Protocol of the Session on November 18, 2009

Wir hatten hier schweren Herzens schwierige Entscheidungen zu treffen, um noch katastrophalere Folgewirkungen zu vermeiden und um Arbeitsplätze zu sichern. Wir haben Ihnen aber ganz gewiss keinen Blankoscheck dafür gegeben, dass die HSH Nordbank die Regierung am Nasenring durch die Manege führt und nicht von Ihnen kontrolliert wird. Obwohl wir Anteilseigner sind und zusammen mit Hamburg über 80 % der Anteile halten, musste sogar der groteske Schritt vollzogen werden, die dem Parlament verantwortlichen Politiker aus dem Aufsichtsrat zurückzuziehen, weil das Herrn Kopper besser gefallen hat. All das zeigt, wie absurd die ganze Sache ist.

Wenn ich nun lese, dass die HSH Nordbank mitteilt, der Vorstand sei fest davon überzeugt, dass man Bundeshilfen nicht brauche, dann ist das nicht wirklich überraschend. Wie wir wissen, würde der Vorstand die Konsequenzen dafür nur tragen, wenn das Vabanquespiel aufgeht. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, dieses Risiko zu begrenzen, ist die Kooperation mit dem Bund und mit anderen Landesbanken. Das scheint jedoch nicht gewollt. Jeder möge das eigene Pulverfass hüten und pflegen, bis es ihm um die Ohren fliegt. Die Aussicht,

die Bank unter diesen Bedingungen verkaufen zu können, wie Sie das formuliert haben, ist abenteuerlich, denn wer wollte die HSH Nordbank zurzeit kaufen? - Sollte es solche Hasardeure geben, so möchte ich den Käufern wirklich nicht die Zukunft der Milliarden-Bürgschaften des Landes anvertrauen, ganz gewiss nicht. Insofern muss ich sagen, man versteht, wenn Sie sagen, Sie wollten nicht Banker werden, und Sie hätten auch nicht vor, das irgendwann zu werden. Verantwortung für die HSH Nordbank haben Sie aber schon. Das Parlament hat im Wesentlichen durch Mitwirkung der Parlamentsfraktionen vieles beschlossen, weil das Krisenmanagement so katastrophal war. Wir werden Schritt für Schritt darauf achten, dass das eingehalten wird, auch wenn die Mehrheiten sich geändert haben.

Drittens. Die soziale Spaltung in unserem Land ist ein zunehmendes Problem, das enorme Sprengkraft für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft beinhaltet. Wer Menschen ausgrenzt, ihnen keine Perspektive und keine Chancen bietet, der darf sich nicht wundern, wenn sie sich vom Gemeinwesen und dessen Werten abwenden. Wir sollen keinen zurücklassen und ausgrenzen, sondern jeder und jedem eine faire und wirkliche Chance bieten, ein eigenständiges Leben zu führen. Hilfe zur Selbsthilfe, Fordern und Fördern sowie Vorsorgen des Sozialstaates sind im Grunde alles richtige Maßstäbe. Allzu oft sind sie in der Praxis aber zu Floskeln geworden, die in Teilen das Gegenteil von dem bewirkten, was wir wollen. Freiheit und Gerechtigkeit bedingen einander, wie uns Erhard Eppler in einer großen Rede am Wochenende noch einmal deutlich vor Augen geführt hat. Bei Ihnen bekommt aber der Satz „Freiheit, wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit sind kein Widerspruch“ eine ganz neue Bedeutung. Es ist falsch, dass das, was Arbeit schafft, sozial ist. Ich finde das falsch. Sozial ist, was gute Arbeit schafft, von der man leben kann. Das ist unsere Überzeugung, nicht: Sozial ist das, was Arbeit schafft, egal wie sie aussieht.

(Beifall bei der SPD)

Also ist dieser Satz, „sozial ist, was Arbeit schafft“, den Sie immer verwenden, falsch. Zu sagen, sozial ist der, der dafür sorgt, dass es wirtschaftliches Wachstum gibt, ist wirklich nur noch Gewäsch. Ein solcher Satz hat null Substanz. Die Dispositionsfreiheit eines Unternehmers, der es leichter haben soll, Arbeitsplätze abzubauen, Menschen vor die Tür zu setzen, damit der Börsenkurs steigt, beschreibt nicht die Freiheit, die wir meinen. Das werden wir niemals mit Ihnen teilen, und wenn Sie

(Dr. Ralf Stegner)

noch so sehr die Mehrheit haben mögen, etwas anderes hier durchzusetzen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ein Quatsch!)

