Protocol of the Session on September 9, 2010

(Beifall bei CDU und FDP)

Eine positive Arbeitsmarktpolitik hat also auch etwas mit der Hartz-IV-Reform zu tun. Dies ist die Situation.

Das Spannungsfeld der Diskussion ist immer noch vorhanden. Für die einen sind die Hartz-IV-Leistungen nicht ausreichend, für die anderen sind sie möglicherweise schon ein wenig zu weitgehend. Der Konflikt befindet sich in der politischen Diskussion. Lassen Sie mich dazu nur ganz kurz einige Stichworte nennen.

Wer arbeitet, der muss in der Tat mehr in der Tasche haben als jener, der staatliche Leistungen erhält. Dies ist eine Frage des Förderns und Forderns, dies ist eine Frage eigenverantwortlichen Handelns, eigentlich eine pure Selbstverständlichkeit. Wer arbeitet, der muss davon auch sich selbst und seine Familie ernähren können. Auch dies gehört dazu. Das sage ich bewusst.

(Beifall bei CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Konfliktpunkt in Bezug auf das Lohnabstandsgebot bleibt Stichwort und Maßstab. Ein Lohnabstandsgebot muss sicherlich sein, aber der Lohn, der gezahlt wird, muss auch zum Leben auskömmlich sein. Das ist, finde ich, die Diskussion, auf die wir uns verständigen sollten.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es fehlt vor allen Dingen an Arbeitsmöglichkeiten für einfache Tätigkeiten. Mancher, der sich in Arbeitslosigkeit oder Hartz IV befindet, hat effektiv nicht die Chance. Zwar kann und muss man Flexibilität erwarten, aber auch das hat seine Grenzen. Ich kann nicht von jemandem Flexibilität erwarten, die persönlich und auch finanziell irgendwann unzumutbar wird. Dies alles muss man gegeneinander abwägen.

Lassen Sie mich einen weiteren Hinweis zum Fördern und Fordern geben. In Schleswig-Holstein haben wir Gott sei Dank die Arbeitsmarktprogramme gestrafft, konzentriert und reduziert. Allerdings gibt der Bericht keine konkrete Auskunft darüber, was mit den einzelnen Programmen in den letzten fünf Jahren tatsächlich bewirkt worden ist. Dazu erfahren wir leider nichts.

Es bleiben Probleme. Der Bericht sagt: Arbeitslosigkeit ist das größte Armutsrisiko. Ich glaube, Arbeitslosigkeit ist ein bedeutsames Armutsrisiko; es gibt aber noch andere, beispielsweise das für ältere und das für behinderte Menschen. Ganz gleich, wie man Armut konkret definiert, bleibt eines festzuhalten: In Schleswig-Holstein sind leider 14 % der Bevölkerung von Armut betroffen; dies ist aber ein Wert, der bundesweit noch zu den „guten“ Werten gehört. In Mecklenburg-Vorpommern sind es beispielsweise 23 %. Die Quote bei den Alleinerziehenden ist erschreckend hoch und beträgt auch in Schleswig-Holstein 37 %. Das sind erschreckende Zahlen, aber das Land muss sich im Bundesvergleich nicht verstecken. Allerdings bleibt der wichtige Punkt, dass Perspektiven aus Armut und Arbeitslosigkeit sozialpolitische Leuchtturmprojekte sind und bleiben. Die inhaltliche Debatte hierüber haben wir in früheren Landtagstagungen bereits geführt.

Die jetzige Situation sollte uns auch Anlass geben, die Frage zu stellen, ob nicht über die Hartz-IV-Regelung und andere Dinge auch dem Fachkräftemangel ein wenig stärker begegnet werden kann, ob Qualifizierung in der Gewichtung stärker werden sollte. Das Problem, das auf uns zukommt, kennen wir alle. Ich denke, hier sollte man die Akzente möglicherweise ein Stück verschieben.

