Protocol of the Session on February 25, 2010

Eine Lösung kann beispielsweise in einer gezielten Ansprache von Medizinstudierenden, der Ausbildung und Förderung von Ärztinnen und Ärzten für speziell ausgewiesene dünn besiedelte Regionen bestehen, die besondere Anreize für eine verbindliche Ansiedelung in diesen Regionen bieten. Für den ländlichen Raum könnten beispielsweise auch ein Mentorensystem und kontinuierliche Praktika für Studierende und Berufsstarter hilfreich sein, die mit finanzieller Unterstützung in Studium und beim Praxisaufbau einhergehen.

Neben dem Ausbau der circa 20 Praxisnetze im Land müssen wir über die Verbreitung integrierter Versorgungsformen mit gemeinsamen Budgets für die ambulante und stationäre Versorgung nachdenken. Allerdings ist leider im Vereinigungsvertrag so manches Kind mit dem Bad ausgeschüttet worden. So müssen wir die Idee von Polikliniken und anderer Versorgungsideen nun neu bewerten und neu auf die Füße stellen. Es bedurfte erst eines Gesundheits-Modernisierungsgesetzes, um wenigstens die Schaffung medizinischer Versorgungszentren nach

(Ursula Sassen)

diesem bewährten, wenn auch - wie gesagt - sicher verbesserungswürdigen Muster zu ermöglichen.

Eine weitere Baustelle in ländlichen Regionen ist die prinzipielle Arztlastigkeit des Versorgungssystems. Ich denke bei der Entlastung der ärztlichen Versorgung zum Beispiel an die gute alte Gemeindekrankenschwester oder den Gemeindekrankenpfleger. Bessere Versorgung nicht ausgeschlossen, Stichwort: Verbandswechsel oder medizinischtechnischer Service. Diese Aufgaben können mit den zuständigen Versorgungspraxen zum Beispiel vertraglich verzahnt und vernetzt werden.

Erste Erfahrungen gab es mit dem Projekt AGNES, mit dem östliche Bundesländer erste Schritte gegangen sind. Wir in Schleswig-Holstein haben 2008/2009 durch das Projekt HELVER des Ministeriums mit der Ärztekammer mit einem Qualifizierungsmodell für medizinische Fachangestellte erste Schritte gemacht.

Vielleicht müssen wir an dieser Stelle sogar über ein völlig neues Berufsbild nachdenken, damit Arzt und Ärztin sich auf das Ärztliche konzentrieren können.

Die Gesundheitsministerkonferenz in Plön hat für die ärztliche Versorgung in der Fläche einiges angesprochen, aber der Druck auf den Bund muss deutlich verstärkt werden. Das ist sicherlich in den Worten meiner Vorrednerin schon deutlich geworden. Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz von 2006 hat immerhin schon einmal zu einer Flexibilisierung der Einzelpraxen in vielen Teilen geführt, aber in dünn besiedelten Regionen wird man nur mit medizinischen Versorgungszentren, die auch an stationäre Einrichtungen gekoppelt werden können, zu einem Erfolg kommen. Sinnstiftend kann in der weiten Fläche ergänzend auch eine stärkere Einbindung nicht ärztlicher Heilberufe in die hausärztliche Versorgung sein.

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluss kommen. Wir waren schon sehr großzügig.

Ich komme zum Schluss. - Es ist unser Verfassungsauftrag, die gesundheitliche Daseinsvorsorge in allen Regionen des Landes sicherzustellen. Das werden wir sicherlich tun. Ich hoffe, Ihr Antrag wird in diesem Sinne einen Beitrag leisten und der Gesundheitsminister wird die von mir vorgetrage

nen Aspekte in eine wirkungsvolle Überwindung des Mangels einbeziehen.

„Wenn Sie es ernst meinen …“

- Herr Minister

„dass Sie auch die ländliche Praxis in Zukunft in Schleswig-Holstein behalten wollen, was ich sehr begrüßen würde, dann nutzen Sie Ihren Platz am Tisch der Gesundheitsrunde, wo Sie Einfluss haben …“

(Beifall des Abgeordneten Heinz-Werner Je- zewski [DIE LINKE])

Diesen Worten vom Abgeordneten Garg vom 5. Mai 2006 schließe ich mich an. Ich freue mich darauf und danke fürs Zuhören.

(Beifall bei SPD und der LINKEN)

Für die Fraktion der FDP hat nun die Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit unserem heutigen Antrag weisen wir auf ein aktuelles Problem in unserem Land hin. In Schleswig-Holstein wird es in naher Zukunft einen erheblichen Mangel an Hausärzten beziehungsweise Allgemeinmedizinern geben. Schon heute klagen insbesondere im ländlichen Raum Patienten über volle Wartezimmer, aber auch in den Städten. Schon heute kann im ländlichen Raum festgestellt werden, dass keine 100 prozentige Versorgung mit allgemeinmedizinischen Praxen gewährleistet werden kann.

