Protocol of the Session on November 18, 2009

Denn sonst sind genau die Kinder ausgeschlossen, die aus finanzschwachen Familien kommen. Jede Erzieherin wird Ihnen aus der Praxis berichten können, dass ein Jahr zu wenig ist, um zum Beispiel Kinder mit Migrationshintergrund und ohne Deutschkenntnisse zu integrieren und schulreif zu machen. Sich für eine Vereinheitlichung der Sozialstaffel im Land einzusetzen, reicht für eine Umsetzung von Chancengerechtigkeit nicht aus. Und es reicht uns auch nicht aus, nur zu prüfen, ob die Versorgung bedürftiger Kinder mit einer warmen Mahlzeit sichergestellt werden kann. Die Versorgung aller Kinder mit einem Mittagessen muss garantiert sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Alles andere wäre beschämend in einem reichen Land wie Deutschland.

Es wird überall und nicht zuletzt in der Wirtschaft beklagt, dass in Deutschland im Verhältnis zu anderen europäischen Ländern zu wenig junge Menschen eines Jahrgangs ein Studium beginnen und dass von denen, die ein Studium beginnen, ein zu hoher Prozentsatz das begonnene Studium wieder abbricht. Nicht einmal diese relativ wenigen Studentinnen und Studenten finden ein vernünftiges

(Ellen Streitbörger)

Studiumangebot vor. Die Hochschulen sind personell und finanziell unterversorgt. Die Bachelorund Master-Studiengänge sind nicht aufeinander abgestimmt. Sie sind zu verschult und bringen am Ende nicht annähend die Qualifikation, die die alten Magister- und Diplomstudiengänge boten. Selbst ohne Studiengebühren sind viele Studentinnen und Studenten auf einen Job neben dem Studium angewiesen, um dies überhaupt finanzieren zu können.

Die personelle Unterbesetzung der Unis hat zur Folge, dass zum Beispiel Pflichtseminare zu selten angeboten werden, sofort belegt oder teilweise überbelegt sind. Volle Seminarräume und Hörsäle, Zeitdruck, wenig individuelle Betreuung der Studierenden, Doppelbelastung durch Studium und Job, erhöhter Prüfungsstress und oft fehlende berufliche Aussichten sind Alltag der Studierenden. Dass viele Studentinnen und Studenten bei diesen schlechten Bedingungen aufgeben, erstaunt nicht wirklich. Deshalb ist die Landesregierung gefordert, auch auf Bundesebene aktiv zu werden, die dringend nötigen Gelder einzufordern und sich für bessere Studienbedingungen einzusetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres wichtiges Thema ist für uns die Gesundheitsversorgung im Land. Wir stimmen mit der Regierung überein, dass wir eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung für alle Menschen brauchen. Wie kann allerdings eine medizinische Versorgung wirtschaftlich sein, wie gefordert? Und wirtschaftlich für wen? Ganz klar ist unser Gesundheitssystem wirtschaftlich für die Pharmaindustrie. Wir fordern aber, dass der medizinische Fortschritt, der ja zum Teil mit öffentlichen Mitteln finanziert wird, allen Bürgern gleichermaßen zugutekommt,

(Beifall bei der LINKEN)

und das in Stadt und Land.

Wie die medizinische Versorgung auf dem Land aussieht, wissen wir. Immer weniger Allgemeinmediziner lassen sich auf dem Land nieder, und Fachärzte sind für viele fast unerreichbar weit weg. Nichts ist also dringender zu realisieren als eine Wohnort nahe Versorgung.

Auch die Stärkung der Strukturen von Palliativund Hospizstützpunkten, die Erweiterung der psychiatrischen Versorgung und die Vernetzung von medizinischen und psychologischen Angeboten unterstützen wird. In einer Gesellschaft, in der die Menschen immer älter werden und damit auch immer stärker auf Pflege angewiesen sind, und immer

mehr Menschen psychisch erkranken, ist der Aufbau und Ausbau der angesprochenen Strukturen zwingend.