Lassen Sie mich einen weiteren Hinweis geben. Dieser betrifft das Gesamtgefüge dieser Diskussion, das Sie, Frau Kollegin, bereits angesprochen haben. Bei allem, was getan wird, müssen wir wissen, dass wir in einer Gesellschaft leben und dass das Miteinander in einer Gesellschaft der Maßstab bleiben muss. Dazu zählt für mich in ganz starkem Maße auch, mit welcher Psychologie man in dieser Gesellschaft miteinander umgeht. Wer Gerechtigkeit und Einbußen einfordert - dabei geht es darum, weniger verteilen zu können -, der muss genauso deutlich machen, dass er auf der anderen Seite beispielsweise überzogene Managergehälter anspricht. Das gehört dazu, wenn wir über die Menschen sprechen, um die es hier geht. Viele wissen, es ist nicht mehr viel zu verteilen. Aber es würde jedenfalls dem sozialen Frieden dienen, wenn wir Enttäuschungen bedrängter Menschen gegenüber bestimmten Verhaltensweisen auch ansprechen würden.

Ich will hinzufügen: Wenn jemand nach 30 Arbeitsjahren verdächtig ist, in einer Bäckerei ein Brötchen an sich genommen zu haben, das ihm nicht gehörte, und wenn ihm daraufhin fristlos gekündigt

(Werner Kalinka)

wird, so nenne ich das unmoralisch, um auch das einmal klar zu sagen.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Hilfe aus einer Hand - diesbezüglich soll auf kommunaler Ebene viel geschehen. Sicherlich wird diesbezüglich noch einiges mehr getan werden müssen. Die neuen Regelungen im Hartz-IV-Bereich, die Gutscheine, halten wir für eine durchaus vernünftige Form, sofern es Gutscheine gäbe, die wirklich den Kindern zugute kommen. Ich glaube, wir sollten uns darüber einig sein, dass wir den Kindern etwas Gutes tun wollen, dass wir etwas tun wollen, wovon Sie im Bildungs-, Sport- und Vereinsbereich etwas haben. Zu tun, als sei dies kein Problem, negiert die Realität.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Zu der Bedeutung der Integrationspolitik jetzt etwas zu sagen, gibt die Zeit nicht mehr her. Wir wissen um die Probleme übrigens auch schon vor Sarrazin.

Lassen Sie mich noch einen Blick auf die hohe Zahl der Gerichtsverfahren werfen. 2005 hatten wir 2.872 Verfahren, 2009 waren es 6.749. Das ist eine höchst unbefriedigende und im Übrigen auch kostenintensive Situation. Hier ist die Lage schlechter, als sie meistens dargestellt wird.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, beim Thema Hartz IV ist viel Mühe aufgewandt worden. Viele Menschen, auch viele Bereiche wie die Wirtschaft - das ist im Bericht erwähnt worden - haben dabei geholfen. Große Probleme im Ein-Euro-Bereich haben wir nicht. Es bleibt aber noch einiges zu tun, auch psychologisch.

Eines haben wir bislang allerdings nicht zu verändern vermocht, was ich eigentlich für ganz sinnvoll ansehen würde. Die Leistungen der letzten Jahre hätten einen besseren Namen als Hartz verdient.

(Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der SPD hat der Herr Abgeordnete Wolfgang Baasch das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit ist zu

danken für diesen umfangreichen Bericht, der noch einmal sehr übersichtlich die Entwicklung von Hartz IV oder viel besser des Zweiten Sozialgesetzbuchs, SGB II, darstellt. Der Bericht zeigt noch einmal deutlich auf, welche gesetzlichen Grundlagen seit Januar 2005 zur Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, SGB II, geführt haben.

Neben den gesetzlichen Grundlagen wird auch die Umsetzung des SGB II in Schleswig-Holstein sehr detailliert beschrieben, wobei unter Punkt 3.2.7 das Engagement der Landesregierung hervorgehoben wird, um die bewährte Zusammenarbeit im SGB II von Arbeitsverwaltung und kommunalen Trägern auf Dauer zu sichern. Das ist ein Punkt, der nach wie vor auch unsere Anerkennung für die Aktivitäten des ehemaligen und auch des heutigen Arbeitsministers beinhaltet. Ich will auch ganz persönlich noch eine Feststellung dazu machen.