Angesichts der demografischen Entwicklung sind Rückgänge von ausgebildeten Ärzten im hausärztlichen Bereich mehr als absehbar. Herr Heinemann hat eben die Zahlen genannt. In vielen Fachgebieten ist eine Überalterung der Ärzteschaft und die sich daraus verschärfenden Nachwuchsprobleme mehr als erkennbar. Zusätzlich führen unattraktive finanzielle Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen dazu, dass gut ausgebildete Ärzte das Land ganz verlassen. Auch die dadurch entstehende Lücke in der ärztlichen Versorgung ist neben dem volkswirtschaftlichen ein erheblicher Schaden. Wenn also zukünftig der Landarzt nicht nur noch als TV-Star zu den Menschen ins Haus kommen soll, müssen wir jetzt handeln. Wir müssen Vorkehrungen treffen, um die ärztliche Versorgung in Zu

(Bernd Heinemann)

kunft an die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen in Schleswig-Holstein anzupassen.

(Beifall bei FDP, CDU und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wie aber müssen die Rahmenbedingungen, Leistungen und Versorgungsformen modifiziert werden, um diesem Problem des demografischen Wandels Rechnung zu tragen? Ich meine, die bestehende Fachkompetenz in der Selbstverwaltung und den entsprechenden Verbänden muss hier genutzt werden, um neue Lösungswege aufzuzeigen. Die Politik kann helfen, dies mit auf den Weg zu bringen.

Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung deshalb zu einem umfassenden Handlungspaket auf. Zum einen ist es unabdingbar, die Ausbildung von jungen Medizinern zum Facharzt für Allgemeinmedizin in unserem Land zu fördern. Es müssen Lösungswege gefunden werden, damit unter anderem die Entlohnung für werdende Allgemeinmediziner attraktiver gestaltet wird. Nach abgeschlossener Ausbildung muss das Land Anreize schaffen, damit sich junge Mediziner gerade im ländlichen Raum niederlassen und auch eine Zukunftsperspektive haben.

Aus liberaler Sicht ist es ein Unding, dass die heutige Planung zur ärztlichen Versorgung auf einer Momentaufnahme aus dem Jahr 1993 basiert. Konkret bedeutet das, wo 1993 ein Arzt war, ist heute, 2010, immer noch einer, aber auch nicht mehr. Mit der jetzigen Bedarfsplanung wird nicht überprüft, ob eine Region dem niedergelassenen Arzt noch ausreichend Patienten bietet. Es bleibt unberücksichtigt, ob sich eine Region verändert hat, zum Beispiel durch Neubaugebiete mit verstärkt jungen Familien oder durch die Entstehung von Seniorenwohnanlagen.

Eine Region verändert sich aber auch gravierend, wenn durch firmenpolitische Entscheidungen Arbeitsplätze wegfallen oder sogar neue geschaffen werden. In der vom gemeinsamen Bundesausschuss verabschiedeten Richtlinie wird die Bedarfsplanung über eine Arzt-Einwohner-Verhältniszahl geregelt. Diese bildet aber schon lange nicht mehr den Versorgungsbedarf einer älter werdenden Bevölkerung ab. Dies gilt auch für die Festlegung der Planungsbereiche. Erster Ansatzpunkt muss daher sein, dies zu ändern. Wir brauchen kleinere Planungsräume. Die FDP wird sich in Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung - denn ohne diese geht es nicht dafür starkmachen.

Meine Damen und Herren, die unsolide Planwirtschaft, die derzeit herrscht, der absolute Zentralis

mus, der früher von roten Ministerien gepflegt wurde, führt immer häufiger dazu, dass kaum noch Ärzte in den ländlichen Regionen eine Praxis übernehmen.

(Unmut bei der SPD)

Das führt im Flächenland Schleswig-Holstein dazu, dass gerade ältere Menschen immer längere Wege bewältigen müssen, bei immer schlechterer Infrastruktur im ÖPNV, um zu ihrem Arzt zu kommen.

Schleswig-Holstein mit seinem hohen gesundheitspolitischen Anspruch, muss angesichts der drohenden ärztlichen Unterversorgung im ländlichen Raum dringend ein flexibleres und in Bezug auf die unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten differenziertes Planungsinstrumentarium erhalten.

Ich bitte daher um Ihre Zustimmung zu unseren Anträgen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhält Frau Abgeordnete Dr. Marret Bohn das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einigen Bereichen - ich nenne Ihnen als Beispiel die Kreise Steinburg und Dithmarschen - sind nicht alle Kassensitze der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte besetzt. Auch in anderen Regionen wird es für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zunehmend schwierig, geeignete Nachfolgerinnen und Nachfolger zu finden. Dies gilt besonders für den ländlichen Raum.

