Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die heutige Sitzung und begrüße Sie alle herzlich. Vorab möchte ich mitteilen, dass Herr Abgeordneter Dr. Robert Habeck von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk von der Fraktion des SSW ab 11 Uhr für die heutige Sitzung beurlaubt sind.
Bevor wir in die Beratungen einsteigen, möchte ich mit Ihnen gemeinsam Schülerinnen und Schüler der Domschule aus Schleswig auf der Tribüne begrüßen. - Seid herzlich willkommen hier in Kiel im Landeshaus! Es freut uns, dass ihr Interesse an unserer Arbeit habt.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Bernd Heinemann von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Knaller mancher Rede heute Morgen wird sicherlich sein, dass niemand gegen die solidarische Krankenversicherung ist und daher unser Antrag natürlich völlig überflüssig ist. Aber hören Sie jetzt einmal genau zu!
„Ein Gesundheitssystem, in dem die Lasten solidarisch verteilt sind, gehört zu meinem Markenkern. Das steht nicht zur Disposition.“ Das sagte Horst Seehofer der „Welt am Sonntag“ schon im November des vergangenen Jahres. Und der neue Kanzleramtsminister, Ronald Pofalla, ist fest davon überzeugt, dass der Gesundheitsfonds bleibt, weil es der richtige Weg ist. So jedenfalls berichtete er kürzlich in der „Münchner Abendzeitung“.
Der Schutz der Menschenwürde ist im Gesundheitswesen das Entscheidende. Und weiter: Der Schutz der menschlichen Würde ist nicht möglich ohne andere Menschen. Der Mensch ist ein Sozialwesen. Das gelte selbst für den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Aber ich will Heiner Geißler hier lieber nicht weiter zitieren, sonst wird mein Beitrag womöglich noch als allzu linkslastig eingestuft.
Deutlicher sagte es auch noch Norbert Blüm in seinem Kommentar zu den Koalitionsvereinbarungen zum Gesundheitswesen von Schwarz-Gelb. „Die Sozialpartnerschaft wird langsam aber stetig plattgemacht.“ So sorgte er sich vernehmlich und klar im „Tagesspiegel“. Und „Im Focus“ von vorgestern bringt es die CSU nun endgültig auf den Punkt. CSU-Gesundheitsminister Markus Söder, dessen schwarz-gelbe Bayern-Regierung einer Prämie im Bundesrat zustimmen müsste, meinte in der „Berliner Zeitung“, die Prämie sei kein deutschlandtaugliches Modell.
Die Regierungskommission werde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Kopfpauschale weder finanzierbar noch umsetzbar ist. Eine Pauschale sei nur eine fixe Idee und habe keine Chance auf eine Realisierung. Um dies festzustellen, seien keine monatelangen Beratungen in der Regierungskommission nötig.
Und wir begrüßen, dass der DGB in dieser Woche kurzerhand selbst eine mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bestückte Gesundheitskommission gebildet hat. Das ist richtig. Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Dialog. Es geht um unser aller Gesundheit.
Gesundheit ist wichtig und sie ist ein kostspieliges Gut. Unser Antrag für den Erhalt der solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung soll dazu beitragen, dass das Prinzip des Sozialstaates ausgerichtet auf Verantwortlichkeit und Solidarität - die Lasten einer biografisch veränderten Gesellschaft auch und gerade in Zukunft tragen kann. Dafür gibt es allerdings einige wichtige Voraussetzungen.
Zukünftig sollen sich Arbeitgeber wieder paritätisch an der solidarischen Kranken- und Pflegeversicherung beteiligen.
Das ist allein schon deshalb gesellschaftspolitisch unverzichtbar, weil die Arbeitgeberseite ein dringliches Interesse daran hat, die Ausgabenseite der gesetzlichen Krankenversicherung mit in den Blick zu nehmen und an der Seite der Arbeitnehmer überzogene Forderungen einzelner Gruppen von Leistungserbringern im Gesundheitswesen abzuwehren. Es kann für unseren Sozialstaat und unsere soziale Marktwirtschaft nur einen solidarischen Weg zum solidarischen Frieden geben. Für mehr als 70 Millionen gesetzlich Versicherte muss es möglich sein, würdig und mit erhobenem Haupt - mit breiter Unterstützung der Allgemeinheit - gesundheitliche Risiken und Krisen zu überwinden.
Es muss verhindert werden, dass eine sogenannte Kopfprämie für eine fünfköpfige Arbeiterfamilie mit Kindern in Ausbildung womöglich 1.000 € monatlich betragen kann. Damit würde diese Familie zu Bittstellern, um diesen Betrag überhaupt bezahlen zu können.
Wir müssen auch der Gefahr begegnen, dass das System der Leistungen auf der Höhe des medizinischen Fortschritts zukünftig nur noch über Zusatzversicherungen sichergestellt werden kann. Denn dann wird aus der schon vorhandenen ZweiKlassen-Medizin schnell eine Drei-Klassen-Medizin. Entsolidarisierung bedeutet soziale Spaltung und die gefährdet den sozialen Frieden. Unsere hochproduktive Gesellschaft kann sich hier keine Nachlässigkeit erlauben. Sie würde uns alle treffen.
