Protocol of the Session on September 8, 2010

Was ist denn die Bereinigung von Ausnahmetatbeständen, die 400 Millionen € in die Landeskasse spült? Was ist das denn, wenn nicht eine Steuererhöhung? Was soll das denn sein? Das Geld fällt doch nicht vom Himmel.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das heißt, Sie haben erhebliche Steuererhöhungen drin. 400 Millionen € geben Sie inzwischen zu. Es wäre nett, wenn Sie eine zweite Zahl nachreichen: Das ist die jährliche prozentuale Steigerung der

Steuern, die Sie drin haben. Bitte nennen Sie hier und heute Ihre Zahl. Sie sagen, unsere 4,1 % seien falsch. Nennen Sie doch die Zahl. Welche Steuersteigerung über zehn Jahre haben Sie drin? - 2,5 % sind es nicht, Herr Wiegard, die sind es mit Sicherheit nicht.

(Dr. Christian von Boetticher [CDU]: Neh- men Sie doch mal Ihren Taschenrechner!)

Das Zweite, was deutlich geworden ist, ist, dass es anscheinend auch in der Haushaltsstrukturkommission sehr unterschiedliche Zahlen gegeben hat. Ich habe die Broschüre der CDU mit Freude gelesen.

(Christopher Vogt [FDP]: Das glaube ich Ih- nen aber nicht!)

Dort steht drin, dass Zuschüsse und Zuweisungen in Höhe von 1,3 Milliarden € fehlen würden und eingespart werden müssten. - 1,3 Milliarden € - so die CDU-Landtagsfraktion. Heute stellt sich Herr Koch hin und sagt, an Zuweisungen und Zuschüssen fehlten Ihnen nur noch - in Anführungszeichen - 740 Millionen €. - Wo sind bitte schön die 560 Millionen € in den letzten zwei Monaten geblieben? Wo sind sie denn? Oder haben Sie Ihren Mitgliedern und allen anderen falsche Broschüren verteilt, um den Schrecken sozusagen etwas größer zu machen?

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Dann hat Herr Koch vorhin gesagt, man dürfe diese Tabelle bei den Steuereinnahmen, so wie sie ist, nicht nehmen. Man müsse unter anderem auch die Steigerungen im Landesfinanzausgleich berücksichtigen.

(Minister Rainer Wiegard: Nicht unter ande- rem, das steht da drin!)

- Das steht da drin! Das steht in einer extra Zeile. Und da sind schon Steigerungsraten drin. Das heißt, die obere Zeile muss sich anders erklären.

Was ich nachvollziehen kann, ist, dass Sie davon ausgehen, dass relativ schnell mit einem relativ hohen Wachstum die ganze Flaute der letzten beiden Jahre aufgeholt wird. Ob das so kommt oder nicht, Herr Kubicki, das wiederum steht in den Sternen.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Wir sollten uns im Rahmen des Haushalts also noch einmal darüber unterhalten. Wenn Sie mir hier und heute sagen können, welche Steuereinnahmen tatsächlich in welcher Höhe und prozentual enthalten

(Katharina Loedige)

sind, dann wären wir wahrscheinlich ein Stück weiter.

Ich möchte noch etwas zur Verschuldungsgrenze sagen. Herr Wiegard, Sie sind seit fünf Jahren Finanzminister. Fakt ist, dass Ihre Bilanz aufweist, dass die steigenden Schulden die Verschuldung massiv haben ansteigen lassen. Das ist heute nicht Ihr erster Tag. Sie haben den Haushalt seit fünf Jahren zu verantworten, und Sie legen die höchste Nettoneuverschuldung aller Zeiten vor.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Wenn wir sagen, die Schuldenbremse führt zu einer unglaublich hohen Verschuldung in den ersten Jahren, dann heißt das doch nicht, dass die Schuldenbremse nichts taugt. Herr Habeck hat gesagt, dass wir die Grundlagen anerkennen. Man muss dies aber benennen können. Wenn wir dem Vorschlag der LINKEN gefolgt wären und die Schuldenbremse nicht beschlossen hätten, dann würden uns 800 Millionen € fehlen, um diesen Haushalt verfassungskonform zu machen. Das muss man benennen dürfen, damit man weiß, welche Ausgangslage wir haben. Nach der alten Verschuldungsgrenze, nach Artikel 53, lagen die Investitionen und die zusätzliche Nettoneuverschuldung immer bei höchstens 650 Millionen €. Inzwischen sind wir nach Ihrer Vorlage bis 2014 bei einer Verschuldung von weit über 1 Milliarde €. Das muss man doch benennen, damit man Klarheit darüber hat, was dort passiert.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Frau Abgeordnete Heinold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wiegard?

