Stattdessen müssen wir schleunigst über einen grundlegenden und gerechten Umbau des Sozialstaates nachdenken. Dazu gehört eine steuerfinanzierte soziale Grundsicherung bei der Krankenversorgung, wie wir sie in den skandinavischen Ländern kennen.
Bei allem Verständnis dafür, dem fortgesetzten Abbau sozialer Leistungen mittels des vorgelegten Antrags ein deutliches Zeichen entgegensetzen zu wollen, kann der Erhalt des derzeitigen Systems zu keinem Zeitpunkt im Vordergrund stehen. Gerade darum sollten wir einen grundlegenden Perspektivenwechsel - nicht nur auf dem Papier, sondern tatsächlich - in Angriff nehmen.
Wir sollten uns keineswegs mit der zweitbesten der schlechteren Lösungen begnügen und weiter herumdoktern, indem wir mit einer Krankenversicherung weitermachen, die einseitig die abhängig Beschäftigten belastet und unter einer massiven Einnahmenkrise leidet, und das nicht erst seit der Wirtschaftskrise.
Die solidarische Bürgerversicherung, die ohne Umwege steuerfinanziert direkt den Patientinnen und Patienten zugute kommt, ist die bessere Wahl.
Diese soziale Absicherung entspricht tatsächlich dem Gedanken der Solidarität, weil sie dem Wortsinn nach solide ist und damit auch zukunftsfest und sich darüber hinaus auf einer alle Bürgerinnen und Bürger umfassenden Gegenseitigkeit begründet.
Für die Landesregierung erteile ich dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Weil wir anfangs der Debatte mit so schönen Zitaten überrascht wurden, will ich Ihnen auch eins nennen: „…die an Löhnen und Arbeitsverhältnissen geknüpfte Finanzierung“ - der Sozialversicherungssysteme - „tendiert dazu, ihre eigenen Grundlagen in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Belastung des Faktors Arbeit mit Steuern und Sozialabgaben … ist intolerabel hoch.“ Dieser Satz ist nicht von mir, er ist heute noch nachzulesen auf der Homepage der Friedrich-Ebert-Stiftung und stammt von Wolfgang Clement. Er ist allerdings nach wie vor richtig.
In dem Jahr, als er von Wolfgang Clement gesagt wurde, da hatten SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Regierungsverantwortung im Bund. Dass die von Rot-Grün angestoßenen Agenda-Reformen in vielem missraten sind, was die Ausführung betrifft, durften wir in den vergangenen Plenarsitzungen erleben. Dass allerdings der Ausgangspunkt zu diesen Überlegungen richtig war, das zeigt dieses Zitat von Wolfgang Clement, das nach wie vor hochaktuell ist,
nämlich dass unser Sozialstaat neue Antworten auf die demografische Entwicklung benötigt und dass bei seiner Finanzierung das Thema Solidarität auch mit Blick auf die Belastung des Faktors Arbeit und mit Blick auf die nachfolgenden Generationen eine ganz entscheidende Rolle spielt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Opposition ist nicht unbedingt dazu gezwungen, sich der Finanzierung von Solidarität grundsätzlich zu entziehen. Aber genau das machen Sie mit Ihrem Antrag.
Sie schreiben Solidarität darüber, aber wie sie finanziert werden soll, das teilen Sie uns bedauerlicherweise nicht mit. Gerade in diesem Bereich - jawohl, Gesundheit ist das wichtigste Gut! - hätten es die Bürgerinnen und Bürger verdient, eine an der Sache orientierte Debatte zum Thema zu bekommen und nicht einfach Solidarität über einen Antrag zu schreiben.
Was heißt eigentlich „Solidarität erhalten“? Was heißt es angesichts der heutigen Situation, Solidarität zu erhalten? - Zusatzbeiträge und Praxisgebühren - wohlgemerkt ohne jeglichen Sozialausgleich sind das Vermächtnis der sozialdemokratischen Reformen.
Ist das Vermächtnis eines Gesundheitsfonds, der bewirkt, dass Krankenkassenbeiträge der Versicherten nicht den Versicherten und Leistungserbringern in Schleswig-Holstein zugutekommen, sondern denjenigen in Nordrhein-Westfalen, die Solidarität, die Sie meinen? Die Versicherten in SchleswigHolstein werden nach Schätzung des Bundesversicherungsamts in diesem Jahr 180 bis 200 Millionen € in den Fonds mehr einzahlen als sie zurücker
Diese für ein Versicherungssystem nur schwer begründbare Vorteilsverschiebung, die gibt es im jetzigen System der GKV, und zwar nicht nur regional, sondern auch zwischen den Generationen. Finden Sie es besonders solidarisch, meine Damen und Herren, dass alle nach 1972 Geborenen eine Lebensgesamtzahlung zu diesem System, das Sie solidarisch finden, in einer Höhe leisten müssen, die rund 40 % über dem Erwartungswert der Leistungen liegt, die sie jemals aus diesem System potenziell in Anspruch nehmen könnten? Ist das die Solidarität, die Sie meinen?