Wir meinen die Freiheit, ein Leben in Würde zu leben mit einer angemessenen Entlohnung für gute Arbeit. Wir meinen ein Leben, das es den meisten ermöglicht, ohne Sozialtransfers zurechtzukommen. Diejenigen, die Sozialtransfers brauchen, müssen ordentliche kriegen, ohne zu Menschen zweiter Klasse degradiert zu werden.

Manche Sätze, die ich von Ihnen gehört habe, sind so alt, dass sie nicht nur in das letzte, sondern in das vorletzte Jahrhundert gehören, in dem die Armenfürsorge an der Tagesordnung war. Die Haltung, die Sie hier ausgedrückt haben, ist wirklich nicht zu glauben. Das ist nicht sozial, das ist eine karitative Vorstellung davon, wie ein Sozialstaat sein sollte. Das ist nicht unsere Welt, meine sehr verehrten Damen und Herren, und der werden wir immer entschiedenen Widerstand leisten. Wir wollen Anrecht haben auf Teilhabe, auf Integration, auf ein Leben, bei dem man mit seiner Familie vernünftig zurechtkommen kann.

(Beifall bei der SPD)

Sie betonen so sehr die Eigenverantwortung und beschreiben die erdrückende Wohlfahrt. Das Wort „erdrückende Wohlfahrt“ lasse man sich wirklich einmal auf der Zunge zergehen. Was meinen Sie mit erdrückender Wohlfahrt? Herrn Nonnenmacher haben Sie wahrscheinlich nicht gemeint. Sie reden von erdrückender Wohlfahrt. Das geht an der Lebensrealität vieler Menschen radikal vorbei. Die Menschen haben nämlich Angst, ohne soziales Netz abzustürzen. Sie haben Angst, im Alter nicht genügend Geld zum Leben zu haben oder für neue Zähne. Viele Menschen wissen heute noch nicht, wie sie ihren Kindern Schulhefte oder die Busfahrkarte für den Ausflug oder die nächste Telefonrechnung bezahlen sollen.

So richtig es im Prinzip ist, dass es besser ist, wenn sich die Menschen selbst helfen, müssen wir uns doch über die Grenzen im Klaren sein. Es gibt Zusammenhänge, da funktioniert die Hilfe in der Familie, die Nachbarschaftshilfe, die Eigenorganisation. Es gibt aber auch Zusammenhänge in Regionen und Vierteln, da funktioniert das alles eben nicht. Da können die Probleme nicht individuell gelöst werden. Dann wird Hilfe zur Selbsthilfe eine Farce und eine fatale Entschuldigung, um soziale Angebote und Leistungen zurückzufahren, wie Sie es hier eigentlich angekündigt haben.

(Beifall bei der SPD)

Was mich trotz meiner sehr eingeschränkten Erwartungshaltung zu Ihrem Koalitionsvertrag doch erstaunt hat, ist, mit welch uneingeschränktem Votum Sie sich für das Betreuungsgeld ausgesprochen haben. Wir haben in Deutschland wirklich nicht das Problem, dass zu wenige ihre Kinder zu Hause betreuen und ihnen das unnötig schwer gemacht würde. Wir haben vielmehr die Situation, dass es sich viele Eltern nicht leisten können, ihren Kindern eine qualifizierte Kinderbetreuung zu ermöglichen. Teilweise gibt es nicht einmal genügend Betreuungsmöglichkeiten.

Sie kennen unsere Forderung nach der Beitragsfreiheit für alle drei Kindergartenjahre. Das bleibt auch richtig und ist für die Familien viel besser als alle Ihre Steuersenkungspläne, zumal die Gebühren in Schleswig-Holstein so hoch sind. Wir werden daran festhalten.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Statt also den Ausbau weiterer Kinderbetreuung zu unterstützen, finden Sie es richtig, dass der Bund das Geld in eine pädagogisch und sozialpolitisch zweifelhafte und unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten eindeutig rückwärtsgewandte Prämie steckt, die andere treffend „Herdprämie“ nennen. Und dann heben Sie in Ihrer Rede den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten hervor! Das passt ja wunderbar zusammen. Eigentlich hätte mich das nicht erstaunen müssen, denn Ihr rückwärtsgewandtes Frauenbild ist hinlänglich bekannt und angesichts des männerdominierten Kabinetts auch offensichtlich.

