Protocol of the Session on November 18, 2009

Wir waren es, die bundesweit der Vorreiter für eine humanitäre Flüchtlings- und Ausländerpolitik gewesen sind und die humanitären Spielräume in Schleswig-Holstein stets maximiert haben. Auch darauf sind wir stolz.

Wir waren es, die die Energiewende in SchleswigHolstein eingeleitet haben. 1988 betrug der Anteil der regenerativen Energien an der Stromerzeugung in Schleswig-Holstein gerade einmal 0,05 %. Heute haben wir es auf über 40 % geschafft. Wir waren es auch, die immer konsequent - trotz aller Restriktionen der betreiberfreundlichen Atomgesetze - auf den Atomausstieg gesetzt, den Atomkonsens verteidigt und eine an Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit orientierte strenge Aufsichtspolitik betrieben haben.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Und warum haben Sie jetzt die Wahl verloren?)

Wir waren es, die das Thema Umwelt und Naturschutz in Schleswig-Holstein auf die Tagesordnung gesetzt und ein bundesweit vorbildliches Naturschutzgesetz etabliert haben, das in der Großen Koalition leider schon manches seiner alten Stärke

verloren hat. Wir waren es, die die starke Tradition der Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein fortgeschrieben haben, und zwar mit wirklich unabhängigen Minderheitenbeauftragen vom Range eines Kurt Hamer, eines Kurt Schulz und einer Renate Schnack. Bei allen freundlichen Worten an die Adresse von Frau Spoorendonk muss ich sagen, dass wir niemals die Vollwertigkeit der politischen Mandate der Kolleginnen und Kollegen vom SSW in diesem Haus in Zweifel gezogen haben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir waren es, die seit Björn Engholm die Chancen rund um die Ostsee genutzt und weiterentwickelt haben - mit den besten Perspektiven, die Schleswig-Holstein seit dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit als Zonenrandgebiet jemals hatte - und mit Heide Simonis die Meerespolitik wirklich auf die Tagesordnung gesetzt haben.

All dies und vieles mehr, was sozialdemokratische Fraktionen in diesem Haus sowie die Ministerpräsidenten Björn Engholm und Heide Simonis in 21 Jahren Regierungszeit geleistet haben - aus Zeitgründen kann ich nicht auf alles eingehen -, zeigt, dass es sehr viel gibt, auf das Sie hier bauen können. Wenn Sie klug sind, werden Sie auch dabei bleiben und das nicht abbauen.

(Beifall bei der SPD)

Wir werden jedenfalls darauf achten, dass Sie sorgsam, verantwortungsvoll und ehrlich mit diesem Erbe umgehen. Das ist auch notwendig, denn die Herausforderungen sind wahrlich groß.

Erstens befinden wir uns noch mitten in der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise in der Geschichte unseres Landes. Es droht ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit, die Versorgung mit Krediten ist gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen kritisch, und die Lage der HSH Nordbank ist ganz anders, als sie durch Ihre vom Vorstand gereichte rosarote Regierungsbrille betrachtet wird.

(Zuruf des Abgeordneten Hans-Jörn Arp [CDU])

- Nun regen Sie sich doch nicht ganz so auf! Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe, Herr Kollege! Zu Ihnen komme ich nachher noch einmal.

(Lachen bei der CDU - Zuruf des Abgeord- neten Dr. Christian von Boetticher [CDU])

Zweitens. Wir haben eine gespaltene Gesellschaft mit Strukturen im Bildungs- und Steuersystem und anderen sozialen Sicherungssystemen, die nach wie

(Dr. Ralf Stegner)

vor trotz aller Korrekturen die Spaltung zwischen Arm und Reich vertiefen und viele Menschen zurücklassen, die nicht nur an der Politik, sondern teilweise an der Demokratie zweifeln und verzweifeln.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Drittens. Wir haben öffentliche Haushalte, die auf allen Ebenen massiv unterfinanziert sind, wodurch wichtige Leistungen nicht oder nur ungenügend erbracht werden können oder massive Verschuldung droht. Nach wie vor gilt: Einen armen Staat können sich nur reiche Leute leisten.

Viertens. Wir haben als dennoch reiches und hoch entwickeltes Land die Pflicht, dem Klimawandel und der Umweltzerstörung konsequent entgegenzuwirken, wenn wir nicht gegenüber unseren Nachkommen total versagen wollen. Mehr denn je gilt: Global denken, lokal handeln.

Fünftens. Wir haben ein besorgniserregendes Problem, was die Legitimation von Demokratie und Politik angeht. Die Wahlbeteiligung an den Kommunalwahlen ist in manchen Stadtteilen drastisch gesunken und ist sogar bei der Bundestagswahl zurückgegangen. Das Verständnis für die Tatsache, dass demokratische Politik auch Geld kostet, ist kaum noch vermittelbar. Obwohl es doch der Staat und die Politik waren, die Banken und außer Rand und Band geratene Märkte gerettet haben, stehen der Staat und die Politik nun in der Zielscheibe von Anwürfen der Lobbys und leider auch zunehmend großer Teile der veröffentlichten Meinung. Das ist nicht gut so, und das sage ich ohne jedwede parteipolitische Einfärbung.

(Vereinzelter bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Was plant denn diese neue „Koalition der Freundschaft“, um auf diese Herausforderungen zu reagieren?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das kennen Sie nicht!)

