Welche Steigerung der konjunkturellen Nettokreditaufnahme ergibt sich aus den Steuerausfällen? Ab wann ist diese Kreditaufnahme zu tilgen? Welche zusätzlichen Sparmaßnahmen ergeben sich daraus? Dies alles sind nicht nur haushaltspolitische Fragen. Hier geht es um die grundsätzlichen Gestaltungsspielräume der Landespolitik. Wer diese Fragen heute ausblendet, vollführt unserer Meinung nach eine Verfassungsänderung im Blindflug. Die Grünen sitzen leider auch noch mit im Cockpit.
Frau Heinold, Sie haben darauf hingewiesen. Vor wenigen Wochen, nämlich im März 2010, haben Sie Ihr sogenanntes Haushaltsstrukturkonzept vorgelegt. Ich zitiere aus Seite 3:
„Mit diesen Maßnahmen könnten die Ausgaben des Landes - im Vergleich zu heute und unter Berücksichtigung der notwendigen zusätzlichen Bildungsausgaben - um 340 Millionen € gekürzt werden. Ausgehend von einer Ausgabensteigerung von jährlich 1,7 % … und aufgrund der enorm steigenden Ausgaben für Pensionen und Zinsen bräuchten wir Wachstumsraten von fast 4 % über zehn Jahre, um die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten zu können. Dies halten wir für unrealistisch.“
Genauso unrealistisch ist aber Ihr anschließender Appell an die Landesregierung. Ich zitiere noch einmal:
,,Wir fordern die Landesregierung auf, zügig mit dem Bund und den anderen Ländern in neue Verhandlungen über einen Altschuldentilgungsfonds einzutreten, sich für die höhere Besteuerung großer Privatvermögen einzusetzen und weitere Steuergeschenke für Lobbygruppen strikt abzulehnen.“
Frau Heinold, auch wenn es auf dem Papier geschrieben steht, werden Sie dies nicht bekommen. Sie bekommen es nicht von dieser Bundesregierung und schon gar nicht von dieser Landesregierung.
Das Verhandlungsgeschick dieser Landesregierung gegenüber der Bundesregierung haben wir in der Debatte um die Wachstumsbeschleunigungsbremse - ich benutze dieses Wort bewusst - wohl alle genossen. Eine Besteuerung größerer Privatvermögen werden Sie mit Schwarz-Gelb in Berlin nicht erreichen. Übrigens waren es die Steuergesetze der ehemaligen rot-grünen - nein, besser: rosa-grünen Bundesregierung, die dazu geführt haben, dass sich die Einnahmesituation unseres Bundeslandes geradewegs und ohne Umweg extrem verschlechtert hat.
Erst 2005 haben wir wieder so viele Einnahmen gehabt wie 1999. Die damalige Bundesregierung hat durch ihre Steuersenkungspolitik, durch ihre Steuergeschenke für Besserverdienende und Großunternehmen unserem Land einen Bärendienst erwiesen. Die jetzige Bundesregierung macht genau da weiter, wo Rosa-Grün aufgehört hat. Das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz kostet unserem Land jährlich 130 Millionen €. 130 Millionen € mehr, die in den Kommunen und im Land jährlich fehlen.
Die Implementierung einer eigenen Schuldenbremse ist völlig unnötig. Bundesrecht gilt unmittelbar für die Länder. Die Verschrobenheit, eine eigene, überflüssige Schuldenbremse in die Landesverfassung zu schreiben, um damit wirksames Bundesrecht zu doppeln, kippt vollends ins Lächerliche, wenn man sich auch noch die Begründung anguckt, zum Beispiel im Koalitionsvertrag. Man will nach der Verabschiedung in Karlsruhe gegen die Schuldenbremse des Bundes klagen, und zwar mit dem Argument „Eingriff in die Länderhoheit“. Die Regierungsparteien hoffen, dass sich durch eine eigenständige Schuldenbremse die Klagechancen erhöhen. Mal sehen, was das Bundesverfassungsgericht zu solch raffinierten juristischen Winkelzügen sagt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben in ihrem ursprünglichen Antrag zur sogenannten Schuldenbremse zwei Pflöcke gesetzt. Zum Ersten wollten Sie den Investitionsbegriff verändern und Bildung als Investition verändern.
- Ich habe ihn schon genannt und diskutiert. - Das ist offensichtlich völlig schiefgegangen. Zwar soll
jetzt die Neuverschuldung nicht mehr an die Investitionen gekoppelt werden, zwar sind auch jetzt Investitionen in Bildung nicht verboten, aber Sie haben es heute gehört: Bei dieser Landesregierung ist das nicht zu erwarten.