Ihre angekündigte Prüfung, wie die bisherige Mittagessenversorgung für bedürftige Kinder langfristig sichergestellt werden kann, wäre einfach zu beantworten. Verhindern Sie die geplante finanzielle Gießkanne bei Kindergeld und Kinderfreibeträgen, die ausgerechnet jenen nicht hilft, die frei zur Verfügung stehendes Geld besonders gut gebrauchen könnten, zum Beispiel Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger! Sie machen stattdessen eine Förderung, die den Besserverdienenden die größten Vorteile verschafft. Mit steigendem Einkommen mehr Geld zu kriegen, das ist nicht nur konservativ, sondern reaktionär. Das will ich hier ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist schön, wenn Sie sagen, Sie seien gegen Kinderarmut. Das glaube ich Ihnen sogar, Herr Minis

(Dr. Ralf Stegner)

terpräsident. Noch besser wäre es, wenn Sie etwas dagegen täten,

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

und mit Butter bei die Fische, wie Sie das machen wollen.

Lassen Sie mich zur Bildungspolitik kommen. Die Aussage, Sie wollen gleiche Bildungschancen für alle erreichen, kann man nur unterstützen, doch Sie planen genau das Gegenteil.

(Heike Franzen [CDU]: Quatsch!)

Scheinen Sie also schon im vorschulischen Bereich kein Interesse daran zu haben, wirksame Maßnahmen gegen die soziale Spaltung zu treffen, so gilt das im verstärkten Maße für die Bildungspolitik. Allen landesväterlichen Beschwörungen der Ruhe im Schulbereich zum Trotz haben Sie kleine, unfeine und eindeutige Regelungen vereinbart, die es den Gemeinschaftsschulen als reale Alternative zu den Gymnasien schwer machen, obwohl viele Eltern das als pädagogisch beste Schulform wollen. Ich sage Ihnen: Wir sind stolz darauf, dass wir in Schleswig-Holstein schon so viele Gemeinschaftsschulen eingerichtet haben. Das ist eine gute Leistung, die fortwirken wird, egal, wie sehr Sie anfangen werden, ihnen das Leben schwer zu machen. Das kennen wir ja leider. Das fängt mit der Einschränkung zur Bildung von Oberstufen an und hört mit der möglichen Wiedereinführung der Realschule auf. Da hat Aloys Altmann wirklich recht.

(Zuruf der Abgeordneten Heike Franzen [CDU])

Das ist auch fiskalisch nicht zu vertreten, und es ist schulpolitisch rückständig. Die FDP ist in dieser Frage, verehrter Herr Dr. Klug, leider noch konservativer als die Union.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und SSW)

Die plötzliche Distanzierung von den sonst geschätzten und zitierten Gremien Sachverständigenrat und Landesrechnungshof durch den Herrn FDPFraktionsvorsitzenden, vom Präsidenten des Landesrechnungshofs überrascht nur den, der von der FDP eine konsequente, ausgewogene Politik erwartet. Das habe ich nicht. Deswegen überrascht mich das nicht, dass Sie jetzt plötzlich so reden. Aber es spricht nicht für Sie, den Präsidenten immer zu loben, wenn Sie in der Opposition sind, und über ihn herzufallen, nachdem Sie keine drei Tage in der Regierung sind, wenn er zwischendurch etwas Richtiges zu dem sagt, was Sie da tun wollen.

(Beifall bei SPD und SSW)

Aber der Herr Kubicki hat ja auch sonst keine Schwierigkeiten, das Blaue vom Himmel zu versprechen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ach ja!)

Insofern verwundert mich die Zurückhaltung bei der Integration behinderter Kinder und Ihre Aussage, Kinder müssten teilhaben können. Bildung, Gesundheit und Zukunftschancen werden doch zur Farce, denn Sie meinen augenscheinlich nicht alle Kinder. Fragen Sie einfach mal den zuständigen Beauftragten dieses Hauses, Herrn Hase: Nicht der Grad der Behinderung darf Grenze der Integration sein, sondern allenfalls der begrenzte Fortschritt der Bemühungen zur Integration, die es immer weiter zu verbessern gilt. Wir haben im Verhältnis zu süddeutschen Ländern schon vieles geschafft, aber im Verhältnis zu Skandinavien sind wir Entwicklungsland. Das dürfen Sie nicht zurückdrehen. Wenn Sie es tun, werden wir es kritisieren.

(Beifall bei der SPD sowie vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sie planen das Rollback in der Schulpolitik, obwohl die Bildungschancen in diesem Land wie in kaum einem anderen vom Einkommen der Eltern abhängen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Nach 21 Jahren SPD-Regierung!)

