Protocol of the Session on November 18, 2009

Unsere Landesregierung hat sich vorgenommen, deutschlandweit die wirtschaftsfreundlichsten Rahmenbedingungen zu schaffen, um das nötige Wachstum zu generieren. Da wirtschaftsfreundlich

ganz sicher nicht arbeitnehmerfreundlich ist, ist damit auch klar, dass in Schleswig-Holstein keine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erwarten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern aber genau das: eine Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen für die Menschen im Land. Wir wollen den Aufbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors mit regulären versicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, von denen man leben kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese sollen im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich geschaffen werden und die entwürdigenden Ein-Euro-Jobs ersetzen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann haben wir die Arbeitsplätze, die Binnennachfrage und das Wirtschaftswachstum, das wir brauchen.

Neben dem Hoffen auf Wirtschaftswachstum trägt aus Sicht der Regierung ein zweiter Teil des Konzepts zur Verbesserung der finanziellen Situation des Landes bei. Wir haben das heute auch schon gehört: Sparen, sparen, sparen. Oder, es klingt besser: Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollen alle Fördermaßnahmen, Zuschüsse und Zuwendungen überprüft und reduziert werden. Die Konsequenz daraus sollte allen klar sein: In allen Bereichen, in der Kunst, der Kultur, im Sport und im Sozialen wird gestrichen. Theater und Museen müssen sich auf harte Zeiten einstellen.

Andere Aufgaben sollen privatisiert werden. Was Privatisierung bedeutet, haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schon in zu vielen Bereichen in Schleswig-Holstein erleben müssen. Ein privater Investor will Profite erwirtschaften. Das ist sein Interesse. Das ist aus seiner Sicht sogar seine Pflicht. Er hat keinen Blick für die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Für Soziales fühlt er sich nicht zuständig. Auf Privatisierung folgt Rationalisierung, und die Arbeitsplätze, die erhalten bleiben, sind Arbeitsplätze mit schlechterer Bezahlung und höherer Arbeitsdichte. Deshalb lehnen wir auch die Privatisierung der Service GmbH des UK S-H ab und werden gegen weitere Privatisierungspläne kämpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

(Ellen Streitbörger)

Zur Ankurbelung der Wirtschaft hat sich die Regierung viele Gedanken über die Versiegelung schleswig-holsteinischer Landschaft gemacht. Es sollen enorme Projekte in Sachen Straßenbau in Angriff genommen werden: Ausbau sämtlicher Autobahnen, Ausbau von Bundesstraßen zu Autobahnen und natürlich die Fehmarnbelt-Querung mit der notwendigen Hinterlandanbindung. Dafür werden auch enorme finanzielle Mittel benötigt werden, die das Land Schleswig-Holstein gar nicht aufbringen kann.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Überwiegend Bundesmittel!)

Deshalb werden die Öffentlich-Privaten-Partnerschaften, die ÖPPs, als Finanzierungsmöglichkeit bevorzugt. Private Investoren und nicht das Land nehmen Kredite für diese Projekte auf. Wer sich mit ÖPP-Projekten auseinandergesetzt hat, weiß, dass es sich dabei nur um verdeckte Kreditaufnahmen handelt, und dass sich Länder oder Kommunen auf Jahrzehnte mit undurchschaubaren Knebelverträgen zu viel zu hohen Abträgen verpflichten und damit ihre Haushalte belasten, überlasten oder sperren. Letztlich wird ohnehin alles viel teurer als bei Eigenfinanzierung.

Nun sind die ÖPP-Pläne leider nicht nur Überlegungen, die in die falsche Richtung zielen, sondern bereits Realität. Das hat jetzt die Umsetzung des ersten Projekts zur Finanzierung der Erneuerung der Landesstraße 192 gezeigt. Gleichzeitig ist das auch ein gelungenes Beispiel dafür, dass man seine Überzeugung genauso schnell wechseln kann wie seinen Platz im Plenarsaal.

Während also viel Geld in Beton investiert werden soll, hält man sich in Sachen Bildung sehr zurück. Beim ersten Lesen des Koalitionsvertrages zum Thema Bildung war mein Gedanke: Na toll, das alles hatten wir schon in den vergangenen Jahrzehnten. Und für mich wird gerade beim Thema Bildung deutlich, dass mit Aufbruch niemals ein Aufbruch in die Zukunft gemeint sein kann.

Es war ja schon schlimm, was wir Lehrerinnen und Lehrer in der vergangenen Legislaturperiode unter Schwarz-Rot an Schulchaos ertragen mussten. Zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen von Schule wurden zu völlig wahnwitzigen Kompromissen zusammengeführt und die Umsetzung unter Zeitdruck an der Schulbasis erzwungen. Viel, viel Zeit und Kraft wurden uns abverlangt, und leider lief ein großer Teil dieser Anstrengungen ins Leere, weil sich zum Beispiel die Eltern dem Chaos entzogen und ihre Kinder an den Gemeinschaftsschulen statt

an den Regionalschulen anmeldeten. Viel Ärger, Verzweiflung und Hilflosigkeit entstanden bei Eltern, Schülerinnen und Schülern und bei Kolleginnen und Kollegen bei der Umsetzung von G8 und der Profiloberstufe an den Gymnasien ohne Lehrpläne, ohne Konzepte, dafür aber mit einer gigantischen Arbeitsüberlastung für alle.

Die Regierung möchte nun erst einmal Ruhe an der Schulbasis einkehren lassen.

(Klaus Klinckhamer [CDU]: Das ist doch richtig!)