Zum Zweiten wollten Sie die Kommunen davor schützen, dass ihnen das Land weiter in die Taschen greift. Geblieben ist eine lyrische Formulierung, wie ich finde, in Artikel 49 Abs. 1.
Davon können sich die Kommunen nichts, aber auch gar nichts kaufen. Die Kommunen sind es, die am stärksten bluten, wie auch die neueste Steuerschätzung gezeigt hat.
Herr Stegner, ich habe mir Ihre erste Rede in der ersten Lesung über die damals vorliegenden Verfassungsänderungsanträge genau angehört. Sie haben damals vieles Richtiges gesagt, vieles, was auch wir als Linke unterschreiben können.
Als Antwort auf die Verschuldung - sagten Sie damals; ich zitiere mit Erlaubnis -: „nur eine Schuldenbremse in die Landesverfassung festzuschreiben, die die Bundesregelung einfach kopiert, wäre keine Lösung, im Gegenteil, die würde unser Problem noch verschärfen“. Herr Stegner, Sie hatten damals recht mit dieser Aussage.
Deshalb hören wir auf Ihre damalige Botschaft und lehnen die Verfassungsänderung ab. Diese Schuldenbremse in der Landesverfassung verschärft nur die Probleme des Landes. Diese Schuldenbremse verstärkt vor allem die Probleme der vielen Menschen, die auf den Sozialstaat angewiesen sind. Dazu sagen wir Nein.
Auf der Zuschauertribüne begrüße ich die Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frau von Kalben. - Seien Sie uns herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich genauer auf die Gesetzesformulierungen zur Schuldenbremse eingehe, erlauben Sie mir einige allgemeine Anmerkungen. Zuallererst muss nach meiner Auffassung festgehalten werden, dass es hier heute ausschließlich um die Begrenzung der Neuverschuldung geht. Das heißt, die bisher aufgelaufenen Schulden bleiben bestehen; schlimmer noch: Auch in den kommenden Jahren werden Schulden hinzukommen, weil die Neuverschuldung nicht mit einem Mal auf null gefahren werden kann. Wir haben jetzt einen Schuldenstand von fast 25 Milliarden €, und in 2020, wenn die Neuverschuldung endlich auf null stehen soll, werden wir mit Zins und Zinseszins einen Schuldenberg von rund 40 Milliarden € aufgehäuft haben. Dieser Schuldenberg wird die nachfolgenden Generationen belasten, und es wird Aufgabe der Politik nach 2020 sein, auch diesen Schuldenberg abzubauen. In den kommenden Jahren werden wir jedes Jahr die Neuverschuldung um zusätzlich 125 Millionen € reduzieren. Im letzten Jahr wird die Neuverschuldung, die heute rund 1,25 Milliarden € beträgt, völlig verschwunden sein.
Ist ein solcher Kraftakt möglich, und wird dieser Kraftakt zu Einbußen in der Lebensqualität führen? Ich nehme es vorweg: Es ist möglich, und welche Bereiche von möglichen Einsparungen betroffen sein werden, ist eine politische Entscheidung.
Wenn wir uns die Entwicklung der Steuereinnahmen in den vergangenen Jahrzehnten ansehen, kann man feststellen, dass allein die Steigerungen in diesem Bereich rechnerisch die Schuldenbremse fast ausgleichen könnten. Im Jahr 1980 hatte das Land 2,4 Milliarden € Steuereinnahmen, 1989 waren es schon 3,5 Milliarden €, das heißt 1,1 Milliarden € mehr. Die Steigerung von 1990 bis 1999 lag bei 1,5 Milliarden €. Die Steigerung von 2000 bis 2009 beziffert sich auf 0,84 Milliarden €, wobei allerdings bis 2008 - also vor der großen Wirtschaftskrise - die Steigerung sogar 1,3 Milliarden € betragen hat. Im langjährigen Schnitt lag die Verbesserung der Steuereinnahmen pro Jahrzehnt bei 1,186 Milliarden €. Rechnerisch gesehen kann man also davon ausgehen, dass zukünftige Steuereinnahmen das Problem nicht nur lindern, sondern auf dem Papier fast gänzlich lösen können. Die Schuldenbremse al
Allerdings bleiben zwei große Blöcke, die unser Finanzproblem trotzdem verschärfen und die zum Sparen führen müssen. Zum einen sind da die Tarifsteigerungen, Sachkostensteigerungen und die Steigerungen allgemeiner Art, und zum anderen sind da die enormen Steigerungen im Personalbereich für die Beamten, die eine Pension beziehen oder beziehen werden. Hier hat das Land seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse gelebt, und diese Lasten schlagen jetzt durch. Hier gibt es neben allgemeinen Sparbemühungen ein Bündel von Lösungen, um auch hier die Entwicklung abzufedern. Ein sozialverträglicher Abbau von Personal ist sicherlich unumgänglich. Allerdings kann dieser nicht mit Gehaltskürzungen oder Ähnlichem erkauft werden. Vielmehr muss das Land seine Aufgaben überprüfen und zu einer Verschlankung kommen. Ein Land, das sich vier Verwaltungsebenen - Gemeinden, Ämter, Kreise und Land - leistet, ist dabei sicherlich in keinster Weise zukunftsorientiert aufgestellt.