(Beifall bei der LINKEN)

Als letzten Punkt möchte ich das Thema Energie ansprechen. Es freut uns, dass der Ausbau erneuerbarer Energien im Zentrum der Energiepolitik der Regierung steht. Auch wir wollen den Ausbau erneuerbaren Energien, nur schneller und ausschließlicher als die Regierungsparteien.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere maroden Atommeiler gehören endgültig vom Netz. Es ist völlig indiskutabel, Reststrommengen auf andere AKWs übertragen zu wollen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei SPD und SSW)

Die Entscheidung für Atomenergie war von vornherein völlig verfehlt.

(Beifall bei der LINKEN und SSW)

Bis heute gibt es keine Lösung der Entsorgungsproblematik.

Ein Ausbau oder gar Neubau von Kohlekraftwerken in Verbindung mit der Wahnsinnsidee, CO2 unterirdisch einzulagern, ist keine Lösung.

(Beifall bei der LINKEN und SSW sowie vereinzelt bei der SPD)

Sie würde unserer Klimaproblematik nicht gerecht werden, und daher lehnen wir das grundsätzlich ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass der Wahlkreis unseres Herrn Ministerpräsidenten als erster in der Diskussion um einen Standort für die CO2-Einlagerung war, lässt mich hoffen, dass der Widerstand in unserem Land gegen die Einlagerung hier und auch in anderen Bundesländern stark genug sein wird, diese Technologie zu verhindern.

(Beifall bei der LINKEN und SSW)

Meine Damen und Herren, Herr Carstensen hat uns versprochen, dass unsere neue Regierung mit Tatkraft und Mut für einen Aufbruch sorgen wird. Tatkraft und Mut haben wir auch, und wir werden durch eine starke und, wie ich hoffe, gemeinsame Opposition dafür sorgen, dass der Aufbruch in den Abgrund verhindert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

(Ellen Streitbörger)

Das Wort hat jetzt die Vorsitzende der Fraktion des SSW, Frau Abgeordnete Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir eine Bemerkung vorweg: Es war die Landesregierung, die darauf bestand, dass der Ministerpräsident eine Stunde Redezeit haben soll. Er hat uns also diesen Redemarathon eingebrockt. Darum sage ich ganz klar und deutlich: Es ist völlig inakzeptabel, dass der Ministerpräsident jetzt keine Lust hat, den Rest der Debatte zu verfolgen.

(Beifall bei SSW, SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der SSW hat nach der vorzeitigen Auflösung des 16. Landtags immer wieder unterstrichen, dass für uns das wichtigste eine handlungsfähige Regierung ist, die sich auf gemeinsame Ziele verständigen kann und SchleswigHolstein endlich wieder weiterbringt. Der Koalitionsvertrag war ein erster Lackmustest, ob die Gemeinsamkeiten bei Schwarz-Gelb für eine starke Regierung ausreichen. Aber das Testergebnis fiel so schwach aus, dass es schwer war, zu einem Urteil zu kommen. Auch die heutige Regierungserklärung hat nicht die erhoffte Klarheit gebracht. Entweder reicht der Mut nicht aus, um Klartext zu reden, oder die beiden Koalitionspartner sind wirklich noch nicht weiter. Jedenfalls wurden unsere gedämpften Erwartungen heute nochmals unterboten.

(Beifall bei SSW und der LINKEN)

Dabei hat diese Regierung als Nachfolgerin der Großen Koalition es so einfach wie noch nie, Handlungsfähigkeit und Einigkeit zu demonstrieren. Immerhin haben CDU und FDP sich auch im Rekordtempo auf einen Koalitionsvertrag verständigen können. Sein Inhalt macht deutlich, dass die ideologischen Gemeinsamkeiten der Partner ungleich größer sind. Eigenverantwortung, Leistung, Privatisierung, angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, das ganze liberale und neoliberale Vokabular sind vorhanden und zeigen die großen theoretischen Schnittmengen dieser Landesregierung. Trotzdem das ist die wahre Überraschung - sucht man in den zentralen Fragen Handfestes vergebens. Der Koalitionsvertrag ist seichte politische Belletristik, mit dem Weichzeichner geschrieben. Es liegt an den Handelnden, daraus erst noch ein faktenreiches Sachbuch zu machen. Man darf gespannt sein, ob die Gemeinsamkeiten von CDU und FDP dafür reichen.