Was wir sicherlich alle nicht wollen - das unterstelle ich jetzt einfach mal -, ist jede Art von Herabwürdigung auch und gerade der Schwächeren. Überall in der Welt werden wir um unser Gesundheitssystem beneidet. Präsident Barack Obama und nicht nur die Demokraten in den USA ringen um einen Einstieg in die solidarische Krankenversicherung, nachdem das private System für die breite Masse keine Lösung ermöglicht hat. Das, was wir hier diskutieren, versteht da drüben kein Mensch.
Konkret bedeutet die Einheitspauschale: Die alleinerziehende Pförtnerin an der Toreinfahrt zahlt das Gleiche wie der Vorstandsvorsitzende im 13. Stock. Der Unterschied ist beim Nachrechnen der Steuerentlastung für die obere Etage und an dem Bittsteller-Entlastungsantrag zu erkennen, den Millionen anderer Versicherter bei der zu schaffenden Sozialausgleichsbehörde stellen müssen. Das „Handelsblatt“ rechnet nach einer Studie mit 20 bis 30 Millionen Anträgen auf Gewährung eines sozialen Ausgleichs mit Kosten von circa 22 Milliarden €. Der Bundesfinanzminister rechnet sogar mit bis zu 35 Milliarden €. Das sind circa 27 Milliarden € mehr, als heute an Steuerzuschüssen gezahlt werden.
Dem Ansturm der kollektiven Bittsteller folgen dann entweder Steuererhöhungen für die Masse, also Mehrwertsteuererhöhungen oder Lohnsteueranhebungen. Das will keiner. Innenminister Schäuble hat für diesen Fall einen Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer von 73 % im besten Fall errechnet, der bei einem Einkommen von rund 121.000 € jährlich greifen würde. Heute liegt der Spitzensteuersatz bei 42 %. Eine solche Lösung kann noch nicht einmal im Interesse der FDP sein, Herr Kubicki.
Schon beim Gedanken an ein bürokratisches Riesenmonster mit diesen Kostendimensionen und den bei den Kassen einzurichtenden Konten überkommt mich ein Orwellscher Schauer. Ich denke, keiner von uns möchte, dass die soziale Gerechtigkeit von einem Wahrheitsministerium überwacht wird.
Da ist mir die Berechnung der Sozialversicherungsleistungen an der Quelle nahe der bewährten und guten Finanzverwaltung deutlich sympathischer, schließt sie doch die Verantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als Interessengemeinschaft für gesunde und leistungsfähige Mitarbeiter fest zusammen. Ich denke, wir wollen auch nicht, dass das kommunale Sozialamt noch etwas auf den Stapel draufgelegt bekommt. Das ist nicht in unserem Interesse. Zurzeit sind ganze 21 Mitarbeiter im Bundesversicherungsamt für die gerechte Verteilung von 170 Milliarden € für die gesetzlichen Krankenkassen verantwortlich und das ist auch gut so.
Wir wollen Wettbewerb, aber es soll ein Wettbewerb um die beste Versorgung und nicht um den billigsten Versicherten sein.
Ich will noch etwas zu den Vorstellungen bezüglich des zu erwartenden Wettbewerbs sagen. Wenn Kassen zukünftig mehr unterschiedliche Leistungen anbieten können, wie sie in den Satzungsleistungen beschrieben sind, dann fallen mir besonders wettbewerbliche Unterschiede durch Preissenkungen für die Abwahl von Pflichtleistungen ein. Dieser Weg wäre ein „Gesundheitsweg nach Kassenlage“ der Patientinnen und Patienten. Ist zum Beispiel der vorauseilende Verzicht auf mögliche künstliche Gelenke zukünftig die Grundlage für einen vertraglichen Rabatt? Sollen vielleicht die sozial Schwächeren genötigt werden, Rabatte für sich zu nutzen, was sie später eventuell bereuen werden, oder sollen die Satzungsleistungen umfänglich erweitert und gleichzeitig rabattiert werden? Es bleiben viele Fragen offen.
Wichtig bleibt hier einzig und allein der Grundsatz des gesellschaftlichen Sozialfriedensvertrages. Die starken Schultern tragen mehr als die schwachen. Die Jungen stützen die Alten und die Gesunden sorgen für die Kranken.
Mit unserem gemeinsamen rot-grünen Antrag können wir aber noch ein weiteres Signal setzen. Es geht auch um die Risikosolidarität und die interregionale Solidarität. Das heißt, die Krankenkassen mit vielen alten beziehungsweise den teuersten Risikopatienten werden von den Krankenkassen mit den geringeren Risiken und den hohen Einnahmen entlastet. Dafür brauchen wir einen Risikostrukturausgleich.
Wir im Norden können kein Interesse daran haben, dass die Regionalisierung der Beitragseinnahmen die starken Länder weiter stärkt und die schwachen Länder weiter schwächt. Dann droht in Bayern und Baden-Württemberg wirklich eine Ärzteschwemme und die Flächenversorgung im Osten und im Norden leidet.
Um es zum Abschluss deutlich zu sagen: Nach einer aktuellen Befragung des Handelsblattes „Finance Today“, die am vergangenen Montag veröffentlicht wurde, wird die Kopfpauschale von rund
80 % der Bevölkerung abgelehnt. Wie gesagt, wir wollen hier stabile Verhältnisse. Deshalb lohnt es sich, für die solidarische Kranken- und Pflegekasse gemeinsam eine Lanze zu brechen.
Damit wir diese wichtige Grundhaltung zu unserem Sozialstaat, den unser Antrag einfordert, sichtbar dokumentieren, beantrage ich im Namen aller Mitglieder der SPD-Fraktion eine namentliche Abstimmung. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.