Protocol of the Session on November 12, 2008

Un- oder deregulierte Märkte neigen zur Instabilität, weil es keine sichernden, keine mäßigenden Elemente gibt. Ohne marktfremde Elemente entste

hen Kettenreaktionen und Teufelskreise oder - so nannte sie Herr Wiegard - Dominoeffekte.

Wir haben gesehen, dass das Geldvermögen deutlich stärker als das Sachvermögen gewachsen ist. In Deutschland war 1960 noch die Hälfte Sachvermögens. 2006 war das Geldvermögen doppelt so groß wie das Sachvermögen; in den USA war es viermal so groß. Die täglichen Umsätze der Devisenmärkte betrugen im April 2007 3,4 Billionen US-$. Die Güterexporte machten 2006 weltweit 14,7 Billionen US-$ aus. Drei Tage lang geöffnete Devisenmärkte hätten gereicht, um den gesamten internationalen Leistungsaustausch zu finanzieren.

Dieses Mengenproblem führte zu einem Preisproblem, weil schon geringe Bewertungsänderungen zu drastischen Schwankungen von Preisen, Kursen und Zinssätzen führten, zumal es um Einschätzungen über künftige Entwicklungen geht, die auf unvollkommenen Informationen beruhen und so unsicher sind wie langfristige Wetterprognosen.

Um sich gegen solche Schwankungen abzusichern, wuchsen die sogenannten Derivate rasant. Mit diesen Wetten auf Preisentwicklungen wurden die Finanzmärkte immer stärker von der realen Wirtschaft abgetrennt. Sie erleichtern die Verteilung von Risiken, sie verlocken aber auch zur Spekulation. Finanzmärkte haben also ein Systemrisiko, und ich bin skeptisch, einfach auf den Zinskurs von Alan Greenspan hinzuweisen. Zunächst einmal hat seine konjunkturstimulierende Politik die Arbeitslosigkeit gesenkt und den konjunkturellen Aufschwung verlängert.

Auch in der realen Wirtschaft gibt es ein Systemrisiko. War es eigentlich nicht jedem Menschen Franz Müntefering würde sagen, dazu reicht Volksschule Sauerland - klar, dass 25 % Rendite bei einem etablierten Unternehmen nicht dauerhaft sein können?

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Auf wessen Kosten ging die Maßlosigkeit? - Diese Kosten gingen zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zulasten der Staatseinnahmen und damit der öffentlichen Infrastruktur, der Sicherheit und der Umwelt. Der Wettbewerb ging nicht über bessere Produkte, nicht über Qualität, sondern über weniger Kosten. Dass diese Strategie nicht nachhaltig ist und allenfalls kurzfristig Gewinn bringt, war den Verantwortlichen egal. Die Mischung aus Marktgläubigkeit und Gier war fatal.

(Dr. Ralf Stegner)

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Dr. Heiner Garg [FDP]: Der Chefökonom spricht da vorne!)

Die Immobilienblase in den USA, der K. o. der Lehman Brothers, die Dämlichkeit bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau, die Hypo Real Estate und auch die einschlägigen Zitate der Herren Ackermann, Sinn und Wulff - Sie kennen die Stichworte und die Schlagzeilen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Die Finanzmärkte sind zusammengebrochen, und dies hat massive negative Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der Bürgerinnen und Bürger. In der realen Wirtschaft deutet sich ein Konjunkturabschwung an. Der internationale Handel stockt und nun macht sich das Fehlen der Kaufkraft für den privaten Konsum bemerkbar. Arbeitnehmerentgelte sind seit 2003 um gerade einmal 2,9 % gestiegen; real und netto sind sie sogar gesunken. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen schrumpft. Denn die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind im gleichen Zeitraum um 40 % gestiegen.

