Protocol of the Session on February 24, 2010

Aufschwung genommen. Ja, es stimmt leider, dass sich bei uns zum Teil Arbeit nicht lohnt. Aber, bitte schön, nicht deshalb, weil die Hartz-IV-Regelsätze zu hoch sind. Nein, einfach deshalb, weil Arbeit in Deutschland viel zu schlecht bezahlt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch ein Skandal, dass Millionen Menschen in Vollzeit arbeiten und zum Aufstocken gezwungen sind, weil sie von ihrem Lohn nicht leben können.

Die Angst vor Hartz IV hat einen Billiglohnsektor entstehen lassen, in dem Arbeitgeber auf Kosten der Sozialsysteme ungeniert Profite maximieren durften. Genau an dieser Stelle muss doch die Korrektur im System ansetzen. Wir dürfen es nicht dulden, dass Menschen zu Niedriglöhnen arbeiten müssen und damit Zeit ihres Lebens in Armut leben und auf staatliche Unterstützung angewiesen sein werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur die Durchsetzung von gesetzlichen Mindestlöhnen kann dafür sorgen, dass Arbeit sich wieder lohnt. Auch werden wir mit der Senkung von sozialen Standards und einem wachsenden Niedriglohnsektor niemals eine Binnennachfrage erzeugen können, die für das notwendige Wirtschaftswachstum gebraucht würde, auf das doch auch unsere Regierungskoalition hier im Land so sehr hofft.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat die SSW-Fraktionsvorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine altbewährte Weisheit der Staatsmänner, dass das beste Mittel, um von innenpolitischen Problemen abzulenken, ein Krieg nach außen ist. Seit gut zwei Wochen ist diese Strategie nun um eine ganz neue Variante erweitert worden. Der Außenminister lenkt von seinen parteipolitischen Problemen ab, indem er einen politischen Krieg im Inland beginnt.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SPD und der LINKEN)

In Schleswig-Holstein haben sich Provinzfürsten diesen Konflikt gleich zu eigen gemacht, um ihre

(Ellen Streitbörger)

Fehden zu vollenden - in einem Konflikt, der ohnehin kaum noch Mittel scheut.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wie in jeder maßlosen Auseinandersetzung werden „Kollateralschäden“ in Kauf genommen. Das ist die Gefechtslage.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In dem mittlerweile häufig zitierten Interview im „Deutschlandfunk“ von Guido Westerwelle bezeichnet er es sinngemäß als zynisch, „wenn diejenigen, die in Deutschland arbeiten, die aufstehen, die fleißig sind, sich mittlerweile dafür entschuldigen müssen, dass sie von ihrer Arbeit auch etwas behalten möchten“. Er sagt, dass diese immer mehr „zu den Deppen der Nation“ würden. Damit schürt der FDP-Vorsitzende den Sozialneid von Normalverdienern auf das Geld, das Hartz-IV-Empfänger vermeintlich für das Nichtstun bekommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte wenig von krassen Vergleichen. Aber den bescheidenen Vergleich mit seinem Parteikollegen Jürgen Möllemann muss Guido Westerwelle schon aushalten können. Auch der hat sich ehemals des altbewährten demagogischen Tricks bedient, sich als vermeintlicher Tabubrecher darzustellen, der doch nur die Wahrheit sagt. Aber die Wahrheit ist, dass die FDP bei Weitem nicht die einzige aufrechte Verfechterin der Leistungsgerechtigkeit ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wer denn sonst?)

Alle Parteien sind sich einig, dass das Lohnabstandsgebot richtig ist, dass es gerechter ist, wenn Arbeit sich lohnt. Da es aber nun einmal eines Minimuns an Geld bedarf, um in Deutschland körperlich und auch sozial existieren zu können, kann das Niveau nie nur davon abhängen, wie niedrig die Löhne im freien Spiel der Kräfte auf dem Arbeitsmarkt sinken können.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Denn die logische Konsequenz aus dem Verfassungsgerichtsurteil ist nicht eine entgleiste Debatte über römische Dekadenz oder Hartz-IV-Empfänger. Die richtige Konsequenz ist, dass Niedrigeinkommen von Steuern und Abgaben im Sinne der OECD-Studie entlastet werden. Konsequent wäre auch ein Mindestlohn.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Unser Sozialstaat hat sich mit den verschiedenen Hartz-Reformen erheblich verändert. Das Risiko des sozialen Abstiegs berührt schon längst auch leistungsbereite und leistungsorientierte Menschen in der Mittelklasse, als deren Fürsprecher sich die FDP ja ausgibt. Umso verletzender ist, dass der Außenminister auf die unter Demagogen beliebte Faulenzerdebatte setzt, um wieder innenpolitisches Profil zu gewinnen. Dabei wird verschwiegen, dass SPD und Grüne in ihrer Hartz-Gesetzgebung längst das entsprechende Instrumentarium entwickelt haben, um Menschen zur Arbeitsaufnahme zu zwingen.