Ich will deutlich sagen: Das, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den ARGEn, aber auch in den Optionskommunen leisten, verdient unsere Anerkennung; denn wir als Gesetzgeber haben es ihnen in der Umsetzung ihrer Aufgabe wahrlich nicht leicht gemacht, und dafür haben sie einen guten Job gemacht.

(Beifall)

Unter Punkt 4 wird im Bericht der notwendige Änderungsbedarf im SGB II aus Landessicht angesprochen. Hier steht im Mittelpunkt die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten oder - schlicht gesagt - die Erhöhung der Transparenz, um für Klarheit in der Antragsgewährung zu sorgen, damit bei der Sozialgerichtsbarkeit nicht eine stetig steigende Zahl von Klagen gegen Hartz-IV-Bescheide eingeht. Dies würde auch die Forderung der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten aufgreifen, die, wie immer bei diesen Themen, unsere Debatte verfolgt. Schön, dass du da bist, Birgit Wille.

(Beifall)

Weiteren Änderungsbedarf sieht die Landesregierung in der Sicherstellung des Existenzminimums und der Sicherstellung der gesellschaftlichen Teilhabe. Leider wird hierbei nicht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Kinderregelsätzen eingegangen. Die Forderung nach einem eigenständigen Kinderregelsatz, der transparente, sachgerechte und realitätsgerechte Berechnungen vorsieht, um kinderspezifische Bedarfe zu ermitteln, wird nicht als Ziel der Politik der Landesregierung aufgeführt. Hier wäre eine klare Zielbestimmung notwendig, die deutlich macht, dass erstens

(Werner Kalinka)

die Sicherstellung des Existenzminimums für Erwachsene entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neben der Ermittlung eines Regelsatzes auch die notwendigen Sonderbedarfe umfassen müsste. Zweitens wäre es notwendig, die Sicherstellung des Existenzminimums inklusive der soziokulturellen und der Bildungsteilhabe für Kinder und Jugendliche entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch vom Land Schleswig-Holstein aufzugreifen. Drittens ist natürlich zur Sicherstellung des Lohnabstandsgebotes und der Leistungsgerechtigkeit die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes dringend notwendig.

(Beifall bei der SPD)

Dies würde jedenfalls deutlich machen, dass man auch der stetig steigenden Zahl von Aufstockern, die zu ihrer Arbeit zusätzliche Transferleistungen benötigen, entgegenwirken will - ein Problem, das leider im Bericht nicht aufgegriffen wird.

Ein weiterer Punkt, der ebenfalls weder im Kapitel 5 - Änderungsbedarfe - noch in Kapitel 4 - Ausblick - aufgelistet ist, sind die sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Sparpaketes der Bundesregierung. Unter dem Stichwort der Konsolidierung der Staatsfinanzen wird vor allem eine Sanierung der Staatsfinanzen über Ausgabenkürzungen betrieben. So plant die Bundesregierung im Zeitraum 2011 bis 2014 Kürzungen im Sozialbereich von über 30 Milliarden €. Weiterbildung, Qualifizierung, Umschulung oder finanzielle Eingliederungshilfen für Arbeitslose wird es immer weniger geben. Dies wird in der Zukunft zu einer Verschlechterung der Vermittlungschancen von Arbeitsuchenden führen. Die geplante Abschaffung des Zuschusses an die Rentenversicherung von ALG-II-Empfängern bedeutet für den Bund bis 2014 zwar Einsparungen in Höhe von 7,2 Milliarden €, belastet aber die Rentenversicherung in gleicher Höhe. Also wieder einmal ein berühmter Verschiebebahnhof zulasten der Versichertengemeinschaft. Dies ist nicht hinzunehmen.