Selbst scheinbar vollkommene Märkte sind nicht effizient. Der Marktradikalismus hat die Instabilität der Finanzmärkte und der realen Wirtschaft verschärft. Die Folgen, die allein Rohstoffspekulationen für ärmere Länder des Südens hatten und haben, können wir nur erahnen. Die Ärmsten in Afrika werden übrigens am meisten unter dem zu leiden haben, was hier gerade stattfindet.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Lieber Herr Oppositionsführer, ein bisschen mehr Sachkunde an der einen oder anderen Stelle wäre wirklich hilfreich, wenn man sich zur Sache äußert.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das wünsche ich mir bei Ihnen auch!)

Wann, wenn nicht jetzt, lernen wir - jetzt bin ich ziemlich genau bei dem, was Sie immer sagen -, Institutionen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu schätzen, zum Beispiel die öffentlich-rechtlichen Sparkassen,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

die über aktuelle Kreditvergabe Schlimmeres verhindern und für Sparerinnen und Sparer ein sicherer Anlageort sind?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wie Landesban- ken!)

Wie war es noch, als in Werbespots das Sparbuch als eine nur geringfügig bessere Form des Sparstrumpfs verlacht wurde?

Es gibt Gesetzentwürfe aus Nordrhein-Westfalen und auch einen Wettbewerbsfundamentalismus in Brüssel, die fatale Folgen hätten, wenn sich durchsetzte, dass wir unser stabilisierendes Dreisäulenmodell im Bankensektor aufgeben müssten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wer Wettbewerbsnachteile durch deutsche Sparkassen fürchtet, der soll doch in Italien oder England Sparkassen gründen.

Wann, wenn nicht jetzt, lernen wir zu schätzen, dass wir einen handlungsfähigen Staat brauchen, der als Einziger in der Lage ist, Panik in der Bevölkerung zu verhindern und das Vertrauen im Wirtschafts- und Finanzbereich langsam wieder herzustellen? - Dabei teile ich ausdrücklich die lobenden Bemerkungen des Kollegen Wadephul zu dem, was die Bundesregierung und auch die Europäische Union in diesem Kontext in sehr kurzer Zeit geleistet hat.

Wann, wenn nicht jetzt, sehen wir ein, dass wir Grenzen einziehen müssen? - Auf der einen Seite brauchen wir den Mindestlohn, von dem man leben kann, und auf der anderen Seite eine Grenze bei den Managergehältern beziehungsweise Boni.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Unser Wirtschaftssystem neigt zum Marktversagen auf Kosten der Schwächeren, der Umwelt und der anderen. Hier müssen die Staaten wirksame und bessere Anreize installieren, um verantwortungsvolles und nachhaltiges Handeln nicht in das Belieben des Einzelnen zu stellen. Es gilt, die profitmaximierende Logik in gesellschaftlich und volkswirtschaftlich verträgliche oder sogar nützliche Bahnen zu lenken.

Wann, wenn nicht jetzt, lernen wir, die Binnennachfrage unserer Bürgerinnen und Bürger zu schätzen? - Henry Ford hatte völlig recht: Es sind nicht Autos, die Autos kaufen. Ohne die Stärkung der Kaufkraft der kleinen und normalen Leute werden wir dauerhaft von Krise zu Krise wanken,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

weil nämlich die Grundlage Export dünn, schwankend und durch Spekulationen künstlich aufgemotzt worden ist.

(Dr. Ralf Stegner)

Hätten wir den Ratschlägen derer nachgegeben, die Solidaritätsprinzip, Bürgerversicherung und Generationenvertrag verlacht und Kapitaldeckung bei Pflege und Rente gefordert haben, wären bei uns nicht nur wie in Florida und Kalifornien Millionen älterer Menschen in Existenznöten, nein, wir hätten keine Finanzmarkt- und Kapitalmarkt-, sondern eine Demokratie- und Staatskrise.

Wir Sozialdemokraten - das sage ich für meine Fraktion ausdrücklich - haben das verhindert, und wir werden das auch weiter tun. Denn das ist immer noch das beste Prinzip.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Insofern rate ich gerade jenen, deren Vorschläge dokumentiert sind, mit ihren Attacken - jetzt bin ich wieder bei Ihnen, Herr Oppositionsführer - bescheidener zu sein. Die Bürgerinnen und Bürger wissen nämlich sehr wohl, was Herr Westerwelle und Herr Professor Sinn so alles vorgeschlagen und gefordert haben. Ich komme darauf noch zu sprechen, weil Sie hier vorhin Ihr Wahlprogramm zitiert haben.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Deshalb ist die FDP so stark und Sie so schwach!)