Diese Ruhe ist auch dringend erforderlich. Aber noch wichtiger wären klare Konzepte. Nun aber läuft alles auf Beliebigkeit hinaus. Alles kann, nichts muss. Die Schulen können entscheiden: Wollen wir jahrgangsübergreifendes Lernen in der Eingangsphase, wollen wir Lernpläne in der Grundschule, wollen wir wieder Förderzentren, oder aber arbeiten wir weiter integrativ an anderen Schulen, wollen wir Binnendifferenzierung an den Gemeinschaftsschulen, wollen wir weiter Regionalschule bleiben, wollen wir G8 oder G9 oder beides? Ich kann nicht Chaos durch Beliebigkeit ersetzen und dann auch noch erwarten, dass dabei ein zukunftsfähiges Schulsystem entsteht.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ines Strehlau-Thomas [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Gegenteil entfernen wir uns auf diesem Weg immer weiter davon, dass alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben. Deshalb solidarisiert sich meine Fraktion auch mit den Schülerinnen und Schülern und den Studierenden, die heute hier in Kiel demonstrieren, und wir unterstützen ihre Forderungen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abgeord- neten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Ines Strehlau-Thomas [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Diese Forderungen sind auch unsere Forderungen, nämlich die Forderung nach einem längeren gemeinsamen Lernen in Gemeinschaftsschulen, nach kleineren Klassen, nach mehr Wahlfreiheit in der Oberstufe, nach Abschaffung von G8, nach bedarfsgerechter Ausstattung in allen Kitas, Schulen, Hochschulen und Jugendeinrichtungen und nach kostenloser Bildung für alle - von der Krippe bis zur Hochschule.

Was uns dagegen die Regierung anbietet, ist - wie gesagt - Bildungspolitik aus dem vergangenen Jahr

(Ellen Streitbörger)

tausend. Auf diese Art werden wir niemals eine auf die Zukunft orientierte Schul- und Bildungspolitik bekommen. Im nationalen wie im internationalen Vergleich wird Schleswig-Holstein im Ranking immer weiter nach unten sinken - an den Stellen, wo das überhaupt noch möglich ist.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ich kann auch klatschen, Herr Kubicki.

Es ist jedem, außer offensichtlich den Mitgliedern der Regierungsparteien, klar, dass das bestehende mehrgliedrige Schulsystem nicht Vielfalt und Qualität sichert.

(Beifall bei der LINKEN)

- Danke schön, auf Rat von Herrn Kubicki, das finde ich großartig.

Im Gegenteil haben gerade Kinder aus problembelasteten Familien dadurch weniger Chancen auf gute Bildung, dass viel zu früh in die einzelnen Schultypen sortiert wird und anschließend kaum eine Durchlässigkeit nach oben besteht. Diese Chancenungleichheit vergeudet einerseits Ressourcen und zementiert andererseits eine Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, wie wir sie ablehnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Ungerechtigkeit erzeugt Frust, Wut und Hass auf andere oder auf die gesamte Gesellschaft.

Ein mehrgliedriges Schulsystem ist eben nicht die beste Voraussetzung für individuelle Bildung und Förderung, wie es uns die Regierung weismachen will, sondern es ist die individuelle Förderung eines jeden Kindes in einer Schule für alle, wie sie Pädagoginnen und Pädagogen seit Jahren fordern und wie sie uns viele Länder vormachen.

(Beifall bei der LINKEN)

In einer Gemeinschaftsschule wird eben nicht aussortiert und ausgegrenzt, sondern Schülerinnen und Schüler lernen, solidarisch miteinander umzugehen und den Schwächeren zu helfen - das, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist und gleichzeitig auch das höchste Ziel für unsere gesamte Gesellschaft sein sollte.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch der Landesrechnungshof bestätigt, dass das Nebeneinander der unterschiedlichen Schulformen ein pädagogisch sinnloser Luxus ist. Seinen Berechnungen zufolge hätten wir in den nächsten zehn Jahren 4.200 Lehrerstellen durch den Rückgang

der Schülerzahlen zu viel. Das müssen wir aber als Chance begreifen und nutzen. Grundschulen müssen wohnortnah erhalten bleiben, Klassen müssen verkleinert und mit mindestens zwei Lehrkräften integrativ oder gar inklusiv unterrichtet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann könnte Unterricht auch bei uns endlich so gestaltet werden, wie es uns die skandinavischen Länder schon lange vormachen.

Dass wir dazu auch die Veränderung des Lehramtsstudiums fordern, erschließt sich von allein. Wir wollen keine schulartbezogenen Profile der Lehrerbildung, die nur das mehrgliedrige Schulsystem auf Jahrzehnte verfestigen, sondern ein Studium, das zum Unterrichten an einer Gemeinschaftsschule mit Binnendifferenzierung und gymnasialer Oberstufe befähigt.

(Beifall bei der LINKEN und des Abgeord- neten Lars Harms [SSW])

Die Regierung will Gerechtigkeit im Land erreichen, indem sie für gleiche Startchancen sorgt. Dann würde es doch Sinn machen, allen Kindern den Besuch einer Kita zu ermöglichen. Das setzt Beitragsfreiheit aller drei Kita-Jahre voraus.

(Beifall bei der LINKEN und SSW)

Denn sonst sind genau die Kinder ausgeschlossen, die aus finanzschwachen Familien kommen. Jede Erzieherin wird Ihnen aus der Praxis berichten können, dass ein Jahr zu wenig ist, um zum Beispiel Kinder mit Migrationshintergrund und ohne Deutschkenntnisse zu integrieren und schulreif zu machen. Sich für eine Vereinheitlichung der Sozialstaffel im Land einzusetzen, reicht für eine Umsetzung von Chancengerechtigkeit nicht aus. Und es reicht uns auch nicht aus, nur zu prüfen, ob die Versorgung bedürftiger Kinder mit einer warmen Mahlzeit sichergestellt werden kann. Die Versorgung aller Kinder mit einem Mittagessen muss garantiert sein.