Protocol of the Session on October 9, 2008

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will abschließend sagen, dass wir in der CDU die Kinder und deren Bedürfnisse immer im Vordergrund gesehen haben und nicht, wie Sie uns vorwerfen, allein die fiskalischen Mittel. Wir wollen vielmehr beides unter einen Hut bekommen: einen vernünftigen Landeshaushalt und die vernünftige Betreuung von Kindern in unseren Kindertagesstätten.

(Lebhafter Beifall bei CDU und FDP)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. Anträge sind nicht gestellt worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Betreuungsassistentinnen und Betreuungsassistenten für Demenz gemäß § 87 b SGB XI

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2265

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Somit eröffne ich die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Angelika Birk das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz erhalten pflegebedürftige Menschen, die an Demenz leiden, einen zusätzlichen Anspruch auf Betreuung. Dem will die Bundesagentur für Arbeit Rechung tragen, indem sie bundesweit bis zu 10.000 Langzeitarbeitslose ermittelt, die für eine solche Tätigkeit geeignet sind. Sie will für diesen Personenkreis eine Qualifizierungsmaßnahme von 160 Stunden organisieren. Später sollen diese Leute bei Vollzeitarbeit bis zu 1675 € brutto verdienen.

Hierbei geht es auch um eine Qualitätsdiskussion. Deshalb melden wir an dieser Stelle unsere Zweifel an, ob dies eine sachgerechte Bezahlung ist; denn die Aufgabe ist anspruchsvoll.

Überschlägig geht man davon aus, dass bundesweit derzeit rund 35.000 ehemalige Fachkräfte aus Pflegeberufen arbeitslos sind. Ich wollte diese Zahl nicht glauben, weil sie so hoch klingt. Die Quellen, die ich dazu gefunden habe, geben diese Zahl an.

Aber wie es auch immer sei, offensichtlich scheint die Zahl sehr groß zu sein. Auch aus diesem Pool möchte die Bundesagentur schöpfen, allerdings ohne diesen Menschen vor Aufnahme der neuen Tätigkeit eine Qualifizierungsmaßnahme zu ermöglichen. Das finden wir falsch. Das wird Sie wundern. Aber die Altenpflegeausbildung in der bisherigen Form, die diese Menschen in den früheren Jahren erhalten haben, und erst recht die Ausbildung in anderen Pflegeberufen berücksichtigt die spezifischen Anforderungen bei Demenz nach wie vor gar nicht oder nicht ausreichend.

Die ersten Kräfte sollen nun schon zum 1. Januar 2009 anfangen. Zeitgleich sollen auch die Qualifizierungsmaßnahmen beginnen. Die Suche nach geeigneten Kräften in den Arbeitsagenturen und die Vorbereitung der Ausschreibung dieser Qualifizierungsmaßnahmen beginnen schon. Wer also jetzt noch Einfluss nehmen will, der muss handeln.

In den gemeinsamen Richtlinien der Pflegekassen sind bereits die wichtigsten Details für den Einsatz der Betreuungsassistentinnen und -assistenten für die Qualifizierung festgeschrieben. Daraus geht hervor: Einsatzort sind vor allem stationäre Pflegeeinrichtungen.

Diese Neuregelung ist ein Eingeständnis. Die Pflegekräfte, zu deren Berufsauftrag die Aktivierung der Menschen gehört, haben hierfür keine Zeit. Aktivierende Pflege - Fehlanzeige! Daher überträgt man diesen anspruchsvollen Auftrag jetzt auf die Betreuungsassistentinnen und -assistenten. Dies ist aus unserer Sicht ein widersinniges Unterfangen, sollen diese doch in Verantwortung, Bezahlung und Hierarchie unter den Pflegekräften stehen. Fachverbände wie der Berufsverband für soziale Arbeit und ver.di haben prompt heftige Kritik angemeldet. Statt mehr Menschlichkeit für alte Menschen befürchten sie einen weiteren Spar- und Dequalifizierungsprozess in der Pflege mit negativen Folgen für die zu Pflegenden.

Ist dies nur die Kritik berufsständischer Besitzstandswahrung oder ein neuer Aufhänger für die Mitgliederwerbung einer Gewerkschaft? Ich halte die Befürchtungen der Kritiker für berechtigt.

Deshalb haben wir mit unserem Antrag Kriterien für die Qualifizierung und den Einsatz der neuen Betreuungsassistentinnen und -assistenten, wie immer man zu dieser Berufsbezeichnung steht, gesetzt. Auch unser Vertrauen in die Praxis der Arbeitsagentur ist nicht unendlich. Wir wollen, dass sich die Sozialministerien und die Arbeitsministerien gegenüber der Bundesagentur einschalten und

(Heike Franzen)

dass man sich über Qualitätskriterien und über deren Evaluation verständigt.