Als Herr Steinbrück im Deutschen Bundestag vor ein paar Wochen eine Kontrolle der Finanzmärkte gefordert hat, hat Herr Westerwelle gesagt, das sei wie eine DDR ohne Zäune. Das ist ein Zitat aus dem Bundestag, meine Damen und Herren. Dafür müssten Sie sich eigentlich schämen, Herr Oppositionsführer. Sie sagen allerdings, dass Sie mit Ihrem Wahlprogramm recht hatten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Barack Obama hat auch gegen die Ideologie der sogenannten Neocons gewonnen, die den Staat am liebsten ertränkt hätten, die aber zumindest alles daransetzten, ihn finanziell auszutrocknen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Warten Sie erst einmal ab, was die Amerikaner machen!)

Die Zeit der Staats- und letztlich auch der Politikverachtung ist hoffentlich vorbei. Auch hier bin ich bei dem, was Kollege Wadephul vorhin gesagt hat.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich hoffe auch, dass die, die uns in die Krise geführt haben, nicht nach einer kurzen Schonfrist dann, wenn die Rettungsmaßnahmen des ach so verachteten Staates gegriffen haben - wieder frech

werden und uns arrogant ihre alten Wundermittel anpreisen: weniger Arbeitnehmerrechte, aber dafür freie Fahrt für das internationale Finanzkapital. Das wollen wir nicht. Wie bei der Entspannungspolitik Willy Brandts gegen das internationale Wettrüsten gilt es nun, eine zweite Phase der globalen Entspannungspolitik einzuleiten, die die Finanzmärkte zügelt, kontrolliert, reguliert und Transparenz erzeugt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Mit Günter Neugebauer als Aufsichtsratsvor- sitzendem!)

Womit Gerhard Schröder beim G 7-Treffen in Gleneagles noch am Widerstand der Konservativen und Marktradikalen gescheitert ist, was Peer Steinbrück zu Recht vorantreibt und glücklicherweise auch die Frau Bundeskanzlerin unterstützt. Das finde ich allemal besser, als immer noch davon zu reden, eigentlich seien nicht die Märkte falsch, und zu glauben, man könne immer noch in den alten Schablonen denken, statt etwas dazuzulernen.

Der Bundestagsabgeordnete Runde hat die Finanzinfrastruktur ein öffentliches Gut genannt. Nur der Staat kann sie in internationaler Koordination mit anderen Staaten sicherstellen.

Gerade wenn ich die Zeitungen von heute und gestern lese und die eine oder andere Einlassung höre, glaube ich, dass vom Regierungswechsel in den USA viel eher die Impulse zur Lösung der Krise kommen werden als von den Schrauben, an denen wir in München, Berlin oder Kiel drehen können.

Damit bin ich bei den Empörungs- und Erregungswellen in Kiel. Natürlich ist die Entwicklung bei unserer HSH Nordbank besorgniserregend. Das kann überhaupt niemand bestreiten. Eines ist völlig klar: Wir stehen zu unserer Verantwortung bei der HSH Nordbank, die die wirtschaftliche Tätigkeit unserer regionalen Unternehmen stützt und begleitet. Was Herr Wiegard dazu ausgeführt hat, teile ich ausdrücklich.

Wir haben dafür in der letzten Legislaturperiode entscheidende Weichen gestellt und diese auch solide unterfüttert. Wir erwarten dabei allerdings ein sorgsames Umgehen mit den Mitarbeitern und den finanziellen Ressourcen und ein anderes Verhalten als bei privaten Banken. Wir erwarten auch eine umfassende und zeitnahe Information aller Verantwortlichen. Wir haben allerdings eine andere Vorgehensweise, als der eine oder andere meiner Vorredner das hier angeführt hat. Wir sind mit Bewertungen heute vorsichtiger. Erst kommt die soli