Meine Damen und Herren, Wachstum und Beschäftigung, Wissen und Innovation, Klima und Umwelt - dafür steht die Europa-2020-Strategie, dafür stehen auch wir. Aber wir müssen uns dafür einsetzen,
dass unsere regionalpolitischen Interessen dabei nicht unter die Räder kommen. Dafür arbeiten wir, dafür setzen wir uns im Bereich unserer Zuständigkeiten ein. Wichtig ist, dass wir uns dafür früh und intensiv einsetzen. In diesem Sinne freue ich mich über das Engagement des Parlaments.
Der Herr Ministerpräsident hat die verabredete Redezeit um 2 Minuten 10 Sekunden überschritten. Die steht damit allen Fraktionen zusätzlich zur Verfügung.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die SPDFraktion als antragstellende Fraktion des älteren Antrags hat Herr Abgeordneter Rolf Fischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die verbundene Debatte, die wir heute führen, lässt tatsächlich das Problem offen, ob wir beiden Themen angemessen gerecht werden. Ich werde mich deshalb schwerpunktartig auf das Thema Europa 2020 festlegen. Ich möchte aber sagen, dass der Strukturbericht ein bisschen unter der Vorläufigkeit leidet, die natürlich mit Europa zu tun hat. Das werden wir weiter diskutieren müssen. Deswegen wäre es klug, den Bericht in den Europaausschuss zu überweisen, damit wir dort etwas konkreter argumentieren können. Dass Ziel 2 erhalten bleibt, finde ich richtig. Ich finde die Frage der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit einen wichtigen Punkt, den wir weiterhin sicherstellen müssen. Auch die Frage der Stadtbeziehungen und der ländlichen Räume, die weiter zu fördern sind, sind zwei Aspekte, die sehr wichtig sind. Insofern freue ich mich auf die Ausschussdebatte.
Lassen Sie mich aber zu Europa 2020 ein paar grundsätzlichere Anmerkungen machen. Herr Ministerpräsident, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Europakammer vor wenigen Tagen einen Beschluss gefasst hat, und ich würde den kurz einmal zitieren wollen. Dort heißt es:
„Nicht akzeptabel ist … der enge Zeitplan, der eine Annahme … der Strategie bereits im Europäischen Rat am 25./26. März 2010 vorsieht und einer umfassenden Einbeziehung des Bundesrates sowie einer seriösen Befassung mit einer 10-Jahres-Strategie entgegensteht. Dieses Verfahren unterhöhlt die Beteiligungsrechte der nationalen Parlamente,
wenn zwischen der Direktzuleitung und der Entscheidung auf Ratsebene weniger als drei Wochen liegen.“
Ich will deutlich sagen, dass ich das Gefühl habe, dass an dieser Stelle das, was wir hier sehr häufig diskutieren, nämlich das Subsidaritätsprinzip, die Einbeziehung der verschiedenen Ebenen in europapolitische Themen, sehr weit nach hinten gedrängt wurde.
Auch - insofern widerspreche ich an dieser Stelle die Verschiebung auf Juni 2010 ist viel zu kurz, um eine über zehn Jahre wirkende Strategie zu diskutieren. Hier würden wir uns einen längeren Zeitraum wünschen, damit auch wir im Parlament diese Diskussion führen können.
20 Millionen Menschen leben in Europa in der Armutsgefährdung, 23 Millionen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Das Sozialgefälle in den europäischen Staaten ist so groß wie nie zuvor. Die Entwicklung in ohnehin ökonomisch schwachen Staaten Süd- und Osteuropas macht eines überdeutlich: Die Fortschreibung der Lissabon-Strategie ist nicht möglich. Lassen Sie es mich etwas weniger höflich formulieren als der Ministerpräsident: Ich glaube, die Lissabon-Strategie ist im Kern gescheitert. Ansatz - ambitioniertes Ziel - und Umsetzung realer Status heute - fallen so stark auseinander, dass man davon reden kann, dass es hier eher ein Misserfolg als ein halbwegs irgendwie gearteter Erfolg gewesen ist. Hier brauchen wir eindeutig einen neuen Ansatz. Hier brauchen wir auch eine neue Perspektive.
Lassen Sie mich deutlich sagen: Die Formulierung, dass Europa 2020 zum Ziel haben soll, die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zu überwinden, ist meines Erachtens nach viel zu wenig.
- Ich mache gleich eine Pause, damit ich den Beifall des SSW entgegennehmen kann. Ich finde das sehr schön. Ich hoffe, dass sich andere in diesem Hohen Haus dem noch anschließen werden.
Es wird nur eines gehen: Wir brauchen ein soziales Europa. Nur ein soziales Europa ist ein Europa der Zukunft.
Insofern ist es richtig, nach dem Scheitern der Lissabon-Strategie eine neue Strategie aufzulegen. Ich sage deutlich, es muss eine Strategie sein, die die Nachteile von Lissabon - zu unverbindlich, zu wenig auf den Punkt gebracht, zu kompliziert, zu unübersichtlich - aufhebt und die Fehler nicht wieder macht. Es ist für mich kaum verständlich - und ich will sagen: in weiten Teilen unerträglich - gewesen, dass die Lissabon-Strategie dazu geführt hat, dass die Staaten völlig unterschiedlich auf die Wirtschaftskrise reagiert haben. Die einen haben mit Lissabon begründet, die Steuern zu erhöhen, die anderen haben mit Lissabon begründet, die Steuern zu senken. Das ist etwas, was weder der europäischen Identität noch der Sache in irgendeiner Form entspricht. Das müssen wir ändern.