Frau Kollegin Heinold, habe ich Sie eben richtig verstanden, dass Sie gesagt haben, in Ihrer Zeit habe die Neuverschuldung immer bei rund 650 Millionen € gelegen?

- Nein, ich habe gesagt: Zu unserer Zeit war die zulässige Nettoneuverschuldung - die Verfassungsgrenze - immer bei circa 650 Millionen €. Die reale

Verschuldung war oft deutlich höher, darin sind wir uns völlig einig. Auch wenn Sie es mir nicht glauben, ich kann Tabellen lesen.

(Zurufe von CDU und FDP)

Es ging um die Verfassung, und es ging darum, dass wir überhaupt einmal einen Blick dafür kriegen, was mit der Schuldenbremse passiert. Dem scheinen Sie sich zu verweigern.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Ich möchte noch etwas zu dem Stichwort des Herrn Ministerpräsidenten sagen, und zwar zu dem tagesaktuellen Populismus. Wenn wir schon Vergangenheitsbewältigung machen, dann trifft das für die Zeit zu, in der CDU und FDP in der Opposition waren. Das gipfelte darin, dass die CDU nicht mehr konkrete Anträge vorlegte, sondern nur noch allgemeine Lyrik. Jede - aber auch jede - Demonstration landauf, landab wurde von ihr voll mit unterstützt. Die CDU kennt sich also im tagesaktuellen Populismus sehr gut aus. Gleiches gilt für die FDP. Wir als Grüne versuchen, einen Kurs zu fahren, der in allen Gesprächen deutlich macht, dass es Einsparungen und Einschränkungen wird geben müssen. Ich glaube, es ist unser aller Verantwortung, dies deutlich zu machen. Anke Spoorendonk hat es aufgezeigt. Das Gesamtpaket heißt Einsparungen, Mehreinnahmen und strukturelle Änderungen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn Sie gern wollen, dass wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen, dann sage ich: Sehen wir uns das Jahr 1996 an. Das war mein erstes Jahr hier im Parlament. Schon damals lagen die Zinszahlungen über der Nettokreditaufnahme. Gleiches galt für das Jahr 1988. Es hat überhaupt keinen Sinn, uns gegenseitig vorzuwerfen, wer wann einen schlechten Haushalt vorgefunden hat. Wir waren schon einmal ein Stück weiter.

Ich sage Ihnen: Wenn wir die nächsten Jahre meistern wollen, dann müssen wir heute Ehrlichkeit in die Analyse bringen. Das haben wir seit Monaten angemahnt. Ich stelle heute etwas selbstbewusst fest: Endlich geben Sie zu, dass wir erstens keine Steuersenkung vertragen können und dass wir zweitens Steuererhöhungen brauchen. Sie haben jetzt eine Hausnummer von 400 Millionen € genannt. Sie können hochrechnen, was das auf Bundesebene heißt. Bitte schicken Sie Herrn Westerwelle und Frau Merkel einmal ein Fax darüber, was

(Monika Heinold)

Sie hier vorhaben, damit die sich auch auf Steuererhöhungen einrichten und die Hand dafür heben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Für die Fraktion DIE LINKE erteile ich Herrn Abgeordneten Ulrich Schippels das Wort. - Nein? Gut, die Fraktion DIE LINKE verzichtet. Wir kommen zur Fraktion des SSW. Ich erteile Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich das Gefühl habe, die Vergangenheitsbewältigung, die hier zumindest teilweise betrieben wird, bringt uns nicht wirklich weiter. Jeder kann für sich in Sack und Asche gehen und sagen: Auch wir haben Fehler gemacht. Sogar der SSW hat Fehler gemacht, obwohl wir nie regiert haben. Wir haben aber immer fleißig mitgestimmt, und wir haben auch Fehler gemacht. Das bringt uns in der heutigen Situation jedoch nicht weiter. Ich kann mich natürlich hinstellen und sagen: Hätte Stoltenberg die Vision gehabt, die man in Bayern gehabt hat, dann hätten wir tatsächlich nicht Laptop und Lederhose gehabt, sondern Laptop und Fischerhemd. Das wäre bestimmt gut gewesen, nur das bringt mich heute nicht weiter, denn es ist nicht gemacht worden. Es gibt diese Strukturdefizite.