Meine Damen und Herren, das ist ein massiver Verstoß gegen die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen, der sich mit dem Schlagwort der Solidarität eben nicht mehr länger verkleistern lässt. Wer dauerhaft gegen diese Verteilungsgerechtigkeit verstößt, setzt die Akzeptanz sozialer Sicherungssysteme insgesamt aufs Spiel.
Einkommen als Korrektur marktwirtschaftlicher Ergebnisse umzuverteilen - natürlich ist das ein prägendes Element der sozialen Marktwirtschaft. Aber das geeignete Instrumentarium dazu ist ein Steuersystem, das an der Leistungsfähigkeit der Steuerbürger anknüpft. Damit wird dann der finanzielle Spielraum geschaffen, soziale Komponenten in umlagefinanzierten sozialen Sicherungssystemen zu schaffen.
Was wir brauchen, um das System erhalten zu können, ist der grundlegende Umbau der gesetzlichen Krankenversicherung, der Antworten auf den Rückgang der Zahl der Erwerbsfähigen und damit
den Rückgang der Zahl der potenziellen Beitragszahler und gleichzeitig auf die Fragen gibt, wie die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen aufgrund der demografischen Entwicklung aufgefangen werden sollen und wie die Kostensteigerungen aufgefangen werden sollen, die durch medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritt entstehen. Ich meine, es gibt wenig Anlass, vor einem Umbau zurückzuschrecken; denn das Gesundheitssystem, so wie es jetzt ist, ist unsolidarisch finanziert.
Es gehört schon eine ganze Menge Ignoranz der tatsächlichen Fakten dazu, wenn man in den Mittelpunkt eines Antrags lediglich das Wort „erhalten“ stellt.
Ein Antrag zum Thema gesetzliche Krankenversicherung, der ohne das Wort „Lohnzusatzkosten“, ohne das Wort „Demografie“, ohne das Wort „Kostenentwicklung“ auskommt, bedeutet schlicht Verweigerungshaltung vor der Realität, meine Damen und Herren.
Sehr geehrter Herr Kollege Meyer, ich fand das, was Sie zur Steuerfinanzierung gesagt haben, bemerkenswert. Sie wissen, dass es unterschiedliche Meinungen hierzu gibt und dass manche davor warnen, das Gesundheitssystem sozusagen nach Kassenlage auszugestalten. Aber nichts anderes wird jetzt in Berlin diskutiert: ein Umbau hin zu mehr Steuerfinanzierung, nämlich ein steuerfinanzierter Sozialausgleich einer Prämienfinanzierung. Das ist das, was Sie gerade gefordert haben: eine stärkere Steuerfinanzierung der Gesundheitskosten, eine Steuerfinanzierung, bei der starke Schultern mehr tragen als schwache Schultern.
Meine Damen und Herren, der Minister hat seine Redezeit um 1:46 Minuten überzogen. Diese Zeit steht jetzt allen Fraktionen ebenfalls zur Verfügung. - Ich sehe nicht, dass davon Gebrauch gemacht wird. Daher erteile ich dem Herrn Abgeordneten Bernd Heinemann von der SPD zu einem Dreiminutenbeitrag das Wort.
sagen, ich bin ein wenig enttäuscht darüber, dass es nicht möglich ist, einem Mitglied der Regierung während seines Vortrags eine Frage zu stellen,
um ihn darin zu befragen, wie er denn darauf komme, dass die Praxisgebühr eine Idee der SPD, der Grünen oder sonst wem sei. Das ist ein Vorschlag der CDU gewesen, die für jeden Arztbesuch eine Praxisgebühr erheben wollte. Wir haben darum gekämpft, dass es wenigstens nur eine einmalige Gebühr ist.
Wir sind nach wie vor gegen die Praxisgebühr. Ich finde, das, was gesagt wurde, ist eine Unterstellung. Ihr Beitrag strotzt von Unterstellungen. - Ich will mich kurz fassen. Wir wollen schnell zur Abstimmung kommen. Aber Sie müssen Ihren Beitrag, wenn Sie ihn sich haben schreiben lassen, wirklich überprüfen.