In den nächsten fünf Jahren - die Kollegin hat das schon ausgeführt - werden 20 % der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Rente gehen. Nach den jetzigen Hochrechnungen wird es in den nächsten Jahren nicht genügend Absolventinnen und Absolventen geben, die eine Praxis in Schleswig-Holstein übernehmen möchten. Viele gehen nach dem Abschluss lieber nach Dänemark, Schweden oder nach Großbritannien. Damit droht in manchen Bereichen eine Einschränkung der medizinischen Versorgung.

Gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Bevölkerung müssen wir jedoch damit rechnen, dass die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen steigen wird. Schwierig ist diese Situation in erster Linie für die Patienten, in zweiter Linie jedoch auch für die Ärztinnen und Ärzte selbst, weil

(Anita Klahn)

der Praxisverkauf in der Regel als Teil der Altersvorsorge mit eingeplant ist.

Jetzt fragen Sie sich sicherlich: Was tut die Landesregierung in Zusammenarbeit mit den Partnern der Selbstverwaltung, sprich der Kassenärztlichen Vereinigung, für die Sicherung der medizinischen Versorgung? Im Jahr 2006 ist dieselbe Frage schon einmal gestellt worden. Der damalige Bericht der Landesregierung umfasste schlanke fünf Seiten. Er machte unter anderem deutlich, dass der Handlungsspielraum von Landtag und Landesregierung in diesem Bereich recht gering ist. Daran wird sich wahrscheinlich im Jahr 2010 nichts geändert haben. Dennoch begrüße ich den Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen im Namen meiner Fraktion. Patientinnen und Patienten fragen nicht nach Parteizugehörigkeit oder danach, wer in Kiel gerade regiert, sie fragen nach guter ärztlicher Behandlung.

Aus meiner Sicht ist die ärztliche Versorgung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht. Ein guter Ansatz zu einer besseren Steuerung ist im Antrag genannt: Die Veränderung von Bedarfsplanung und Zulassung in Richtung auf eine kleinteiligere und nachfrageorientierte Steuerung der Niederlassung. Das finden wir Grüne gut und richtig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Planungsbezirke für die Niederlassung entsprechen im Großen und Ganzen den Kreisen und kreisfreien Städten. Das hat der Kollege gerade eben ausgeführt. Bedarfsplanung und Zulassungsregelung beziehen sich immer auf den gesamten Planungsbezirk. Wo in Dithmarschen eine Praxis eröffnet wird, wird nicht bestimmt. Wenig erstaunlich also, dass sich jemand in Heide und nicht auf dem flachen Land niederlässt.

Wir sollten uns im Sozialausschuss auch darüber unterhalten, ob wir eine Möglichkeit finden, die Wertigkeit und Ausstattung der Professur für Allgemeinmedizin in Lübeck zu verbessern. Das wäre ein deutliches Signal, dass das viel zitierte Gesundheitsland Schleswig-Holstein unter der neuen Regierung den besonderen Stellenwert der Allgemeinmedizin erkannt hat und besonders fördert. Meine Fraktion würde eine solche Aktion begrüßen.

Außerdem sollten wir auch darüber reden, wie wir es ermöglichen, dass die Kassensitze, die von einem medizinischen Versorgungszentrum übernommen worden sind, später wieder in Kassensitze mit selbstständiger Tätigkeit verwandelt werden können. Dies ist aus familienpolitischer Sicht eine gute

Möglichkeit für junge Ärztinnen und Ärzte, zunächst während der Familienzeit als Angestellte zu arbeiten und später, wenn die Kinder aus dem Haus sind, doch noch den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Das ist gut für die Patientenversorgung und gut für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.

Ich freue mich darauf, das Thema Sicherung der medizinischen Versorgung in Schleswig-Holstein mit den Kolleginnen und Kollegen im Sozialausschuss weiter zu beraten.

(Beifall)

Ich erteile für die Fraktion DIE LINKE Herrn Abgeordneten Björn Thoroe das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die medizinische Versorgung durch Hausärzte angeht, droht den Menschen in Schleswig-Holstein ein absoluter Notstand. Das wurde hier schon oft erwähnt. Die Kassenärztliche Vereinigung des Landes geht davon aus, dass sich die Zahl der Hausärzte in den kommenden fünf Jahren nahezu halbiert. Demnach wird es im Jahr 2015 landesweit nur noch gut 1.000 niedergelassene Allgemeinmediziner geben. Beinahe ein Viertel dieser Ärzte sind heute bereits über 60 Jahre alt, und die Hälfte hat die 50 bereits überschritten, aber nur 5 % sind jünger als 40. Mit Fug und Recht lässt sich sagen: In SchleswigHolstein sterben die Hausärzte aus.