Ein bisschen vorlesen und mit alten Leuten spazieren gehen, das kann doch jeder, der nur ein Herz hat. Das machen Angehörige oder liebevolle Ehrenamtliche doch auch ganz ohne Diplom. Wenn man Geld dafür bekommt, erübrigt sich doch jede Kritik. - So werden vielleicht jetzt einige von Ihnen denken. Aber dies ist falsch gedacht.

Wer von Ihnen im persönlichen Umfeld schon einmal mit dem Thema Demenz konfrontiert wurde, weiß, dass ich recht habe. Mit demselben Vorurteil - hier kommen wir auf unsere vorherige Debatte zurück - wurde früher häufig über Kindererziehung in Kindertagesstätten gespottet, getreu nach dem Motto: Jede Mutter kann automatisch auch den Beruf als Erzieherin oder Sozialpädagogin ausüben. Wir wissen heute, dass das falsch ist und dass das dem Gedeihen vieler Kinder geschadet hat.

Wenn ich vorhin das Wort „Bewahranstalten“ benutzt habe, dann nicht, um damit die heutigen Kindertagesstätten in Schleswig-Holstein zu bezeichnen, sondern um eine Negativvision zu zeigen, die eintritt, wenn man spart, wenn man davon ausgeht, dass man aus denselben Menschen immer noch mehr herauspressen kann.

(Frauke Tengler [CDU]: Ich dachte, Sie wollten sich dafür entschuldigen!)

Das geht in Kindergärten schief, und das geht auch in der Pflege schief.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Halten Sie sich vor Augen: 70 % der Bewohnerinnen und Bewohner in den Altenpflegeeinrichtungen sind demenziell erkrankt. Ich habe nur noch wenig Zeit und möchte deshalb lediglich noch auf die drei wichtigsten Forderungen unseres Antrags hinweisen.

Wir wollen erstens, dass sich die Arbeitslosen wirklich freiwillig melden und nicht unter gesetzlichem Druck. Das ist die wichtigste Forderung. Alles andere wäre eine Zumutung.

Zweitens wollen wir, dass sich die Qualifizierung an Berufen orientiert, die mit psychischen Leiden zu tun haben und nicht ausschließlich an Körperpflege und dergleichen.

Wir wollen drittens, dass versierte Träger aus der Gerontopsychiatrie wie zum Beispiel die „Brücke“ oder „Pflege lebensnah“ oder die Alzheimer Gesellschaft den Auftrag zur Qualifizierung bekommen und dass nicht im Rahmen einer internationalen

Ausschreibung jemand mit Dumpingpreisen versucht, ein X für ein U vorzumachen. Das sind wir unseren alten Menschen schuldig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke Frau Abgeordneter Angelika Birk. - Für die CDU-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Ursula Sassen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es besteht ein Mangel an Pflegekräften, insbesondere im stationären Bereich, da die Anzahl pflegebedürftiger, demenziell veränderter Menschen steigt. Nach der Betreuungskräfte-Richtlinie gemäß § 87 b SGB XI zur Qualifikation und zu den Aufgaben von zusätzlichen Betreuungskräften in Pflegeheimen können vollstationäre Pflegeeinrichtungen zusätzliche Betreuungskräfte für Heimbewohner einsetzen, die infolge psychischer oder demenzieller Erkrankung oder geistiger Behinderung dauerhaft erheblich in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt sind.

In der Präambel der Betreuungsrichtlinie heißt es:

„Pflegebedürftige Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen … haben in der Regel einen erheblichen allgemeinen Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf. Ihre Versorgungssituation in der stationären Pflege wird überwiegend als verbesserungsbedürftig angesehen. Mit der Zahlung von leistungsgerechten Zuschlägen zu den Pflegesätzen für die zusätzliche Betreuung und Aktivierung von Heimbewohnern nach den Regeln des § 87 b SGB XI werden den Pflegeheimen finanzielle Grundlagen gegeben, eine bessere Betreuung für die Betroffenen im Sinne der von den Fachverbänden geforderten ‚Präsenzstrukturen’ zu organisieren...“

So weit die Präambel. Mit dieser Präambel und den folgenden Paragrafen werden sowohl Zielsetzung als auch Anforderung und Qualifikation klar definiert. Für die Ausübung der Betreuungsassistenz ist kein therapeutischer oder pflegerischer Berufsabschluss erforderlich.