Die Abschaffung des Elterngeldes für Hartz-IVEmpfänger spricht jeder Gleichbehandlung von Kindern und Eltern Hohn. Eltern mit Kleinkindern haben insbesondere in den ersten Lebensmonaten einen deutlich höheren Mehrbedarf. Mit der Einführung des Erziehungsgeldes erhielten Langzeitarbeitslose mit Kindern 300 € für zwei Jahre. Die mit der Einführung des Elterngeldes bereits auf ein Jahr verkürzte Bezugsdauer leistete zumindest im ersten Jahr noch einen Beitrag dazu, den Mehrbedarf zu decken. Eltern, die in schwierigen Einkommensverhältnissen leben, wurde so ermöglicht, sich der Er

ziehung ihrer Kinder zu widmen, ohne auf Hinzuverdienste angewiesen zu sein.

Betroffen von der Streichung des Elterngeldes sind vor allem rund 650.000 Alleinerziehende, die nur schwer eine Arbeit finden. Die Streichung des Elterngeldes für ALG-II-Bezieher zeigt, dass der Berliner Koalition die Kinder von Langzeitarbeitslosen deutlich weniger wert sind als Kinder anderer Bevölkerungsschichten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Dies sind nur zwei Beispiele, die verdeutlichen, dass die Streichliste der schwarz-gelben Regierung in Berlin eine deutliche soziale Schlagseite hat, da vor allem im Sozialbereich gekürzt wird. Da hilft es auch nichts, wenn am Ende des Berichtes konstatiert wird, dass die SGB-II-Umsetzung in Schleswig-Holstein auf einem guten Weg ist. Die Probleme und Herausforderungen einer wirksamen und aktiven Arbeitsmarktpolitik und Armutsbekämpfung werden durch die Beschlüsse der schwarz-gelben Regierung in Berlin, aber auch hier im Hause, konterkariert.

Es bleibt festzuhalten, dass der Bericht eine Chance vertan hat. Er ist zwar informativ, enthält jedoch keine Zuspitzung und Zielsetzung für die aktuellen Herausforderungen. Trotzdem sollten wir diesen Bericht in den Sozialausschuss überweisen und dort die aktive Arbeitsmarktpolitik und Armutsbekämpfung auch anhand dieses Berichtes vertiefend weiter diskutieren.

(Beifall bei SPD, FDP und SSW)

Für die Fraktion der FDP hat der Herr Abgeordneten Christopher Vogt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sogenannte Hartz-IV-Reform mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe als Kernelement war in der grundlegenden Zielsetzung absolut richtig. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hat sicherlich handwerkliche Fehler gemacht. Das haben wir auch heute schon alles mehrfach gehört. Ich denke, das bestreitet auch niemand. Aber der Kern der Reform war und ist nach wie vor richtig.

(Beifall bei der FDP - Zuruf des Abgeordne- ten Ulrich Schippels [DIE LINKE])

(Wolfgang Baasch)

- Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, so habe ich gerade gesagt, Herr Schippels, ist der Kern.

Die Landesregierung hat in ihrem Bericht völlig richtig angemerkt, dass die Reform das ineffiziente Nebeneinander zweier staatlicher Fürsorgesysteme mit prinzipiell gleicher Zielsetzung beendet hatte. Es entstand eine Hilfe aus einer Hand, Herr Schippels, was zu mehr Transparenz und weniger Aufwand geführt hat. Auch das sollten Sie vielleicht mal anerkennen.

Es hat nach Auffassung der FDP-Landtagsfraktion gar keinen Sinn, nun aufgrund der teils durchaus berechtigten Kritik, die es an einzelnen Elementen der Reform gibt, das Rad zurückzudrehen; denn das alte System war mitnichten besser, sondern deutlich schlechter. Es kann auch nicht darum gehen, dass diese wichtige Reform nun zur Spielwiese für die Vergangenheitsbewältigung ehemaliger Regierungsparteien verkommt. Das meine ich völlig ohne Häme. Letztlich hat auch die SPD als die Partei, die es damals durchgebracht hat, in den vergangenen Monaten nicht nur Beiträge gebracht, die inhaltlich begründet sind, sondern auch viel mit Parteipolitik zu tun haben. Das wird letztlich dieser Reform nicht gerecht.