- Mit Ihnen Freund zu sein, das würde ich mir auch nicht wünschen, sehr verehrter Herr Kollege.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Kubicki [FDP]: Da besteht keine Gefahr! - Heiterkeit bei CDU und FDP)

- Da das beidseitig ist, haben Sie recht.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Herr Ministerpräsident Carstensen, Ihre Regierungserklärung und Ihre sonstigen Reden über die künftige Politik klingen markig, sie sind aber eher wolkig. Es spricht wenig dafür, dass Sie einen Plan haben, wie die genannten Herausforderungen so bewältigt werden könnten, dass das Resultat solide, nachhaltig und sozial gerecht ist.

Als der Kabarettist Urban Priol vor einigen Monaten sagte, Schleswig-Holstein sei das einzige Land, das sich einen Regierungschef leiste, der sich nicht für Politik interessiert,

(Zuruf)

mag noch mancher geschmunzelt haben. In Zeiten von Wirtschaftskrise und enormen Herausforderungen für eine gute Regierungspolitik bleibt einem allerdings das Lachen im Hals stecken, wenn man bedenkt, dass das leider zutreffend ist.

(Herlich Marie Todsen-Reese [CDU]: Sie wissen doch gar nicht, was Lachen ist!)

Lassen Sie mich zu den beschriebenen Herausforderungen kommen.

Erstens: die Wirtschaftskrise. Fast dachte man schon, dass in dieser Krise allen eines wieder klar geworden sein könnte: Der Staat hat eine entscheidende Verantwortung für das Wirtschaftsgeschehen. Zu viel Liberalisierung, Entbürokratisierung und Deregulierung haben zu massivem Marktversagen, das in seinen Auswirkungen eine ungeheure Dynamik zu entfalten droht und Auswirkung auf das Leben Hunderttausender Menschen hier in diesem Land hat, geführt. Das Credo der Marktradikalen: „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht!“, wird aber schon wieder mit neuer Frechheit formuliert. Dabei müssen wir dafür sorgen, dass die Wirtschaft eben nicht ein sich selbst genügendes System auf Kosten anderer ist, sondern zum Wohle aller. Verstaatlichung der Verluste und Privatisierung der Gewinne mag für Unternehmen und Anteilseigner ein gutes Geschäft sein. Bei der HSH Nordbank muss man da schon Zweifel haben. Aber wenn einem Herrn Nonnenmacher 2,9 Millionen € dafür nachgeworfen werden, dass er Chef eines nur noch von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern getragenen Unternehmens bleiben darf, die Hertie-Verkäuferin aber nicht einmal einen Sozialplan bekommt, so ist das in keiner Weise in Ordnung, sondern skandalös.

(Beifall bei SPD, der LINKEN und SSW)

(Dr. Ralf Stegner)

Unvergessen bleibt in diesem Zusammenhang, dass Sie, Herr Ministerpräsident, in diesem Fall die Unwahrheit gesagt haben. Auch dies will ich an dieser Stelle wiederholen. Da kommen Sie nicht davon. Das ist und bleibt so.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

Der Vorschlag des FDP-Fraktionsvorsitzenden im Wahlkampf, die Steuersenkungsversprechen für die Gutverdiener durch eine höhere Mehrwertsteuer der Geringverdiener zu bezahlen, zeigt das ganze Ausmaß eines solchen selbstgerechten Denkens.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist eine Lüge, Herr Stegner!)

Wenn auch noch der neue Sozialminister und stellvertretende Ministerpräsident als Allererstes - kaum im Amt - schon für Kopfpauschalen und Kapitaldeckung in der Pflegeversicherung wirbt, dann sehen wir, dass an dieser Koalition die Lehren aus der Wirtschafts- und Finanzkrise gänzlich vorbeigegangen zu sein scheinen.

(Beifall bei der SPD)

Was ist das für eine verrückte Welt, in der Barack Obama eine Krankenversicherung nach deutschem Vorbild will und die FDP in Berlin und Kiel die solidarische Krankenversicherung abschaffen möchte?

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Die altbekannten Schlagworte von Entbürokratisierung, Privatisierung und dem Primat der Wirtschaft schimmern durch alle Poren Ihres Vertrags. Dementsprechend werden mittels fragwürdiger ÖPP-Projekte, die der letzte Landtag noch abgelehnt hatte, weil sie nicht wirtschaftlich gewesen sind, den privaten Unternehmen Gewinne gesichert, während der Staat auf seinen Risiken sitzenbleibt. Da werden beim UK S-H Bereiche ausgelagert und für den Einmal-Erlös Privaten dauerhaft Gewinne zugeschoben, die diese durch Lohndumping noch vergrößern können, egal, was die Beschäftigten davon halten. Das wird auf unseren Widerstand stoßen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Da werden - jetzt bin ich endlich bei Ihnen, Herr Arp durch die geplante Privatisierung von Glücksspiel und Spielbanken den Privaten neue Gewinnmöglichkeiten erschlossen, die Einnahmen des Staates dagegen auf wacklige Füße gestellt, egal, ob die Sportförderung perdu ist und was die

anderen 15 Länder davon halten. Das ist nicht Gemeinwohl, das ist Eigennutz!

(Beifall bei der SPD)

Erinnern Sie sich noch, wie Sie damals über die Versuche von Hans Eichel gelacht haben, Steuerhinterzieher wieder ins Land zu holen?