreise und damit der direkt zu wählenden Abgeordneten von 40 auf 30 zu senken. Dadurch soll die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu Überhang- und Ausgleichsmandaten kommt, reduziert werden. Es ist in der Tat so, dass die meisten - allerdings nicht alle - Landesparlamente in der Bundesrepublik in ihren Wahlgesetzen der Entstehung von Überhangmandaten und damit Ausgleichsmandaten vorgebeugt haben, indem annähernd die Hälfte der Abgeordneten eines Parlamentes direkt gewählt wird und die andere Hälfte über die Listen der Parteien ermittelt wird. Damit wird die Gefahr, dass es zu Überhang- und Ausgleichsmandaten kommt, tatsächlich reduziert.

Es gibt aber auch andere Aspekte, die hier einfließen müssen. Der Schleswig-Holsteinische Landtag hat zurzeit 40 direkt gewählte Abgeordnete. Damit wird sichergestellt, dass alle Regionen unseres Landes mit mindestens einem Abgeordneten im Parlament vertreten sind. Gleichzeitig wird gewährleistet, dass dabei Wahlkreise von einer Größe entstehen, die von einem Abgeordneten oder einer Abgeordneten gut und wirksam betreut werden können.

Die Reduzierung auf 30 Wahlkreise würde dazu führen, dass diese deutlich größer werden und dadurch wäre infrage gestellt, ob alle Regionen des Landes und damit die Bürgerinnen und Bürger angemessen und ausreichend im Parlament vertreten sind.

(Beifall bei der SPD)

Diese wichtige Frage darf nicht nur aus der Sicht der großen Städte beantwortet werden. Natürlich ist es einfacher, in einem Ballungsraum wie Kiel oder Lübeck einen einwohnermäßig stärkeren Wahlkreis auf immer noch kleiner Fläche zu betreuen, als dies zum Beispiel in Nordfriesland, Dithmarschen oder möglicherweise sogar im Kreis Herzogtum Lauenburg der Fall ist.

(Peter Eichstädt)

In diesem Zusammenhang wird gern das Argument herangezogen, dass die Bundestagsabgeordneten es schaffen, einen weitaus größeren Wahlkreis zu betreuen. Hier muss aber gesehen werden, dass Bundestagsabgeordnete in ihrem gesamten Equipment, besonders was die Zahl der ihnen zur Verfügung stehenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht, deutlich besser ausgestattet sind als Landtagsabgeordnete, die für ihre Wahlkreisarbeit Hilfe im Umfang von nur circa zehn Stunden wöchentlich zur Verfügung haben.

Im Übrigen bedeutet eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise eine Verringerung der Möglichkeit, dass Bürger und Bürgerinnen direkt, das heißt über den persönlichen Eindruck der Kandidatinnen und Kandidaten entscheiden können, wer sie im Landtag vertritt. Die auf den Listen der Parteien erscheinenden Kandidaten bleiben weitestgehend anonym mit Ausnahme die der Grünen, wie wir vorhin gehört haben. Das Gewicht der Parteienlisten würde größer werden. Listen von Parteien werden aber nicht automatisch so zusammengestellt, dass sie das gesamte Land beziehungsweise alle Regionen repräsentieren.

Im Übrigen ist auch bei einer Reduzierung von 40 auf 30 Wahlkreise nicht ausgeschlossen, dass es zu Überhang- und Ausgleichsmandaten in größerer Zahl kommt. Wer will heute schon vorhersagen, wie viele Parteien im Landtag sitzen werden und mit welchen Anteilen Direktstimmen errungen werden? Solche Vorhersagen kann keiner treffen. Allenfalls wird sich das Herr Kubicki möglicherweise zutrauen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Bei der jetzigen Wahl habe ich gut gelegen!)

- Das stimmt nicht. Es stimmt nicht einmal, was euer Ergebnis angeht. Herr Kubicki, ich traue Ihnen aber einiges zu. Sie sind ja auch als das Orakel von Strande bekannt. Warten wir also einmal ab, was Sie uns in Zukunft alles präsentieren.

Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu der dieser Debatte innewohnenden beziehungsweise von der Presse hineingetragenen mäßigen Achtung des Parlaments selbst machen. Gerade am Wochenende war dazu wieder ein beredtes Beispiel in einer Zeitung aus der Buddenbrook-Stadt zu lesen. Neben der rationalen Überlegung, wie Überhangmandate verhindert werden können, macht sich eine in meinen Augen bedenkliche Meinung breit, dass ein Parlament in erster Linie eines zu sein hat, nämlich klein und billig. Dieser Entwicklung müssen wir im Interesse der Demokratie entgegentreten.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der LINKEN)

Demokratie hat ihren Preis. Demokratie funktioniert nicht ohne - auch personell - angemessen ausgestattete Parlamente. Wer, wenn nicht wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, soll hierfür mit Überzeugung werben?