Was wir brauchen, ist endlich eine echte Kultur des Förderns, die den Menschen Lebensperspektiven aufzeigt. Für die meisten Menschen bedeutet Arbeitslosigkeit eben nicht Wohlstand, sondern Verzicht, Ohnmacht, Rückzug, Ausgrenzung und Depression.

Vor diesem Hintergrund ist Westerwelles Gerede von der Gewöhnung an die Arbeitslosigkeit einfach zynisch. Man kann es als nichts anderes bezeichnen.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die Wahrheit ist doch, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Chancengerechtigkeit, die Westerwelle den Leistungsbereiten in Aussicht stellt, ein Trugbild ist. Dieses Land befindet sich seit den frühen 90er-Jahren in der Situation, dass es nicht allen Leistungsbereiten einen entsprechenden Platz zur Verfügung stellen kann. Die Probleme können auch nicht durch mehr Marktwirtschaft und Niedrigstlöhne gelöst werden. Es wird so oder so in den kommenden Jahren weiterhin Millionen von Arbeitslosen geben, die auf solidarische Hilfe angewiesen sind.

Das, denke ich, ist die Wahrheit, zu der wir uns verhalten müssen. Die Frage ist, was uns das Leben der Menschen wert ist, für die keine Arbeit da ist. Guido Westerwelle hat uns seine Antwort gegeben: So wenig wie überhaupt nur möglich!

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Damit verhindert die FDP nicht Sozialismus und spätrömische Zustände,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das ist peinlich!)

sondern verabschiedet sich vom Sozialstaat Deutschland. Westerwelles Vorstoß ist der Versuch, einen neuen Verteilungskampf zu entfachen.

(Anke Spoorendonk)

Parteipolitisch mag er gelingen, aber gesellschaftspolitisch wird dieser Versuch scheitern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Die Debattenbeiträge des Außenministers haben das Niveau eines Regierungsfliegers. Sie sind extrem laut, schädigen das Klima und schweben kilometerweit über der Lebenswirklichkeit in Deutschland.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Insofern stellen sie wirklich einen Tiefpunkt der politischen Debatte dar.

Noch ein Letztes: Wir haben uns in Schleswig-Holstein ja im Vorfeld dieser Aktuellen Stunde auch schon einiges anhören müssen. Es ist mehr als genug, dass der FDP-Bundesvorsitzende die hochsensible Frage der Verteilung des Wohlstandes in Deutschland für profane Zwecke instrumentalisiert. Aber ich muss auch noch einmal in Richtung des Kollegen Kubicki sagen, denn er setzt ja noch einen drauf: Er hat in der letzten Legislaturperiode selbst zu denen gehört, die unter der Großen Koalition die Schwächung des Parlamentes beklagt haben. Jetzt hat er - dabei bleibe ich - selbst dazu beigetragen, dieses verheerende Bild fortzuführen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wie bitte?)

Wer den Landtag als Bühne für politische Hahnenkämpfe benutzt, darf sich nicht wundern, wenn die Zuschauer das Parlament als eine Versammlung von Gockeln auffassen.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Nichts ist verheerender als der Eindruck, dass die Politik die ökonomischen Nöte der Menschen nicht wirklich ernst nimmt und nur für eigene Zwecke instrumentalisiert. Genau das war der Hintergrund dieser Aktuellen Stunde, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Darum appelliere ich noch einmal an alle hier im Hause, mit diesem unwürdigen Treiben aufzuhören, bevor es verbrannte Erde hinterlässt.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ich erteile jetzt für die Landesregierung dem Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politische Gockel, politischer Krieg, Kollateralschäden, verbrannte Erde -

(Unruhe)

Ich sage das gern noch einmal: Politische Gockel, politischer Krieg, Kollateralschäden, verbrannte Erde - es ist interessant, wie wir über uns selber sprechen und dann im selben Atemzug fordern, zurück zur Sachlichkeit zu kommen, um eine ernsthafte Debatte zu führen. Wirklich interessant!