Die Pläne der Bundesagentur für Arbeit, Tausende schwer vermittelbare Arbeitslose beziehungsweise

(Angelika Birk)

Langzeitarbeitslose für die Betreuung Demenzkranker einzusetzen, finden ein unterschiedliches Echo. Wer sich der Betreuung Demenzkranker widmen möchte, muss um die schwierige Aufgabenstellung wissen und dafür geeignet sein. Die Betreuungsrichtlinie zeigt grundlegende Anforderungen an die Betreuungskräfte auf, die ich hier nennen möchte: eine positive Haltung gegenüber kranken, behinderten und alten Menschen, soziale Kompetenz und kommunikative Fähigkeiten, Beobachtungsgabe und Wahrnehmungsfähigkeit, die Bereitschaft und Fähigkeit zu nonverbaler Kommunikation, Fantasie, Kreativität und Flexibilität, psychische Stabilität, Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns und so weiter. Diese Tugenden erfüllt manch ein Manager nicht.

Damit ist die Messlatte für das Anforderungsprofil hoch gesetzt und der Kreis derer, die letztlich infrage kommen, relativ klein und nur bedingt unter Langzeitarbeitslosen zu finden.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wer jedoch die Kriterien erfüllt, ist - unabhängig davon, ob er Langzeitarbeitsloser oder sonstiger Bewerber ist - ein guter Begleiter für Betreuungsbedürftige.

Wenn dann noch die vorgeschriebene Ausbildung durchlaufen wird, können die Pflegebedürftigen von der Betreuungskraft für demenziell veränderte Menschen, von der sogenannten Demenzassistentin, profitieren und Pflegekräfte entlasten. Es gibt bereits Beispiele qualifizierter und vom Arbeitsamt geförderter Maßnahmen mit staatlicher Anerkennung auf der Grundlage der Betreuungsrichtlinie, beispielsweise das „Auditorium Südwestfalen“.

Betreuungsassistenten können Fachkräfte nicht ersetzen. Der in der Präambel festgelegte Grundsatz, dem erheblichen allgemeinen Beaufsichtigungsund Betreuungsbedarf gerecht zu werden, ist die eigentliche Aufgabe. Wer glaubt, durch Betreuungsassistenten Fachkräfte und Kosten einzusparen, interpretiert § 87 b SGB XI falsch.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Interessierte und geeignete Arbeitslose für die Demenzassistenz zu gewinnen, ist ein guter Ansatz. Im Interesse der Pflegebedürftigen ist jedoch die Eignung und Freiwilligkeit der Entscheidung für dieses Berufsbild Voraussetzung. Sonst ist das Ziel verfehlt.

(Beifall bei CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ich danke Frau Abgeordneter Ursula Sassen. - Das Wort für die SPD-Fraktion hat nun Frau Abgeordnete Jutta Schümann.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zunächst gefragt, was dieser Antrag eigentlich soll. Das ist mir jetzt durch den Beitrag ein bisschen deutlicher geworden. Aber nichtsdestotrotz habe ich dazu einiges vorzutragen.

Erstens. Die Betreuung von Menschen mit Demenz gewinnt an Bedeutung; das ist nichts Neues. Das wissen wir seit Jahren. Jeder, der sich mit dem demografischen Wandel beziehungsweise mit der Hochaltrigkeit beschäftigt, weiß, dass mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit wächst, an Demenz zu erkranken, und das gilt leider insbesondere für Frauen, weil sie älter als Männer werden.

Zweitens. Blickt man zurück, so stellt man fest, dass in der Altenpflege das Thema Demenz oder auch das große Thema Gerontopsychiatrie eher nachrangig betrachtet wurden, und entsprechend fehlten auch die Ausbildungsinhalte für Pflegekräfte im Altenhilfebereich. Gleichermaßen waren die Versorgungsstrukturen auf die körperlichen Beeinträchtigungen älter werdender Menschen, nicht aber auf psychische Veränderungen ausgerichtet.

Drittens. Diese Einschätzung hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Wir wissen, dass es eine Unter- und auch Fehlversorgung von vielen Demenzkranken gibt. Wir wissen auch, dass nicht einmal jeder fünfte Patient Medikamente wegen seiner Demenz bekommt, und nach wie vor ist die Betreuung in der Familie oder in den Heimen meist nicht auf die Bedürfnisse und die restlich verbliebenen Fähigkeiten der Kranken abgestimmt. Allerdings haben wir zwischenzeitlich eine Menge an Verbesserungen und Maßnahmen eingeleitet.