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es darf nicht sein, und wir dürfen auch nicht zulassen, dass diejenigen den größten Applaus in der einschlägigen Presse ernten, die vorschlagen, dass das Schleswig-Holsteinische Parlament nur noch 50 oder weniger Abgeordnete, manche meinen, am besten gar keine Abgeordneten haben soll. Es darf kein Wettstreit dahin gehend einsetzen, dass derjenige der bessere Demokrat ist, der das Parlament zum billigen Jakob macht.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Meine Fraktion und ich würden es sehr begrüßen, wenn neben der hier angesprochenen Frage nach der Anzahl der Wahlkreise und dem geeigneten Ausgleich von Überhangmandaten sowie dem Zählverfahren auch noch ein wenig Raum für die Frage nach dem Selbstverständnis, dem Inhalt und der Qualität der parlamentarischen Arbeit bliebe.

Zusammengefasst: Die SPD strebt an, dass Überhangmandate künftig durch Ausgleichsmandate voll ausgeglichen werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist auch neu!)

- Wenn ich gar nichts Neues erzähle, wird es nun wirklich langweilig. Vielleicht erzählen Sie nachher auch einmal etwas Neues.

Wir wollen weiterhin eine Regelung, die sicherstellt, dass die in der Verfassung vorgegebene Größe des Parlaments möglichst weitgehend erreicht wird. Dabei steht auch das Verhältnis von direkt gewählten Abgeordneten und Abgeordneten, die über die Liste in das Parlament gelangen, zur Disposition. Dies darf allerdings nicht zulasten einer vertretbaren Größe der Wahlkreise gehen. Zum Schluss erinnere ich daran, dass Überhang- und Ausgleichsmandate - das ist mir wichtig - nicht per se eine Katastrophe darstellen, solange sie in vertretbarem Rahmen bleiben. Auch der Vorschlag der Grünen würde im Übrigen nicht ausschließen, dass es bei bestimmten Wahlergebnissen Überhang- und Ausgleichsmandate gibt.

(Peter Eichstädt)

(Beifall bei der SPD)

Bevor ich Herrn Kollegen Kubicki das Wort erteile, möchte ich gern unsere neuen Besucher herzlich begrüßen. Ich begrüße die Schüler der Gemeinschaftsschule Pönitz aus dem Kreis Ostholstein. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Ebenso begrüße ich die Schüler der Städtischen Handelslehranstalt aus Flensburg. - Auch Ihnen ein herzliches Willkommen!

(Zuruf von der LINKEN: Es sind auch Schü- lerinnen dabei!)

- Es sind auch Schülerinnen dabei. Ich wusste nicht, dass ich das extra betonen muss. Ich bitte die Abgeordneten, daran zu denken, dass die Schülerinnen und Schüler hier sind, um vorbildliche Politiker und sachliche Verhandlungen zu erleben.

(Beifall)

Jetzt hat Herr Abgeordneter Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke zunächst für die ungewöhnliche geschäftsleitende Bemerkung.

Am 27. September 2009 haben die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein gewählt. Sie haben auf der Grundlage des geltenden Wahlrechts CDU und FDP den Wählerauftrag erteilt. CDU und FDP haben in diesem Haus eine Mehrheit von drei Stimmen und, wie wir seit der Wahl des Ministerpräsidenten am 27. Oktober wissen, sogar eine Stimme aus der Opposition in Reserve.

Um es vorwegzunehmen: Diese Parlamentsmehrheit ist nicht nur legal, sie ist auch legitim. Herr Kollege Fürter, den Begriff des „Totalschadens der Demokratie“ sollten Sie vielleicht noch einmal überdenken. Im Jahre 2002 - ich wiederhole mich gern - ist eine Regierung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD im Deutschen Bundestag gebildet worden, obwohl die Parteien CDU, CSU, FDP und PDS 1,3 Millionen Stimmen mehr hatten als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD.

(Beifall bei FDP und CDU)

Niemand hat seinerzeit die Legitimität der Zusammensetzung des Parlaments angezweifelt, obwohl

ich zugeben muss, dass die Regierung selbst ein Totalschaden war.

(Heiterkeit und Beifall bei FDP und CDU)

Der NDR vermeldete vorgestern, dass gegen das Landtagswahlergebnis 400 Einsprüche eingegangen sind. Das ist durchaus mehr als nach vergangenen Wahlen. Vor dem Hintergrund der politischen Diskussionen und der Kampagne der Grünen im Internet ist dies aber ein ziemlich mageres Ergebnis. Es beweist: Auch die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein akzeptieren die Parlamentsmehrheit dieser Regierung auf der Grundlage des geltenden Wahlrechts.