Gerade bei der Finanzpolitik haben beide Koalitionspartner die Latte vor der Wahl besonders hoch gehängt. Jetzt geben sie aber keine ausreichende Antwort darauf, wie sie tatsächlich darüber springen wollen. Das zeigt schon das symbolträchtigste Thema: die Reduzierung des Landespersonals. In ganzen drei dürren Sätzen des Koalitionsvertrages wird erklärt - der Ministerpräsident hat das in seiner Regierungserklärung etwas deutlicher gesagt -, dass die Koalition 10 % der Stellen im Landesdienst streichen will; das sind rund 5.600. Ich bin wirklich gespannt darauf, wie die konsequente Trennung von verzichtbaren Aufgaben aussieht, die uns die Koalition ankündigt. Wir können zwar davon ausgehen, dass CDU und FDP die minimalistischen Rekorde der Großen Koalition bei der Entbürokratisierung brechen werden. Aber am Ende wird sich herausstellen, dass nicht so viel überflüssig ist. Wolfgang Kubicki hat im Wahlkampf gesagt, dass allenfalls 700 Stellen, also keine 2 %, entbehrlich sind.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ich gehe jede Wette ein, dass das Endergebnis näher an Ihrer Prognose als am Koalitionsvertrag liegen wird.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Egal, ob man in der Koalition nun wirklich glaubt, dass 5.600 Mitarbeiter entbehrlich sind, oder ob mit 10 % einfach ein runde Zahl gewählt wurde, von der kein Mensch weiß, wie sie erreicht werden soll: Schwarz-Gelb hat kein Bild davon, wie die Verwaltung der Zukunft aussieht, und welche Aufgaben sie erledigen soll.

(Beifall beim SSW)

Bestehende strukturelle Reformkonzepte wie die Justizreform von Uwe Döring, die Vorbildcharakter für weitere Bereiche haben könnte, bleiben unerwähnt. Das einzige, worauf CDU und FDP sich verständigen konnten, ist die Einführung eines zentralen Personalmanagements. Aber das ist kein Ersatz für fehlende Konzepte.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Erst wenn man eine konkrete Vorstellung davon hat, wie sich die Landesverwaltung entwickeln soll, kann man gezielt überflüssige Aufgaben und Stellen streichen oder verlagern. Solche gemeinsamen Vorstellungen haben die CDU und die FDP aber bislang nicht.

Mit den pauschalen Kürzungsbeschlüssen verschiebt die Koalition die Konflikte in die Zukunft. Die Hoffnung ruht nun auf einer kleinen Haushaltsstrukturkommission, die mit Mitgliedern des Kabinetts und der Regierungsfraktionen besetzt wird. Wir sehen dieses Verfahren sehr skeptisch. Dazu kann man auch parlamentstheoretisch etwas sagen. Denn Aufgabe des Parlaments ist es, die Regierung zu kontrollieren, nicht aber, eine Einheit von regierungstragenden Fraktionen und Regierung herzustellen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Wir sehen das also sehr skeptisch. Zum einen wäre es bei einer so entscheidenden Frage ratsam gewesen, nicht allein auf den rein monetär ausgerichteten Landesrechnungshof, sondern auch auf anderen Sachverstand zurückzugreifen. Denn wir wollen nicht nur eine billige, sondern auch eine effektive, moderne und motivierte Verwaltung.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN)

Zum anderen kann die institutionelle Einbindung der Fraktionen von CDU und FDP leicht dazu führen - da bin ich wieder bei meinem Parlamentsverständnis, lieber Herr Kollege Kubicki -, dass nach der Beschlussfassung in der Kommission kein Spielraum für Änderungen durch den Landtag mehr besteht, weil die Koalitionsfraktionen bereits mitgewirkt haben und Kompromisse eingegangen sind. Das wäre für das Parlament ein ebenso schlechtes Signal wie die Tatsache, dass in den Bereichen Integration und Wirtschaftspolitik unter dem Deckmantel der Beauftragten die Funktion des Parlamentarischen Staatssekretärs wieder eingeführt wird. Dass diese Regierung das Parlament wenig ernst nimmt, hat der der Ministerpräsident bewiesen, als er ausgerechnet die Bühne der Landesvertretung in Berlin und ein Publikum aus der Wirtschaft gewählt hat, um seine Sparpolitik darzustellen.