Lassen Sie mich deshalb deutlich sagen: Wir fordern, dass neben die Wirtschaftsunion, die es gibt und die ausgeweitet werden soll, auch eine Sozialunion gestellt wird - und zwar auf gleicher Augenhöhe und nicht daneben oder dahinter.
Wir brauchen neben der Wirtschaftsunion eine Sozialunion. Da geht es vor allen Dingen darum, dass die Arbeitslosigkeit bekämpft wird. Es geht darum, dass wir gute Löhne für gute Arbeit zahlen. Es geht darum, dass wir Mindestlöhne in Europa weiter fortschreiben und weiterentwickeln. Das ist der zentrale Punkt. Sie werden die Identität und die Akzeptanz von Europa nur erhöhen, wenn es in dieser Sozialunion gelingt, den Menschen ihre Angst vor der Zukunft zu nehmen. Sie nehmen ihnen diese Angst nur, wenn Sie ihnen glaubwürdige Perspektiven geben, was ihre soziale Sicherheit angeht.
(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])
klare Ziele zur Bekämpfung der Armut. Hier besteht auch in der neuen Strategie absoluter Nachbesserungsbedarf.
Ich will auch noch einen grundsätzlichen Ansatz ansprechen: Wenn die Regierungschefs der Länder, also auch Schleswig-Holsteins, noch im Dezember 2009 beschließen, dass die EU-Strategie-2020 „zu einem erheblichen Teil eine Politik zur Förderung von Innovation, Wettbewerb und Wachstum“ sei, so greift dies meiner Meinung nach zu kurz. Es geht eben nicht nur um Wachstum und Wettbewerb, es geht auch um die Qualität von Arbeit, um gerechte Löhne und um soziale Chancen. Das verstehen wir unter sozialem Europa.
(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall des Abgeordneten Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])
Das, meine Damen und Herren, muss der Kern einer jeden neuen Strategie sein, die sich mit der Zukunft Europas befasst. Ohne diesen Kern werden wir der globalen Konkurrenz nicht standhalten. Ohne diesen Kern werden wir die Akzeptanz von Europa - auch in Schleswig-Holstein - nicht erhöhen.
Deswegen wollen und müssen wir über die Strategie 2020 noch einmal reden. Wir brauchen dort mehr Zeit. Wir wollen, dass es ein soziales Europa gibt, denn nur das soziale Europa ist ein Europa mit Zukunft.
Wir haben unsere Hausarbeiten gemacht, wir haben Ziele formuliert, wir haben unsere politischen Absichten dargestellt, und wir werden weiter dafür werben. Ich hoffe, dass es gelingt, den einen oder anderen auf diesem Wege mitzunehmen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Bedeutung dieses Themas für uns als Land dem einen oder anderen Kollegen noch nicht ganz deutlich geworden ist. Deswegen will ich in aller Deutlichkeit sagen: Hier geht es um richtig viel Geld für unser Land. Wir haben eine Situation, wo wir ohne EU-Strukturfonds, ohne EU-Rechtsrahmen eine regionale Strukturpolitik in unserem Land kaum noch durchführen können. Ohne EFRE, INTERREG, ESF, ELER läuft in Schleswig-Holstein wenig.
Dem Bericht der Landesregierung ist zu entnehmen, dass eine Abschätzung über die möglichen Auswirkungen vom derzeitigen Diskussionsstand in Brüssel noch nicht stattfinden kann. Wir können also noch nicht über konkrete Zahlen reden. Dennoch ist klar, dass die Strukturdiskussion, wie wir strukturell in Europa weitergehen, erhebliche Auswirkungen auf unser Land haben wird. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass die Generaldirektion Haushalt dem Ziel „regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ - darüber bekommen wir einen Großteil unseres Geldes - einen europäischen Mehrwert derart noch abspricht. Das heißt, hier haben wir eine echte Bedrohung für die Handlungsfähigkeit unseres Landes. Dies ist aus schleswig-holsteinischer Sicht nicht hinnehmbar.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist für uns natürlich - das wurde hier schon angesprochen - die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Die Einflussnahme der EU-Kommission auf Politikbereiche, die nicht ihrer direkten Kompetenz unterliegen, darf ebenfalls von uns als Landtag nicht hingenommen werden.
Aufgrund der kurzen Zeitvorgabe wegen der verbundenen Diskussion möchte ich mich auf einige Punkte beschränken, die wir als Landtag von einer zukünftigen Kohäsionspolitik erwarten sollten. Wir sollten deutlich machen, dass sich mit Hinblick auf den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt ganz neue Herausforderungen abzeichnen und hier die regionale Ebene auch unter Einwirkung der kommunalen Akteure in ganz besonderer Weise gefordert ist. Europa muss ein Europa der Regionen sein.
Wir sollten deutlich machen, dass es gerade wegen dieser neuen Herausforderung keinen Bedarf an grundsätzlich neuen strukturpolitischen Instrumenten gibt, sondern dass die Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung in allen - ich betone: in allen Regionen Europas gesteigert werden muss und deshalb über 2013 hinaus der Einsatz des europäischen Strukturfonds in allen Regionen Europas erfolgen muss.