Die Frage, wie ein Parlament das Wahlrecht gestaltet, ist eine politische Frage. Man mag sie kontrovers beurteilen. Das haben wir als FDP in der Vergangenheit auch getan. Die ganze Aufregung um die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses macht aber eines deutlich: Einige in diesem Haus sind schlichtweg schlechte Verlierer. Wenn der Oppositionsführer am 16. September 2009 in seinem Twitter - man muss das wirklich täglich nachlesen - das Landeswahlrecht als einen „Skandal“ bezeichnet, dann muss er sich fragen lassen, warum gerade seine Fraktion noch im Sommer genau dieses Wahlrecht und das damit verbundene Auszählungsverfahren bestätigt und verteidigt hat.

(Beifall bei FDP und CDU sowie des Abge- ordneten Lars Harms [SSW])

Weil man gar nicht aus dem Staunen herauskommt, dass es bei der SPD mittlerweile offensichtlich eine Totalamnesie hinsichtlich ihres Verhaltens vor der letzten Wahl gibt, will ich zitieren, was der Abgeordnete Puls im Innen- und Rechtsausschuss am 3. Juni 2009 aufgrund eines Antrags von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - wir waren der gleichen Auffassung wie Herr Kollege Puls - zu Protokoll gegeben hat.

„Abg. Puls schlägt vor, dem Landtag die Ablehnung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu empfehlen. Seine Fraktion spreche sich sowohl gegen eine Änderung des Stimmenauszählungsverfahrens als auch gegen den Vorschlag aus, die Norm zur Ermittlung der Ausgleichsmandate zu verändern, da hier inzwischen durch ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig Rechtsklarheit erreicht worden sei.“

Ich bin sehr dankbar, dass es offenbar einen Zuwachs bei Lernerfahrungen gegeben hat. Wir wer

(Peter Eichstädt)

den das in der weiteren Beratung auch noch diskutieren können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sommer hätte die Möglichkeit bestanden, noch vor der Wahl die Rechtsfrage nach der Vergabe von Ausgleichsmandaten politisch zu entscheiden. Die SPD wollte dies damals ausdrücklich nicht. Die anderen, die nun teilweise vor das Landesverfassungsgericht gezogen sind, müssen sich fragen lassen: Warum erst jetzt? Sowohl die Regelungen im Landeswahlrecht als auch die Landesverfassung gab es bereits lange vor der letzten Landtagswahl. Wo waren Sie da, liebe Freunde von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN? Warum haben Sie den aus Ihrer Sicht verfassungswidrigen Zustand so lange sehenden Auges hingenommen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Sachfrage bietet die heutige Debatte keinen Erkenntnisgewinn. Sie ist nicht neu. Es ist bekannt, dass das geltende Wahlrecht es ermöglicht, dass eine Mehrheit im Landtag an Sitzen entstehen kann, obwohl die Stimmenanteile aller sonstigen im Landtag vertretenen Parteien höher sind als die der Regierungsparteien. Bereits 1992 profitierte der damalige SPDMinisterpräsident Björn Engholm von diesem Wahlrecht. Auch seinerzeit hatte die SPD-Fraktion eine Mehrheit im Parlament, obwohl sie bei den Stimmen insgesamt weniger erhalten hatte als die anderen Parteien im Landtag, und das bei einem Einstimmen-Wahlrecht. 1992 erreichte die SPD in Schleswig-Holstein 46,2 % der Stimmenanteile, alle anderen im Landtag vertretenen Parteien 47,6 %. Trotz dieser Tatsache regierte die SPD mit einer Einstimmen-Mehrheit, ohne dass irgendjemand in Zweifel gezogen hätte, dass dies legal und auch legitim war. Es wurde im Übrigen auch von niemandem infrage gestellt, dass eine Einstimmen-Mehrheit eine stabile Mehrheit ist. Aber das nur am Rande.

Es gibt im Vergleich zur jetzigen Landtagswahl aber noch eine weitere interessante Parallele. Auch 1992 wurde die in der Verfassung vorgesehenen Abgeordnetenzahl durch überproportionale Gewinne von Direktwahlkreisen von Sozialdemokraten deutlich überschritten. Anstelle der vorgesehenen 75 Abgeordneten saßen 89 Parlamentarier im Landtag. Wir können heute gern darüber diskutieren, ob die sogenannte Kappungsgrenze im Landeswahlrecht, nach der die Anzahl der Ausgleichsmandate nicht das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze überschreiten darf, derzeit rechtlich richtig ausgelegt wird; Stichwort kleine Lösung oder große Lösung. Wir können auch gern darüber diskutieren, ob diese