Sollen wirklich das Miteinander-und-voneinanderLernen wieder Fremdwörter werden und der Rückwärtsgang hin zu elitären Bildungsstrukturen und Ausgrenzung und Selektion eingelegt werden? Fast könnte man Ihnen zurufen: Nehmen Sie sich wenigstens ein Beispiel an Hamburg oder dem Saarland! Man ist bei dem, was in der Schulpolitik droht, kurz davor, Jamaika herbeizuwünschen. Allerdings: Mögen, werter Herr Kollege Habeck, muss man solche Überlegungen natürlich nicht. Denn eine wirklich progressive Politik gibt es in solchen Konstellationen auch nicht, sondern mehr Kohle und Studiengebühren wie in Hamburg oder dubiose grüne finanzielle Verflechtungen mit FDP-Arbeitgebern wie im Saarland.

(Heiterkeit bei CDU und FDP)

Für den Fall, dass unsere Befürchtungen in der Schulpolitik eintreffen, sage ich Ihnen den breiten Widerstand der Opposition und vieler Eltern und Schülerinnen und Schüler in diesem Land voraus. Wir werden uns gegen den Abbau der schulpolitischen Errungenschaften wehren. „Zurück in die

(Dr. Ralf Stegner)

Vergangenheit“ passt zwar als Titel für Ihre Koalition, aber es passt überhaupt nicht zu unserem Land Schleswig-Holstein.

Gleiches gilt übrigens für die Hochschulen, wo Studierende zu Recht erwarten, dass wir ihre Kritik an der Ausgestaltung der Bachelor- und MasterStudiengänge ernst nehmen und nicht - wie Sie das heute getan haben - mit Anfangsschwierigkeiten verniedlichen.

Lassen Sie mich zum Thema Konsolidierung der Haushalte kommen. In den letzten Jahren - da gibt es nichts zu beschönigen - gab es ein kollektives Versagen in einem zentralen Punkt. Wir haben es versäumt, die öffentlichen Haushalte und die Sozialversicherungssysteme auskömmlich zu finanzieren. In dem Glauben, durch Steuersenkung ein so starkes Wachstum zu generieren, dass die Steuereinnahmen die originären Verluste wieder ausgleichen würden, wurden die Staatsverschuldung in unerträgliche Höhen getragen und die Handlungsspielräume gerade der Kommunen auf ein nicht zu vertretendes Maß eingeschränkt. Ich will hier einmal den ehemaligen Bundesfinanzminister zum Thema Steuersenkungen zitieren, der übrigens für Gefälligkeitsaussagen in meine Richtung unverdächtig ist. Peer Steinbrück hat in einem Interview in Hamburg während des Wahlkampfs gesagt: „Die Steuereinnahmeelastizität von Steuersenkungen ist kleiner eins.“ Für irgendetwas war es doch gut, dass er Volkswirtschaft studiert hat. Vielleicht erinnern Sie sich auch noch vage, Herr Fraktionsvorsitzender der FDP.

Die Geschichte von den selbstfinanzierenden Steuersenkungen ist ein Ammenmärchen, an das Sie selbst nicht wirklich glauben und das Sie uns hier nur präsentiert haben, weil Sie nicht konkret sagen, wo Sie sparen wollen. Da helfen alle Briefe nach Berlin nichts. So nämlich ist es.

So richtig es war, die Wirtschaft mit Konjunkturpaketen zu stützen, so richtig ist es jetzt, mit staatlichen Investitionen in die Zukunftsfelder wie Bildung, Kinderbetreuung und Klimaschutz zu investieren und auch die Kaufkraft zu stärken. Es ist doch die Frage zu betrachten, welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen dies hat. Man muss gar nicht weit in dem Kurs „Keynes für Anfänger“ vorangekommen sein, um zu wissen: Wenn wir die Besserverdienenden entlasten, die eine hohe Sparquote haben, wie Sie das wollen, Herr Kubicki, sind die Wachstumsimpulse gering und die steuersenkungsbedingten Steuermehreinnahmen noch geringer. Im vorliegenden Fall gehen sie wahrscheinlich sogar gegen null.

Was Schwarz-Gelb im Bund betreibt, ist Rosstäuscherei. Steuersenkung heißt heute Konsolidierung, ist aber, wie fast alle Fachleute sagen, bei unserem Schuldenstand und der finanziellen Konsequenzen für die öffentlichen Haushalte völlig unvertretbar. Wir sind gegen Steuersenkungen für Besserverdienende, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir brauchen deren Solidarität für Bildung, für Kinderbetreuung, für Klimaschutz und nicht Steuersenkungen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt beim SSW)