Die Strukturdefizite aus den vergangenen Jahren haben sich auch durch andere Regierungen fortgeschrieben. Wir haben große Schwierigkeiten, dies auf die Reihe zu bekommen. Wir haben diesen Strukturwandel nicht hinbekommen. Dieser Strukturwandel, den wir nicht hinbekommen haben, ist auch ein Grund - wahrscheinlich sogar der Hauptgrund - dafür, dass es uns an Steuereinnahmen mangelt und dass wir dieses sogenannte strukturelle Defizit haben. Deshalb heißt es so.

Die Frage ist jetzt nicht: Wie kann ich fleißig umhersparen? - Selbstverständlich gibt es auch einen Grund dafür zu sagen, wir müssen sparen. Die Frage ist aber, wie wir dieses strukturelle Defizit und diese strukturelle Schwäche überwinden können, damit dieses Defizit immer kleiner wird. Das schaffe ich nicht, indem ich einfach nur phantasielos spare. Das ist das, was ich heute hier zu sagen habe.

Wenn wir heute schon darüber debattieren, dann müssen wir über die Lösungsmöglichkeiten debat

tieren. Es reicht eben nicht, zu sagen: Na gut, dann spare ich beim Blindengeld, dann ist das strukturell Defizit auf einmal weg. Das ist nicht der Fall. Wir haben dieses Strukturproblem immer noch, und wenn wir dies nicht gemeinsam anpacken, dann wird sich an unserer Situation definitiv nichts ändern. Das ist es, was an diesem Haushaltsentwurf phantasielos ist.

Herr Abgeordneter Harms, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wiegard zu?

Selbstverständlich.

Herr Kollege Harms, ich höre die ganze Zeit, dass wir ein erhebliches Einnahmeproblem haben. Ist Ihnen bewusst oder möglicherweise nicht bewusst, dass die Steuereinnahmen im Jahr 2010, in dem Jahr mit den schwersten Auswirkungen der wirtschaftlichen Rezession nach dem Krieg, um 900 Millionen höher sind als vor fünf Jahren? - Vielleicht können Sie einen Vorschlag dazu machen, in welche Größenordnung das noch entwickelt werden soll.

- Lieber Herr Kollege Wiegard, beziehungsweise lieber Herr Finanzminister Wiegard, Sie sind ja beides: Ich bezweifele nicht, dass wir höhere Steuereinnahmen haben. Ich bezweifele aber, dass wir alle Möglichkeiten komplett ausgeschöpft haben. Das ist das Problem.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

Es nützt mir nichts zu sagen: Wir sind gut drauf, wir haben richtig hohe Steuereinnahmen, wenn ich feststelle, dass die Ausgaben immer noch höher sind. Ich habe vorhin in meinem ersten Redebeitrag ganz deutlich gemacht, wie es in den nächsten zehn Jahren aussieht. Wir finden das auch bedenklich. Wir haben auch gesagt: Nach Ihrer Finanzplanung sind das zwischen 1,5 und 1,7 Milliarden €, die wir in den nächsten zehn Jahren mehr haben, aber wir werden wahrscheinlich 3,5 Milliarden € mehr an Zinslasten und Pensionsausgaben haben. Insofern ist es leichte Mathematik zu sehen, dass wir mit unserem Geld nicht auskommen.

Ich sehe auch, dass wir mit unseren Kürzungen bei den freiwilligen Leistungen, um sie einmal so zu

(Monika Heinold)

nennen, diese Lücke nicht ausfüllen können. Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich auch um die Einnahmeseite zu kümmern. Das stelle ich leidenschaftslos fest, das ist so.