Die Landesverwaltung gehört weiter auf den Prüfstand, und hier gibt es sicherlich eine Vielzahl von möglichen Synergien. Es wird aber auch notwendig sein, Gesetze, Verordnungen und Erlasse zu überprüfen. Dabei geht es dann nicht darum, politische Zielsetzungen aufzugeben, sondern diese mit weniger Aufwand umzusetzen. Dies wird ein ständiger Prozess sein.
So wichtig diese Dinge sind, so sicher bin ich mir, dass auch diese Maßnahmen nicht völlig reichen können. Entscheidend wird sein, dass die zukünftigen Landesregierungen, gleich welcher Couleur, auf Bundesebene den Mut haben, sich gegen Gesetzesvorhaben zu wenden, die das Land über Gebühr belasten. Wir haben diesen Gedankengang in die Beratungen zum Gesetz eingebracht, und wir haben ja auch Formulierungen gefunden, die dies zumindest in der Zielsetzung unterstützen.
Wenn man sich vergegenwärtigt, wie hoch die Steigerungen bei den Steuereinnahmen in den vergangenen Jahrzehnten waren und wie oft die jeweiligen Regierungen Steuerausfällen für das Land auf Bundesebene zugestimmt haben, dann kann man ermessen, dass hier viel möglich ist. Unter der rotgrünen Bundesregierung unter Kanzler Schröder wurden Gutverdienende und Unternehmen in einem Umfang mit Steuersenkungen bedacht, wie es diese
Republik noch nicht gesehen hat. Hätten wir all diese Steuereinnahmen, wäre die Schuldenbremse ein wesentlich geringeres Problem.
Aber auch die Steuerentlastungen für reiche Erben und Hoteliers sowie die Erhöhung des Kindergeldes vor Kurzem zeigen, wie viel Luft anscheinend im System ist. Wer solchen Steuergeschenken zustimmt, hat es eigentlich verwirkt, hier alle anderen zum bedingungslosen Sparen aufzufordern.
Im Übrigen, mit diesen 70 Millionen €, die uns der ganze Spaß kostet, die dort zum Fenster hinausgeworfen werden, hätte man in Schleswig-Holstein zwei beitragsfreie Kindergartenjahre finanzieren können. Es stellt sich also immer wieder die Frage der politischen Prioritäten. Die können durchaus auch anders liegen.
Wenn man genau hinsieht, wird man die Erkenntnis gewinnen, dass viele dieser Steueränderungen wieder einkassiert werden müssen. Auf jeden Fall kann man heutzutage nicht mehr über Steuersenkungen im großen Stil philosophieren, sondern man muss ganz klar sagen, dass wir in Zukunft an Erhöhungen von Steuern und Abgaben in einigen Bereichen auf Bundes- und Landesebene nicht vorbeikommen, um die Aufgaben des Staates adäquat finanzieren zu können.
Ich fasse zusammen: Um die finanziellen Probleme unseres Landes anzupacken, gibt es ein Bündel von Maßnahmen. Das sind die Ausnutzung zukünftiger Steigerungsraten bei den Steuereinnahmen, die sozialverträgliche Verschlankung der Landesverwaltung, die Modernisierung der Verwaltung und ihrer Abläufe, der Verzicht auf Steuergeschenke auf Bundesebene und die moderate punktuelle Erhöhung von Steuern. All diese Maßnahmen können zu einem Großteil unser Problem lösen. Erst dann kann man nach Auffassung des SSW über mögliche weitere Einsparungen nachdenken. Aber auch hier gilt es, Prioritäten zu setzen.